Unsa Senf

Schulterschluss gegen Rechts: Nur gemeinsam wird es gehen.

04.03.2013, 15:01 Uhr von:  Redaktion

Solidarität mit Thilo und JensZweieinhalb Wochen ist es jetzt her, dass zwei bekannte Mitglieder der BVB-Fangemeinde in Donezk von Neonazis attackiert worden sind. Beim ersten Heimspiel nach dem Vorfall war es im Stadion fürchterlich still: kein Fan-Protest, keine Spruchbänder, keine Solidarität. Jetzt, ein Heimspiel später, boten die viel zitierten „besten Fans der Welt“ ein deutlich besseres Bild: Tapeten, Spruchbänder, Banner zierten die Tribünen und Ecken.


Es war ein breit gestreuter Protest gegen Nazis. „Rollis gegen Rechts“, „VIPs gegen Rechts“, „Kein Bock auf Nazis“, „Dortmund gegen Rassismus“ oder auch „Solidarität mit Jens & Thilo“ — der Protest war vielfältig und eindeutig. Das Solidaritäts-Plakat für Jens Volke und Thilo Danielsmeyer war stilistisch zudem noch an das Banner für den Nationalen Widerstand Dortmund angelehnt, mit dem im August der ganze Nazi-Scheiß seinen neuen, unrühmlichen Lauf genommen hatte. Aber was der Nazi kann, kann der Demokrat schon lange. Man muss ihm nur kräftig genug in den Hintern treten.

Das müssen die Fans und die Offiziellen, Trainer und Spieler des BVB gemeinsam machen. Weil der Demokrat sich nach einem Tritt in den Hintern gerne wieder hinsetzt. Dann interessiert er sich wieder brennend für die 99. Wasserstandsmeldung zu Robert Lewandowski oder für irgendwelche irrelevanten Scharmützel, in deren Kern es darum geht, wer wem wo die Vorherrschaft im deutschen Fußball abgeluchst haben könnte.

Das müssen wir ändern. Der Tritt in den demokratischen Hintern muss im 8/8-Takt kommen, damit der faule Sack gar nicht erst wagt, sich wieder hinzusetzen, zurückzulehnen und für zwei Minuten total antifaschistisches Tapetenhalten zu feiern. Aber wie? Natürlich können wir bei jedem Spiel gemeinsam „Nazis raus!“ brüllen. Das nutzt sich aber irgendwann ab. Die Wahrheit ist, dass wir Fans relativ machtlos sind, wenn es darum geht, die offene Ablehnung von Nazis zu verstetigen und zu einer Art kleinstem gemeinsamen Nenner im Stadion zu machen.

Kein' Bock auf NazisDas Problem „Nazis im Stadion“ ist trotz des Vorfalls in Donezk immer noch nicht in allen Köpfen angekommen. In den 80ern gab es mal die Borussenfront, seither aber war es ruhig im Stadion und um das Stadion herum. Einfache Geschichte — und leider völlig falsch. Denn das Problem war immer da, tritt jetzt aber wegen des größeren Drucks, der in Dortmund durch ein forscheres Auftreten der Polizei und beim BVB durch verstärkte Aktivitäten des Vereins auf die Rechten ausgeübt wird, verstärkt zu Tage. Sie spüren, dass ihnen jemand auf den Füßen steht. Das macht sie zickig und unvorsichtig. So unvorsichtig, dass sie sich zu einem Tabubruch wie in Donezk hinreißen lassen. Und so zickig, dass sie mit einem Solidaritätsplakat ins Stadion gehen und wenige Tage später in großem Aufgebot in der Roten Erde auftauchen, nur um präsent zu sein. Wir können uns aber nicht darauf verlassen, dass die Rechten in Verhaltensmuster aus den 70er und 80er Jahren zurückfallen. Dafür ist die neue Generation leider zu klug.


Darum gilt es jetzt, den Schulterschluss zwischen der Borussia und der Borussia-Familie zu schaffen. Denn immer noch stehen und sitzen im Stadion mitten unter uns Individuen, die für eine Politik stehen, die dem Bürgerkriegskind Neven Subotic keine Zuflucht in Deutschland gewährt hätte. Diese Leute bepöbeln und schlagen Farbige in der Straßenbahn — warum sollten sie vor Felipe Santana Halt machen? Diese Leute befürworten eine Politik, der die Borussen Heinrich Czerkus und Franz Hippler zum Opfer fielen.

Der Angriff auf Thilo und Jens bestürzt und macht wütend, aber er stimmt auch ängstlich. Wenn nicht einmal mehr eine offizielle Funktion vor Angriffen von Rechts schützt, was können einzelne Menschen, einzelne Gruppen, einzelne Fanclubs dann ausrichten? Die Lösung ist die, dass das Klima in unserem Wohnzimmer, dem Stadion, so werden muss, dass es mindestens normal, eher aber cool ist, gegen Nazis zu sein und das auch zu leben.

Dazu muss unsere Borussia an ein paar Stellschrauben drehen. Es wird ja durchaus viel getan und an großen Konzepten für die große Wirkung gearbeitet. Und auch im Kleinen, in der aktiven Fanszene hat sich offenbar etwas getan. Hier zeigt die Arbeit, die der BVB leistet, Wirkung.

Es ist auch absolut begrüßenswert, dass sich der BVB alle Mühe gibt und sorgfältig Projekte auswählt, mit denen er gegen Rechts arbeiten will. Doch die träge Masse in der Mitte zwischen aktiver Szene und den zwei Millionen Likes auf Facebook lebt nach dem guten alten „Brot und Spiele“-Motto und ist zu allererst mal an kaltem Bier und heißer Atmosphäre interessiert. Dann müssen wir, also Verein und Fans, sie dort abholen: Wenn Marco Reus vom Bierbecher ins Gesicht sagt, dass er Nazis scheiße findet, bleibt das irgendwann hängen. So viel zum Brot. Und vor das Spiel hat der Event-Manager die Verkündung der Aufstellung gesetzt. Da hängen ihm selbst die Trägsten der Trägen an den Lippen. An dieser Stelle ab und an mal ein Wort gegen Rechts — auch das würde verfangen. Wie gesagt: Erinnerungen im 8/8-Takt. Kleine Hilfestellungen im Alltag in Form von Facebook-Meldungen von Spielern (speziell von denen, die bei dort zu den Vielschreibern zählen, also etwa Mats Hummels, Mario Götze und Roman Weidenfeller) oder einer kreativen Evonik-Anzeige — also der ganze virale Kram — würden viel bewegen.

Wir gemeinsam, Borussia und Fans, werden nicht verhindern können, dass es unter BVB-Fans Nazis gibt und dass es unter Nazis BVB-Fans gibt. Aber wir können dafür sorgen, dass sie sich im Stadion nicht wohl fühlen und ihnen klar zu verstehen geben, dass ihre Ideologie nicht zur Borussia passt.

Redaktion, 04.03.2013

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