Unsa Senf

Platzsturm und Polizeieinsatz in der Roten Erde - Eine Zwischenbilanz

31.10.2014, 13:51 Uhr von:  Redaktion

Es war 13.15 Uhr am letzten Sonntag, als in den Katakomben der Roten Erde die Nachricht vom verspäteten Anstoß über den Flurfunk bekannt wurde. Aufgrund polizeilicher Maßnahmen im Block H der Haupttribüne verständigten sich Polizei und BVB darauf, die Partie gegen Hansa Rostock nicht wie geplant um 14 Uhr anpfeifen zu lassen. Am Ende sollten 96 Minuten Verspätung daraus werden, ehe Schiri Kempkens aus Urmitz das Spiel freigab. Was war passiert?

BVB-Fans vor dem Gästeblock in der Roten ErdeAls die Stadiontore geöffnet wurden, standen wie immer die anwesenden Ultras vorne, um als erstes die Kampfbahn betreten zu können. Nachdem die Ersten regulär eingelassen worden waren, erspähten sie die „Suptras“ Zaunfahne, die schlecht bewacht am spärlich besetzen Gästeblock hing. Darauf machten sie ihre draußen wartenden Kollegen aufmerksam und der gesamte Pulk drängte sich an den Ordnern vorbei und verschaffte sich unkontrolliert Einlass. Nach Informationen des Fanprojekts wurden dabei auch unbeteiligte Fans mitgerissen, die sich in der Menge befanden. Einige Fans stürmten dann über den Platz in Richtung Gästeblock, allerdings ohne das begehrte Stück Stoff erbeuten zu können. Auch zu körperlichen Auseinandersetzungen mit dem Gästeanhang kam es wohl nicht, es blieb beim üblichen Rumposen. Die Polizei hatte die Lage am Gästeblock auch schnell im Griff. Die Dortmunder Fans zogen sich daraufhin schnell auf die Haupttribüne in Block H zurück. Rostock verzichtete im Anschluss darauf, den Gästeblock mit ihrem Material zu schmücken.

Hier endet nun die Berichterstattung beim wie üblich nur beim Polizeibericht abschreibenden „Medienpartner“ Ruhr-Nachrichten. Auch der bekannt fan-kritische und polizeihörige WDR schaffte es höchstens noch, die Pressemitteilung des BVB zu zitieren. Allein schon die Zahlen von 300 vermeintlichen „Erstürmern“ der Roten Erde sowie von 60 angeblichen Provokateuren vorm Gästeblock stimmen eher wenig mit den Augenzeugenberichten überein. Interessant durchaus auch die Information, dass von 25 (strafunmündigen?) Jugendlichen die Personalien aufgenommen wurden, dies jedoch nicht an die Presse weitergegeben werden solle. Das erzählte ein direkt hinter den voll besetzten Pressebänken(!) stehende Polizist einem seiner Kollegen. Ein Betroffener erzählte uns jedenfalls, dass ein nicht unerheblicher Teil der kontrollierten Fans aus dem einfachen Grund keinen Personalausweis vorweisen konnte, weil man einen solchen ja erst im 16. Lebensjahr erhält. Dies sorgte für weitere Verzögerungen bei der Personalienfeststellung.

Wartende BVB-Fans vor der Roten ErdeEs muss natürlich klipp und klar festgehalten werden, dass durch solche Aktionen wie am Sonntag und auch (in wesentlich kleinerem Rahmen) gegen Regensburg oder 2012 gegen den KSC nicht nur der Mannschaft ein Bärendienst erwiesen wird, die am Sonntag in ihrer Spielvorbereitung gestört wurde und weitgehend ohne die übliche Unterstützung von den Rängen auskommen musste. Man spielt auch all jenen Instanzen in die Karten, die Parallelansetzungen aus Sicherheitsgründen befürworten und die interessanteren Partien unserer Zweitvertretung im großen und bei solchen Spielen toten Westfalenstadion austragen lassen wollen. Ein besonders bitterer Erklärungsansatz für solch ein Verhalten ist in der Beobachtung von Augenzeugen zu finden, die anmerkten, dass ein Großteil der Platzstürmer sonst eher nicht bei Spielen der BVB-Amateure zu finden ist. Solchen „erlebnisorientierten Abenteuertouristen“ ist es natürlich herzlich egal, wenn sie durch ihre Aktionen eine über Jahre gewachsene Fanszene in Gefahr bringen, denn sie verlieren ja nichts, wenn der gewohnte Support der Amateure künftig ausfällt, weil mal wieder Stadionverbote mit der Gießkanne verteilt werden. Angeblich war auch ein nicht unerheblicher Teil der Platzstürmer aus dem befreundeten Köln angereist. Ob die wirklich gekommen sind, um ein Spiel der BVB U23 zu gucken oder sich doch eher mit den bösen Jungs aus Rostock messen wollten, könnten sie natürlich letztlich nur selbst beantworten.

Unabhängig von der Sinnhaftigkeit der beschriebenen Ultra-Aktionen im Vorfeld eines wichtigen Fußballspiels sollten jedoch auch die Maßnahmen der Polizei und des BVB kritisch hinterfragt werden. Denn Fakt ist, dass ein Großteil der BVB-„Störenfriede“ die Rote Erde noch rechtzeitig verlassen konnte und zeitgleich der BVB-Ordnungsdienst weiter „normalen“ Fans Einlass gewährte. Und zwar unabhängig davon, ob sie ein Sitzplatz- oder Stehplatzticket erworben haben. Erst nach weiteren Minuten begann dann die Arbeit der Polizei und die Tore der Roten Erde wurden nach Absprache zwischen BVB und der Polizei verschlossen. Wer nun bereits unglücklicherweise im Stadion war, weil er vielleicht ein paar Minuten zu früh da war oder lediglich schon einmal in Ruhe Bier und Wurst kaufen wollte, sieht sich bald schon polizeilichen Ermittlungen und eventuell sogar einem etwaigen Stadionverbot gegenüber.

Ausgesperrte immer bei uns - Fotoreporter dürfen nicht reinFast schon surreal, was ein an den Krawallen völlig unbeteiligter Fan schwatzgelb.de gegenüber berichten konnte: „Ich bin ganz normal ins Stadion gegangen, die Ordner haben mich abgetastet und meine Karte abgerissen. Ich habe mir dann erstmal eine Cola und eine Bratwurst geholt. Ich stand dann zusammen mit einem Freund in der Kurve in Richtung der Heimsitzer. Irgendwann hat einer in Block H gerufen: „Alle raus! Rostock ist vor dem Stadion!“ Ein Teil der Ultras ist dann raus gelaufen, die meisten sind aber stehen geblieben. Wir sind der Rennerei aus dem Weg gegangen und haben uns dann in Richtung der Bäume bewegt. Da kamen dann 5-6 Polizisten auf uns zu und haben uns aufgefordert in Block H zu gehen. Wir haben denen gleich gesagt, dass wir nichts mit der Randale oder dem Stadionsturm zu tun hatten und unsere Stehplatzkarten vorgezeigt. Mein Kollege hatte auch noch Bratwurst und Cola in der Hand, so dass ziemlich offensichtlich war, dass wir auch nicht das Stadion verlassen und Rostocker jagen wollten. Er wollte dann noch mit der Polizei diskutieren, aber die haben ihm einfach die Cola aus der Hand geschlagen, woraufhin wir nach kurzer Debatte in Block H gegangen sind.“

Das Foto, welches von der Sportschau zur Darstellung der Ereignisse verwendet wurde, lässt ob des Altersdurchschnitts der eingekesselten Fans in Block H eher eine Klassenfahrt in der Mittelstufe vermuten. Ob die beiden Mädels ganz links im Block tatsächlich vor der Rostocker Kurve provoziert haben, erscheint doch mehr als fraglich. Selbst 13-jährige Kinder wurden von der Polizei eingekesselt und erst nach mehreren Anfragen und Hinweisen aus dem Kessel entlassen.

Drin aber noch keine Bewegungsfreiheit - Dortmunder Fans nach AnpfiffDie Dortmunder Polizei fand schwatzgelb.de-Informationen zufolge bei dieser Maßnahme lediglich 2 Sturmhauben, 1 acab-Shirt und Batterien für die Megafone. Während die wahren Urheber der Provokationen inzwischen also wahrscheinlich beim Bier in der Stadt saßen, schoss die Polizei mit Kanonen auf Spatzen und traf einmal mehr eine Menge unschuldiger Fußballfans, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Während zur gleichen Zeit in Köln brutale und gewaltbereite Nazis wüteten, bewies die Polizei in Dortmund, dass sie zumindest noch die Altersklasse 14+ im Griff hat. Derweil verharrten mehrere hundert BVB-Fans vor den Stadiontoren, ohne von irgendwem darüber informiert zu werden, wann der Einlass erfolgen würde und ob das Spiel überhaupt angepfiffen werden würde.

Darunter war auch schwatzgelb-Redakteur cka mitsamt dem technischen Equipment für den geplanten Amateurfunk: „Ohne die Kommunikation mit den Jungs, die im Presseraum saßen, hätte ich überhaupt nicht erfahren, warum niemand ins Stadion durfte. Ich sah von außen nur, dass der Gästeblock voll und Block H eingekesselt war. Warum, das wollten uns weder Ordner noch die Polizei erzählen“. Erst mit dem Anpfiff der Partie gegen 15:30 Uhr wurden die Stadiontore geöffnet. Allerdings war der Weg kurz vor den Sitzplätzen wieder zu Ende. cka: „Und dann folgte mein persönliches „Highlight“: Ich stand vor einem Polizisten und fragte ihn, was eigentlich los sei. Keine Reaktion. Ich fragte noch einmal. Er schaute mich an, antwortete aber nicht. Ich fragte also noch einmal. Folge war die Ansage, dass ich - wenn ich ihn weiter zuquatschen würde - sofort aus dem Stadion flöge.“ So viel zum Demokratieverständnis und der Deeskalationsstrategie der Truppen des Polizeipräsidenten Lange, der sich auf Podiumsdiskussionen gerne als Wolf im Schafspelz geriert, offenbar solch ein Verhalten seiner Beamten aber billigt, wenn nicht gar fördert.

Pressefreiheit mit dem Finger bekämpft - Der BVB-OrdnungsdienstUnd auch der BVB-Ordnungsdienst spielte an diesem schwarzen Sonntag eine unrühmliche Rolle. So wurde es Journalisten untersagt, zu Beginn des Polizeieinsatzes die Haupttribüne zu betreten. Wie nebenstehendes Foto beweist, betätigte sich ein Ordner sogar als willfähriger Gehilfe der Polizei und drohte einem Kamerateam des MDR mit Stadionverbot sowie nach einem Hinweise auf die Pressefreiheit, dass man auch durch die Polizei die Personalien aufnehmen könne, wenn weiter gedreht werden würde. Auch der Umstand, dass man zahlende Kunden ohne jegliche Informationen stundenlang vor verschlossenen Toren stehen lässt, wirft ein äußerst schlechtes Bild auf den BVB.

Am Ende des Tages bleibt festzuhalten, dass sich sowohl Fans, Polizei als auch Verein einen Unterbietungswettkampf darin geliefert haben, wie man möglichst effektiv einen schönen Fußballtag kaputt machen kann. An dieser Stelle ein explizites Kompliment an die „marodierenden Horden und Menschenfresser“ aus dem Osten aus Rostock, die sich während der 96 Minuten Wartezeit und des Spiels friedlich verhielten und die Verzögerung mit Humor nahmen. Vor allem aber ist es schade, dass es - wie schon gegen Regensburg - BVB-Fans waren, die den Spielort Rote Erde in Verruf bringen und denjenigen Leuten Munition liefern, die am liebsten jedes Amas-Spiel parallel zu den Profis legen wollen. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Sanktionen durch Verein und Polizei zielgerichtet an diejenigen verteilt werden, die auch wirklich über die Stränge geschlagen haben. Die Mitteilung der Staatsanwaltschaft Dortmund, dass gegen alle 293 Fans, deren Personalien die Polizei aufgenommen hat, auch Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden, lässt diesbezüglich ungutes vermuten. Wir bleiben weiter an der Sache dran und werden auf jeden Fall davon berichten, wenn am Ende Unschuldige mit Stadionverboten oder gar strafrechtlichen Folgen belegt werden.

cka, Malte D & Web 31.10.2014

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