Serie

Für den modernen Fußball!

01.07.2015, 14:14 Uhr von:  Redaktion

Pyro auf der Südtribüne unter FlutlichtImmer mal wieder stolpert man im Internet über eines dieser wunderbaren Fotos von der Südtribüne im alten Westfalenstadion: Fliegende Bierrosetten ohne Ende, hier und dort ein bengalisches Feuer und über den Blöcken 12 und 13 die überdimensionale Blockfahne. Tolle Erinnerungen für all jene, die den großen Spielen in den Achtzigern und Neunzigern beiwohnen durften, aber auch für die meisten jüngeren Fans sind diese Zeit und diese Tribüne ein Sehnsuchtsort. Schön war das, als der Fußball noch so ehrlich war wie die Leidenschaft der Fans im Stadion.

Solche oder ähnliche Gedanken kommen unweigerlich in den Kopf, wenn man an den Slogan "Gegen den modernen Fußball!" denkt. Viele von uns nervt die totale Kommerzialisierung des Fußballs, nervt der Sportler als massenkompatible Marke, nervt die immer gleiche Arena auf der grünen Wiese. Es muss doch auch anders gehen, und früher war es anders. Damals, in der guten alten Zeit, als der geliebte Fußball noch genauso unschuldig war wie man selbst.

Doch das Problem an der Nostalgie ist der verklärende Blick zurück. Natürlich war der Fußball damals anders als heute, aber er war keine andere Welt. Eher so wie Golf I im Vergleich zu einem Golf VII: Ein anderes Auto, weniger komfortabel und weniger schnell, aber eben doch ein Auto. Nüchtern betrachtet war die Blockfahne damals schon von der Continentale gesponsert, der Spielball war natürlich ein Derbystar, und um 20:37 Uhr war wieder Wempe-Zeit. Die Werbung war weniger bombastisch als heute, klar, aber vom Wesen her doch identisch. Und auch die Spieler standen nicht nach jedem Spiel volksnah in der KIn Duisburg wurde man früher auch mal nassneipe, Vereinspolitik hieß Altherrenclub im Hinterzimmer, und wirklich niemand wollte unter der Woche zum Auswärtsspiel nach Homburg fahren.

Und nicht nur das, der Fußball von heute hat tatsächlich auch seine Vorteile. Um im Bild zu bleiben: Es gibt Gründe, warum man seinen Oldtimer nur an schönen Tagen aus der Garage holt: Es zieht mitunter fürchterlich, und im Winter ist eine Sitzheizung nun halt schlicht praktisch. Deshalb hat man auf die erste Pokalrunde in einem uralten Stadion auch vor allem deshalb Bock, weil sie im Hochsommer stattfindet. Die Bilder von früher sehen toll aus, aber man möchte dann doch lieber nicht im zugigen Volksparkstadion stehen, schon gar nicht bei Hamburger Wetter im Februar. Schlimmstenfalls neben Nazis im Block, was man als weißer Mann zwischen 15 und 40 im Normalfall noch irgendwie hinnehmen konnte, dann aber eben auch dazu führte, dass wenig andere Leute im Stadion waren.Hoffi, das Maskottchen vom Retortenklub TSG Hoffenheim

Trotzdem muss man kein aktiver Fan sein, um zu wissen, dass heute vieles nicht gut läuft. In Sachen Korruption reicht allein ein Blick in die Tagesschau, und das Problem der Gewalt im Fußballumfeld lässt sich mit Kritik an Polizeieinsätzen allein auch nicht lösen. Aber bei der Lösung ist die nostalgische Rückschau eben auch nicht immer hilfreich. Wir möchten dieser deshalb ein paar Visionen entgegenstellen. In einer regelmäßigen Serie werden wir uns in den nächsten Wochen fragen, wie wir uns eigentlich ganz konkret den Fußball der Zukunft wünschen. Ein paar exemplarische Fragen:

  1. Die Bundesliga wird von Retortenclubs überschwemmt, die allenfalls in ihren Heimatorten die Leute begeistern, dann aber auch nur bei gutem Tabellenstand. Wie sieht dagegen eine wirkliche Fußballstadt aus, die man gern bei einem Auswärtsspiel besucht?
  2. Die letzte große Reform der Fußballregeln ist über 20 Jahre her, und seitdem sind die technischen Möglichkeiten deutlich ausgereifter geworden. Welche davon sollte man im Fußball einsetzen, und welche Regelauslegungen könnten gleich mit überarbeitet werden?
  3. Die Vereinsführung wurde früher im Hinterzimmer organisiert und wird heute in der Geschäftsführung der KGaA betrieben. Doch wie sieht eine Vereinspolitik aus, in der Fans wirklich etwas bewegen können?

Nicht immer werden wir dabei ohne einen Verweis auf Vergangenheit und Gegenwart auskommen, aber unser Blick soll fortschrittlich sein: Neue Wege vorschlagen, nicht bloß verklärend zurück in unsere Jugend blicken. Wie sich das für Utopien gehört, steht nicht immer die realistische Umsetzung im Vordergrund, sondern ein Fernziel, wohin sich der Fußball entwickeln könnte, um wieder ein Sport für Fans und Spieler gleichermaßen zu werden, traditionsbewusst und zeitgemäß zugleich. Moderner Fußball muss nämlich kein Schimpfwort sein.

Scherben, 01.07.2015

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