Unsa Senf

Pyrotechnik in Neapel - Zwei Sichtweisen

24.09.2013, 18:09 Uhr von:  Redaktion

Die Pyrotechnik-Diskussion war nach dem CL-Auswärtsspiel in Neapel in vollem Gange. Wieder einmal prallten die zwei Welten aufeinander. Da fanden sich auf der einen Seite diejenigen, die gar anführten, eine solche Pyroshow schade der Mannschaft und sei ohnehin saugefährlich. Auf der anderen Seite wurden die tollen Bilder bejubelt und der positive Effekt eines solchen Intros auf die Mannschaft gelobt. Ähnlich weit wie diese Sichtweisen liegen auch die allgemeinen Bewertungen des Einsatzes von Pyrotechnik im Block auseinander. Eigentlich sollte hier jetzt ein klarer Pro/Contra-Text zum Einsatz von Pyrotechnik im Allgemeinen und am Beispiel Neapel erscheinen. Allerdings zeigt sich an unseren beiden Texten, dass die einzelnen Sichtweisen am Ende trotz unterschiedlicher Stoßrichtung in ihrer Grundintention einfach zu dicht beisammen liegen. Wir finden das sinnbildlich dafür, dass in dieser Debatte von allen Seiten überzogen argumentiert und leider auch gehandelt wird. Vorenthalten wollen wir euch die Meinungen von Nicolai und Patrick natürlich dennoch nicht.

Pyro wie es sein sollte – und trotzdem geht’s nicht (von Patrick)

Das waren schöne Bilder bei Beginn des Spiels gegen Neapel: In der ersten Reihe des Dortmunder Blocks zündeten kurz vor Anpfiff die mitgereisten Borussen eine Wand aus bengalischem Feuer und es entstand, was früher eine „südländische Atmosphäre“ genannt worden wäre. Da der sich unter den schwatzgelben Anhängern befindliche Rang gesperrt war, bestand für andere Zuschauer zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr. Für Anhänger von Pyro-Choreographien bei Fußballspielen handelte es sich um eine Mustervorstellung. Die Sicherheit war gewährleistet und die Mannschaft wurde unterstützt. Italienische Polizisten stürmten nicht den Block, sondern machten Fotos für das Erinnerungsalbum.

Und trotzdem war der Zeitpunkt schlecht gewählt. Über das Pyro-Verbot in den Stadien kann man trefflich streiten. Und auch wenn sich die meisten gemäßigten Stimmen auf den Kompromiss des kontrollierten Abbrennens einigen könnten, dominiert nicht der Verstand die Debatte. Pyrotechnik ist in Stadien verboten - und was weit problematischer für die aktive Fanszene ist: Sie wird in der öffentlichen Debatte gleichgesetzt mit Gewalt. Johannes Baptist Kerner spricht von leicht entflammbaren Kindern, bei TV-Übertragungen gehört der Kommentar „Bilder, die wir nicht sehen wollen“ mittlerweile zum Skript. Mit dieser Realität müssen wir Fans leben, und wenn wir die Debatte über Fankultur aktiv gestalten wollen, müssen wir dabei auch manchmal Rücksicht auf die Unvernunft oder Unkenntnis anderer nehmen.

In den letzten Wochen hat sich vor allem nach dem gewaltsamen Einsatz der Polizei in der Veltins-Arena die Tendenz in der öffentlichen Debatte gedreht. Plötzlich waren es nicht mehr die gewaltbereiten „sogenannten Fans“, die die Debatte beherrschten, sondern es ging um die Verhältnismäßigkeit von Polizeieinsätzen. Um die Frage, wie es sein kann, dass das Zeigen einer legalen Fahne zu einem Polizeieinsatz führt, bei dem es über 70 Verletzte gab. NRW-Innenminister Ralf Jäger musste sich im Innenausschuss des Landtages kritischen Fragen stellen und zeigte mit dem trotzigen Abzug der Polizei aus dem Gelsenkirchener Stadion Nerven. Diesen Trend gilt es zu nutzen und zu stärken, damit wir nicht zukünftig in stimmungslosen Arenen sitzen und bei einem Glas Champagner schweigend die Vorstellung betrachten müssen.
Unser Ziel muss es sein, dass ein Mann wie Ralf Jäger sich nicht auf öffentlichen Veranstaltungen hinstellen kann und unter Applaus Fans Gewalttäter oder Straftäter nennen kann. Unser Ziel muss es sein, dass sich die Polizei für unverhältnismäßige Einsätze rechtfertigen und verantworten muss. Unser Ziel muss es sein, dass Fans ins Stadion gehen können, ohne auf dem Weg dorthin blank ziehen zu müssen, um zu beweisen, dass sie im Stadion nicht Dietmar Hopp beleidigen.

Es gibt derzeit einfach wichtigere Dinge als den Einsatz von Pyro. Also lasst uns vorerst darauf verzichten und für das Entscheidende kämpfen: Für den Erhalt unserer Fankultur und unsere Bürgerrechte. Ich bin mir sicher, dass wir dann auch einen fairen und angemessenen Kompromiss in Sachen Pyrotechnik finden.

Feuersturm im Wasserglas (von Nicolai)

Nach 90 Minuten Fußball in einer fantastischen Atmosphäre hätte wohl kaum einer der rund 1500 mitgereisten BVB Fans gedacht, was für eine Scheindebatte in der Heimat tobte. Stattdessen war man immer noch erfüllt von einem umkämpften Spiel, mit dramatischen Szenen und zwei Fanlagern, die das San Paolo in einen Hexenkessel verwandelten. Zu beeindruckt war man von dem imposanten Torjubel, der nach den beiden Gegentreffern wie ein Vulkanausbruch alles hinwegfegte. Zusätzlich verabschiedeten sich nach dem Spiel die beiden gegnerischen Fankurven mit gegenseitigen Applaus und zollte sich somit Respekt, denn beide Seiten wussten wohl, dass es solche Abende in der überreglementierten Champions League nur noch selten gibt. Auf jeden Fall wurde in Napoli kaum über jene Episode kurz vor dem Anpfiff debattiert.
Daher habe ich auch im Grunde überhaupt keine Lust, über ein paar bengalische Lichter zu schreiben. Doch irgendwie zwingt einen der hysterische Internetmob dann doch dazu. Kurz vor Spielbeginn gingen im San Paolo auf den Fantribünen die Lichter auf. Im gesamten weiten Rund erstrahlten Bengalische Fackeln und Blinker. Auch in den folgenden 90 Minuten brannten im Grunde ununterbrochen irgendwo in Curva A und B die Napoli Fans etwas ab. Begonnen hatte übrigens alles mit einem kleinen Jungen, sicherlich keine zehn Jahre alt, der in aller Seelenruhe schwenkend einen Rauchtopf abbrannte. Soweit so unspektakulär war das für den Napolitaner. Und auch im Gästeblock suchte man entsetzte Gesichter vergeblich.

In Deutschland wäre der kleine Junge wohl schon auf den Weg ins Heim gewesen, seine Eltern direkt in die Zelle gebracht und die Polizei mit drölf Kameras durchs Stadion getobt, um ja dieses Verbrechen ungeheuren Ausmaßes zu dokumentieren. Zum Glück fand all dies in Napoli statt und die anwesenden Polizisten knipsten lieber mit ihren Handys Bilder für das Privatalbum. Die vielgepriesene mediterrane Gelassenheit sorgte dafür, dass rund 55.000 Zuschauer einen tollen Champions League Abend hatten.

Insofern verwundert es schon, wenn nun in Deutschland von einem Rückschritt in der Fanpolitik fabuliert oder gar herbei geredet wird. Umso grotesker mutet dies an, da die Medien sich sowieso lieber an Jürgen Klopps Ausraster abarbeiten und so den Geschehnissen am Rande des Platzes nur einige Randbemerkungen gewidmet wurden. Warum beschreien dann ausgerechnet wir Fans vom Sofa aus den Untergang des Abendlandes? Wenn sich nicht einmal mehr Springer & Co. zu Hysterie verleiten lassen, sollten wir Fans das doch erst recht nicht tun! Ganz vielleicht ist auch einigen Journalisten mittlerweile ein Lichtlein aufgegangen und man hat gemerkt, dass Pyrobilder zwar martialisch aussehen, ansonsten aber mit Gewalt im engeren Sinne eher weniger zu tun haben. Am Ende bleibt eine Geldstrafe für den BVB und für den SSC Neapel. Beide Vereine werden diese Strafe finanziell recht locker wegstecken können, zu sehr profitieren sie eben auch von ihren Fans und deren Stimmung.

Auch den geforderten Dialog sollte diese Einlage kaum nachhaltig stören. Wenn beide Seiten ernsthaft an einem Dialog interessiert sind, muss man auch Rückschläge und Ungereimtheiten zuweilen verkraften. Es sollte auch allen klar sein, dass die Fans und damit auch die Ultras wohl kaum jede ihrer Handlungen in Zukunft unter den Vorbehalt prüfen, was die Populisten und Medienhysteriker um Kerner & Co. daraus machen könnten. Das wäre auch das Ende der Fankultur! Die Besonderheit der Fanblöcke und Stimmung in Fußballstadien ist dann eben auch begründet in einer gewissen Archaik, Zügellosigkeit und Spontanität. Norwegen, Österreich und Schweden machen es bei dieser Thematik vor, dass man nach Lösungen suchen kann, anstatt über Verbote zu eskalieren. Wichtig ist es den gangbaren und ausgleichenden Weg zu finden, der ist nicht immer gerade und funktioniert nicht über Kompromisslosigkeit, muss aber mehr oder weniger irgendwie miteinander beschritten werden. Hysterie kann da nicht der Wegbegleiter sein.

PatBorm/Nicolai, 24.09.2013

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