Spielbericht Profis

Die geilste Niederlage aller Zeiten - we're going to Wembley!

02.05.2013, 20:41 Uhr von:  Redaktion

Ausgelassene Stimmung nach AbpfiffWie soll man etwas beschreiben, das so großartig ist, dass man es selbst kaum fassen kann? Wenn so viele Eindrücke zusammenkommen, dass man sie gar nicht zusammenbringen kann, ohne den riesengroßen Fehler zu begehen, andere unbedingt zu erzählende Geschichten zu vergessen? Fangen wir einfach mit dem wichtigsten Punkt an: Im März vor sechs Jahren stand Borussia Dortmund nach einer Niederlage in Bielefeld auf Platz 17 der Bundesligatabelle – und heute zum zweiten Mal in ihrer Geschichte auf dem Siegertreppchen der Champions League!

Wir schreiben den 30. April 2011. Der 1. FC Nürnberg ist zu Gast im ohrenbetäubend lauten Westfalenstadion, aus Köln kommt frohe Kunde. Ein locker herausgespielter Sieg gegen zahme Franken lässt das für unmöglich gehaltene wahr werden: Die vorzeitige deutsche Meisterschaft, gewonnen von Jürgen Klopp und seiner Rasselbande. Auf den Tag genau zwei Jahre später ist aus der talentierten Rasselbande ein verschworener Haufen herausragender Fußballer geworden, der ganz Europa wahlweise in Angst und Schrecken versetzt oder zu Stürmen der Begeisterung verleitet. Im selbst erklärten Mutterland des Fußballs freuen sich die Fans über den bevorstehenden deutschen Titelgewinn – „fanowned clubs“ sind das neue Nonplusultra, mit dem BVB als King Cool und dem FC Bayern als „absolute bastards“ (The Guardian) sind die Sympathien durchaus klar verteilt.

Borussia Fans in Madrid willkommenDoch bevor wir uns mit dem Finale auseinandersetzen, wollen wir uns mit dem letzten Schritt auf der „Road to Wembley“ befassen. Die Auslosung wollte es so, dass beide deutschen Mannschaften ihr Rückspiel in Spanien austragen sollten – mit nur einem Tag Unterschied, was die ohnehin nicht besonders günstigen Flugtickets abermals verteuerte. Zeitweise lagen selbst die vermeintlichen Billigflieger aus Irland bei über 600 Euro pro Ticket, was man getrost als unverschämte Abzocke bezeichnen durfte. Nicht weniger unverschämt waren die Preisvorstellungen der spanischen Clubs, die in Madrid zwischen 70 und 286 Euro und in Barcelona zwischen 114 und 326 Euro – selbstverständlich zuzüglich Gebühren – lagen. Mitten in einer tiefen Wirtschaftskrise darf man das getrost als asozial bezeichnen.

Fanfreundlicher zeigten sich die örtlichen Lokalitäten, die bereits aus der Gruppenphase bestens bekannt waren. Rund um die Puerta del Sol feierten tausende BVB-Anhänger, alte Gassenhauer und neue Lieblingslieder wurden gesungen und die Nächte zum Tag gemacht. Dass die deutschen Fans hier herzlich willkommen waren, bewiesen nicht nur Plakate in den Eingangsbereichen, sondern auch das großzügige Hinwegsehen über kleinere Missgeschicke und die Bereitschaft spanischer Anwohnerinnen, unter gesanglicher Begleitung den einen oder anderen Spaß mitzumachen. Wenn sich bis zu unserem nächsten Besuch in der spanischen Hauptstadt dann auch bei den letzten Wirten herumgesprochen haben sollte, dass der Einkauf bei Gastspielen des BVB nicht mit einem Fiat Panda erledigt, sondern idealerweise ein Tanklastzug direkt im Hinterhof bereitgehalten werden sollte, können wir der kommenden Auslosung sehr entspannt entgegen sehen.

Im Stadion angekommen, fiel das große Medieninteresse auf. Nahmen uns die Spanier in der Gruppenphase nicht wirklich ernst und glaubten, im Vorbeigehen gegen uns gewinnen zu können, hatten wir diesmal ganz andere Zustände erreicht. Wohin man auf der großen Tribüne rechts des Gästeblocks auch sah, quetschten sich Berichterstatter in die schmalen Sitze. Auch uns hatte es diesmal „erwischt“ – statt eines echten Arbeitsplatzes gab es ein Klapptischchen im vierten Oberrang, Real-Fans und spanische Journalisten direkt im Nacken. So richtig waren die einzelnen Situationen damit nicht zu erkennen, dafür hatte man einen schönen Blick auf die Taktik und den großen Vorteil, den Gästeblock hören zu können – das war in der Gruppenphase so gut wie gar nicht möglich und wäre an diesem historischen Tag verdammt ärgerlich gewesen.

Nach wie vor eine Augenweide: Das Estadion Santiago BernbéuDenn von Beginn an ging es sehr, sehr laut zu. Die Madrilenen wussten, dass nur ein mittelgroßes Wunder ihren Verbleib im Turnier ermöglichen würde und schrien sich in den Anfangsminuten die Seelen aus dem Leib. Der schwarzgelbe Anhang hüpfte sich eins und brachte Schwung in die sonst eher träge-sitzende Masse, zog bis zum Spielende immer wieder die Blicke auf sich. Eine nette Choreo der Hausherren gab es obendrein, wenngleich sich nicht unbedingt erschloss, warum eine Tribüne mit mehreren Oberrängen nicht mit einer Blockfahne überzogen wurde – richtig erkennen konnte man das Motiv wohl nur aus dem Gästeblock, für alle anderen blieb es bei einem kaum zu verstehenden Papptafeldurcheinander.

Die Herrschaften auf dem Rasen waren zum Großteil am Wochenende geschont worden, um für die großen Aufgaben fit zu sein. Das 4:1 aus dem Hinspiel zwang beide Teams zu einem schnellen Tor, um die große Aufholjagd frühestmöglich zu starten oder aber den eigenen Vorsprung mit möglichst lässigem Eierschaukeln über die Zeit bringen zu können. Der Handlungsdruck lag dabei zweifelsohne bei den Spaniern, die in der Anfangsviertelstunde auf beängstigende Weise zeigten, was Real Madrid alles zu leisten im Stande ist, wenn sich die Herren Stars einmal zur Hochleistung bemüßigt fühlen.

Henkelpottchoreo in der FankurveIn den ersten zehn Minuten musste der „beste Torwart der Welt, der nie für eine Nationalmannschaft spielen durfte“, Roman Weidenfeller, gleich mehrfach sein Ausnahmetalent unter Beweis stellen – gegen Gonzalo Higuaín parierte er aus kürzester Distanz, Ángel Di Maria konnte ihm keinen Schrecken einjagen und Gelfrisur Ronaldo wurde bei seinem Torversuch im gerade entscheidenden Moment gestört. Keine Gelegenheit ließ unser Ballfänger aus, ein bisschen mehr Zeit zu schinden, als eigentlich für seine Abstöße notwendig gewesen wäre – denkend an die Rückspiele gegen Sevilla und Malaga hatte es schon einen gewisses humoristisches Element, dass sich ausgerechnet die spanischen Zuschauer echauffierten und ein gellendes Pfeifkonzert an das andere reihten.

Die Anfangsminuten waren aber auch die große Zeit des alles überragenden Spielers, Mats Hummels. Vor Wochenfrist hatte er mit einem leichtsinnigen Ballverlust einen eher gebrauchten Tag gekrönt, in Madrid zeigte unser Abwehrchef eine bestechende Leistung und brachte die Königlichen zur Weißglut. Auch Lukasz Piszczek verdiente sich wieder einmal ein großes Extralob – trotz anhaltender Schmerzen hatte er sich für den BVB auf den Platz gestellt und Superstar Ronaldo zum vierten Mal in Folge ziemlich alt aussehen lassen.

Der Gästeblock wusste bei so einer großen Masse nur selten zu gefallenIn der 12. Minute verletzte sich dann Mario Götze. Nicht wenige Fans hatten im Vorfeld der Partie geunkt, dass er sich wohl frühzeitig eine Verletzung zuziehen könnte, die ihn gerade lange genug außer Gefecht setzte, um dem doppelten Aufeinandertreffen mit dem FC Bayern zu entgehen. Wir wollen uns an derlei Spekulationen nicht beteiligen und Götze ganz sicher kein Markieren unterstellen, doch die tiefe Enttäuschung über den bevorstehenden Wechsel zum mittlerweile deutlich weniger respektierten Finalgegner schwang in Aussagen wie diesen einfach immer mit. Es wird an Götze liegen, seine Kritiker mit einer historischen Leistung im Finale vom Gegenteil zu überzeugen und zumindest diese Wogen wieder zu glätten.

Doch das Spiel lief weiter. Robert Lewandowski kam zu einer Riesenchance, als ihn der extrem aggressive Sergio Ramos für wenige Augenblicke aus der Manndeckung verloren hatte – doch ähnlich wie zuvor Weidenfeller hielt auch Diego López den Schuss mit einem wahnsinnigen Reflex. Im Gegenzug musste wieder Weidenfeller vor Ronaldo klären, bevor Mesut Özil in der 15. Minute rechts am Kasten vorbeischoss.

Mats Hummels gegen Mesut ÖzilBorussia hatte eine extrem hitzige Anfangsphase ohne größere Blessuren überstanden, Real musste nun einen Gang zurückschalten. Meter für Meter schob sich das Dortmunder Bollwerk nach vorne, entwickelte aus einem engmaschigen Netz die gewohnt angriffslustige Formation. Marcel Schmelzer hatte Di María nun so gut wie komplett aus dem Spiel genommen und die spanischen Journalisten hinter uns kommentierten sich die Stimmbänder kaputt. Wie bei einer leiernden Schallplatte wiederholten sich die immer gleichen Worte – in zunehmender Lautstärke ging es dabei meist um käufliche Liebe, Angela Merkel, diverse Mütter, Fäkalien und unsere Borussen. Es schien also tatsächlich gut für uns zu laufen.

So auch in der 33. Minute – die Dortmunder Formation hatte endgültig ihr gewohntes 4-2-3-1 entfaltet und stellte die Madrilenen konsequent zu. Eine Situation, in der José Mourinho einen ins Seitenaus geflogenen Ball per Hechtsprung fing, geriet zum Sinnbild: Der Trainer drückte auf die Tube, doch Michael Essien fand keine Anspielstation und hielt das Leder gleich längere Zeit vor sich in den Händen. Es blieb Real nur die Brechstange, bei denen gerade Ramos seine schweinischen Qualitäten unter Beweis stellte, aber auch Luka Modric, der den gut aufgelegten Marco Reus mal eben so umwemmste.

Marco Reus hatte gegen Alsonso und Ramos einen schweren StandTrotz aller Härte gehörten die Minuten vor der Pause dem BVB. In der 39. Minute war es ein aussichtsreicher Konter, den Großkreutz mit einem viel zu weiten Pass beendete – nur wenige Augenblicke später bekam Kuba den Ball nicht im Tor unter und fand in der Mitte leider niemanden, der hätte abstauben können. Das Publikum war deutlich leiser geworden und hatte sich fast vollends auf wenig jugendfreie Sätze konzentriert, der BVB-Anhang war dafür nun deutlich besser zu hören. Schiedsrichter Howard Webb – weithin bekannt für sein absurd laxes Sanktionsverhalten, unter dem unsere Spieler bereits in Donetsk zu leiden hatten – zog nun erstmals in diesem Spiel die Zügel an: Higuaín bekam gelb für seine nervige Meckerei, Gündogan nach einem Foul. Weidenfeller perfektionierte derweil seine Abgewichstheit und bewies ganz genau zu wissen, an welcher Stelle er auf Zeit spielen konnte und wann er vielleicht doch besser einen Sprint ansetzen sollte.

Es folgte ein erlösender Pfiff: Halbzeit! Nach einer fiesen Anfangsphase wurde Madrid deutlich zurückhaltender und es entwickelte sich ein Spiel auf Augenhöhe. Real war gezwungen, in der zweiten Hälfte deutlich aufzudrehen, während Borussia ein Tor von Minute zu Minute besser zu Gesicht stehen und den Sack endgültig zu machen würde.

Ilkay Gündogan gegen Sergio RamosDie Anfangsphase der zweiten Halbzeit nutzte Real dementsprechend zu einer erneuten, wütenden Offensive. Der BVB konnte sich aber früher aus der Umklammerung befreien und mit Gegenstößen agieren. In der 50. Minute hätte es dann beinahe auch gescheppert: Ilkay Gündogan auf Lewandowksi, astreiner Doppelpass mit Reus, Lewandowksi mit einem satten Distanzhammer an die Unterlatte. Der Gästeblock drehte ob der besten Chance des Spiels nun völlig frei, bei Real setzte vor allem Ernüchterung ein – die ersten waren körperlich oder geistig wohl schon wieder auf dem Weg nach Hause, nur Weidenfeller konnte alleine mit seinem Ballbesitz die Gemüter schon wieder in Wallung versetzen.

In der 61. Minute folgte dann die dritte Riesenchance für Borussia – Reus auf Gündogan, der freistehend vor Lopez nur einschieben muss und ihn dennoch genau den Torwart anschießt. Es erinnerte schwer an Málaga, was unsere Jungs an Chancen liegen ließen. Als nur noch 15 Minuten bis Spielende verblieben, Dortmund die absolut bestimmende Mannschaft und das Finale nur noch Wimpernschläge entfernt war, ging der Gästeblock ab wie Sau und stand der Mannschaftsleistung in wenig nach. Die Höchststrafe gab es für den unbedrängten Ronaldo – der Ball versprang ihm ins Seitenaus, der Gästeblock besang Lionel Messi.

Karim Benzema erzielte den AnschlusstrefferReal verstand die Kulisse als Alarmsignal und zog ein letztes Mal das Tempo an. Di Maria auf Benzema – links am Kasten vorbei. Ein Handspiel von Mats Hummels, das Publikum fordert einen Pfiff und hinter uns ist man sich sicher, dass Hummels und Webbs Mütter ihre Finger mit im Spiel haben müssen. Das Spiel wurde nun richtig hässlich – gelb für Ramos und gelb für den eingewechselten Sami Khedira, der erheblich zur Spielverbesserung der Madrilenen beigetragen und nun ohne jede Notwendigkeit Kuba im Mittelfeld umgesenst hatte.

Dann passierte genau das, was niemals hätte passieren dürfen: Ein super Konter mit einer messerscharfen Hereingabe Özils, Karim Benzema drosch den Ball zum 1:0 in die Maschen, Weidenfeller wollte den Ball nicht hergeben und bekam gelb, der Nervenkrieg nahm seinen Lauf. Beinahe fahrlässig erschien in diesem Moment Klopps Entscheidung, Lewandowksi in der 87. Minute auszuwechseln. Der Pole gönnte sich zwar pflichtschuldig einige Zeit zum Heraustraben – Mourinho kam ihm die letzten Meter entgegen, reichte ihm die Hand und zog ihn vom Platz –, doch waren es immer wieder solche Wechselentscheidungen, die in der Vergangenheit ein böses Ende nahmen. Auch diesmal hätte es ins Auge gehen können: Ramos machte nach einer Ecke das 2:0, Real setzte auf Totaloffensive und Sebastian Kehl musste sich genau in dieser Phase neu ins Spiel einfinden.

...und Sergio Ramos gar das gefürchtete 2:0Als Sven Bender umgetreten wurde und mit schmerzverzerrtem Gesicht liegen blieb, war das Fiasko perfekt – nun musste sich auch noch Felipe Santana ins Spiel integrieren, der zuvor klare Spielaufbau war nun wieder zu einem taktischen Knäuel zusammengestaucht worden. Endlose fünf Minuten Nachspielzeit wurden angezeigt, das Stadion stand wieder komplett hinter der totgeglaubten Mannschaft, López rannte mit durch den Dortmunder Strafraum und gab ebenfalls noch einmal alles – am Ende war es arschknapp, es blieb aber beim guten 2:0. Die mitgereisten Borussen kannten kein Halten mehr, ein lauter Schrei aus rund 4.000 Kehlen beendete alle spanischen Finalträume.

Am Abend ging es in der Stadt dann so richtig rund. Grenzenlose Euphorie traf auf fassungsloses Staunen, nicht-enden-wollender Jubel auf leere Blicke – es waren tiefe Gefühle des Glücks, die alles andere in den Hintergrund traten lassen. Niemand war in greifbarer Nähe, der noch ein anderes Ziel als Wembley hatte. Stundenlang wurde das Lied des Tages gesungen („Que sera, sera, whatever will be, will be, we’re going to Wem-be-ley, que sera, sera!“), immer lauter und lauter zur großen Begeisterung aller Borussen.

Der Mann des Abends war nach dem Spiel total plattDer Tag danach begann mit Kopfschmerzen. Immer wieder stießen wir jedoch auf Spanier, die uns von Herzen gratulierten. „Well done“, „Bravo“ und „Borussia!“ begegneten uns immer wieder und führten uns vor Augen, dass selbst auf spanischer Seite viele Fans mit unserem Verein mitgefiebert hatten. Dass es sich bei diesen um Anhänger des Real in inniglicher Feindschaft verbundenen Stadtrivalen Atletico handelte, konnte unser Wohlbefinden dann auch nicht mehr beeinträchtigen.

Die Fotostrecke zum Rückspiel im Estadion Santiago Bernabéu gibt es wie gewohnt auf unserer BVB-Fotoseite unter diesem Link.

Statistik

Und nach dem Spiel gab es kein Halten mehrZweite Sieger: Lopez - Essien, Varane, Ramos, Coentrao - Modric, Xabi Alonso, Di Maria, Özil, Ronaldo - Higuain

Einwechslungen: Kaka für Coentrao (57.), Benzema für Higuain (57.), Khedira für Xabi Alonso (67.)

Finalhelden: Weidenfeller - Piszczek, Subotic, Hummels, Schmelzer - Gündogan, Bender- Kuba, Götze, Reus - Lewandowski

Einwechslungen: Großkreutz für Götze (13.), Kehl für Lewandowski (87.), Santana für Bender (91.)

Tore: 1:0 Benzama (83.), 2:0 Ramos (87.)
Gelbe Karten: Coentrao (26.), Higuain (43.), Ramos (79.), Khedira (81.) - Gündogan (43.), Bender (45.), Weidenfeller (83.)
Torschüsse: Real 21 (9) - BVB 7 (2)
Fouls: Real 12 - BVB 19
Ballbesitz: Real 59% (56%) - BVB 41% (44%)
Angekommene Pässe: Real 75% (Lopez 91%) - BVB 60% (Großkreutz 76%)
Laufleistung: Real 118 km (57 km) - BVB 125 km (64 km)

Stimmen zum Spiel

Jürgen Klopp: "Das Spiel hat genauso angefangen, wie wir es erwartet hatten. Wir haben nur nicht mit so gutem Fußball reagiert, wie wir ihn eigentlich spielen können. Wir hatten trotzdem zu allen Phasen des Spiels unsere Möglichkeiten, sicherlich in der zweiten Halbzeit die auf unserer Seite herausragenden des Spiels. Dass Real Madrid Fußball spielen kann, war uns bekannt. Dass sie unter Druck leidenschaftlich spielen können, haben sie gezeigt. Wir mussten uns wehren. Dass Real der größere Club ist, ist sicher. Dass Real die bessere Mannschaft hat, ist wahrscheinlich und könnte zumindest sein. Aber das war uns ja von vornherein egal und wir sind mit 4:3 verdient weiter gekommen. Um ehrlich zu sein war das die mit Abstand außergewöhnlichste sportliche Leistung, von der ich seit langen, langen Jahren gehört habe."

Auf die Frage, wie er sich in den letzten Minuten gefühlt habe, als trotz der herausragenden Leistungen alles dahinzurinnen schien:

Jürgen Klopp (auf englisch): "Es ist eigentlich nicht so schwer zu beschreiben, ich dachte nur an eine Sache: Wenn Gott es so will, stehen wir im Finale. Das Spiel war seit der ersten Sekunde ein verrücktes. Alle Spieler bei Real haben versucht, den Schiedsrichter auf ihre Seite zu ziehen und es haben sich Szenen abgespielt, wie ich sie noch nie erlebt habe. In einer Situation - Sie haben das vielleicht im Fernsehen gesehen - hatte ich den Eindruck, Sergio Ramos könne mit Robert Lewandowski alles machen, was er wollte. In solchen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren, ist wichtig. Und wir sind cool geblieben, haben Fußball gespielt - sicher nicht den besten, den wir spielen können, aber den besten, den wir heute abend spielen konnten. In den letzten Spielen ist so vieles passiert, dass ich überzeugt davon bin, dass wir absolut verdient im Finale stehen. Wir fahren nach Wembley. Das ist absolut unglaublich und ich bin so unfassbar stolz auf meine Mannschaft. Die Kerle sind so jung, sie machen das alle zum allerersten Mal - die erste Meisterschaft, dann der erste DFB-Pokal, jetzt zum ersten Mal ein Halbfinale in der Champions League. Das ist Wahnsinn, das ist großartig und ich bin in diesem Momentan einfach nur glücklich."

Auf die Frage, ob er sich in den letzten Minuten ähnlich wie Aki Watzke am liebsten verkrochen und nicht mehr hingesehen hätte:

Jürgen Klopp: "Nein, ich habe mich wirklich nur an einem festgehalten: Wenn Gott es so will, stehen wir im Finale. Die Mannschaft hat sich reingeworfen, in der Schlussphase einfach nicht mehr mit so viel Glück - wir hätten einfach einen verdammten Konter setzen sollen, es waren genügend da. Da haben wir es etwas spannend gemacht, aber die Mannschaft spielt anscheinend nur "All-Inclusive-Football". Wir mussten einfach nur kämpfen bis zum Schluss und bis zum allerletzten gehen, aber wenn du nicht dazu bereit bist, hast du in einem Champions League Finale nichts zu suchen. Das gehört dazu. Im Übrigen hat mir Michael Zorc vorhin gesagt, die 1997er Mannschaft hätte mehr Glück zum Finaleinzug gebraucht - damit ist doch alles gesagt und für mich alles in Ordnung."

Auf die Frage, ob José Mourinhos Forderung nach Platzverweisen für Borussen berechtigt gewesen sei:

Jürgen Klopp: "Also ich kann natürlich nachvollziehen, dass die Enttäuschung bei Real Madrid riesengroß sein muss. Wenn man so knapp davor steht, ins Finale einzuziehen und dann doch scheitert, tut das riesig weh. Dass man dann vielleicht Dinge sagt, die man besser für sich behalten hätte, kommt vor. Ich kann dazu gar nichts sagen, ich habe da nichts gesehen und meine Spieler konnten mir dazu auch nichts sagen, ob das von Mats nun ein Handspiel war oder nicht. Aber wenn es zum Gesamtpaket dazu gehört, dass man alles bis zum letzten Detail beeinflussen will, jeder immer und alles springt und rum macht und durch die Gegend rennt - wir sind ja auch emotional, aber dieses ganze Beeinflussen geht mir echt auf den Sack. Das muss ich jetzt echt mal sagen. Ich finde, Howard Webb hat viel zu wenig gemacht gegen Ramos. Man hat mir die Szenen gerade gezeigt, deshalb kann ich das jetzt zufällig sagen, aber das waren sieben gelbe Karten - und gekriegt hat er davon keine! Wenn man mit der Vorankündigung in so ein Spiel geht, dass Robert Lewandowski im Hinspiel vier Tore gemacht hat und es so überraschend gewesen sei, dass er nicht einmal gefoult wurde, ist doch klar gewesen, dass die den heute auf die Hörner nehmen wollten. Anscheinend ist das normal, wenn es im Fußball um alles geht. Wenn meine Jungs heute ausgeschieden wären, hätte es sicher nicht wenige Leute gegeben, die uns was von cleverem Verhalten erzählt hätten. Es gab zig Situationen, in denen die Jungs weggegrätscht und von den Beinen geholt wurden - die hätten sich nur fallen lassen müssen, dann hätte es einen Freistoß nach dem anderen gegeben. Das haben sie aber nicht gemacht, bis Lewandowski in der ersten Halbzeit ein oder zwei Mal, als er sich so ungerecht behandelt gefühlt hat, dass ihm die Lust vergangen ist. Wir sind blitzsauber geblieben bis zum Schluss und das macht uns zum verdienten Gewinner. Fertig."

Auf die Frage, ob das Weiterkommen emotionaler gewesen sei, als zum Beispiel der Aufstieg mit dem FSV Mainz:

Jürgen Klopp: "Ich wollte gerade anfangen mich zu freuen, da hatte ich die ersten Pressetermine. Ich durfte gerade einmal zwei Minuten zu den Fans raus, mal eben explodieren, dann aber sofort wieder zurück. In Mainz hatte ich zweieinhalb Stunden Zeit, um das alles durchzufeiern und zu erleben, bevor ich dann den ersten Pressetermin hatte. Das kann man also gar nicht vergleichen. Es war schon extrem emotional, weil wir es damals zweimal nicht geschafft hatten und dann unerwartet doch aufgestiegen sind."

Auf die Frage, welches Gefühl er nun hinsichtlich des Spiels am Wochenende gegen die Bayern habe:

Jürgen Klopp: "Das ist schon eine witzige Konstellation. Ich habe das vorhin schon einmal gesagt: Wir haben einen Tag mehr zur Regeneration, den werden wir nutzen. Die Mannschaft wird diesen Tag wohl zum Feiern nutzen, so dass wir morgen abend einen Zustand haben, in dem wir wieder pari sind. Wir wollen ja keine Vorteile gegenüber Bayern München haben. Wir werden das hier auf jeden Fall feiern, das steht völlig außer Frage. Die Jungs haben genug Erfahrung im Feiern und wissen, dass das auch mit angemessenen Mengen Alkohol funktioniert. Aber das hier nicht zu feiern, wäre einfach krank, das werden wir nicht machen. Dann werden wir zusehen, wenn wir am Samstag gegen Bayern aufstellen. Mario hat einen Muskelfaserriss, das wird für alles kommende noch knapp werden. Sven ist umgeknickt, wenn mich nicht alles täuscht, da weiß ich aber selbst noch nichts. Robert ging absolut am Limit, da ging überhaupt nichts mehr. Kuba war komplett über den Berg, ab der 37. Minute ungefähr. Ich kann versprechen, dass wir am Samstag alles geben werden, was drin ist - und wenn Bayern München dann gewinnen sollte, werden sich wohl noch nie so wenig Leute darüber aufgeregt haben, wie an diesem Wochenende. Wir werden versuchen ihnen Probleme zu bereiten, doch ob das so funktioniert, werden wir sehen."

Auf die Frage, ob er schon Erfahrungen in Wembley gesammelt habe:

Jürgen Klopp (auf englisch): "Natürlich nicht! Ich war schon oft in Wimbledon, wenn das zählt. Aber Wembley wird ganz neu sein. Das wird einer der schönsten Augenblicke in unserem Leben sein und ich kann sagen, dass wir da sicher nicht als Touristen vorbei kommen werden. Dabei ist es eigentlich egal, gegen welches Team wir spielen, weil wir nirgendwo der Favorit sein werden. Das ist die perfekte Rolle für uns. Wir werden sie genießen, unsere Fans werden sie genießen, jeder Dortmunder wird sie genießen, fünf Millionen Menschen werden sich mit uns freuen - das wird einer der größten Momente unseres Lebens werden. Jeder in Wembley wird sehen, dass wir absolut nicht damit zufrieden sind, nur ins Finale gekommen zu sein. Wir wollen den Pokal auf jeden Fall gewinnen - ob es uns gelingen wird, können wir dann gemeinsam sehen!"

SSC, 1.5.2013

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