Spielbericht Profis

Kantersieg im Friedhof Müngersdorf

25.03.2012, 23:06 Uhr von:  Redaktion
Kantersieg im Friedhof Müngersdorf
Borussia marschiert unbeeindruckt vom gestrigen Sieg der Bayern und einem frühen Rückstand in Köln weiter durch die Liga. Am Ende wurde der FC von spielfreudigen Borussen geradezu überrannt. Weil die Kölner Fans die Unterstützung verweigerten, wirkte die Stimmung im Stadion gespenstisch und allein der Gästeblock war zu hören, in dem die Stimmung natürlich besser und besser wurde, bis ein Stadium kollektiver Ekstase erreicht war. Wer will eine Mannschaft stoppen, die in so einer Art und Weise auf einen Rückstand reagiert?

Die Ausgangslage war nach dem knappen Sieg der Bayern gegen Hannover klar. Der BVB musste in Köln gewinnen, um den FCB in einigermaßen komfortabler Distanz zu halten. Jürgen Klopp setzte daher weitgehend auf die Mannschaft, die zuletzt nicht immer schön, aber doch am Ende fast immer erfolgreich gespielt hatte. Einzig der Matchwinner aus Fürth, Ilkay Gündogan, rutschte neu in die Startelf. Er durfte neben Chuck Bender das defensive Mittelfeld bilden. Eine Maßnahme die sich in diesem Spiel wirklich auszahlen sollte.

Bei bestem Wetter ging es am frühen Nachmittag mit der Bahn gen Köln und ganz entgegen sonstiger Gepflogenheiten war die dominierende Farbe im Zug nicht Grün. Völlig ohne mobile Kontrolle und Überwachung erreichte man daher entspannt Köln-Deutz, um dort dann doch von der Staatsmacht in Empfang genommen zu werden. Überraschenderweise war der Zug bei der Ankunft auch nicht in Schutt und Asche gelegt und von Belästigungen anderer Reisender durch die bösen Fußballchaoten ist auch nichts bekannt geworden. Die Direktverbindung zum Stadion wurde dann mit Blaulicht eskortiert, da in der Vergangenheit wohl schon die ein oder andere Scheibe an den U-Bahn Waggons zu Bruch gegangen ist. In Müngersdorf erwartete uns dann eine Abordnung des Kölner Zoos. Neben einigen Pferden hatten die grünen Männchen auch noch wild bellende Hunde mitgebracht, um den Dortmunder Pöbel im Zaum zu halten. Aufregung kam aber nur kurzfristig bei den Ordnungshütern auf, als die DES ihre Kölner Freunde von den Boyz begrüßen wollten. Nachdem geklärt war, dass man sich alles andere als ans Leder wollte, entspannte sich die Lage aber schnell wieder und man sah friedlich diskutierende Ultras beider Vereine. Schade dass so eine entspannte Atmosphäre rund um die Bundesligastadien inzwischen eher die Ausnahme ist. Ob es am strahlenden Sonnenschein lag, dass die Ordnungsmacht so friedfertig agierte?
Voll wie immer
Vor Spielbeginn wurde dann nochmal über die Lautsprecheranlage verlesen, was so alles verboten ist. So eine Maßnahme wird potentielle Übeltäter bestimmt nachdrücklich abschrecken. Auch auf die drohenden DFB-Strafen für den Verein wurde hingewiesen, aber netterweise verzichtete man wenigstens darauf, diese in Typisierungen umzurechnen. Wie es beim FC so Tradition ist, hüpften dann Cheerleader zu Schlagermucke über den Rasen. Was wohl der Platzwart davon hält? Während im Gästeblock bereits die Fahnen wehten, gab es in der Heimkurve keine Bewegung. Viele Zaunfahnen hingen kopfüber und lediglich ein Spruchband „Come on FC“ sollte die Mannschaft aufrütteln. Ein weiteres Transparent verkündete, „Gewalt? Nicht mit uns“ und spielte damit auf die Vorfälle in letzter Zeit an, die medial hauptsächlich an der Wilden Horde festgemacht wurden. Man durfte gespannt sein, wie die Stimmung unter den Kölner Anhängern sein würde, nachdem die bislang führende Ultragruppe angekündigt hatte, den Support einzustellen. Die Spruchband Antwort „Glücklich das Land, das keine anderen Probleme kennt als Fußballfans“ misslang leider völlig, da die drei Transparente nicht zeitgleich hochgehalten wurden. Die Forderung „Schert uns nicht alle über einen Kamm“, kann aber sicher jeder unterschreiben, der mal die Farben seines Vereins auswärts repräsentiert hat.

Wegen des großen Andrangs auf die Presseplätze wurde ich in den Oberrang umquartiert, wo ich mich unversehens inmitten der Kolonie der japanischen Kagawa Exklusivberichterstatter wiederfand. Eins wurde gleich deutlich: Verspätungen mag der Japaner nicht. Die Verschiebung des Anpfiffs um 10 Minuten wegen des Verkehrschaos rund um das Müngersdorfer Stadion sorgte für einigen Unmut.

Erste Halbzeit - Dem Rückschlag getrotzt

Schmelzer gegen Podolski
Stimmungsmäßig übernahm dann tatsächlich sofort der Gästeblock das Kommando, nachdem die Vereinshymne vom Band verklungen war. Auf Kölner Seite kamen von verschiedenen Ecken der Tribüne zwar Gesänge auf, die aber kaum von der ganzen Tribüne übernommen wurden.

Auf dem Platz zeigte sich auch gleich die unterschiedliche Ausrichtung der Mannschaften. Während der FC in der eigenen Hälfte massiert stand und auf Konter lauerte, versuchte Borussia von Beginn an, Druck zu erzeugen. Torchancen sprangen aber in den ersten 10 Minuten für keine der Mannschaften heraus. Beide agierten rund um den gegnerischen Strafraum zu unpräzise.

Gleich die erste Gelegenheit nutzte dann aber Novakovic zur Führung. Er schlich sich im Rücken von Subotic frei und köpfte eine weite Flanke von Lanig unhaltbar gegen die Laufrichtung von Roman Weidenfeller. Auch der Dortmunder Keeper sah da alles andere als optimal aus, denn die Flanke war gefühlte Ewigkeiten unterwegs und Weidenfeller kam erst raus, um es sich dann auf halbem Weg wieder anders zu überlegen. Die erste Antwort schickte Lewandowski per Kopf Richtung Rensing, aber dieser Ball konnte den Kölner Keeper nicht in Verlegenheit bringen.

Auf den Tribünen konnte der Kölner Führungstreffer die Kräfteverhältnisse aber nicht ändern. Weiter gab allein der Gästeblock den Ton an. Leider gelang es der Mannschaft nicht, ähnlich dominant aufzutreten. Torchancen blieben Mangelware. Großkreutz und Gündogan versuchten sich erfolglos an Fernschüssen und ansonsten wurde der Kölner Strafraum weiträumig gemieden. Dann schritt Schmelzer zum Freistoß kurz vor der Torauslinie. Er schlug eine wunderbar scharfe Flanke vors Tor, in die Piszczek sprang und den Ball im langen Eck versenkte. Wo war die sagenhafte Schwäche bei Standards geblieben? Woher nahm Schmelzer plötzlich diese Offensivstärke? Hatte man Piszczek schon mal im gegnerischen Strafraum köpfen sehen? All diese Fragen waren egal. Der BVB war wieder im Geschäft. Zu Pippi Langstrumpf präsentierte eine hüpfende Gästeecke dann ein wunderbares Bild in Gelb. Auch die Sitzplätze konnten mit einer hohen Mitmachquote glänzen. Mein japanischer Sitznachbar sang übrigens sämtliche Dortmunder Fangesänge textsicher mit und rastete beim Ausgleichstreffer auch ziemlich unjapanisch aus. Sehr sympathisch.

Grosskreutz gegen Brecko
Beinahe hätte Piszczek dann vor der weiter schweigenden Heimtribüne einen Doppelpack geschnürt, aber seine Direktabnahme verfehlte das Tor knapp. Der Ausgleich gab der Dortmunder Mannschaft offenbar die Sicherheit zurück und jetzt zeigten sich die eigentlich zu erwartenden Kräfteverhältnisse auch auf dem Platz. Die Kölner Fans begannen ihren Frust am eigentlich gut pfeifenden Schiedsrichter auszulassen. Der ließ sich dadurch aber nicht von seiner Linie abbringen. Prinz Poldi zeigte dann nach einem Konter nochmal eindrücklich, dass sein rechter Fuß nicht zum Schießen geeignet ist und Lanig setzte einen Fernschuss knapp zu hoch an.

Dann die vermeintliche Führung für den BVB. Eine lange Flanke von Gündogan wurde von Piszczek zurück vors Tor geköpft, wo Bender den Ball ins Tor wuchtete. Aber leider stand er bei Piszczeks Kopfball knapp im Abseits. Die erhobene Fahne des Linienrichters stoppte den Dortmunder Jubel abrupt. Kurz vor der Pause standen sich Bender und Piszczek nach einer Kagawa Flanke gegenseitig auf den Füßen. Wegen der fehlerhaften Abseitsfalle des FC hätten sie ansonsten freie Bahn zur Führung gehabt. So blieb es beim Unentschieden, was für den FC sicher eher schmeichelhaft war, denn nach dem Ausgleich war Dortmund deutlich überlegen und hatte auch die klareren Chancen.

Als Zwischenfazit zur Stimmung fällt es schwer die Stimmung des Gästeblocks überhaupt zu bewerten. War das wirklich eine überdurchschnittliche Leistung oder wirkte das nur wegen der stummen Heimkurve so? Die Stimmung auf den Kölner Stehplätzen kann nur mit gespenstisch umschrieben werden. Mir ist nicht ganz klar, ob die übrigen Fans sich einem Stimmungsboykott der Wilden Horde angeschlossen haben oder ob eine derartige Nicht-Stimmung zwangsläufige Folge davon ist, wenn die vielgescholtenen Ultras mal die Gesänge verweigern. Dass Dortmunds OB in der Halbzeit die „schöne Atmosphäre“ lobte, kann eigentlich nur an diplomatischer Höflichkeit oder völliger Ahnungslosigkeit liegen. Immerhin schaffte Uli Sierau es, im siebten Versuch einen Fußball ins Publikum zu schießen, da schlummern noch unerkannte Talente. Hoffentlich findet die Fanszene Köln zu ihrem bekannt stimmgewaltigen Support zurück.

Zweite Halbzeit – Die perfekte Welle

Ausrasten zum 1-2 auf dem Platz und Block
Kaum war die Halbzeit angepfiffen war der BVB auch schon in Führung. Gündogan legte einen Freistoß quer zu BLaszzykowski, der den Ball in den Strafraum lupfte. Piszczek verlängerte per Kopf und Kagawa semmelte den Ball aus kurzer Distanz volley unter die Latte. Kollektives Ausrasten in der Presse-Exklave, Deutsch-Japanische Freundschaft auf der Tribüne. Der Gästeblock drehte noch mal die Lautstärke auf und die Heimkurve legte die x-te Schweigeminute des Tages ein

Prinz Poldi zeigte nun erste Frusterscheinungen. Erst schlug er eine Flanke ins Nirwana und dann legte er sich mit Subotic an, was mit Gelb bedacht wurde. Sein nächster Flankenversuch wurde von Subotic geblockt und die Kölner forderten vehement Handelfmeter. Als sich die Aufregung noch nicht gelegt hatte stand es plötzlich 1:3. Ein wunderbarer Doppelpass zwischen Kagawa und Blaszczykowski leitete den Treffer ein. Wie Kagawa den Ball per Hacke in den Lauf des durchstartenden Kuba spielte, war eine Augenweide. Blaszczykowski legte dann klug auf seinen Landsmann Lewandowski quer, der entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, nur schwierige Tore zu erzielen, den Ball locker einschob.

Der Rheinländer pflegte nun seine Feindschaft mit dem Mann in Schwarz, blieb aber ansonsten weiter jede Unterstützung der eigenen Mannschaft schuldig. Die deutschen Meister in Gelb standen auf und zeigten, dass erneut Dortmunder Anhänger über nahezu das gesamte Müngersdorfer Stadion verteilt waren. Die Kölner Mannschaft schien sich nun der Leistung ihrer Anhänger anpassen zu wollen und verlor Ball um Ball leichtfertig im Spielaufbau. Der Gästeblock tanzte derweil Walzer oder ließ dem Optimismus freien Lauf: „Und schon wieder Deutscher Meister BVB“.

Lewandowski oben auf
Der Käptn durfte dann auch mittun und ersetzte den unersetzlichen Sven. Die Verhältnisse auf dem Platz waren nun geklärt. Beim FC schien man sich mit der eigenen Unterlegenheit abgefunden zu haben und man ließ dem BVB im Angriff viel Raum zum Kombinieren. Zu hören war auch weiterhin nur der Gästeblock, der nun die alten Meister huldigte. Als Freund stimmungsvoller Fußballabende kann man nur hoffen, dass dieses Stimmungstief der Kölner nur vorübergehend ist. Wer schon einmal in Müngersdorf war, weiß was hier normalerweise los ist und wenn es dann plötzlich stiller ist als bei VW oder Hopp, ist das schon wirklich bitter.

Unter großem Applaus verließ dann Kevin Großkreutz den Platz. Das hat er auswärts wahrscheinlich auch noch nicht erlebt. Sein Ersatz Ivan Perisic forderte gleich jeden Ball und wurde auch schnell per Kopf gefährlich. Ob er an seinen Defensivschwächen gearbeitet hat, konnte er gegen diese Kölner Mannschaft aber nicht mehr demonstrieren, denn der FC igelte sich nur noch in der eigenen Hälfte ein und konterte nur noch sporadisch und ineffektiv.

Wie man so einen Konter spielt zeigten dann die Borussen und wurden prompt mit dem 4:1 belohnt. Lewandowski eroberte den Ball, Kehl schickte Gündogan steil und dann lieferten Gündogan und Kagawa eine Traumkombination ab. Nach einem wunderbaren Doppelpass schloss Ilkay Gündogan den Angriff mit dem nächsten Treffer ab. Nun machte man sich auf der Haupttribüne auf den Heimweg obwohl noch gut 10 Minuten zu spielen waren. Mit auf den Weg gab es dann noch das 1:5 durch Kagawa nach Vorarbeit von Kuba und Piszczek. Ivan Persisc machte nach einem schönen Pass von Gündogan das Debakel perfekt.

Rensing konnte einem fast Leid tun
Nun zeigte sich erneut, wie viele Dortmunder die neutralen Blöcke bevölkerten. Man stand auf und verkündete, wer Deutscher Meister wird: Nur der BVB natürlich. An einem solchen sonnigen Sonntag ist man geneigt, dieser Prognose zuzustimmen, auch wenn noch sieben Spiele gegen brutal starke Gegner zu bestreiten sind, die alle richtig kicken können und hinter uns der große FCB lauert. Aber wenn die Mannschaft einfach so weiter macht, können die Bayern auch machen was sie wollen und werden am Ende trotzdem nur bestenfalls Zweiter. Die altgedienten unter den Borussenfans werden sich erinnern, dass der BVB schon einmal 6:1 in Müngersdorf gewonnen hat und am Ende der Saison Meister wurde. Auch statistisch dürfte der Drops damit gelutscht sein. In ein paar Tagen wird man auch als BVB Fan wieder eine realistischere Weltsicht haben, aber heute ist mal alles einfach nur fantastisch.

Statistik

FC Köln: Rensing - Brecko, Sereno, Geromel, Eichner - Riether, Lanig - Clemens, Peszko - Novakovic, Podolski

Einwechslungen: 46. Jemal für Eichner, 77. Ishak für Peszko

BVB: Weidenfeller - Piszczek, Subotic, Hummels, Schmelzer - S. Bender, Gündogan - Blaszczykowski, Kagawa, Großkreutz - Lewandowski

3 Torschützen unter sich
Einwechslungen: 61. Kehl für S. Bender, 73. Perisic für Großkreutz, 81. Leitner für Kagawa

Tore: 1:0 Novakovic (13., Kopfball, Lanig), 1:1 Piszczek (26., Kopfball, Schmelzer), 1:2 Kagawa (47., Rechtsschuss, Piszczek), 1:3 Lewandowski (52., Rechtsschuss, Blaszczykowski), 1:4 Gündogan (79., Linksschuss, Kagawa), 1:5Kagawa (80., Rechtsschuss, Piszczek), 1:6 Perisic (84., Linksschuss, Gündogan)

Gelbe Karte: Podolski

Schiedsrichter: Zwayer (Berlin)

50.000 Zuschauer im ausverkauften Müngersdorfer Stadion

Web 25.03.2012

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