Eua Senf

Groundhopping in der Slowakei, Vol. 1

16.10.2012, 22:58 Uhr von:  Gastautor

Kurz zum slowakischen Fußball: Die erste Liga heißt Corgonj (Brauerei)-Liga und besteht aus 12 Teams, die zweite Liga ebenfalls. Die 3. Liga teilt sich dann in eine West-Gruppe und Ost-Gruppe auf. Die Spiele werden live im Pay-TV gezeigt. Rekordmeister und amtierender Meister ist Slovan Bratislava. Fußball ist nicht Nationalsport Nr. 1 in der Slowakei, sondern Eishockey. Die Liga und Teams sind ziemlich klamm. Kosice z.B. wurde Anfang des Jahrtausend ein paar Mal Meister als 1.FC Kosice, dann die Pleite und die Neugründung als MFK. Man plant seit langem ein neues Stadion, hat aber kein Geld und keine Investoren, um das zu realisieren. Der ortsansässige amerikanische Stahlproduzent hat lieber in eine neue hochmoderne Eishockey-Halle investiert.

Groundhopping in der Slowakei

Daher darf man sich nun dieses Schmuckstück von Stadion (Beschreibung s.u.) mit dem drittklassigen Lokalrivalen Lokomotiva Kosice teilen. Nur mal so: MFK Kosice hatte vor zwei Jahren knapp 20.000 Zuschauer – insgesamt in allen 22 Saisonspielen…

Freitag, 05.10.12: MFK Kosice – Spartak Trnava 1:0

Štadión Lokomotívy v Cermeli in Kosice, Kick-Off 16.30 Uhr, Zuschauer ca. 3.500

Stadion in Kosice

3 Tage in Kosice und endlich der erste Ground. Heimspiel, 30 Minuten Fußweg zum Stadion. Alles wie zu Hause, außer dass das Heimteam statt Schwarz hässliches Blau zum Gelb trägt. Ansonsten verbindet hier nichts mit dem Fußball daheim. Am bzw. im Stadion ist der Sozialismus einbetoniert. Vom allerfeinsten. Anfang der 50er Jahre erbaut, nie renoviert. So wirkt es zumindest. Von der Haupttribüne hat man einen wunderbaren Blick auf die Plattenbausiedlungen von Kosice, die sich am Horizont auftürmen. Das Stadion selbst liegt auch in einer eher im sozialistischen Stil erbauten Gegend. Ostblock pur. Auf dem Weg zum Stadion lässt sich nicht erahnen, dass man sich auf dem Weg zu einem Erstligaspiel befindet. Nichts. Keine Leute in Trikots, auch die vielen Kneipen auf dem Weg dorthin sind leer. Die ersten Anhänger bekomme ich an der Straßenbahnhaltestelle direkt vorm Stadion zu Gesicht. Hier ist alles wie gewohnt: raus aus der Bahn, rein in den Biergarten – naja Holzbarracke mit Bänken davor trifft es eher – Pils trinken. Ich kaufe mir an einer alten Bretterbude eine Karte. Die teuerste Karte auf der Haupttribüne kostet unverschämte 5,00 €, das Stadion-Faltblatt zum Spiel gibt’s gratis dazu. Ich betrete das Stadiongelände, weiß aber nicht wo mein Eingang liegt. Auf Englisch sprechendes Personal zu treffen ist Glückssache. Ein Ordner guckt auf meine Karte und schickt mich ums Eck. Da ist aber nur ein Hinterhof, mit Schubkarre, allerhand Baumaterialien und ja, ein Zugangstor zum Stadion, was aber zuletzt zur Zeit des kalten Krieges geöffnet gewesen sein dürfte. Beim zweiten Anlauf habe ich aber Glück und finde den richtigen Eingang. Zuerst gleich mal ein Pils holen. Halber Liter, frisch vom Fass, 1,00 €. Sauber. Kosice steht im oberen Tabellendrittel, Trnava ist Letzter. Die Mannschaft wird von 10 Fans begleitet. Man muss fairer Weise sagen, dass Trnava nun nicht hier um die Ecke liegt, sondern ca. 5 Autostunden entfernt. Und eine Anstoßzeit um 16.30 Uhr am Freitag ist da jetzt auch nicht gerade entgegenkommend. Der Support der Heimfans beschränkt sich auf ca. 100 Leute, die aber auch das ganze Spiel Alarm machen. Das Niveau des Spiels ist äußerst dürftig. Kaum vorstellbar, dass die Slowaken bei der letzten WM die Italiener geschlagen haben und nur knapp gegen Holland rausgeflogen sind. Eine Taktik ist auf beiden Seiten nicht erkennbar. Tempo und Zweikampfhärte sind eher Thekenklasse. Technik ist ebenfalls keine vorhanden. Es wird viel abgepfiffen und viel reklamiert. Die Spielzüge wirken eher zufällig. Irgendwann kurz vor Ende fällt dann doch noch der Siegtreffer für Kosice.

Das Publikum war sehr fair. Der Torwart von Trnava musste um die 20. Minute verletzt vom Platz getragen werden und bekam vom ganzen Stadion aufmunternden Applaus. Kennt man eigentlich bei uns nicht.

Fazit: Thomas Doll könnte sich in dieser Liga unsterblich machen als Trainer.

Samstag, 06.10.12: FK Dukla Bansky Bystrica – FK Senica 1:2

Stadion SNP in Banska Bystrica, Kick-Off 17.30 Uhr, Zuschauer ca. 1.600

Das Stadion in Banska Bystrica

Samstagmorgen 07.00 Uhr ab in den Bus und 3,75 Stunden nach BB gefahren. Die Stadt klang recht sehenswert im Reiseführer, dazu noch mit einem Erstligisten ausgestattet, der heute Heimspiel hat. Also warum nicht. BB liegt im Landesinneren und war früher das Zentrum für den Erzbergbau der Slowakei gewesen. Da das Spiel so spät angepfiffen wurde (bis ein paar Tage vorher sollte es um 14.30 Uhr beginnen), musste ich mir gleich noch ein Hotel nehmen, da ich am Samstag keine Möglichkeit mehr hatte, nach Kosice zurück zu kommen. Pension für 30,00 € gemietet, 200m von der sehenswerten Altstadt und gegenüber von der einzigen Heavy Metal-Kneipe des Ortes. Nach etwas Sightseeing und Pivo geht’s zum Stadion, wieder ca. 30 Minuten von meiner Bleibe entfernt, wieder keine Leute, die auf ein Fußballspiel schließen lassen.

Das Stadion liegt nett in einer Talmulde eingebettet, umringt von nicht ganz so vielen Hochhäusern. Aber auch hier gilt das gleiche wie für Kosice: irgendwann im kalten Krieg gebaut, nie renoviert und nun ist es einfach da. Schon geil, was da alles für Zeugs in den Stadien wuchert. Der Gästeblock wird von einem Polizeiwagen gesichert, was an diesem Tag der entspannteste Job für die Sicherheitskräfte sein dürfte, denn es sind keine Gästefans da. Wieder steuere ich eine alte Bretterbude an und kaufe ein Ticket. Das teuerste Ticket kostet 3,90 €. Die Kampagne „Kein Fünfer für nen Sitzer“ greift also schon gleich am zweiten Tage. Das Ticket wird per Hand erstellt, sprich auf den Vordruck wird der Gast aufgestempelt und Reihe und Sitz füllt die Dame per Hand aus. Das nenne ich mal Service! Das Stadion-Faltblatt, am C 64 erstellt und per Kopierer vervielfältigt, kostet 10 ct. Die Vereinskneipe – Backsteinbungalow mit vergitterten Fenstern und Holzterrasse lädt auf ein gemütliches Vorspiel ein. Auch hier: Pivo vom Faß. Halbliterklasse, 1,00 €. Die Wurst vom Holzkohlengrill 2,50 €. Klingt jetzt teuer, allerdings ist der Prengel so dick und groß, dass man davon ne Woche essen kann. Im Stadion kriegt man dann sogar Pils an den Platz gebracht. Das kostet aber 1,10 €. Ich gebe nur nen Euro, weil ich die Sprache nicht verstehe und es nicht weiß und die Leute einfach keine andere Sprache sprechen. Weil ich keine 10 ct klein habe, werfe ich nen weiteren Euro in den Ring und sage „stimmt so“. Ich gehe rein und will mir heute endlich einen Schal kaufen. Kann man aber vergessen. Merchandising gibt es nicht. Ich habe Rucksack mit Laptop und Kram dabei, was aber keinen interessiert. Obwohl vorm Stadion irgendwelche Hinweisschilder das Mitführen von Pyro, Messern und sonstigen Waffen verbieten, gibt es keine Sicherheitskontrollen. Auch der Ordner am Aufgang meiner Tribüne, interessiert sich nicht für mein Tickets.

Gästefans gibt es nicht, außer den paar Teammitgliedern, die sich da auf den andersfarbigen Sitzen im Zentrum der Haupttribüne tummeln. Der Heimsupport fällt auch aus. Ca. 30 Mann stehen auf den Stehplätzen in der Heimkurve ziemlich teilnahmslos rum. Irgendwann ab der 75. Minute kommt etwas Support von der Haupttribüne, meistens initiiert von etwas älteren Jahrgängen oder Kindern.

Nochmal das Stadion in Banska Bystrica

Das Spiel hat ein Hauch von Premiere League, aber auch nur weil der zweifach Torschütze der Gäste den Name Blackburn trägt. Das wars dann aber auch schon, was mit gepflegtem Fußball in Verbindung gebracht werden könnte. Auch hier ist das Prädikat eher Landesliga bzw. Güteklasse Massentierhaltung – so sieht es zumindest auf dem Platz aus. Tempo, Spielwitz und Ideen sind heute zu Hause geblieben. BB findet man im Mittelfeld, Senica ist immerhin Zweiter hinter Slovan Bratislava. BB geht in der ersten Hz in Führung. Dann kommt jedoch der dominikanische Nationalspieler Ronaldo Blackburn und knipst das Licht endgültig aus. Das Spiel ist aus und der Mob geht relativ gesittet und teilnahmslos nach Hause. Verloren, ja und?

Auffällig: in dem Ort scheint man eher sportlich gekleidet zum Spiel zu gehen. Zumindest trägt jeder Zweite Jogginghose und Joggingschuhe. Und - wieder Fair Play. Blackburn wird irgendwann beim Spielstand von 1-2 ausgewechselt, um Zeit zu schinden und trabt vom Platz. In vergleichbaren Situationen hier, würde das Stadion explodieren. Und dort? Dort holt sich der Stürmer des Gegners, wie selbstverständlich, den anerkennenden Applaus der Heimfans für seine Leistung ab. Verstehe einer dieses Volk…

Samstag, 07.10.12: 1.FC Tatran Presov B – FK Spisska Nova Ves

Stadion Tatran in Presov, Kick-Off 10.30 Uhr, Zuschauer ca. 150

Das Stadion in Presov

Sonntag ist der Tag des Amateurfußballs! Also, auf nach Presov, 3. Slowakische Liga, Gruppe Ost.

Meine Pläne hatte ich kurzerhand am Samstag geändert. Statt entspannt Nachmittags aus BB wieder abzuhauen, entschloss ich mich, nach Presov zu fahren. Presov liegt nur 30 min von Kosice entfernt und so konnte ich sicherstellen, dass ich abends unser Spiel live im TV gucken kann. Also 4.55 Uhr aufgestanden, 5.45 Uhr in den Bus gesetzt und nach 4 Stunden bei Nieselregen in Presov angekommen, durch die Stadt zum Stadion gehetzt. Auch hier, das übliche Erscheinungsbild: eingebettet in Plattenbausiedlung liegt diese Schönheit von Stadion. Einmal erbaut, nie renoviert und neben Fußball gibt es hier auch noch Testfeld für seltene Unkräuter. Egal, lieber so als irgendeine Halle voller Asis mit Dach.

Das Ticket gibt’s heute für nen Euro. Das Pivo ebenfalls. Da ich aber noch nicht gefrühstückt habe, bestell ich Kaffee. Der Kaffee kostet 50 ct und ich kann immerhin zwischen 2 Instantsorten wählen. Stadionzeitung oder ähnliches gibt es nicht, nach Merchandising suche ich erst gar nicht. Ok, insgeheim rechne ich mit nichts. Tatrans B-Mannschaft ist eine U23 und der Gegner hat auch nicht viel ältere Leute auf dem Platz. Das Spiel ist ganz ok. Es geht hin und her. Tatran ist stärker, versemmelt aber gleich nen Elfer, den der 120 kg schwere Torwart des Gegners aus der Ecke fischt. Ja, das Trikot von dem Typen spannte ganz gut. Es geht hin und her. Tatran geht in Führung, Spiss gleicht aus. Nach der Hz wieder das gleiche Bild: Tatran geht in Führung, Spiss gleicht aus. Als alles schon auf Unentschieden hindeutet, macht Tatran in der 90. Minute noch das Siegtor. Nach dem Spiel will ich noch etwas Sightseeing machen. Aber bis auf 500m echt schön sanierter Altstadt ist diese Stadt einfach nur scheiße hässliche. Dazu das nasskalte Kackwetter und langsam kommt bei mir auch die Müdigkeit hoch. Nichts wie nach Hause, was essen Pivo und guten Fußball im TV gucken…

Hier noch ein paar weitere Impressionen von meiner Groundhoppingtour:

Zunächst aus Kosice:

Stadion Kosice
Nochmal Kosice
Kosice zum letzten

Noch ein Bild aus Banska Bystrica von außen:

Das Stadion in Banska Bystrica

Zum Schluß noch etwas aus Presov:

Das Stadion in Presov von aussen
Das Stadion von Presov von Innen
Die Flutlichtmasten in Presov
Nächste Woche dann Teil 2 mit Fußball aus der Hauptstadt.


geschrieben von Holger

ACHTUNG: Beiträge von Gastautoren müssen nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln, wir sind jedoch der Auffassung, dass auch solche Stimmen hier ein Forum finden sollten.

In der Rubrik „Eua Senf“ veröffentlichen wir in unregelmäßigen Abständen Texte, die uns von unseren Lesern zugesandt wurden.

Dir brennt auch ein Thema unter den Nägeln und Du möchtest einen Text auf schwatzgelb.de veröffentlichen? Dann schick ihn an gastautor@schwatzgelb.de.

Unterstütze uns mit steady

Weitere Artikel