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Was für ein Jahr

07.01.2013, 21:10 Uhr von:  Sascha
Was für ein Jahr

Beginnen wir einen Rückblick gleich mit dem schwierigsten Teil. Auf das Jahr 2012 zurück zu blicken, ohne die Formulierung "was für ein Jahr" zu beginnen. Also: 2012... was für ein Jahr. Verdammt! Klappt irgendwie nicht. Aber wie soll man sonst seiner Begeisterung für diese sportlich nahezu perfekten 365 Tage Ausdruck verleihen? Es ist einfach verdammt viel passiert, worauf wir Borussen alle mächtig stolz sein können. In zwei Spielzeiten haben wir so viele Highlights erlebt, dass wir unsere Enkelkinder damit eines Tages nicht nur nerven werden, sie werden vermutlich vor dem obligatorischen Geburtstagsbesuch im Altenheim ihre Eltern darum anbetteln, nicht mitkommen zu müssen, weil Opa oder Oma garantiert zum x-ten Male die gleiche Geschichte beginnend mit "damals als der Jürgen Klopp zu uns kam..." aufwärmen werden. Aber wisst ihr was, Kinders? Scheiße, das war einfach eine total geile Zeit und auch wenn wir irgendwann mal nicht mehr wissen, was es am Vortag zum Mittag gab, das werden wir einfach nicht vergessen.

Dabei fing alles ziemlich trüb und ungemütlich an. Nein, nicht auf dem Platz. Da wurde der Hamburger SV auf heimischen Platz mal eben locker-flockig mit 5:1 vom Platz gefiedelt. Das ging so leicht, dass selbst der etwas kantigere Lewandowski durch die hanseatische Abwehr tänzelte, als würde er gerade für einen Auftitt im Schwanenseebalett üben. Trüb und nass war es draußen. Am Radio. Direkt am Eingang zum Gästeblock. Nen Zwanni drauf gewettet, dass ihr alle noch wisst, worum es da ging. Auch das ist Fußball, auch wenn es eher die unschönen Seiten darstellt.

Robben und der BVB

Der Rest der Rückrunde beschert uns dann satte 47 Punkte. Die weltbeste Rückrunde aller weltbesten Rückrunden. Zumindest in Deutschland. Ok, zumindest in der Bundesliga. 45 geschossene Tore, ungezählte Hackentricks und perfekte Ballstafetten. Ein Hackentrick wurde aber ganz genau gezählt. Der 30. Spieltag, Fußballdeutschland im Ausnahmezustand. Zumindest medial. Der Meister empfängt den Rekordmeister aus München. Im Vorfeld hatte Uli Hoeness schon seine ganz eigene Rechnung aufgemacht und die drei Punkte sicher verbucht. Damit wären beide punktgleich gewesen, die Rothosen mit der besseren Tordifferenz. Bis Lewandowski einen Schuss mit der Hacke am ziemlich verdutzten Neuer vorbei in die Ecke verlängert. Den Oscar für die beste Nebenrolle ging in dieser Szene an Arjen Robben, der dankenswerterweise das Abseits aufhebt. Sonst noch was? Achja, Robben löffelt einen Elfer in Weidenfellers Arme und semmelt den Ball aus zwei Meter Entfernung knapp fünf Meter über den Kasten. Hoeness supportet auf der Ehrentribüne wie wild, in dem seine Gesichtsfarbe sekündlich zwischen puterot und käseweiß pulsiert.

Die wird am nächsten Spieltag auch nicht besser, als die gesamte Mannschaft der Bayern live am TV das Derby auswärts verfolgen darf. Das Blaukraut war punktgleich mit uns in die Rückrunde gestartet, verlor aber satte 12 Punkte auf uns. Trotzdem wehrten sich die Meineidler nach Kräften und gingen durch Farfan in Führung. Bis es Piszczek zu bunt wurde und er den Ball einfach mal satt aus spitzen Winkel ins Eck ballerte. Was viele nicht wussten, in dem Moment bestand akute Lebensgefahr für unseren Rechtsaußen, da sich alle blutführenden Venen und Aterien außerhalb seines Körpers befanden. Sehr geiles Jubelbild, das selbst einem Mario Balotelli noch Angst einflößen würde. Endgültig den Deckel drauf machte dann Käpt'n Kehl nach sehr feiner Ablage von Christoph M. Gute Freunde kann niemand trennen, so sang der Kaiser einst.

Und sonst? Kagawa umläuft Gladbachs Keeper ter Stegen und unter der Süd läuft der wirklich geile Bayernsong „wir singen und tanzen auf jedem Fußballplatz" in Endlosschleife. Borussia ist erneut deutscher Meister. Erwähnenswert noch der Begrenzungszaun, der genau so lange frei bleibt, bis Nobby Dickel über das Stadionmikrofon darum bittet, dass der Zaun doch diesmal bitte frei bleiben möge. Geschickt, geschickt.

Florian Kringe

Tolle Bilder dann nochmal beim letzten Auswärtsspiel in Kaiserslautern. Die Meisterschaft im Sack, Berlin vor Augen. Zeit, um es sich noch einmal richtig gut gehen zu lassen. Die Ernsthaftigkeit dieses Spiels zeigte sich schon darin, dass der Aloholspiegel im Block ähnliche Höhen wie das Punktekonto des BVB vorweisen kann. Feuchtfröhlich und ausgelassen. Wohl selten hat man auf der Tribüne und der Trainerbank so viele grinsende Gesichter gesehen, wenn ein „Wir ham' die Schnauze voll" intoniert wird. Große Gefühle dann noch beim Abschied eines langjährigen und verdienten Borussen. Unter BvM noch der „Dynamo" des Spiels und bei den Fans zwar wenig schmeichelhaft, aber dennoch liebevoll mit „der Fette mit die 6" genannte Florian Kringe hatte seinen letzten Auftritt. Nach zwei schweren Verletzungen reichte es einfach nicht mehr für eine Elf, die spielerisch höchsten Ansprüchen genügt. Es war auch an der Zeit, wieder etwas gut zu machen. Danke zu sagen für seinen Einsatz und seine Offenheit. Dafür, sich enttäuschten Fans zu stellen, während der Rest der Mannschaft in den Kabinen verschwand, und sich mit Bierbechern bewerfen zu lassen. Er hat sich diesen Abgang mehr als verdient. Der Gästeblock nötigte Klopp zu dieser taktisch absolut notwendigen Einwechselung, Sprechchöre und fast sogar noch ein allerletztes Törchen in schwatzgelb. Danke für alles, Flo.

Und dann die absolute Krönung der Saison. Berlin. Der DFB-Pokal als eigentlich kleiner Bruder der deutschen Meisterschaft hat in Dortmund seinen ganz eigenen Mythos. Die älteren Fans schwärmen von 1989, die jüngeren zumindest von der Stimmung 2008. Von der sportlichen Seite her ein Wettbewerb mit etlichen Spielen, an die wir uns eher ungern erinnern, aber diesmal ein Duell der beiden besten deutschen Teams auf Augenhöhe. Die A2 genau so fest in schwatzgelber Hand wie die Hauptstadt und das Olympiastadion. Und bereits nach drei Minuten bebt der Borussenblock. Kagawa schiebt ein. Anschließend lässt Borussia, ganz im Stile einer Spitzenmannschaft, die Bayern noch einmal per Elfer am möglichen Erfolg schnuppern, um letztendlich den Branchenprimus bei einem Spiel, das in 150 Ländern live übertragen wird, mit 5:2 vom Platz zu prügeln. An Tagen wie diesen... weht ein großer Borussenschwenker über dem Marathontor. Die Bayern applaudieren sich schonmal für das CL-Finale warm und stehen Spalier für den Doublesieger. Um es mit Stefan Effenbergs Worten zu sagen: Ich würd' kotzen.

Die BVB-Fahne im Olympiastadion

Leider auch der letzte Kick für einen weiteren Spieler. Zwar hatte kaum mehr jemand dran geglaubt, dass Shinji Kagawa weiterhin das BVB-Trikot tragen würde, dennoch irgendwie ein trauriger Moment als der Japaner seinen Wechsel zu Manchester United verkündete. Finanziell der lohnenste Transfer, den Borussia jemals gemacht hat, sportlich aber leider kaum zu ersetzen. Sein Weggang sollte sich vor allem zu Beginn der Hinrunde 2012/2013 bemerkbar machen, wo der Einbau von Neuzugang Marco Reus und der Abgang von Shinji ein wenig holprig verlief. Zwei sehr unterschiedliche Spielertypen und der Versuch, positionsgleich zu wechseln, wurde relativ zügig begraben. Besonders in Pressing/Gegenpressingsituationen wurden etliche Anpassungsschwierigkeiten deutlich.

Zuvor aber mal für alle Borussen einer der seltenen „Ach du scheiße"-Situationen. Auslosung zur Gruppenphase der Königsklasse. Als Gruppenkopf Real Madrid. Aus Lostopf zwei Manchester City. Dazu Ajax Amsterdam. Hui. Der spanische, englische und niederländische Meister in einer Gruppe. Klingt ziemlich cool, wenn man selbst nicht Anhänger der vierten Mannschaft ist. Mördergruppe, Hammergruppe, Todesgruppe. Wie auch immer man das nennen wollte, Losglück sieht anders aus. Und die ersten Rechenspiele begannen, in welcher Konstellation mal wohl auf Platz 3 kommen würde, um wenigstens in der Europa-League zu überwintern.

Aber genau hier setzten unsere Kicker die absoluten Glanzpunkte der zweiten Hälfte im Jahr 2012. In der Liga unnötig viele Punktverluste durch Unentschieden, am Ende 30 Punkte auf dem Konto und Platz 3. Absolut in Ordnung, aber ohne die Dominanz der vergangenen zwei Spielzeiten. Highlight hier mit Sicherheit das 5:0 zu Hause gegen die Ponys aus dem Grenzland. Spätestens hier merkte jeder, dass Marco Reus die vielleicht beste Schusstechnik der Liga besitzt. Wenige denken in einer Situation wie vor seinem 3:0 überhaupt daran, aufs Tor zu schießen und von denen trifft wohl auch nur einer gewollt per Bogenlampe über den Keeper hinweg ins lange Eck.

Derby gabs nicht.

Manchester City gegen BVB

Dafür aber Champions-League. Und wie. Ajax zu Hause zum Auftakt relativ glücklich mit 1:0 besiegt und Pflichtpunkte eingefahren. Anschließend zum Scheichclub nach Manchester. Agüero, Dzeko, Balotelli und Tevez. Allein diese vier Spieler für zwei Positionen zeigen, was dort eigentlich für eine Qualität vereint ist. Und trotzdem, Borussia taktisch perfekt und mit Chancen fast im Minutentakt. Die Keeper auf beiden Seiten mit einer ganzen Serie an Glanzparaden und nur ihnen ist war es zu verdanken, dass am Ende des Spiels ein 1:1 statt ein 7:3 für den BVB stand. Neben dem einen Punkt gab es auch Zahnabdrücke in der heimischen Wohnzimmertischplatte. Das war nie und nimmer ein Elfmeter.

Der internationale Respekt für die Dortmunder wuchs. In der letzten Saison noch ziemlich deutlich in einer Gruppe mit Piräus, Marseille und Arsenal gescheitert, schien auf einmal in dieser schweren Gruppe noch mehr möglich. Nagelprobe Real Madrid zu Hause. Hat diese Bilder schon jemand vergessen? Also gut: Pepe mit absoluten Scheißpass in Kehls Füße, der schickt Lewandowski, Casillas reckt sich vergeblich und der Ball schlägt im rechten Eck ein. Die Führung. Zumindest für zwei Minuten. Der blaue Özil schickt Ronaldo, Lupfer über Weidenfeller. Halbzeitstand 1:1. Keine Wechsel zur Pause – Ronaldos Frisur nicht geändert. Dann die Sternstunde für unseren Schmelle. Casillas kann eine Flanke von Götze nur abwehren und Schmelzer nagelt den Ball ins lange Eck, als hätte er nie etwas anderes getan, als Offensivaktionen zu bringen. Anschließend beten alle Borussen gemeinsam, dass nicht noch Amoroso eingewechselt wird. Das Unmögliche geschafft.

Real Madrid gegen BVB

Im Estadio Santiago Bernabéu dann fast der nächste Dreier gegen die Königlichen, aber Mesut Özil knickert kurz vor Schlusspfiff einen Freistoß zum letztendlich verdienten 2:2 rein. Vier Punkte gegen Real Madrid und alle Trümpfe zum Gruppensieg in unserer Hand. Voraussetzung ein Sieg in Amsterdam. Europa-League? Nicht mit uns. Bei Ajax dann vielleicht die taktisch beste Leistung, die diese Elf jemals abgeliefert hat. Die komplette Mannschaft verschob sich taktisch derart perfekt, dass Ajax fast ständig in Ballbesitz war, aber den Ball dennoch kaum über die Mittellinie brachte. Unsere Mannschaft dagegen eiskalt und mit blitzschnellen Angriffen zu einem überragendem 4:1-Sieg. Das i-Tüpfelchen auf die Kirsche auf dem Sahnetopping dann ein 1:0 Sieg im letztendlich bedeutungslosen Spiel von stark ersatzgeschwächten Borussen gegen nur mäßig motivierte Weltklassekicker von der Insel.

Zum Abschluss dieses fantastischen Jahres kurz vor Weihnachten der Einzug ins Viertelfinale des DFB-Pokals. Hannover ist nicht gerade der Lieblingsgegner von uns und so stellte sich alles auf einen schweren, anstrengenden Pokalfight ein. Hätte es auch durchaus werden können, wenn die Niedersachsen mitgespielt hätten. Taktisch verzockt? Fehlende Kräfte? Zuviel Spekulatius gefuttert? Wie auch immer, Knecht Götzprecht holte die Rute raus und versohlte Hannover kräftig den Allerwertesten. Bereits nach drei Minuten die frühe Führung, zur Halbzeit ein 3:0, ein 5:1 Endstand und phasenweise Spielzüge wie im Training. Versöhnlicher und eindrucksvoller kann man sich nicht in die Winterpause verabschieden.

Natürlich darf im Rückblick auch die Aktion „12:12 - ohne Stimme keine Stimmung" nicht fehlen. Blenden wir einfach mal alle Misstöne zum Schluss aus, bleibt die wohl eindrucksvollste und solidarischte Protestaktion der deutschen Fußballgeschichte stehen. Wohl niemand hätte sich vorstellen können, dass im gesamten deutschen Profifußball die Stadien drei Spiele am Stück konsequent für zwölf Minuten und zwölf Sekunden schweigen. Stiller Protest wie er lauter nicht hätte sein können. Zur neuen Saison liegt es an allen Beteiligten, den Ball aufzunehmen und gemeinsam für eine gesunde und gute Entwicklung des deutschen Fußballs zu arbeiten.

Und was steht für den BVB im Jahr 2013 auf dem Programm?

Ich fühle mich sicher-Aktion im Westfalenstadion

Mögen die Optimisten unter uns noch klammheimlich auf die Meisterschale schielen, so wird eine erneute Titelverteidigung ein ganz harter Brocken. Der Abstand auf Bayern beträgt satte zwölf Punkte. Das sind beispielsweise zwei Niederlagen und drei Unentschieden. Eine Niederlage mehr als die Rothosen in der Hinrunde kassiert haben. Und selbst das würde nur dann reichen, wenn der BVB samt und sonders alles Spiele der Rückrunde gewinnt. Ein „n" im Namen und die Sache wäre machbarer. So muss man wohl konstatieren, dass das Thema Meisterschale für den BVB durch ist. Man tut sich vermutlich auch selbst keinen Gefallen, wenn man Gedanken daran verschwendet. Ziel ist und bleibt eine erneute Qualifikation zur Champions-League. Da steht man momentan zwar auf Platz drei, aber gerade einmal fünf Punkte vor dem neunten Tabellenplatz sind ein trügerisches Polster.

In der Liga haben die Bayern einen großen Vorteil. Sie haben 16 kleinere Brüder, die uns das Leben schwer machen. Der Vorteil fällt im DFB-Pokal weg und so müssen Heynckes und Co. sich ganz allein ihrem aktuellen Angstgegner stellen. Klar, auswärts München ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Aber bei fünf Siegen und einem Unentschieden in den letzten sechs Pflichtspielen sollte man dort mehr Angst vor uns als andersrum haben. Besteht man dort, ist alles möglich.

BVB gegen Hannover
In der Zwischenzeit heißt es für uns erst einmal fleissig Wollsocken stricken und die Pudelmütze zu waschen. Auf ins winterliche Donezk. Februar in der Ukraine klingt doppelt nicht so prickelnd. Je nach Wetterlage kann es dort wirklich arschkalt werden und auch sportlich ein ziemlich riskantes Los. Schachtjor ist eine mit aktuellen und ehemaligen Nationalspielern aus aller Herren Länder gespickte Mannschaft, die einiges an Qualität aufweisen kann. Der Name klingt nicht nach der ganz großen Fußballwelt, aber zu unterschätzen ist das Team auf keinen Fall. Nicht wenige von uns haben vor der Auslosung zum Achtelfinale der Champions-League explizit nicht auf diesen Gegner gehofft. Der Auftritt von Donezk in Nordsjaelland dürfte die Sympathien für den Gegner auch nicht gerade gesteigert haben. Luiz Adriano ist gegen uns übrigens wieder spielberechtigt.


Der BVB startet noch in allen drei Wettbewerben mehr oder weniger aussichtsreich in das Jahr 2013. Träume sind erlaubt, Realismus notwendig. Gelingt es uns, die Leidenschaft, Gier und Euphorie aus 2012 in das neue Jahr hinüber zu transportieren, stehen die Chancen gut, dass wir auch im nächsten Rückblick von magischen Nächten und wundervollen Spielen schwärmen werden.

The sky is the limit.

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