Spielbericht Profis

Wiedersehen nach 18 Jahren: Schlampige Borussia verliert bei schwachem Juve mit 1:2

26.02.2015, 19:12 Uhr von:  Redaktion

Choreografie in der HeimkurveFür die einen war es ein Kindheitstraum, für die anderen der unattraktivste aller möglichen Gegner: Am Hinspiel im Achtelfinale der Champions League 2014/15 schieden sich die Geister. Dabei war „die alte Dame“ sicherlich kein ganz schlechtes Los gewesen, zählte Juve trotz der leichten Hybris Arturo Vidals (der im kicker-Interview Juve auf Augenhöhe mit dem FC Bayern und Real Madrid wähnte) doch immerhin zu den leichteren Aufgaben dieses Wettbewerbs.

Neben der Mannschaft hatten sich etwa 2500 Fans mit auf den Weg begeben, die viele interessante und unterschiedliche Eindrücke mit nach Hause nehmen konnten. Turin offenbarte sich als eine Stadt mit zwei Gesichtern: Am Spieltag, dem eher diesigen Dienstag, versprühte die Stadt nicht mehr als den Charme Paderborns – tags darauf, als die Sonne herrlich schien und die Stadt in warmes Licht tauchte, erschien sie plötzlich wie eine die sehenswerte Hauptstadt des Königreichs Italien, die sie einmal war. Der Blick auf die Ausläufer der Alpen, die komplette Überdachung weiter Teile der Fußgängerzone mit Arkaden (damit die Königin zwischen Palast und Kirche nicht unter freiem Himmel spazieren gehen möge) und manche gut versteckten Highlights machten die Stadt dann doch zu etwas besonderem.

Blasser Auftritt bei schlechten VoraussetzungenEntlang des Corso Vittorio Immanuele II reihte sich Kneipe an Kneipe, die neben günstigen und leckeren Pizzen vor allem hochpreisiges Bier im Angebot hatten: 6 Euro betrug der Preis im Etablissement des Vertrauens, alternativ 10 Euro beim Verzehr von dreien – es gab wirklich keinen Grund, nüchtern zu bleiben oder nur „auf ein Bier“ loszuziehen. Probleme mit den Einheimischen oder der Polizei gab es nicht, im Gegenteil wurden die deutschen Fans vielerorts freundlich begrüßt und aufgenommen. Selbst zu fortgeschrittener Stunde blieb es zivilisiert und musste sich niemand darüber sorgen, dass Borussia Dortmund im Ausland nicht vorbildlich vertreten worden wäre.

Umso unverständlicher war dann das, was sich am Spieltag selbst abspielte. Ab 17.30 Uhr sollten kostenlose Shuttle-Busse die Fans zum Stadion bringen, was vielen Fans deutlich zu früh war – dass die ersten sechs Busse bereits um 17.10 Uhr los gefahren waren und drei weitere Touren folgten, war durchaus verwirrend. Sämtlichen Buskonvois fuhren darüber hinaus dutzende Polizeieinheiten voraus und hinterher – einschließlich einer Zombieapokalypse wäre wohl ausreichend Sicherheitspersonal vor Ort gewesen, um jegliche Menschheitskatastrophen abzuwehren. War dies hinsichtlich des Auftretens der Feyenoord-Fans vergangene Woche in Rom noch halbwegs nachzuvollziehen, wurde es am Stadion dann richtig albern. Sämtliche Eintrittskarten wurden mit Hilfe von Personalausweisen kontrolliert (damit hatte es sich in der Heimkurve bereits getan), im Gästeblock erfuhren die Fans dafür noch eine Optisch recht mau präsentierte sich der GästeblockSonderbehandlung – gefühlte Ewigkeiten mussten sie anstehen, um ihre Schuhe auszuziehen, sich einmal richtig an die Eier packen zu lassen und dabei zuzusehen, wie sich jeder noch so kleine Fetzen im Mülleimer wiederfand. Dass die Herrschaften Sicherheitskräfte nicht gleich einen Klingelbeutel umgehen ließen, um sich ihren Witwen-und-Waisen-Fonds mit dem Kleingeld deutscher Fans aufzufüllen (die Preise im Stadion waren praktischerweise ja gleich auf die passende Scheingröße gerundet), war nun wirklich alles. Italienexperte Kai Tippmann blieb bei diesem selbst für Italien albernem Vorgehen die Spucke weg, sein Bericht ist hier zu lesen und sei jedem Interessierten ans Herz gelegt.

Leider hatten die Einlasskontrollen diesmal auch deutlichen Einfluss auf die Stimmung im Stadion. Wie mehrere Fans nach Spielende erklärten, hatten sich große Teile der Desperados dazu entschlossen, das Spiel von außen zu verfolgen, während The Unity ihr Banner an prominente Stelle auf dem Kopf präsentierte.* Auslöser war wohl das Eingreifen Dortmunder Fanordner, die das umstrittene „Je suis Boyz Köln“ Banner – das laut Aki Watzke demnächst wohl auch eine Stadionverbot nach sich ziehen wird – nicht ins Stadion lassen wollten. Nun kann man wie immer herzhaft darüber streiten, wie albern oder sinnvoll ein derartiger Protest ist (diskutiert wurde etwa nach dem Spiel, warum für manche Fangruppen eine wenig geschmackvolle Solidaritätsbekundung zu einer Fangruppe eines anderen Vereins wichtiger sein konnte, als der Support der eigenen Mannschaft, oder ob die Desperados zuletzt überhaupt relevant zum Support im Stadion beigetragen hätten) – alleine die Tatsache, dass ein Vorfall in einem fremden Stadion und eine strittige Bezugnahme darauf die Dortmunder Fanszene in zwei Lager spalten konnte, sorgte für wenig Begeisterung. Egal wie es in den nächsten Wochen weitergehen mag – ein entspannterer Umgang täte wohl allen Beteiligten und insbesondere Borussia Dortmund in ihrer Gesamtheit gut.

"Till the End" ebenEinmal im Stadion angekommen, offenbarte sich den mitgereisten Borussen das übliche Bild einer neugebauten und wenig liebevollen Arena. Steile Ränge trafen auf schwarzweiße Klappstühle aus dem Kinderparadies des örtlichen Baumarkts, die lieblose Beschallung mit beliebiger Diskomusik erfolgte in unverschämter Lautstärke und unterband wirklich noch das allerletzte Gespräch. Alle diejenigen, die sich nach den emotionsgeladenen Duellen der 1990er Jahre auf eine großes Erlebnis im „Stadio delle Alpi“ gefreut hatten, sahen sich nun mit der hässlichen Fratze des italienischen Fußballs 2015 konfrontiert: 69.000 Steh- und Sitzplätze waren gegen 42.000 Sitzplätze getauscht worden, Logen und bequeme Ledersitze waren an die Stelle der alten Sitzschalen getreten – die Sicht aufs Spielfeld war neben der Akustik das einzige Element, das noch irgendwie von diesem Kunstprodukt zu überzeugen wusste. „Der italienische Fußball ist tot“ – immer wieder sollte man im Nachgang des Spiels diese Feststellung hören und das nicht ohne jeden Grund.

Die Medienarbeitsplätze waren in Nähe der Heimkurve zu finden, ziemlich exakt auf der gegenüberliegenden Seite des Gästeblocks. Eine Choreografie der Italiener über das gesamte Stadion überzeugte vom optischen Gesamteindruck, blieb mit ihrer Aussage „till the end“ und einer Aufforderung zum Kampf aber eher unauffällig. Umso lauter zu hören waren dahingegen die Fans der alten Dame, wenn sie denn einmal den Mund aufbekamen, und auch die mitgereisten Borussen, denen es vor allem in der ersten Halbzeit immer wieder gelang, gegen die Italiener anzusingen.

Henrikh Mkhitaryan stand in der StartelfJürgen Klopp hatte sich aus mehr oder weniger nachvollziehbaren Gründen wieder einmal für eine neue Aufstellung entschieden. Neven Subotic, Kevin Kampl und Shinji Kagawa hatten sich kurzfristig mit einem hartnäckigen Virus infiziert und waren vorwiegend in Richtung Toilette gesprintet, so dass angesichts der notwendigen Wechsel zumindest bis auf diese Positionen mit einer Weiterführung des zuletzt erfolgreichen Kaders hätte gerechnet werden können. Klopp entschied sich jedoch anders und brachte zum großen Erstaunen mit Ciro Immobile und Henrikh Mkhitaryan in der Startelf gleich noch mehr neue Kräfte – seine Aussage vom Vortag, dass Pierre-Emerick Aubameyang in der Hinrunde vor allem unter Beweis gestellt habe, auf den Außenpositionen weniger stark als auf der Mittelstürmerposition zu spielen, schien bereits wieder vergessen. Warum ausgerechnet in einem Champions League Achtelfinale, in dem bereits krankheitsbedingt heftig rotiert werden musste, eine offensichtlich bewusste Entscheidung zur weiteren Schwächung des Teams erfolgte, konnte außer dem Trainer wohl niemand verstehen.

Doch man musste Klopp zugutehalten, dass er sich offensichtlich nicht ganz getäuscht hatte. Zwar blieb Aubameyang über weite Strecken des Spiels entsetzlich blass, doch konnte immerhin Immobile seinen Einsatz rechtfertigen. Bereits in der ersten Minute brachte er den Ball mit einem wuchtigen Distanzschuss in Richtung Tor, verfehlte dieses aber knapp. Auf eine besondere Phase des Abtastens wurde insgesamt verzichtet. Borussia wirbelte die eher statisch wirkende Defensive der Turiner durcheinander, die Hausherren suchten Befreiung durch schnelle Konter und dauernde Attacken.

Tevez bejubelte früh mit Schnuller das 1-0Das Spiel war von Beginn an sehr nett anzusehen und fand auf hohem Niveau statt, bis sich die ersten Fehler einschlichen. In der 13. Minute verlor Sokratis einen schlampig geführten Zweikampf gegen Alvaro Morata, der sofort steil gehen und querlegen konnte. Roman Weidenfeller, seit der WM in Brasilien nicht mehr ganz unumstrittene Nummer 1, klatschte nur halbherzig nach vorne ab und musste zusehen, wie Carlos Tevez aus nächster Nähe das Tor erzielte. An diesem Torwartfehler gab es nichts zu deuteln und es irritierte doch einige Beobachter, dass Weidenfeller diese Verantwortung so gar nicht auf seine Kappe nehmen wollte. Erfreulicherweise begingen die Juventiner den nächsten unentschuldbaren Fehler: Borussia hatte den Ball lang und hoch nach vorne geschlagen, Giorgio Chiellini war wenige Meter vor dem Strafraum ausgerutscht und liegen geblieben – sofort war Marco Reus aufgetaucht und hatte den Ball zum Ausgleich in die Maschen geschlagen.

Juve schien nun so richtig beeindruckt. Während Borussia immer weiter Fahrt aufnahm und das Mittelfeld beinahe nach Herzenslust überbrückte, bekamen es die italienischen Individualisten mit der Angst zu tun. Beinahe hilflos wirkte da schon ein Spruchband, das – Achtung: Treppenwitz – die wohl vor dem Stadion stehenden Desperados attackieren sollte: „Der Freund meines Feindes ist mein Feind. Dortmund Scheiße, Catania Merda, Napoli Colera“ war darauf zu lesen und spielte darauf an, dass die Desperados seit einiger Zeit gute Kontakte nach Süditalien pflegten.

Beim 1-1 war die Welt wieder in OrdnungDas Spiel erfuhr seine erste richtige Wende zwischen der 28. und 35. Minute. Zunächst wurde Lukasz Piszczek übel umgetreten – sein Knöchel wurde im wahrsten Sinne des Wortes in die Beinschere genommen, eine längere Pause und die nächste Auswechslung gegen Matthias Ginter waren die Folge. Während Borussia weiter drückte – und sich die lebende Legende Gianluigi Buffon bei der Abwehr eines eher harmlosen Distanzschusses Nuri Sahins eher wenig mit Ruhm bekleckerte – schien Andrea Pirlo ans Ende seiner gestalterischen Kräfte gelangt zu sein. Ohne erkennbare Dortmunder Einwirkung musste der Starregisseur ausgewechselt werden – bei einer der letzten Chancen, diesen großartigen Fußballer noch live spielen zu sehen, war das schon durchaus bedauernswert. Die Turiner schienen dabei so richtig mitgenommen zu sein und brachten nun kaum ein Bein mehr auf den Boden – bis zur 43. Minute, als beinahe aus dem Nichts das 2:1 fiel. Ein langer Ball aus der eigenen Hälfte war nach vorne geschlagen und ohne Umschweife auf links weitergeleitet worden, Paul Pogba legte unbedrängt quer und Tevez schloss ab. Ob Ginter, Sokratis oder Marcel Schmelzer, beinahe die gesamte Defensive hatte gepennt und hielt ihre Aktien am unschönen Spielstand.

Lukasz Piszczek musste verletzt rausDie zweite Halbzeit begann mit Oliver Kirch, der für den nun ebenfalls angeschlagenen Sokratis ins Spiel kam. Die Heimkurve war deutlich leiser geworden, der Gästeblock nach wie vor gut zu hören, als sich die nächsten Fehler häuften. So hatte in der 53. Minute wieder Weidenfeller für Kopfschütteln gesorgt, als er nicht nur einen Kopfball Leonardo Bonuccis nur mit Mühe klären konnte, sondern anschließend einen langen Abschlag ins Nirvana sendete, statt einen der drei freistehenden Mitspieler anzuwerfen. Doch längst nicht nur der Torwart gönnte sich seine miesen Momente – die Schlampereien in der gesamten Defensive häuften sich. Gefährliche Querpässe und „Nimm-du-ihn-ich-hab-ihn-sicher“-Situationen erlaubten es Juve, kompletten Murks zusammenzuspielen und dennoch gefährlich vors Tor zu kommen. Der in Stuttgart noch bemüht freie Räume aufzeigende und sprintende Mkhitaryan tauchte in dieser wichtigen Spielphase völlig ab, während das Spiel links und rechts an ihm vorbeilief.

Während das Spiel immer weiter verflachte, wurden den Journalisten interessante Informationen auf die Arbeitsplätze gelegt, die man so nicht oft gesehen hatte. Neben der exakten Zuschauerzahl – im ausverkauften Stadion waren 35.578 Zuschauer mit Tageskarte, 3.505 Dauerkartenbesitzer und 2.099 Gäste erschienen – wurden auch die exakten Umsätze mit Eintrittskarten aufgeführt. Die Tageskarten brachten demnach satte 2.448.760 Euro ein und die Dauerkarten weitere 296.677 Euro, sodass alleine die Fans der Heimmannschaft 2.745.437 Euro in die Kassen spülten. Da soll noch mal jemand sagen, dass an Tickets nichts zu verdienen sei und diese nur ein schmales Beibrot lieferten – bei einem aus den Angaben zu berechnenden durchschnittlichen Ticketpreis von 70,25 Euro durfte man allerdings auch richtig tief schlucken.

Roberto Pereyra gegen Ilkay GündoganWährend man für diesen Preis Champagnerfußball hätte erwarten dürfen, wurden die Bälle auf beiden Seiten völlig ohne Not zu Ecken geklärt. In der 71. Minute schoss Claudio Marchisio den Ball im Fallen aus der Drehung sehr knapp am Tor vorbei, in der 74. Minute konnte Immobile nach einem Patzer Juves Pech mit seinem wuchtigen Schuss knapp übers Tor. Borussia schickte sich in diesen Minuten an, das in den ersten 45 Minuten so lässig dominierte Spiel nun auch zurecht zu verlieren – ohne besonders viel fürs Spiel zu machen, erhielten die Turiner immer wieder förmliche Einladungen in Dortmunder Strafraumnähe. Klopp war mit dieser Entwicklung überhaupt nicht zufrieden und brachte mit Kuba für Immobile – der völlig untergegangene Aubameyang rückte dafür ins Sturmzentrum – neuen Schwung, der mindestens die hölzerne Altherrenabwehr Juves auf Trab halten sollte.

Dennoch bot sich in der 86. Minute eine Riesenchance für Juve, den Sack zuzumachen – Ginter hatte gepennt und Pereyra laufen lassen, der mit links abzog und den Ball nur knapp rechts am leeren Tor vorbeischob. Weidenfeller schnauzte Ginter daraufhin so richtig an, was er angesichts seiner eigenen Unzulänglichkeiten zuvor wohl aber besser stecken gelassen hätte. Dass Borussia in der 90. und 91. Minute selbst noch einmal vors gegnerische Tor kam – zunächst hatte Kuba schlecht auf Kirch gespielt, der noch schlechter zurückgab, dann hatte Schmelzer die Flanke verkackt – änderte nichts mehr am Spielergebnis: Der BVB hatte ein überlegen geführtes Spiel ohne Not aus der Hand gegeben und konnte sich letzten Endes nicht über die Niederlage beschweren. Immerhin lässt das wichtige Auswärtstor weiterhin von einem Viertelfinale träumen, das dieser – vorsichtig ausgedrückt – glanzlosen Saison zumindest ein kleines Trostpflaster verpassen dürfte.

* Anmerkung: In einer früheren Version des Spielberichts hieß es, dass neben den Desperados auch große Teile der JUBOS vor dem Stadion geblieben seien. Die JUBOS möchten diese falsche Wahrnehmung gerade rücken und stellen hierzu fest, dass sich die Gruppe über 90 Minuten aktiv am Support beteiligt habe und nicht dem Stadion ferngeblieben war. Die Zaunfahre wurde aus einem anderen Grund kurz vor Spielbeginn abgehängt. Wir bitten um Entschuldigung. (ssc)

Statistik:

Enttäuschte Gesichter nach AbpfiffJuventus Turin: Buffon - Lichtsteiner, Bonucci, Chiellini, Evra - Pirlo - Marchisio, Pogba - Vidal - Tevez, Morata
Wechsel: Pereyra für Pirlo (37.), Padoin für Vidal (86.), Coman für Tevez (89.)

BV Borussia von 1909: Weidenfeller - Piszczek, Hummel, Sokratis, Schmelzer - Sahin - Gündogan, Mkhitaryan - Aubameyang, Reus - Immobile
Wechsel: Ginter für Piszczek (32.), Kirch für Sokratis (46.), Kuba für Immobile (76.)

Tore: 1:0 Tevez (13.), 1:1 Reus (18.), 2:1 Morata (43.)
Gelbe Karten: Vidal, Pereyra

SSC, 26.02.2015

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