Unsa Senf

„Kontraste“ in der ARD - Wie schlecht darf Journalismus sein?

17.03.2014, 12:00 Uhr von:  Redaktion

Wie schlecht darf eigentlich Journalismus sein? Und wie tendenziös und falsch darf der öffentlich-rechtliche Rundfunk berichten? Ein Beitrag des ARD-Magazins „Kontraste“ sorgte am 27. Februar 2014 jedenfalls für einen neuen Tiefpunkt journalistischer Arbeit.

Unter der Überschrift „Rechtsextremismus: Bundesliga-Vereine scheuen offene Konfrontation mit Neonazis“ berichtete „Kontraste“ über einen durch das Magazin erkannten steigenden Einfluss von Neonazis im deutschen Profi-Fußball. In der Vorschau mutete dieses Thema noch sehr honorig an, doch was die Macher der Sendung schließlich präsentierten, ließ einen erschaudern.

Schon die Anmoderation des Beitrags im Studio durch Astrid Frohloff sorgte für Irritationen. So war von „Sieg Heil“-Rufen - Plural also - eines mutmaßlichen BVB-Fans „während der Schweigeminute für den verstorbenen Kult-Masseur Rieger des HSV“ die Rede. Nun soll dieser Vorfall keineswegs beschönigt werden, aber einerseits ist der Plural hier nicht angemessen, andererseits scheint es sich bei der schnell identifizierten Person keineswegs um ein gefestigtes Mitglied der rechten Szene zu handeln. Schon gar nicht lag dieser schwachsinnigen Aktion ein mögliches Rekrutierungsmotiv zugrunde. Die kolportierte Promille-Zahl sowie die Tatsache, dass im Nachhinein öffentlich nichts über mögliche Aktivitäten in der rechtsextremistischen Szene bekannt wurden, sind Indizien dafür, dass es sich bei dem Vorfall in Hamburg um eine verachtenswerte Provokation eines besoffenen Zuschauers handelt. Dass die Person durch die umstehenden Fans direkt identifiziert wurde und der Verein nur drei Tage später konsequent ein Stadionverbot bis Juni 2020 verhängt hatte, findet in der Anmoderation keinen Platz.

"Sieg Heil" Alltag in deutschen Fußballstadien?

Irritiert muss der Beobachter des Beitrages reagieren, wenn derartige Vorfälle sodann als „mittlerweile leider zum Alltag [...] in deutschen Fußballstadien“ gehörig bezeichnet werden. In all den Jahren habe ich selbst noch keine „Sieg Heil“-Rufe in den Blöcken der Fußballstadien gehört - und das, obwohl es mittlerweile ja Alltag ist!?

Im Beitrag selbst dann die nächste Verzerrung: „Am 1. November 2013 zeigen Neonazis auf der Südtribüne den Hitler-Gruß“, heißt es da. Auch hier sei angemerkt, dass die Aktion selbstverständlich maximal verabscheuenswert ist. Dennoch ist auch hier der Plural falsch gewählt. Es waren nicht Neonazis, es war eine einzelne Person. Das macht die Aktion nicht besser, jedoch wäre journalistische Sauberkeit sehr wünschenswert, um einem wichtigen Thema durch einen bewusst falsch gesetzten Plural nicht noch mehr Dramatik verleihen zu wollen und ihn damit wiederum der Lächerlichkeit preis zu geben. Dass der BVB auch hier ebenfalls nur drei Tage später, am 4. November 2013, mit einem bundesweit gültigen Stadionverbot bis zum 30. Juni 2017 reagierte, war den Machern des Beitrags, Jo Goll und Olaf Sundermeyer, leider keine Erwähnung wert.

Sind alle Ultras Nazis?

Doch diese beiden Aspekte waren nichts gegen das, was nun noch folgen sollte. So heißt es in dem Beitrag: „Doch das Markenprodukt Bundesliga hat in den vergangenen Jahren hässliche Schrammen bekommen. Immer mehr Neonazis mischen sich unter die gewaltbereiten Fußball-Fans.“ Eine Aussage, der man zunächst einmal - leider - wenig Argumente entgegensetzen kann. Diese These jedoch mit den Vorfällen während des Revierderbys am 26. Oktober 2013 in der Gelsenkirchener Arena zu unterlegen, ist an Verleumdung und übler Nachrede kaum zu überbieten.

Zunächst bleibt festzuhalten, dass die Derby-Vorfälle sicherlich kein Ruhmesblatt in der Vereinsgeschichte des BVB darstellen und auch keineswegs durch das Folgende beschönigt werden sollen. Aber schon der gesamte Beitrag wurde auf der Homepage des Magazins mit einer „Glatze“ im Vordergrund und einem Bild der Derby-Vorfälle im Hintergrund beworben. Man kann den Ultras angesichts der damals entstandenen Bilder so manches vorwerfen, aber ganz sicher nicht, dass es eine rechtsextremistisch motivierte bzw. eine von Neonazis durchgeführte Aktion gewesen ist. Dies ist auch nicht mehr mit journalistischer Unsauberkeit zu rechtfertigen. Hier wurden bewusst martialische Bilder gewählt, um der Thematik, der man sich widmet, einen besonders gefährlichen Anstrich zu verpassen. Leitmotiv: Neonazis haben die Kontrolle in den Blöcken übernommen und fallen durch Gewalt und gefährliche Pyrotechnik auf. Oder vereinfacht: Alle Ultras sind Nazis.

Eine derartig falsche Berichterstattung ist einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt unwürdig und sorgt umso mehr für Wut, da wir alle eine derartige journalistische Nicht-Leistung mit den Rundfunk-Zwangsabgaben finanzieren müssen. Zudem ergeben sich die Macher des Beitrages in das Fahrwasser der üblen Nachrede, indem sie Personen, die in den Aufnahmen klar zu erkennen sind, suggestiv als Neonazis darstellen. Mögliche Folgen für diese Personen aufgrund des eigenen Beitrages sind den Produzenten egal, wichtig ist der möglichst martialische Aspekt im eigenen Video.

Südtribüne als Anker der rechten Szene in Dortmund?

Später im Beitrag wird schließlich auch noch Claudia Luzar zitiert, die als „Gewaltforscherin“ der Uni Bielefeld vorgestellt wird. Ihre These: Fast alle rechtsextremistischen Täter der Stadt stammen aus der Dortmunder Fanszene. Und sie geht sogar noch einen Schritt weiter, bei dem ich mich fast verschluckt hätte: „Ohne die Südtribüne und ohne den BVB würde die rechtsextreme Szene nicht so stark sein, wie sie ist.“ Aha. Der BVB und unsere Gelbe Wand sind also das Fundament einer starken rechtsextremistischen Szene in der Stadt. Dies ist wirklich eine bemerkenswerte Kausalkette. Ich habe in all den Jahren auf der Südtribüne oder anderswo im Stadion noch keine Werbungsversuche von Neonazis erlebt. Damit möchte ich selbstverständlich nicht negieren, dass auch Rechtsextremisten auf der Südtribüne stehen; doch ist eben dies nicht genau ein Spiegel der Dortmunder Gesellschaft? Wenn eine Stadt eine starke rechtsextremistische Szene hat, so wird sich dies auch zwangsläufig irgendwann auf der Deutschen liebsten Nebensache erstrecken. Dass der BVB nun jedoch ein Anker der rechten Szene sein soll, erscheint hier jedoch an den Haaren herbeigezogen.

Und weiter wird Claudia Luzar mit diesen Worten zitiert: „Dass die Szene größer geworden ist, dass die Szene die rechtsextreme Szene, auch über den BVB rekrutiert hat, auch über die Fan-Szene, auch mit dem Mittel der Gewalt, was ja für viele Fußball-Fans attraktiv ist.“ Der Beitrag skizziert das Bild eines Vereins, der die Augen vor rechtsextremistischen Einflüssen verschließt und diesen nichts entgegenzusetzen hat. Zugegeben, der BVB hat lange Zeit nicht reagiert und die Probleme - gerade angesichts des positiven Images im Zuge der Doppelmeisterschaften 2011 und 2012 - unter den Teppich gekehrt. Doch mittlerweile ist der BVB längst aufgewacht und befindet sich auf einem guten Weg. Insbesondere das schnelle Vorgehen bei den eingangs geschilderten Vorfällen bezeugen dies.
Und so bleibt in Bezug auf den Beitrag dieses Fazit: Nein, wir wollen keine Nazis im Stadion. Wir wollen aber auch keine Medien, die tendenziös, ahnungslos und diffamierend alles in einen Topf werfen und daraus eine Suppe köcheln, die für alle ungenießbar ist. Die Macher des Beitrages werden letztlich ihrer Pflicht als öffentlich-rechtlicher Anstalt nicht gerecht. Ein wichtiges, ernst zu nehmendes Thema wurde durch bewusste Falschaussagen leider ad absurdum geführt. Schade eigentlich.

Daniel Mertens, 17.03.2014

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