Warmlaufen

Besinnliches zur Derbyzeit

25.11.2011, 14:00 Uhr von:  Redaktion

Angesichts des vor der Tür stehenden ersten Advents und quasi als Gegenpol zu all den unsäglichen Hassgesängen in deutschen Stadien begebe ich mich für diesen Derbyvorbericht auf eine Reportage, die auch die friedlichen, freundschaftlichen und humorvollen Seiten des Derbys zeigen soll. Quer durch das Ruhrgebiet führt mein Weg, der uns auf seinen Stationen auch Möglichkeiten zur friedlichen Koexistenz von Schwarzgelb und Blauweiss aufzeigen soll.

Ab ins Auto und über die A45 und A42 mache ich mich auf nach Castrop-Rauxel. Hier wohnen Peter D. und Heinz K. in einer typischen Neubausiedlung. Beide sind Freunde seit Schulzeiten und voneinander nur durch einen Gartenzaun getrennt. Peter ist seit ewigen Zeiten eingefleischter Borusse und Dauerkarteninhaber, sein Nachbar ist Anhänger des ewigen Rivalen. Trotzdem beweisen beiden Tag für Tag aufs Neue, dass fußballerische Rivalitäten den Alltag nicht beeinflussen müssen. Voller Vorfreude auf das interessante Interview klingel ich an der Tür.

Peter D.: "Ja, watt denn?"
Ich: „Schwatzgelb.de. Wir waren zum Interview verabredet."
Peter D.: „Ach, du bist das. Immer man rein in die gute Stube."

Aus dem Nachbarhaus hört man ein lauthals geschmettertes „Blau und weiss, wie lieb ich dich".

Peter D. schreit in Richtung des Nachbargrundstücks: „Hömma du Seuchenvogel, gib endlich Ruhe, sonst kreist der Abbruchhammer."
Peter D.: „Immer das gleiche mit dem Dreckssack. Kein Tag, wo der mal die Klappe hält. Ehrlich, ich bin kurz davor mir eine neue Wohnung zu suchen. Dortmund, hach... das wäre schon schön."
Ich: „Ich dachte Sie und Heinz wären beste Freunde."
Peter D.: „Mit nem Blauen? Ach quatsch, den konnte ich noch nie ab. Am Anfang ging das ja noch alles ganz gesittet ab, aber spätestens seit der Sache mit meinem Fiesta ist hier Hallas an Bord."
Ich: „Was war denn mit dem Fiesta?"
Peter D.: "Na, da hat der mir doch glatt ein S04 auffe Motorhaube geritzt. Vollflächig. Bis runter aufs Blech. Hat natürlich behauptet, dass er von nichts wüsste, aber das kann die Flitzpiepe jemandem erzählen, der sich die Hose mit der Kneifzange zumacht. Zur Revanche gabs dann beim letzten Nachbarschaftsfest Fisch vom Grill. Direkt aus seinem Koi-Tümpel."
Ich: „Und ich dachte, das wäre hier so eine Sache mit kleinen Scherzchen und blauweissen und schwarzgelben Gartenzwergen im Vorgarten."
Peter D. (guckt mich verständislos an): "Sach mal Junge, nimmst du Drogen? Der soll mal son Kasper im Elendsgewand hier vor meiner Nase aufstellen. Da wird aus dem Gartenzwerg ganz schnell ein Grubenzwerg, weil ich ihm den hochkant in den Aller..."

An dieser Stelle verabschiede ich mich schnell und steige wieder in mein Auto. Fehlanzeige. Weiter geht es nach Gelsenkirchen-Buer. Mitten in der Gelsenkirchener Hochburg betreibt Elke Wagner seit 1970 die Backstube „Elkes Knusperhütte" - dabei ist sie gebürtig aus Dortmund und glühender Borussenfan. Im Mai gab es zur Feier der Meisterschaft Gratisberliner mit schwarzgelbem Zuckerguss für die Kundschaft. „Klingt echt vielversprechend", denke ich mir, während ich um die letzte Kurve biege und schon von weitem eine BVB-Fahne an einer Häuserwand entdecke.

Um so größer mein Erstaunen, als ich vor dem Bäckerladen stehe. Die Fenster sind mit Brettern vernagelt. Sollte es den Laden etwa gar nicht mehr geben?

Schrille Stimme: „Parole!"
Ich (erschrocken): „Wie bitte?"
Schrille Stimme: „Taub, oder was? Die Parole."
Da entdecke ich im Schlitz für den Briefeinwurf die Mündung eines Karabiners, der wohl noch aus Großvaters Zeiten stammen muss. Und aus eben diesem Schlitz kommt auch die rätselhafte Stimme.

Ich: „Ähm... Wer ist deutscher Meister?"
Stimme: „Naja, nicht ganz. Aber reicht aus."

Ich höre, wie die Tür aufgeschlossen wird und werde von einer grimmig drein schauenenden Dame von irgendwas um die 60 begrüßt.

Stimme: "Brötchen oder Kuchen?"
Ich: „Ich hab hier einen Termin mit Frau Wagner."
Stimme: „Da stehste genau vor. Und jetzt mal zack rein hier, bevor es ungemütlich wird."
Ich: „Wieso denn ungemütlich? Was ist denn mit den Gratisberlinern und gute Nachbarschaft und so?"
Elke (lacht meckernd): „Ha, das war ne tolle Nummer mit den Berlinern. Rizinusöl. Die Brüder sind drei Tage nicht vom Klo runter gekommen. Man, war das eine herrliche Ruhe. Da hatte Gelsenkirchen auch mal eine schöne Seite."

Im Hintergrund hört man einen rasch näher kommenden Lärm.

Elke: „Los Jungchen, ab hinter den Tresen in Deckung. Die nächste Welle kommt."

Die nächsten paar Minuten vebringe ich zusammengekauert und dem Kopf am Boden hinter der Kuchenauslage. Als sich der Rauch und der Lärm verzogen haben, wage ich mich aus der Deckung hervor. Elke steht zwar mit wirrer Frisur, aber grimmiger und zufriedener Mine vor mir.

Elke: "Schon mein Papa hat die Bäckerei verteidigt und mich und meine Fahne kriegen die hier auch nicht weg. Wenn Derby ist, drehen die hier immer ganz besonders am Rad. Das wird bis Samstag noch schlimmer. Solln se mal kommen."

Ich nutze die kurze Gefechtspause um Elke viel Glück zu wünschen und sehe zu, dass ich Land gewinne. Auch eher nicht das, was ich erwartet habe. Aber einen Versuch will ich noch wagen. Auf dem Wattenscheider Standesamt treffe ich mich mit Herrn Weltermann. Standesbeamter aus Leidenschaft, mitten zwischen Gelsenkirchen und Dortmund beheimatet. Allein in den letzten 10 Jahren hat er 4 Ehen zwischen Borussen und Gelsenkirchenern geschlossen, wie er mir am Telefon berichtete. Er erwartet mich in Zimmer 14b.

Herr Weltermann: „Guten Tag. Nehmen Sie Platz. Ich habe mich mal eine Stunde für sie frei gemacht. Möchten Sie vielleicht einen Kaffee?"
Ich: „Uff, sehr gerne. Ist echt mal eine Wohltat ohne Geschrei und Pulverdampf empfangen zu werden."

Den verständislosen Blick kann ich ihm nicht verübeln.

Herr Weltermann: „Sie möchten also ein paar Geschichten über Ehepaare unterschiedlicher Glaubensrichtungen hören?" lacht er freundlich.
Ich: „Genau deswegen bin ich hier. Es muss ja auch mal irgendwo positive Derbygeschichten geben."
Herr Weltermann: „Die erste Eheschließung zwischen einem BVB- und einem S04-Fan hatte ich 1997. Da waren eh alle auf dem Ruhrpott-Trip. Sie hieß Miriam und er Stefan. Und mit Hochzeit und den Europapokalerfolgen zusammen gleich nochmal so glücklich. Leider nahm das ein tragisches Ende. Nur wenige Wochen nach der Hochzeit hatte er einen Autounfall. Die Bremsschläuche."
Ich: „Oh, nicht gerade eine schöne Geschichte."
Herr Weltermann: „Aber Miriam hat nicht aufgegeben und mit Ralf den nächsten aus der eigentlich verbotenen Stadt geheiratet. Bis die Sache mit der Fischgräte geschah.
Ich: „Das ist ja schrecklich."
Herr Weltermann: „Im ersten Moment ja. Um so erfreuter war ich, als Miriam das dritte Mal hier stand und wieder lachen konnte. Und wie der Zufall es wollte, wieder einen vom Rivalen."
Ich: „Und dieses Mal hats geklappt."
Herr Weltermann: „Naja..."
Ich: „Was heißt naja?"
Herr Weltermann: „Er wollte sich unbedingt gleichzeitig duschen und föhnen."
Ich: „Moment. Drei Mal verheiratet. Der erste Mann hat die Bremsschläuche durch, der zweite eine Fischgräte im Hals und der dritte einen elektrischen Schlag unter der Dusche. Da geht doch was nicht mit rechten Dingen zu."
Herr Weltermann: „Ich bitte Sie. Für meine Schwester lege ich meine Hand ins Feuer..."

Und während er fies in Richtung des versteckt in der Zimmerecke aufgehängten „Deutscher Meister 2010/2011"-Wimpels grinst, verlasse ich das Rathaus und gebe mich endgültig geschlagen.
Wieder im Auto muss ich mir eingestehen, dass meine Reportage ein totaler Reinfall war. Und während ich gemütlich über die A40 ins heimische, wunderschöne Dortmund fahre, denke ich mir: „Son Derby, das hat echt was."

Die Aufstellungen

Borussia Dortmund: Roman Weidenfeller – Lukas Piszczek, Felipe Santana, Mats Hummels, Marcel Schmelzer – Moritz Leitner, Sebastian Kehl – Mario Götze (oder eben Ivan Preisic), Shinji Kagawa, Kevin Großkreutz – Robert Lewandowski
Ersatzbank: Mitch Langerak, Marc Hornschuh, Chris Löwe, Patrick Owomoyela, Kuba, Ilkay Gündogan, Lucas Barrios, Ivan Perisic

GE: UnnerstallUchidaPapadopoulosMatinFuchsJonesHoltbyBaumjohannRaulDraxlerHuntelaar

Schiedsrichter: Florian Meyer
Assistenten: Frank, Bornhorst
Vierter Offizieller: Fritz

(Frank und Fritz sind wirklich die Nachnamen)

Zuschauer: natürlich ausverkauft

Sascha, 24.11.2011

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