Warmlaufen

Was hat dich bloß so ruiniert?

21.09.2012, 15:30 Uhr von:  Redaktion

Lieber Hamburger SV,

bitte verzeihe mir meinen nicht immer höflichen Ton in diesem Brief an Dich. Ich weiß, die Zeiten für Dich sind im Moment nicht unbedingt rosig, aber mir liegen ein paar Dinge sehr auf dem Herzen: Morgen werden viele Fans wie schon im letzten Jahr das Volksparkstadion während des Spiels nur von außen sehen, weil Du und Deine Verantwortlichen Dein Geld mal wieder lieber für den nächsten (vermeintlichen?) Superstar ausgeben, anstatt Deinen treuen Zuschauern und auch Deinen Gästen den gebotenen Respekt für die einmalige Atmosphäre in Deinem Stadion zu gewähren. Diese Ignoranz gegenüber wichtigen Anliegen der Fans ärgert mich zutiefst und ist wohl der Hauptgrund, weshalb von meiner ursprünglichen Sympathie für Dich mittlerweile nicht mehr viel übrig ist. Mittlerweile kann ich mir wahrlich Schlimmeres vorstellen, als Dich nächste Saison in Ingolstadt und Aalen spielen zu sehen. Wie konnte es so weit kommen?

Um Deine wirklich großen Zeiten live miterlebt zu haben, bin ich als Jahrgang 1981 zu jung. Klar, die Namen Keegan, Hrubesch und Happel klingen auch in meinen Ohren. Und Magaths Weitschusstor gegen Juventus habe ich auch irgendwann schon einmal gesehen, aber wirklich erlebt habe ich selbst Deinen letzten großen Erfolg, den Pokalsieg 1987 gegen die Stuttgarter Kickers, nicht. Und trotzdem bin ich fußballerisch mit dem Wissen sozialisiert worden, dass der Hamburger SV einer der wesentlichen Vereine in Deutschland ist. Ich erinnere mich an Samstagabende vor der Sportschau, als Dein Spiel beim FC Bayern als das Gipfeltreffen des Deutschen Fußballs angekündigt wurde, ich habe die Bodenständigkeit (im besten Sinne!) eines Uwe Seeler geliebt, der auf ewig das menschliche Pendant zur kaiserlichen Sphinx aus Bayern bleiben wird. Und ich weiß natürlich auch um das Wohlwollen, das Dir und Deinen Fans speziell in Dortmund immer entgegen gebracht wurde. Heute ist das alles weg und der HSV nervt nur noch. Nicht nur wegen der Ticketpreise, die One-Man-Show von Klaus-Michael Kühne in diesen Wochen erinnert frappierend an den schmierigen Wurstfabrikanten von nebenan. Hauptsache, Sylvie van der Vaart lächelt von ihrem Logenplatz. Wo ist Deine hanseatische Zurückhaltung hin?

Auf Deine Fans lasse ich nichts kommen. Die leiden und sind trotzdem laut. Aber in Deiner Führungsetage scheint sich langsam dieselbe Art von Realitätsverweigerung durchzusetzen, die vor Jahrzehnten schon in Köln und Berlin Einzug gehalten hat, als den Verantwortlichen dort klar wurde, dass man zwar in einer Metropole (wenn man das Kaff rund um den Dom überhaupt so bezeichnen will) beheimatet ist, der eigene Verein aber letztmalig kurz nach dem Krieg was gerissen hat: Man ignoriert die Tabelle einfach und hält sich weiterhin für den Nabel der Fußballwelt. Entsprechend saftig sind die Preise. Schaut man dann aber trotzdem mal auf die nackten Zahlen und entdeckt, dass es wieder mal nichts mit Meisterschaft, Pokalsieg oder halt auch UEFA-Cup dahoam wird, dann wird der Trainer geschmissen, der erst acht Monate zuvor als großer Heilsbringer verpflichtet wurde. Und zur neuen Saison wird viel Geld für neue Spieler ausgegeben, das man eigentlich nicht hat.

Wann hat denn zum letzten Mal einer Deiner Trainer mehr als eine Spielzeit durchgehalten? Wahrscheinlich war das Thomas Doll, gefühlt ist das hundert Jahre her. Als Außenstehendem steht es einem eigentlich nicht zu, Dir Ratschläge zu geben, aber das sieht doch aktuell schon wieder nicht danach aus, als sei das mit Deinem Trainer eine echte Liebesbeziehung. Oder wie lässt sich sonst erklären, dass man zwar zur Sommerpause den halben Kader umkrempelt, dann aber doch nichts Besseres zu tun hat, als mit zwei Panikkäufen kurz vor dem Schließen des Transferfensters ein komplett neues Mittelfeld zu installieren? Bei allen Klischees, die man so über Hamburg kennt, scheint es doch eigentlich eine hanseatische Qualität zu sein, sich die nötige Zeit zu nehmen, um einen realistischen Plan für die nächsten Jahre zu entwerfen und den dann auch mit der nötigen Gelassenheit abzuarbeiten. 2012 gilt das anscheinend nicht mehr.

Aus eigener Erfahrung: Manchmal bringt es etwas, erstmal nur kleinere Brötchen backen zu wollen. Die großen Zeiten kommen garantiert nicht dadurch zurück, dass man von Ihnen redet. Im Gegenteil sogar: Ich glaube, man nimmt sich viele Chancen für eine stetige Entwicklung, wenn man sich an Zielen orientiert, die mittelfristig völlig unrealistisch sind. Zu glauben, mit einem Heilsbringer auf dem Platz und einem finanzkräftigen Mäzen im Rücken würde von selbst wieder alles gut, sieht jedenfalls nach dem schnellsten Weg in die Zweite Liga aus. Um den HSV von früher wäre es sehr schade. Der von heute wäre kein Verlust.

Dein Scherben, 21.09.2012

Hamburger SV: Adler - Diekmeier, Bruma, Westermann, Lam - Badelj, Arslan - Ilicevic, van der Vaart, Jansen - Son

Borussia Dortmund: Weidenfeller (Langerak) - Piszczek, Subotic, Hummels, Schmelzer - Bender (Leitner), Kehl - Kuba, Reus, Götze - Lewandowski

Schiedsrichter: Perl - Schalk, Emmer - Dietz

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