Eua Senf

Timing ist alles

23.05.2012, 09:09 Uhr von:  Gastautor

Alles war angerichtet für den perfekten Fussballabend. Ein paar Freunde hatten sich bereit gefunden, das Spiel mit mir zu schauen und keiner von ihnen - wir reden hier immerhin von modebewussten Studenten - würde sich an der neongelben Farbe meines 95er-Trikots stören. Für mich war der gesamte Abend durchgeplant. Nichts konnte mich stoppen. Alles sollte genau so laufen, wie ich – und zwar allein ich – es geplant hatte. Seit Wochen hatte ich bei keiner einschlägigen Internetseite mehr nachgeschaut, wann das Spiel der Spiele überhaupt anfing. Somit war ich am Samstagabend restlos davon überzeugt, dass das Finale um zwanzig Uhr dreißig losgehen würde.

Jeder kann sich wahrscheinlich meinen geschockten Blick vorstellen, als Katrin “innerer Reichsparteitag“ Hohenstein mir um zehn vor acht erklärte, dass es gleich losgehen würde und dass das Heeresmusikkorps für die Nationalhymne schon bereit stünde. Was zum Geier hatte ich verpasst? Eigentlich wollte ich mich um halb neun mit einigen Freunden treffen um das Finale zu sehen. Alle waren auf halb neun gepolt und keiner wollte das Spiel verpassen... Wie brillant wir alle waren!

So preschte ich um 09 vor 08 Uhr per Fahrrad zu einem Freund mit Flatscreen-TV und bat ihn nach stürmischem Klingeln darum, sofort sein TV-Gerät zu aktivieren. Trotz leichter Bekleidung konnte er meinem Wunsch sofort nachkommen. Erleichtert stellte ich fest, dass ich höchstens 30 Sekunden verpasst hatte, um dann sofort völlig enthemmt aus dem Sofa zu springen, da unser Neu-Engländer aus Japan eine Bude mit dem offiziellen „Gustavo-Prädikat“ gemacht hatte. Danke, Shinji!

Nach und nach trudelten jetzt weitere Sympathisanten ein. Auch sie waren von 20.30 Uhr als Anstoss-Zeitpunkt ausgegangen. Das hat man also davon, wenn man Michel Platini alles überlässt. Danke für Nichts! Kaum hatte sich die Verwunderung über Shinjis frühen Führungstreffer gelegt, pfiff der Peter auch schon den Elfmeter für die Bauern. Arijen „Der Terminator“ Robben traf das Tor. Hauptsächlich weil Roman zuvor seine Rippen für wissenschaftliche Experimente (Code-Name: „Super Mario“) an die Charité in Berlin verkauft hatte.

Sportsgeist schien aber nicht nur auf unser schönes Dortmund beschränkt zu sein, denn der gute Jerome aus Boateng wollte unbedingt in der Elfmeter-Lotterie mitmischen. Der Einfachheit halber holzte er Kuba im Strafraum um und ließ Mats dann per Elfmeter zum zweizueins vollenden. Der Blaue im Tor der Bauern hatte zwar noch einen Griffel an der Kugel, aber die Gene setzten sich durch. 2:1 für uns! Ekstase im Wohnzimmer meines Kumpels!

Was konnte jetzt noch schief gehen? Meiner Meinung nach eine ganze Menge! Immerhin hatten wir es hier mit dem Rekordmeister und -pokalsieger zu tun. Und dann das: Fehler von irgendeinem Bayernhansel, Pass des Jahrtausends von Shinji, Lewa tunnelt den Blauen im Schafspelz und es steht zur Halbzeit Drei (!) zu eins für uns. Peter pfeift ab, Marietta Slomka bestellt... ähem erzählt was vom Griechen und weiter geht die wilde Fahrt durchs Berliner Olympiastadion. Selten war mir das heute-journal so egal...

Zweite Halbzeit

Der zweite Abschnitt war sich wie in Trance. Denn dass Kevin mal jemanden tunneln würde, musste ja so kommen. Aber dass er die Eier hatte, das kurz vor dem Strafraum der „Auserwählten“ zu tun, war dann schon eine neue Dimension. Wie auch immer, Robert versuchte nach Kevins Pass mit seinem Schuss das Netz zu sprengen und sorgte so für unsere Vierzueins-Führung. An diesem Punkt wurde Bewunderung dann von völliger Fassungslosigkeit abgelöst. Wir alle wussten, dass diese Jungs zu außergewöhnlichen Dingen fähig sind, aber dieser Abend in Berlin überstieg wahrscheinlich nicht nur meine Vorstellungskraft. Vier zu eins gegen die Bayern! Und das nach weniger als einer Stunde!


Der Rest ist schnell erzählt. Franck „Rib-Eye“ Ribery durfte noch ein Tor schießen. Danach musste er hilflos mit ansehen, wie Polonia Dortmund gnadenlos zuschlug. No-Look-Flanke Lukasz und Robert köpft zur Entscheidung ein. Der Rest ist Jubel in schwarz-gelb. Während der zweiten Halbzeit bin ich mir vor dem TV sogar sicher, dass den Bauern von uns versichert wird, dass sie niemals Deutscher Meister werden. Unfassbar! Aber gleichzeitig tut es so gut...

Dann endlich der Abpfiff. Pokalübergabe inklusive Pogen mit unserem Bundespräsidenten. So weit, so förmlich. Die mediale dritte Halbzeit kann dann zumindest zum Teil überzeugen. Ich darf mich im Sportstudio noch darüber freuen, dass Nobby offenbar einige Pressemikros kaputt gebrüllt hat. Den Namen „Lewandowski“ haben die Dinger jedenfalls bisher noch nicht so laut gehört.

Danach wird das Trikot gut sichtbar für alle Anderen über den Pulli gezogen. Kaum bin ich in diesem stolzen Outfit in der Kneipe meines Vertrauens angekommen, hagelt es von allen Seiten Gratulationen. „Geiles Spiel!“; „Wie gut ist denn bitte Lewandowski?“ oder einfach nur schlicht: „Danke!“ Dabei kommt mir ein Zitat von Leonardo de Deus Santos in den Sinn: „Jeder Neue fragt mich: »Dedé, warum bist du schon so lange bei Borussia Dortmund?« Ich sage ihnen nichts als die Wahrheit, ich erzähle ihnen etwa von den Fans, von dieser imposanten Südtribüne, diesem Stadion, das nahezu bei jedem Spiel ausverkauft ist.“

Echte Liebe wird irgendwann erwidert. Und unsere Jungs in schwarz-gelb haben sich entschieden, diese Erwiderung in Titeln zu leisten. Dieser Abend in unserer Hauptstadt ist nicht nur historisch. Er ist gigantisch! Und dabei ist es völlig egal, ob man in Berlin im Stadion steht, sich in der Westfalenhalle die Seele aus dem Leib brüllt oder in irgendeinem Wohnzimmer in Deutschland sitzt und sich die Fingernägel kaputtknabbert.

Wir sind alle Dortmunder Jungs!

geschrieben von Julius S.

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