Warmlaufen

Selbstmitleid ist scheiße

29.11.2014, 12:50 Uhr von:  Redaktion

Ein Unentschieden, das sich wie eine Niederlage anfühlteAuf frappierende Weise erinnerte die Jahreshauptversammlung unserer Borussia in der letzten Zeit an eine alljährlich stattfindende Familienfeier: Man sieht immer dieselben Gesichter, Opa erzählt immer dieselben Geschichten, und am Ende versichert man sich gegenseitig die ewige Treue. Nur dass Opa diesmal nicht vom Krieg spricht, wohl aber vom Vorraum der Pathologie. Wie auf Kommando stellt sich bei den Gästen dann ein wohliger Schauer ein, weil man ja weiß, dass alles gut ausgegangen ist. Unbeschwert lobt man die Verantwortlichen für ihr Handeln von einst, und natürlich hat man auch selbst mit seiner unerschütterlichen Leidensfähigkeit einen kleinen Beitrag geleistet: Auch in schweren Zeiten ham' wir keine Wahl ... Es gab Zeiten, da ging's uns richtig schlecht ... Am Ende der dunklen Gasse erstrahlt die Gelbe Wand.

In Wirklichkeit aber legt die Gnade des Vergessens einen Schleier darüber, wie scheiße man sich damals wirklich gefühlt hat.

Hängende Köpfe auch in LondonMan muss vermutlich erst wieder eine richtige Dreckssaison erleben, um zu merken, wie ausdauernd man sich über all die Jahre und nicht nur bei der Jahreshauptversammlung auf die eigene Schulter geklopft hat. Der Winter 2004/05 ist jetzt zehn Jahre her, und mindestens in den letzten fünf dieser Jahre standen wir alle gemeinsam (Funktionäre, Spieler und Fans) längst auf der Sonnenseite des Lebens. Trotzdem gilt die Molsiris-Entscheidung vom 14. März 2005 immer noch als der Fixpunkt im BVB-Universum, und selbst wenn man sich eher auf das Sportliche beziehen will, sind die Tage unter Thomas Doll halt auch schon eine ganze Weile vergangen. Die Idee dahinter ist wohl: Wenn man sich nur immer wieder daran erinnert, wo man herkommt, ist man automatisch geerdet. Ein Trugschluss, natürlich.

Es heißt, im Erfolg mache man die größten Fehler. Ob das so wirklich stimmt, sei mal dahingestellt, aber zumindest braucht man eine gewisse Fallhöhe um abzustürzen. Vielleicht ist Borussia Dortmund gerade so ein Beispiel und komplett im Sinkflug. Ein gutes Stück sicher vom Aufprall entfernt, und immer noch in der Lage, das Ruder herumzureißen, aber natürlich ließe sich bereits jetzt eine ziemlich bittere Geschichte erzählen. Die von einem Verein, der wirtschaftlich so gut aufgestellt ist wie nie in seiner Geschichte, der sich einen breiten Kader für den Tanz auf drei Hochzeiten hält, und der darüber sukzessive vergisst, was ihn über die letzten Jahre so stark gemacht hat: Den unbedingten Fokus auf das nächste Spiel zu legen, sich selbst komplett für den Erfolg des Mannschaft einzusetzen und das eigene Ego darüber in den Hintergrund zu rücken.

Nicht immer eindeutige Signale von Aki WatzkeWenn die beiden bitteren Spiele in Paderborn und London ein Gutes haben, dann vermutlich, dass zwischen Borsigplatz und Strobelallee so langsam die Erkenntnis einsickert, dass die Tabelle nicht lügt. Kein Wolfgang Stark, kein Marvin Bakalorz, kein Karl-Heinz Rummenigge, kein Verletzungspech der Welt haben uns 2011 davon abgehalten, eine nicht für möglich gehaltene Meisterschaft zu feiern. Alle Rückschläge damals wurden umgelenkt und in eigenen Schwung verwandelt. Heute schafft Aki Watzke das Kunststück, den eigenen Spielern auf der Jahreshauptversammlung die Leviten zu lesen und völlige Konzentration auf die Bundesliga zu verlangen, um tags darauf bei der Aktionärsversammlung über die Lücke zum FC Bayern zu schwadronieren. Heute sind sich Spieler nicht zu blöd, öffentlich über mögliche Wechselabsichten und falsche Zitierungen in der Presse zu reden. Und auch heute gibt es noch Fans, die allen Ernstes den Rechenschieber herausholen und den Abstand zu den Champions-League-Plätzen berechnen.

Euch allen sei gesagt: Abstiegskampf ist scheiße. Und im Abstiegskampf werden 95 Prozent Einsatz nicht reichen. Bis Mai kann für den gesamten Verein nur gelten, sich komplett auf das nächste Spiel zu konzentrieren, dort alles in die Waagschale zu werfen und Stück für Stück den Fall zu bremsen. Morgen in Frankfurt kann ein Anfang sein. Gewinnt dieses Spiel für Euch. Für Auf uns Fans wird es auch am Sonntag in Frankfurt ankommenuns. Für Borussia.

Eintracht Frankfurt: Wiedwald - Chandler, Russ, Anderson, Oczipka - Hasebe, Stendera - Aigner, Meier, Inui - Seferovic

Borussia Dortmund: Weidenfeller - Piszczek, Sokratis, Ginter, Durm - Kehl, Gündogan - Mkhitaryan, Kagawa, Großkreutz - Aubameyang

Schiedsrichter: Gagelmann

Zuschauer: 51.500 (ausverkauft)

Scherben, 29.11.2014

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