Unsa Senf

Wie sag ichs meinem Kinde?

15.05.2012, 20:09 Uhr von:  Redaktion

Jubel mit Pott und Schale vor der KurveWelcher Borusse hat ihn nicht, diesen Gedanken, dass wir von den letzten beiden Spielzeiten noch jahrelang schwärmen werden. Die Geschichten weiter tragen zu folgenden Generationen, auf dass sie ähnlich legendenhaft werden wie es beispielsweise das Europapokalspiel gegen Benfica für uns heute ist. Diese Geschichte soll, ja muss weitergegeben werden. Aber wie macht man das? Wie würde ich meinem Kind etwas erzählen, was nur schwerlich in Worte zu fassen ist?

Grundvoraussetzung ist natürlich, dass der Nachwuchs ähnlich fußballbegeistert ist. Ich hoffe es zumindest für ihn oder sie. Natürlich bringt das Fansein auch schwere Momente mit sich. Zeiten, in denen man auf der Schattenseite steht, und mit dem Gefühl, dass immer nur die anderen jubeln. Aber das sind auch Zeiten, die einen prägen und dafür sorgen, dass man die guten zu schätzen lernt. Der Fußball verlangt viel, aber er gibt viel mehr zurück. Er gibt dir Freunde, die dich vielleicht nicht trösten können, wenn sich fußballerisch alles gegen dich verschworen zu haben scheint, weil es ihnen selbst ähnlich geht. Aber zumindest lassen sie dich nicht allein damit. Die dann aber auch die Freude bei Erfolgen erst so richtig rund machen, weil du sie teilen kannst. Er sorgt für einen irren Hormoncocktail in deinen Adern, wenn im richtigen Spiel, oder auch nur im richtigen Moment der Ball im Netz zappelt und eine ganze Tribüne explodiert. Er lenkt dich ab und führt dich in eine andere Welt, die sich ganz ums runde Leder dreht und in der der Alltag keinen Zutritt hat. Ich hoffe, dass mein Kind das später auch mal erleben kann und will. Ansonsten bliebe diese Geschichte einfach eine weitere, nette Geschichte, die man mal gehört hat.

Meisterfeier gegen Nürnberg im letzten JahrAber wie würde ich anfangen? Welche Worte würde ich wählen? Vermutlich, oder sogar zwangsläufig, würde ich die Geschichte wohl 2005 beginnen lassen. Weil es einfach der Startpunkt einer unglaublichen Entwicklung ist, der den folgenden Jahren erst seine volle Bedeutung gibt. Ich würde von einer Borussia erzählen, die sich aus Großmannssucht fast selbst hingerichtet hätte. Von einem Tag, an dem wir alle nach Düsseldorf guckten und hoffen mussten, dass man uns eine weitere, vielleicht unverdiente Chance zu einem Neuanfang gibt. An diesem Punkt hoffe ich inständig auf ein verständnisloses Gesicht meiner Nachkommenschaft, weil für sie etwas derartiges für unsere Borussia völlig unvorstellbar ist. Weiter geht's in der Geschichte mit einer Übergangsphase, die anders, aber auch schwer war. Oder nein, überspringen wir den Teil einfach. Das ist eine andere Geschichte für einen anderen Tag. Eine Geschichte von emotionaler Leere, aber auch von einem Tag im Mai und einem Pokalfinale bei 30 Grad im Schatten.

In einem Märchen würde jetzt vermutlich ein goldgelockter Prinz auf einem weißen Pferd die Bühne betreten. In meiner, nein in unserer Geschichte fährt ein Trainer aus Mainz mit ziemlich ungeordneten, straßenköterblonden Haaren mit dem Auto vor und unterschreibt einen Vertrag. Und wenn er oder sie diesen Namen nicht kennt, dann weiß ich, dass ich in der Erziehung etwas grundsätzlich falsch gemacht habe. Und es wurde besser. Schritt für Schritt. Statt grauer Maus hatten wir wieder eine Mannschaft, die Feuer versprühte. Die auf dem Platz rannte, statt unser Trikot nur spazieren zu tragen. Das war noch keine Mannschaft, die die Liga dominieren, die aber jederzeit eine Vollgasveranstaltung zeigen konnte. Ich würde von Aufbruchsstimmung erzählen. Davon, dass man sich wieder auf das Wochenende freute und leidenschaftlich mitfieberte.

Meisterfeier 2010/11 auf dem PlatzVon der Saison 2010/2011, die eigentlich den Höhepunkt dieser Geschichte darstellen sollte, weil sie mit einer Meisterschaft endete, von der man vorher nicht zu träumen gewagt hat. Eine Borussia, die mit unglaublich schönen Spielzügen die Fans verzauberte und der restlichen Liga schnell enteilte. Wie ich in der Hinrunde gegen Bremen, einem eher schwächeren Spiel, auf einmal die Gewissheit hatte, dass an diesem Ort in wenigen Monaten unsere Mannschaft die Meisterschale überreicht bekommt, und von dem Geschrei und Getobe der Leute, als Nobby zwei Tore für Köln verkündete. Wie aller Zweifel beseitigt war und sich wildfremde Leute in den Armen lagen. Wie bekloppt man war, weil man dachte, dass es besser und schöner nicht mehr werden konnte.

Und wenn Du, würde ich ihm oder ihr sagen, auch mal den Gedanken hast, dass das Beste und Schönste schon vorbei ist — schieb ihn zur Seite. Das ist das Wunderbare am Fußball, er schafft immer wieder neue Geschichten und Überraschungen. Manche werden Dir nicht gefallen, die anderen werden Dich glücklich machen und Dir ein langanhaltendes Lächeln auf das Gesicht zaubern.

So wie die Saison 2011/2012. Es war fast die gleiche Mannschaft wie in der Saison davor. Die Sensation des Vorjahres zu wiederholen wirkte fast unmöglich und am Anfang schien sich das zu bewahrheiten. Wir starteten verhältnismäßig schlecht, rutschten ins untere Mittelfeld ab und die Saison schien fast schon sicher wieder eine völlig normale zu werden, bis Lukasz Piszczek gegen Mainz in der 90. Minute einen Ball aus 25 Metern über die Torlinie hoppeln ließ. Das war der Moment der Saison. Ein einziges Tor und die Spieler glaubten wieder an die eigene Stärke.

Pokalchoreo von THE U NITY und Jubos DortmundUnd weißt Du, was dann passierte? Wir verloren kein einziges Spiel mehr. Wir haben sie alle geschlagen. Das Derby beide Male gewonnen. Die Bayern in beiden Spielen bezwungen. Vor dem Rückspiel war es noch einmal spannend. Fünf Spieltage vor Ende, und wir hatten drei Punkte Vorsprung. Die Bayern waren damals noch die absolute Macht in der Bundesliga. Eine Meisterschaft zu verpassen war für sie gerade noch erträglich. Zwei Mal hintereinander unvorstellbar. Und als Robert Lewandowski den Ball mit der Hacke über die Linie schob, brachen alle Dämme. Das ganze Stadion war am toben und feiern. Am Ende hatten wir wahnsinnige 81 Punkte und waren 28 Spiele lang ungeschlagen. Kannst gerne nachgucken, das steht heute noch als Rekord in den Geschichtsbüchern. Trotzdem war es anders. Wir waren zwar Meister, aber die Freude war nicht mehr ganz so groß wie im Jahr davor. Es war eher Zufriedenheit und Stolz. Auch schöne Gefühle, zweifellos — aber anders.

Wahrscheinlich ernte ich dafür dann ein Stirnrunzeln. Ein schönes Ende, aber es gibt doch bessere. Natürlich gibt es das. In der Saison ist nämlich noch etwas Wundervolles passiert. Wir haben das Pokalfinale in Berlin erreicht. Jeder kannte noch die Erzählungen von 1989, aber für viele war es schon die Geschichte einer anderen Generation. Und die, die damals dabei waren, wurden darum beneidet. Am 12. Mai war es dann soweit. Das große Duell in Berlin gegen die Bayern. Eine Stadt und ein Stadion in schwarzgelb. Vielleicht 60.000 oder 70.000 von uns haben sich auf den Weg gemacht. Viele ohne Karte, weil sie einfach dabei sein wollten bei diesem Spiel. Die Bayern hatten vier Mal gegen uns hintereinander verloren und wollten allen zeigen, dass sie weiterhin die Nummer 1 sind.

Pokaljubel in BerlinIch kann dir nicht genau beschreiben, was da los war. Das musste man selbst miterlebt haben. Fünf Tore haben wir geschossen. Bei jedem Tor war das Stadion am beben. Die Leute sind durcheinander gepurzelt und haben sich unfassbar gefreut. Zur Halbzeit stand es schon 3:1 für uns. Wir haben uns angeguckt. Halb ungläubig, halb mit der Gewissheit, dass wir dieses Spiel gewinnen. Was für Augenblicke. Nach dem vierten Tor sangen mit Sicherheit 40.000 Leute „Ein Schuss, kein Tor, die Bayern". Und die Bayernkurve war still. Wir dafür um so lauter. Bis Sebastian Kehl den Pokal überreicht bekam. Goldglitter und Gesänge in der Luft. Eine absolute Gänsehautatmosphäre. Beide Titel in den Händen unserer Jungs. Das waren Momente, die man einfach nicht vergessen kann und ich wünsche Dir von ganzem Herzen, dass Du auch mal etwas Ähnliches erlebst. Das ist unsere Geschichte, Ihr schafft Euch Eure eigene.

Ich hoffe, dass die Augen dabei leuchten und er oder sie begreift, was wir erleben durften.

Und jetzt ab ins Bett. Morgen ist wieder Samstag.

Sascha, 15.05.2012

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