Unsa Senf

Taktik-Gedöns: Hannover

29.10.2014, 10:00 Uhr von:  Redaktion

Ja, zugegeben, es hätte schönere Momente gegeben um damit zu beginnen. Wir hätten Euch gerne erklärt, warum das so schön rausgespielte 5:0 von Marco Reus gegen Hannover eigentlich der alleinige Verdienst von Mkhitaryan war oder wie Aubameyang bei seinem zweiten Tor am Samstag nicht nur genau richtig stand, sondern auch noch den Ball perfekt abgeschirmt hat.

Hätte, hätte Fahrradkette! Stattdessen werden wir nun versuchen, etwas Licht ins Dunkel des Tabellenkellers zu bringen und das Spiel anhand einiger spezieller Momente (die Euch vielleicht gar nicht mal aufgefallen sind) zu analysieren.

Beginnen wir mit dem meist Elementaren: Der BVB agierte – zumindest bis zur Einwechslung von Kagawa in der 66. Minute – im altbekannten 4:2:3:1, Hannover spielte ein 4:4:2 mit Doppelsechs.
Der Rasen war nass und die Ballgeschwindigkeit daher relativ hoch. Das Wetter war mit 15° ideal. Der BVB hatte auf dem Papier die qualitativ besseren Einzelspieler.

Die taktische Aufstellung zu Beginn

Spielaufbau Anfangsphase

Beide Mannschaften versuchten am Anfang den Spielaufbau mit kurzen Pässen. Beim BVB glückte dies von Beginn an nicht gut, weil Hannover mit zwei Stürmern spielte und diese relativ hoch und daher dicht bei Hummels und Subotic standen. Weil Piszczek und Durm sich nicht weit genug zurückfallen ließen, blieb Weidenfeller oft nur der lange Ball auf Ramos.

Der BVB versuchte daraufhin, Gündogan zwischen die Innenverteidiger zurück fallen zu lassen. Gündogan konnte dann aus der Drehung aufbauen und dadurch das Spiel breiter machen. Dies sollte zu einem ruhigeren Spielaufbau führen. Leider war es aber oftmals so, dass der Ball nicht mit genug Geschwindigkeit gespielt wurde, nicht genau genug war oder nicht gut verarbeitet wurde, weshalb er letztendlich über die Seitenauslinie ging. Im Laufe des Spiels führte dies dazu, dass diese Variante immer seltener probiert wurde und kaum Ruhe ins Aufbauspiel der Borussia bringen konnte.

Was man sich nicht traute, war den Ball von Gündogan nach vorne auf Bender zu spielen, weil Bender durch das Zurückziehen von Gündogan oft alleine gegen zwei stand. Das Risiko wollte Gündogan nicht eingehen, obwohl der BVB auch bei einem Ballverlust noch in Überzahl gewesen wäre.

Eine mögliche Option wäre gewesen, um länger „hinten rum“ zu spielen, um das Spiel breit zu machen und dann mit einer schnellen Verlagerung den Angriff einzuleiten. Dies ist jedoch in den ersten 20 Minuten nicht einmal geschehen, obwohl die taktischen Voraussetzungen dazu gegeben waren.

Im Gegensatz zum Spiel gegen Köln, wo Grosskreutz bei Ballbesitz von Piszczek an der Mittellinie oft nicht schnell genug auf seiner Position an der Außenlinie war, hat Durm gegen Hannover diese Position gut besetzt. Wenn Piszczek also zurück auf Subotic spielte, war Durm bereits an der Außenlinie und anspielbereit, so machte er das Spiel breiter.

Das Problem dabei war, dass die beiden Innenverteidiger und auch Piszczek alle rechtsfüßig sind. Gerade Subotic dem die Rolle des Verlagerns normalerweise zukam ist dazu technisch nicht gut genug. Daher waren die meisten dieser Seitenwechsel technisch schlecht ausgeführt und die Bälle mit zu wenig Tempo gespielt, weshalb die Spielverlagerungen immer den einen Tick zu lange dauerten, wodurch sie ihre Gefährlichkeit verloren. Oder mit anderen Worten: es war taktisch gut gemacht, aber technisch schlecht umgesetzt.

Die umgekehrte Situation, dass Durm den Ball hatte, kam kaum vor. Wiederum wohl aufgrund der Rechtsfüßigkeit der beiden Innenverteidiger wird der Ball normalerweise nicht nach links raus gespielt. Durm hatte den Ball meist nur nach Balleroberungen und dann wurde ziemlich schnell gerade nach vorne gespielt und Ramos gesucht. Da Hummels die größeren technischen Fähigkeiten hat als Subotic und diese Wechsel daher präziser durchführen könnte, wäre es durchaus interessant gewesen, die umgekehrte Variante auch einmal zu sehen.

Hannover hat sich anfangs ebenfalls an einem Kurzpass Aufbauspiel versucht. Weil der rechte Außenverteidiger Schulz aber nicht einen Ball nach vorne gespielt hat, war es für den BVB dank einer guten taktischen Mannschaftsleistung ein einfaches, den Spielaufbau der Hannoveraner praktisch komplett lahm zu legen.

Der BVB hat sie so lange hin und her spielen lassen, bis Marcelo an den Ball kam (was zwangsläufig passierte, weil Schulz nicht nach vorne spielte). Weil dieser ein purer Rechtsfuß ist, blieb ihm unter Druck immer nur der Weg zum rechten Außenverteidiger. Also haben Aubameyang oder Ramos immer dann gepresst, wenn Marcelo am Ball war. Schmiedebach, der eine (technisch fähigere) Sechser, wurde vom BVB Mittelfeld zugestellt und Gülselam bekam den Ball nicht, weil seine Mitspieler ihm offenbar nicht vertrauten, das Spiel zu machen. Daher war für den rechten Außenverteidiger Stankevicius immer nur die Option offen, einen langen Ball auf Joselu zu spielen. Hannover hat nur einmal ein Kurzpass Aufbauspiel versucht, was prompt in einem Ballverlust endete. Ein ruhiger Aufbau war für Hannover dank der Arbeit der BVB-Spieler unmöglich.

Und so blieb das Fazit nach 15 Minuten, dass das Spiel bisher in einer Zone 20 Meter vor und hinter der Mittellinie stattfand.

Druckphase BVB

Zwischen der 20. und der 35. Minute hatte der BVB seine grösste Druckphase. In dieser Zeit gingen alle zweiten Bälle an den BVB, der volles und frühes Pressing spielte. Für Hannover war in dieser Phase kein Aufbau mehr möglich.
Chancen entstehen vor allem aus Gegenpressing Situationen in denen mit individueller Qualität der zur Verfügung stehende Raum genutzt wird.

In der 25. Minute geschieht dabei eine defensiv bemerkenswerte Situation. Im Spielaufbau im Mittelfeld wird der Ball verloren. Subotic und Hummels stehen weit auseinander und positionsvertauscht, als Kiyotake einen steilen Pass zwischen Piszczek und Hummels spielt. Dabei läuft Briand Hummels aus dem Rücken davon. Die Situation wird geklärt, aber es ist nicht zum ersten Mal diese Saison, dass Hummels ein Spieler aus dem Rücken davon läuft, was die Frage aufwirft, woran dies liegt. Liegt es an der Startgeschwindigkeit? Ist er aufgrund einer nicht weiter bekannten Behinderung (eventuell sein Rücken?) weniger beweglich? Oder liegt es aufgrund der langen Saison (die für Hummels ja eigentlich seit August 2013 läuft) an der Konzentration? Letzteres scheint die logischste Erklärung und würde zugleich auch bedeuten, dass man Hummels vielleicht doch noch die eine oder andere Pause gönnen sollte bis zur Winterpause.

Ein weiteres bemerkenswertes Muster ist ab der 30. Minute bis zur Pause zu beobachten. Im Mittelfeld sind Bender, Ramos und Reus sehr stark in Bewegung, um Anspielstation für einen Kurzpass sein zu können. Sie beschäftigen somit das gesamte Hannoveraner Mittelfeld, das seine ganze Aufmerksamkeit auf die drei lenkt. Kiyotake ist zudem damit beschäftigt Gündogan im Auge zu behalten, damit der nicht einen seiner gefährlichen Vorstöße wagt. Währenddessen spielt Aubameyang ein Spielchen. Immer wieder droht er an, steil in den Raum zu laufen, weshalb der rechte Außenverteidiger (Schulz) sich nicht traut, seinem Innenverteidigungskollegen Martins von der Seite zu weichen. Er befürchtet, ihm gegen die Geschwindigkeit von Aubameyang Rückendeckung leisten zu müssen. Piszczek hat dadurch (Kiyotake bei Gündogan und Schulz bei Aubameyang) mehr als einmal einen riesigen Raum vor sich, in den er durch Hummels oder Reus mit schönen Pässen geschickt wird. Daraus resultieren in dieser Phase immer wieder Ecken und kleinere Chancen.

In dieser Phase erspielt sich der BVB auch zwei Freistösse, die beide auf gleiche Art und Weise entstehen. Hannovers defensives Mittelfeld macht Druck auf Reus und Mkhitaryan, während die Verteidiger die durch Ramos und Aubameyang beschäftigt sind zurück gedrängt werden. Das Loch, das sich auftut versuchen Reus und Mkhitaryan zu nutzen und gehen ins 1:1 mit den defensiven Mittelfeldspielern. Sind sie durch, haben sie einen riesigen Raum um zu kombinieren (und was passiert wenn Reus Räume hat, das kann man Galatasaray fragen!). In dem Fall sehen die Gegner das kleinere Übel in einem Foul. Daraus entstehen nicht nur gefährliche Freistossmöglichkeiten, letztendlich fliegt Gülselam nach wiederholtem Foulspiel auch vom Platz.
Mkhitaryan und Reus haben das Spiel in dem Moment sehr gut gelesen und mit wenig Platz in der Achse viel rausgeholt.

Anfang zweite Halbzeit

Anfangs der zweiten Halbzeit bekommt der BVB etwas mehr Mühe. Aubameyang und Ramos sind im Ballbesitz nicht ballsicher genug, schirmen den Ball oft nicht gut ab oder bekommen keine gut verwertbaren Pässe zugespielt. Dadurch bekommt der BVB Probleme durchs Mittelfeld zu kombinieren.
Defensiv hingegen sieht es gut aus, Angriffe werden keine zugelassen, der BVB agiert eigentlich immer in Überzahl und sogar Reus arbeitet mit zurück.

Hannover versucht in dieser Phase mit dem gleichen Trick Ruhe ins Spiel zu bringen, den auch der BVB immer wieder anwendet. In der 53. Minute lässt sich Schmiedebach zwischen die Verteidiger zurückfallen, aber Aubameyang und Ramos jagen dem Ball weiter hinterher, wodurch Schmiedebach letztendlich auf den Torhüter zurückspielt, der den Ball nach vorne drescht. Nach diesem missglückten Versuch wagt sich Hannover kein zweites Mal mehr an diese Variante des Spielaufbaus und schlägt den Ball lieber gleich nach vorne. Alte Bolzplatzweisheit: Hoch und weit bringt Sicherheit.

Doch auch der BVB fällt zusehends auf dieses Muster zurück. Die beiden Außenverteidiger und Reus halten ihre Positionen nicht mehr, ziehen immer öfter in die Mitte. Gündogan fehlt sichtlich der Rhythmus, immer wieder verliert er den Ball oder dreht in die falsche Richtung. Sowas wie Spielaufbau – und daher auch sowas wie Fußball – verschwindet zunehmend aus dem Westfalenstadion. Vielmehr versucht der BVB zwischen der 53. und der 60. Minute eine neue Art der Spieleröffnung, nämlich lange Bälle von Weidenfeller auf Ramos. Damit spekulieren die Borussen auf eine Kopfballverlängerung auf Aubameyang oder Reus, oder aber auf einen gewonnenen zweiten Ball. Und sie bekommen sogar Recht. Aus einem solchen zweiten Ball entsteht nämlich die Großchance für Reus, als er den Ball knapp am langen Pfosten vorbei zieht.

Eine weitere Chance entsteht in der 58. Minute als Hummels einen langen Ball hinter die Verteidigung legt und (zurecht) darauf hofft, dass Ramos durchkommt.
Ebenfalls in dieser Phase werden auch ein paar unnötige Kurzpässe gespielt (vor allem Durm), die dann in Fehlpässen und daher in Ballverlusten resultieren, wodurch das Vertrauen sinkt und noch mehr auf lange Bälle zurückgegriffen wird. Hier sieht man zum ersten Mal auch einen großen mentalen Aspekt in diesem Spiel.
Und der zweite sollte kurz darauf kommen. Ein etwas fragwürdiger Freistoß, der sehr platziert über die hochspringende Mauer hinweg im Tor landet läutet den Anfang vom Ende ein.

Nach dem Gegentor

In den ersten fünf bis sechs Minuten nach dem Gegentor misslingt dem BVB alles. Es wird versucht wild nach vorne zu spielen, statt ruhig Position zu halten und sich selbst und das Spiel somit zu beruhigen. Eine Möglichkeit wieder ins Spiel zu kommen wäre es gewesen, wie in der ersten Halbzeit so oft mit Gündogan, Bender zwischen die Verteidiger zu ziehen. Dies wird aber viel zu wenig gemacht.

In der 66. Minute kommt Kagawa für Gündogan, Klopp stellt auf 4:4:2 mit Raute um. Das Flügelspiel ist ab diesem Moment komplett tot. Mkhitaryan und Kagawa sollen nur noch kurze oder hohe Bälle auf Ramos spielen, der diese dann wie bereits vorher praktiziert, hauptsächlich per Kopf weiterleiten soll. Das resultiert in vielen Ballverlusten, es ist keine klare Linie mehr erkennbar, das Offensivspiel wird opportunistisch.

Die veränderte Taktik nach der 66. Minute

Hannover wechselt in der 72. Minute Hirsch für Stankevicius und Sobiech für Kiyotake. Die neue Taktikvorgabe ist: alles hoch und weit auf Joselu.

In der 77. Minute kommen Immobile für Ramos und Sokratis für Durm mit dem Hintergedanken, Hummels für die letzten Minuten im Sturm spielen zu lassen.

Zweimal kommt nochmals das Muster von vor der Pause zurück. In der 78. spielt Kagawa, in der 85. Mkhitaryan einen guten temporeichen Pass raus auf Piszczek, wodurch nochmals gefährliche Situationen und eine weitere Ecke entstehen.

In der letzte Phase gewinnt Hannover auf einmal wieder zweite Bälle. Sogar mehr als der BVB. Man sieht, dass der Glaube weg ist.

Standardsituationen

Weil es so viele Ecken gab, lohnt sich ein kurzer Blick auf die Standardsituationen. Die „Standardecke“ lief wie folgt ab. Hummels täuscht an auf den ersten Pfosten zu zu rennen, dreht dann aber zum zweiten ab, während Subotic auf den ersten Pfosten durchzieht, wo der Ball hinkommt.
Diese Bälle sind allerdings nicht in der richtigen Geschwindigkeit geschlagen und dazu stimmt sowohl das Timing des einlaufenden Spielers, wie auch die Ballhöhe nicht.
Vielleicht wäre eine kurze Ecke auf Durm zu spielen eine Option gewesen, wenn es nach dem 3. Mal noch immer nicht klappt.

Zur Standardecke gab es noch zwei Varianten. Die erfolgreichste davon war nur eine kleine Abänderung der ersten. Die Laufwege von Hummels und Subotic waren die gleichen, nur kam der Ball auf den zweiten Pfosten. Hummels war völlig frei, weil die Verteidiger aufgrund der Standardvariante auf Subotic konzentriert sind. Er brachte den Ball gut aufs Tor, aber Zieler lenkte ihn an die Latte.

Eine weitere Variante war auch zu beobachten. In dieser stürmen Hummels und Subotic beide auf den ersten Pfosten, der Ball wird aber ans Ende des Strafraums gebracht für einen anstürmenden Mittelfeldspieler. Diese Variante sieht immer besonders missglückt aus, wenn sie wie im vorliegenden Fall nicht funktioniert.

Fazit

Es gibt durchaus positive Dinge aus diesem Spiel zu ziehen. Gerade die defensive taktische Leistung war durchaus bemerkenswert, auch wenn es „nur“ Hannover war. Und auch die Frage von der Pressekonferenz, ob etwas in der Mannschaft nicht stimmt, hätte man nicht stellen brauchen, wenn man das Spiel analysiert hätte.

Nur um einige Beispiele zu nennen: Reus war bei gegnerischem Ballbesitz hoch motiviert, hat immer wieder zurück gearbeitet, war positionell sehr stark und hat sogar seine Mitspieler gecoacht. Aubameyang und Ramos haben in der einzigen Situation in der Hannover versucht hat ruhig aufzubauen so gepresst, dass die Gäste gleich wieder auf lange Bälle umgestiegen sind. Bender, Ramos und Reus haben das Mittelfeld mit ihren Laufwegen so beschäftigt, dass die die Außenverteidiger nicht mehr beachtet haben. Am Willen mangelt es den Spielern nicht.

Uns fällt das Spielmachen gegen tiefstehende Gegner schwer. Unsere Stürmer sind für Konterspiel geeigneter, weniger für Ballbesitz. Immobile sucht bei Ballbesitz oft sogar seine Laufwege und musste von Reus gecoacht werden.

Zum Glück gibt es aber auch noch Gegner, die nicht nur tief stehen und gegen die wir mit Konterspiel und Gegenpressing Vertrauen sammeln können.

Rick, 29.10.2014

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