Eua Senf

Hopping: Wisla Krakow - Standard de Liege

15.07.2012, 16:38 Uhr von:  Gastautor
Hopping: Wisla Krakow - Standard de Liege

Nach der EM ist vor der Liga und auch in Polen wird ganz normaler Vereinsfussball gespielt. Das sich der Vereinsspielbetrieb sehr von der hochgestylten Europameisterschaft unterscheidet, ist den meisten wohl bewusst. Wer sich dafür interessiert, wie es in der Saison dort aussieht, sollte hier nun weiterlesen.

Manchmal sind es kurze Momente, die für die größten Eindrücke im Leben sorgen. War Krakau damals auf dem Weg nach Lemberg nur eine Zwischenstation, entwickelte sich in den darauffolgenden Aufenthalten dieser Stadt eine Faszination, die bis heute ungebrochen ist. Die Schönheit und Atmosphäre der eigentlichen Hauptstadt Polens kann man sich nur schwer entziehen und einen Besuch kann ich nur jedem wärmstens empfehlen. Die Stadt im Südosten Polens ist von z.B. Köln, Dortmund aus mit dem Flieger relativ gut zu erreichen. Flughäfen wie Kattowitz werden von bekannten Billigfliegern angeflogen und der folgende Bustransfer ist unkompliziert. Krakau selbst hat auch einen internationalen Flughafen, aber hier muss man leider ein wenig tiefer in die Tasche greifen. Wer etwas mehr Zeit mitbringt, dem möchte ich zur Zugtour raten. Die Route über Berlin-Breslau-Gleiwitz ist wunderschön und bewegt sich im selben Rahmen wie die Flugpreise.

In Krakau selbst möchte ich den Bierliebhabern einen Besuch der Burg Wawel und des Oskar-Schindler Museums empfehlen. Vor allem die Burg Wawel, die unter anderem die Gräber der polnischen Könige beherbergt, besticht aufgrund des tollen Ausblicks über die Stadt. Das Oskar-Schindler Museum befindet sich in den alten Fabrikhallen und könnte eine Ergänzung zu einer Besichtigung des nahen KZ Auschwitz sein, das nur wenige Kilometer vor den Toren von Krakau entfernt liegt.

Stadion Außenansicht

Kommen wir nun aber mal zum Wichtigsten, nämlich zum Fußball. In Krakau befinden sich 2 der ältesten Fußballclubs in Polen und beide Vereine stehen sich seit Jahren verfeindet gegenüber. Auf der einen Seite Cracovia, wo selbst schon Papst Johannes Paul II zwischen den Pfosten stand und auf der anderen Seite der 13-fache polnische Meister Wisla Krakow. Für Wisla spielte unter anderem unser Kuba und die Tatsache, dass meine Freundin ein leidenschaftlicher Anhänger dieses Clubs ist, machte einen Besuch für mich zur Pflicht.

Leider ist dieses Vorhaben nicht gerade einfach. Der Kauf einer Karte für polnische Vereine ist im Vorlauf zur EURO 2012 eine recht komplizierte Sache geworden. Telefonischer Vorverkauf oder gar Onlineticketshops sucht man vergeblich. Die „Karta Kibica“ ist für den Stadionbesuch von Ligaspielen unverzichtbar geworden. Diese Fankarte bekommt man gegen Vorlage des Personalausweises bei den Geschäftsstellen recht einfach. Leider muss jeder Besitzer persönlich vorbei, da noch ein Foto für die „Karta Kibica“ vor Ort gemacht wird. Mit dieser Karte erwirbt man das Recht eine Eintrittskarte zu kaufen. Bei Spielen, wie z.B. von Wisla gegen Liege, wurde dieses Stück Plastik aber nicht benötigt, da der Schirmherr die UEFA war und hier der Personalausweis reichte. Ich persönlich hoffe, dass wir so etwas nie in Deutschland bekommen und auch die Funktionäre in Polen über dieses System nachdenken.

Am Tag des ersten Pflichtspieles von Wisla im Jahre 2012 machten meine Freundin und ich mich gegen Mittag auf zum Marktplatz. Auch ein paar Belgier fanden sich hier ein, um unter Polizeibegleitung ein Bier zu trinken oder die Stadt zu erkunden. Im Großen und Ganzen war aber kaum was los und verglichen mit unseren Auftritten in fremden Städten musste man die Gäste schon suchen. Wir stimmten uns in einem kleinen Restaurant bei Pierogi und Bier ein. An dieser Stelle ein kleiner Tipp: CK Browar oder Pod Wawelem sind etwas abseits vom Marktplatz, aber bieten ein tolles Ambiente zum gepflegten Biergenuss. Die Preise sind im Vergleich zu Deutschland ein Traum. Der halbe Liter Bier kostet meist nicht mal 1,5€ und das Essen dürfte auch kaum ein Finanzproblem hervorrufen.

Ärger um Choreo

Gegen 19:00 wurde es Zeit, den Weg zum „Stadion Miejski im. Henryka Reymana“ anzutreten. Die Anfahrt bewältigten wir mit dem Bus und die Zweiteilung der Stadt in Cracovia und Wisla machte sich durch die Graffitis an den Häuserblöcke deutlich bemerkbar. Es kommt nicht selten vor, dass an einem Häusereingang das Zeichen der „Wisla Sharks“ zu sehen ist und beim nächsten von „Anty Wisla“, der Fangruppierung von Cracovia. Schon ein krasser Anblick, dass absolut verfeindete Lager auf engstem Raum zusammenleben und es nicht wie z.B. in anderen Städten bestimmte Stadtviertel gibt, die einem Verein zuzuordnen sind.

Das Stadion machte schon aus der Ferne einen tollen Eindruck. Durch total verschneite Straßen bahnten wir uns mit anderen Fans den Weg zum Ort des Geschehens und die Struktur erinnerte mich direkt an unser Westfalenstadion. Der alte Kern des Stadion war immer noch zu erahnen und die neuen Tribünen passten sich sehr angenehmen dem alten Gefüge an. Wie ich vor Ort erfuhr, erhoffte man sich mit dem Umbau Gastgeber der EM 2012 zu werden, aber dies ging nicht in Erfüllung. Im Stadion besuchten wir den „Strefa Kibica“, wo Eintrittskarten und Fanklamotten erworben werden können. Dank der tollen Auflagen der Verbände ist kein Bier zu erwarten gewesen und die Örtlichkeit wurde eher zum Aufwärmen genutzt. Dank der bekloppten Kartensituation waren große Schlangen an den Ticketschaltern zu sehen und jeder regte sich über dieses System auf. Man stelle sich vor, dass alle BVB Fans nur noch an der Geschäftsstelle Karten für das Spiel bekommen können. Der Begriff Chaos müsste neu definiert werden. So war es auch nicht verwunderlich, dass „nur“ rund 21.000 Zuschauer den Weg zu diesem Spiel fanden.

Die Einlasskontrollen waren doch was komplizierter. Es gab unterschiedliche Scanner für normale Eintrittskarten, die mit Personalausweis/PESEL gekauft und welche die mit der Fankarte erworben wurden. Ich bleibe dabei, bescheuert… . Die anschließende Kontrolle war kaum der Rede wert, da war ich auf was Schlimmeres eingestellt. Der Tribüneninnenraum war sehr modern gehalten und das Essensangebot war sehr vielseitig. Sogar einen griechischen Salat konnte man sich schmecken lassen.

Gästeblock
Eine Stunde vor Anpfiff nahmen wir unsere Plätze ein und der erste Eindruck des Stadions konnte nur bestätigt werden. Ein echtes Schmuckkästchen haben sie sich dort hingestellt. Die Heimtribüne erinnerte mich sofort an unsere alte Süd und die ersten Gesänge ließen auf eine tolle Stimmung hoffen. Sogar eine Choreo war vorbereitet. Die Zeit bis zum Anpfiff verbrachte man mit einer kleinen Schneeballschlacht und beobachtete das Treiben rund um das heutige Spiel. Beim Warmmachen musste die Mannschaft von Liege vor die Tribüne der Heimfans, von denen sie gnadenlos ausgepfiffen und mit Schneebällen empfangen wurden.


20 Minuten vor Anpfiff begann die Durchführung der Choreo mit dem Entrollen eines riesigen Transparents mit der Aufschrift „Nie trzeba byc faszysta, by dbac o Ziemie Ojczysta“ was so viel heißt wie „Man muss kein Faschist sein, um einen echten Patrioten darzustellen“. Das Banner prangte bis kurz vor Anpfiff vor der Tribüne… bis die UEFA auf die Idee kam, dieses Spruchband von der Polizei gewaltsam entfernen zu lassen. Die Polizisten tauchten wie ein Überfallkommando im Innenraum auf und rissen unter Einsatz von Knüppel und Pfefferspray Teile des Spruchbands vom Zaun! Die Fans von Wisla konnten aber Teile des Banners retten und die Polizei hinterließ ein Publikum, was nun nur noch am Kochen war. Mit dem Einlaufen der Mannschaften präsentierte man nun eine Choreo, die aus 4 Elementen bestand: Ein durchgestrichenes Symbol 2er Strichmännchen, die eine sexuelle Handlung darstellen, einen durchgestrichenen Che Guevara sowie ein durchgestrichenes Kommunismus- und Antifasymbol. Auf Seite der Gäste wurden zahlreiche Bengalen gezündet, die gerne mal den Weg in den benachbarten Block fanden und dort wieder den eigentlichen Besitzern zugeworfen wurden. Liege wurde an diesem Tag von Freunden aus Sankt Pauli unterstützt, die mit einer kleinen Zaunfahne im Gästeblock zu finden waren.

Die Stimmung von Wisla kann ich nur als ausgezeichnet beschreiben. Die Mitmachquote war konstant auf sehr sehr hohem Niveau und die Wechselgesänge mit den anderen Tribünen waren Gänsehaut pur. Liege konnte ich auch hier und da mal bei Pausen der Heimfans hören. Zum Problem wurden so langsam die ständigen Schneebälle auf Spieler und speziell auf den Torwart von Standard, die später sogar zu einer Spielunterbrechung führen sollten. Warum die Tribünen nicht vom Schnee befreit wurden ist mir immer noch ein Rätsel. Wisla hatte in der ersten Halbzeit große Probleme überhaupt ins Spiel zu finden. Liege nutzte in den ersten 45 Minuten immer wieder die Nachlässigkeiten im Spielaufbau der Hausherren aus und konnte diverse gute Konter setzen.

Außer einen sehenswerten Schuss an die Latte kam von Wisla nicht viel und so kam es wie es kommen musste: Ein Konter der Gäste konnte nur mit einen Foul gestoppt wurden und der fällige Elfmeter bedeutete das 1:0 für die Belgier. Der Platzverweis wog dazu noch doppelt, da Wisla nun im eigenen Stadion gegen eine konterstarke Mannschaft aus Belgien rund eine Stunde in Unterzahl dem Rückstand hinterherlaufen durften.

Hoffnung machte allerdings, dass sie kämpften und alles gaben. Die Fans honorierten den Einsatz ihrer Mannschaft und drehten richtig am Rad. Selbst der als „Pikniki“ (Eventtouris) bezeichnete E-Sektor (Gegentribüne) stand während dem kompletten Spiel und stieg immer wieder in die Gesänge, Klatsch- und Sprungeinlagen ein. Zum Feindbild Nummer 1 avancierte nun der Schiedsrichter, der doch teilweise sehr fragwürdige Entscheidungen gegen die Polen traf. Wisla konnte den Rückstand mit in die Kabine nehmen und kassierte kein Tor mehr nach einem der zahlreichen Gästekonter.

In der Halbzeitpause wurde die Zeit genutzt, um die Heimkurve komplett zu beflaggen. Zur 2. Halbzeit taute nun Wisla endgültig auf und das, obwohl es wieder schneite. Die ersten Torchancen konnten erspielt werden und so langsam fingen die Belgier auch an ihre klare Linie aus den ersten 45 Minuten zu verlieren. Im Laufe der 2. Halbzeit kam es dann auch zur oben erwähnten Spielunterbrechung aufgrund der Schneeballwürfe. Nach den üblichen Androhungen von Strafen wurde das Spiel fortgesetzt und Liege hatte nun kaum noch eine Chance. Wisla packte es mit 10 Mann ein sehenswertes Powerplay aufzuziehen, was kurz vor Schluss endlich die Erlösung herbeiführte. Eine Flanke von der linken Seite konnte von Genkov in der 88. Minute über die Linie befördert werden. Tolle Szenen, die sich nun abspielten. War das vielzitierte „Kurwa“ bis hierhin eher Verzweiflung, nutzte es nun meiner Nebenmann zum absoluten Ausrasten. Ich liebe Fußball für solche Momente.

Kurz nach dem Ausgleich ertönte der letzte Pfiff der Pfeife des Tages. Die Spieler gingen geschlossen zu ihren Fans und bedankten sich für die klasse Unterstützung. Mit diesen tollen Bildern verließen wir nun das Stadion und machten uns auf dem Weg Richtung Berlin. Ich für meinen Teil drücke Wisla für das Rückspiel und die aktuelle Saison die Daumen und wünsche den Biala Gwiazda alles Gute für die Zukunft.

geschrieben von kesterter

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