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Die Täuschung

11.09.2013, 23:32 Uhr von:  Leonie
Die Täuschung
Die Südtribüne beim Heimspiel gegen Werder Bremen

Der Feind lauert, jedes Wochenende. Egal, ob ich zu Hause oder auswärts bin. Aber wo genau lauert er? Wenn ich nachts alleine durch den dunklen Park gehe? Hinter der nächsten Hausecke? Nein, es ist „Der Feind meinem Stadion". So lautet zumindest der Titel der Dokumentation, die Montagabend im WDR lief. Bei dem Titel wurde mir direkt Angst und Bange. Ich sah den Film vor meinem inneren Auge ablaufen: Ultras, Hools, Allesfahrer in einen Topf. Das ganze gewürzt mit etwas Pyrotechnik und der Geheimzutat „Guck-nur-nur wie-die-Schaufensterpuppe-brennt" und die Hysteriesuppe ist mal wieder angerichtet. Ein besseres Rezept hätte sich Johannes - Beauftragter für Sicherheit - Kerner wahrscheinlich nicht ausdenken können.

Schon in der ersten Minute sah ich mich bestätigt. Szenen von Auftritt des „Deutschen Randale Meister 2011" in Dortmund oder vom Abstieg des FC Köln. Dazu die Stimme aus dem Off: „Diese Szenen sollen raus aus deutschen Stadien und aus der Berichterstattung, und die Verursacher gleich mit." Beim Wort „Verursacher" zu sehen: Das Stadion an der Alten Försterei, Fans, die ihren Schal in die Höhe halten, Ultras, Kutten, Normalos.

„Ja, ja, jetzt werfen sie schon alle in einen Topf."

Doch ich sollte mich täuschen.

Gästeblock in Frankfurt

Die Doku begleitet das Wuhlesyndikat und die Rote Kurve Hannover. Sie zeigt die aktive Fanszene von Union Berlin beim jährlichen Sandplatzturnier. Grillen, Feiern, Fußball gucken und Geld für soziale Zwecke sammeln. Ultras die gleichzeitig treusorgende Familienväter oder strebsame Medizinstudenten sind.

Das Bild, das Autorin Catherine Menschner von der Szene zeichnet, wird so manchem „Sogenannte-Fans"-Sager nicht passen, denn es ist differenziert. Es zeigt, wie viel Zeit, Arbeit und Herzblut die Fans in ihren Verein stecken. Nicht nur an Spieltagen, auch außerhalb des Stadions, abseits der sonstigen Berichterstattung. Denn normalerweise berichten die Medien erst, wenn es im Block brennt. Was Fankultur wirklich bedeutet, ist fremd. Oder egal?

Ein Vertreter der Roten Kurve bringt es auf den Punkt. „Es kotzt mich nur noch an" sagt er, auf die Gewalt- und Pyrodiskussion angesprochen. Kein Wunder, dass die aktive Fanszene in Hannover kotzen möchte, wann immer die Debatte aufkommt. Denn dort ist das Kind schon längst in den Brunnen gefallen. Weil beim Spiel gegen Dresden Pyro gezündet wurde, musste der Fanladen der Roten Kurve nach sieben Jahren schließen, die Rote Kurve hat sich aufgelöst. 96 fährt einen harten Kurs gegen die eigenen Fans. Ach nein, dort sagt Präsident Kind „Arschloch" zu ihnen.

BVB-Fans in Augsburg
Der Titel der Doku lässt Schlimmes befürchten, manch einer hat aufgrund einer bösen Vorahnung vielleicht gar nicht erst eingeschaltet. Schade. Für Fans, die sich schon lange mit dem DFL-Sicherheitspapier auseinandersetzen, bringt der Film wahrscheinlich nicht viel Neues. Trotzdem ist er ein sehr gelungener Versuch, das Verhältnis zwischen Ultras, Fans, Vereinen und Polizei zu beleuchten.

An alle „Sogenannte-Fans"-Sager und Fensterpuppen-Anzünder, Sky-Gucker und Alle-Fans-über-einen-Kamm- Scherer, schaut euch die Doku an. Guckt euch an was die Jungs und Mädels, die ihr alle für gewalttätige Chaoten haltet, alles für ihren Verein tun. Hört dem Fananwalt genau zu: Wie würdet ihr es finden, wenn ihr bei Volksfesten, Demonstrationen oder Konzerten eure Grundrechte am Eingang abgeben müsstet, so wie es Fußballfans oftmals erleben? Und warum bedarf es überhaupt einem Sicherheitspapier und Repressionen? Rühmen sich DFB und DFL doch damit, dass wir in Deutschland die sichersten Stadien haben.


Nachtrag: Die Dokumentation findet sich aktuell in der WDR Mediathek "Der Feind in meinem Stadion" (Stand: 12.09.13)

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