Unsa Senf

50+1 ? oder der Anfang vom Ende

31.08.2011, 12:26 Uhr von:  Redaktion

Nein, Hannover-96-Präsident Martin Kind ist letztlich doch nicht am Ziel seiner Träume, der Abschaffung der 50+1-Regel, angekommen. Sein über mehrere Monate hinweg geführter Kreuzzug gegen die Regel, sogar unter Androhung der Anrufung eines EU-Gerichts, endete heute überraschend und vergleichsweise leise. Der DFB und Kind einigten sich vor dem ständigen Schiedsgericht des DFB auf einen von Kind eingebrachten Kompromissvorschlag. Ein Kompromiss, der die Bundesliga nicht unmittelbar, dafür aber langfristig verändern wird.

Im Wortlaut besagt die 50+1-Regel, dass eine Lizenz nur erteilt wird, wenn „mindestens 50 Prozent zuzüglich mindestens eines weiteren Stimmanteils in der Versammlung der Anteilseigner" beim Mutterkonzern liegen. Oder anders ausgedrückt: Ein Proficlub, der sich von Investoren, Mäzenen oder sonstigen Kapitalgebern mehrheitlich übernehmen lässt, erhält keine Lizenz für den Profifußball. Das hätte für Bayer Leverkusen das Aus im Profifußball bedeutet, denn seit 1999 ist die Fußballabteilung eine 100%-ige Tochter des Bayer-Konzerns. Um dem langjährigen Bundesligamitglied eine weitere Teilnahme am Spielbetrieb zu ermöglichen, wurde 50+1 um eine Ausnahme, auch als „Lex Leverkusen" bekannt, erweitert. Ein Verein muss bei einer Übernahme nicht eben jene 50+1 Stimme haben, wenn der Kapitalgeber vor dem Stichtag 01.01.1999 den Verein bereits über einen Zeitraum von 20 Jahren hinweg erheblich und vor allem ununterbrochen gefördert hat. Von dieser Ausnahme haben im weiteren Verlauf auch der VfL Wolfsburg und die Volkswagen AG Gebrauch gemacht.

Nüchtern betrachtet hat diese Ausnahme heute im Jahr 2011 keinen Einfluss mehr auf das Bundesligageschehen. Ein Verein, der sich von einem Kapitalgeber übernehmen lassen möchte, müsste einen Gönner hervorzaubern, der über 33 Jahre hinweg ohne Pause Geld in den Verein gepumpt hat. Bei Dorfvereinen in der Kreisliga mag man vielleicht noch einen derart engagierten Bäcker- oder Fleischermeister finden, der treu seinen Club finanziert, im millionenverschlingenden Profifußball wird jedoch kein Verein mehr die Voraussetzung für die „Lex Leverkusen" erfüllen. Dennoch erweist sich die Ausnahmeregelung im Nachhinein als verhängnisvoller Kardinalfehler. Weil sie ist, was sie ist: eine Ausnahme. Eine Ungleichbehandlung. Und damit bietet sie eben 50+1-Gegnern wir Herrn Kind wertvolle Munition, weil sie Leverkusen und Wolfsburg die Erschließung von Geldquellen ermöglicht hat, die für größere Vereine wie eben Hannover 96 verschlossen sind. Nicht wenige haben befürchtet, dass bei einem angedrohten Gang vor die EU das Gericht die 50+1-Regel wegen mangelnder Wettbewerbsgleicheit komplett kippt.

Auch wenn Dr. Reinhard Rauball in seiner Funktion als Ligapräsident zum Urteil des Schiedsgerichts anmerkte, dass das ständige Schiedsgericht entschieden habe, „dass die bewährte Regel sowohl mit dem deutschen Recht als auch mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht vereinbar ist," scheint man in Wahrheit sich der Sache nicht so ganz sicher zu sein. Warum hätte man sonst nicht einfach die bewährte Regel beibehalten? Stattdessen wurde der Stichtag 01.01.1999 gestrichen, zukünftig ist es allen Vereinen erlaubt, mehrheitlich von einem Geldgeber übernommen zu werden, sofern er sich seit 20 Jahren ununterbrochen finanziell engagiert. Einerseits hat man so das Argument mangelnder Chancengleichheit entkräftet, da der Stichtag de facto eine unüberwindbare Hürde darstellte, andererseits hat man schlicht und ergreifend 50+1 weiter ausgehöhlt und die langfristige Sicherheit der Vereine vor einer Übernahme durch Dritte aufs Spiel gesetzt. Mag man es offiziell als Rettung von 50+1 feiern, es ist dennoch nichts anderes als eine Begrenzung von Folgeschäden durch die „Lex Leverkusen". Dieser Geburtsfehler war nicht mehr rückgängig zu machen, es ging nur noch darum, die Auswirkungen möglichst klein zu halten.

Und das bleiben sie zunächst tatsächlich. Der vorgegebene Zeitraum von 20 Jahren ist erst einmal mit Sicherheit nichts, was russische Oligarchen und arabische Ölscheichs scharenweise in die Liga treibt. Wer ein Spielzeug will, der will es jetzt und nicht erst in noch ferner Zukunft. Aber das weiß auch Herr Kind und wenn er sich auf diese Regelung einlässt, dann wird er bereits Schlupflöcher entdeckt haben. Mit seinem Kampfkurs gegen 50+1 wird er sich innerhalb der DFL, des DFB und ganz bestimmt bei den Fans nicht viele Freunde gemacht haben. Warum also diesen Weg gehen, wenn er die Früchte seines Kampfes gar nicht ernten kann? Wie wird es zum Beispiel bewertet, wenn ein aktueller Geldgeber im Laufe der Zeit einen anderen geschluckt hat, der vor ihm den Verein unterstützt hat? Werden die Zeiten strikt voneinander getrennt, oder addieren sie sich? Und was hält den sprichwörtlichen milliardenschweren Ölscheich wirklich davon ab, ein Unternehmen, dass den Verein langjährig im kleineren bis mittleren Rahmen unterstützt hat, aufzukaufen und sich so das Recht zur Übernahme zu sichern? In anderen Ligen müsste er auch Stimmanteile oder Aktienpakete im Umfang mehrerer Millionen aufkaufen.

Was der heutige Tag für den deutschen Fußball wirklich bedeutet, wird man erst in ein paar Jahren sehen. Und das vielleicht schneller, als einem lieb ist. Die Suche nach den genannten Schlupflöchern wird schon bald beginnen. Wer wirklich in die finanziellen Regionen der großen Vereine, die aus eigener Kraft Umsätze von über 100 Millionen Euro und darüber generieren können, hinaus vorstoßen möchte, muss schnell sein. Einen wirklichen Wettbewerbsvorteil werden nur die Vereine haben, die 50+1 am schnellsten ausschalten können. Und es wird genug Klubs geben, die ihnen hinterherhecheln werden.

Geradezu zynisch klingt dabei Kinds Reaktion auf das Urteil mit den Worten: „Hannover 96 hat jetzt langfristig, auf Jahrzehnte, die Chance zu einer perspektivischen Entwicklung und verantwortungsvollen Nutzung seiner Potenziale". Dabei haben gerade eben seine Hannoveraner Spieler den Beweis angetreten, dass es zur Entwicklung und Nutzung gar keines „big spenders" bedarf. Ein zielgerichtet zusammengestelltes Team hat mit professioneller Arbeit einen Europa-League-Platz erreicht und ist dort über ein international geachtetes Team wie den FC Sevilla in die Gruppenphase eingezogen. Freude und Euphorie in der Mannschaft, im Verein und auf den Tribünen. Ist nicht gerade das eine Entwicklung, auf die man stolz sein kann und aus der Vereine Strahlkraft beziehen? Während seine Mannschaft den gesunden Weg vorlebt, tritt Herr Kind diese Arbeit mit Füßen und predigt den Weg des schnellen Geldes.

Wer den langfristigen Fall von 50+1 als Chance und Segen begreift, darf nicht die Augen vor den hässlichen Seiten verschließen. Salzburg, Wimbledon, Manchester, Chelsea. Nur wenige Beispiele, bei dem viele Fans auf der Jagd nach Geld und Erfolg vieles verloren haben. Das Gras ist eben nicht immer grüner auf der anderen Seite. Die Bundesliga ist im Kern in einem Maßen gesund, wie andere europäische Topligen es sich nur erträumen können. Sie lebt auch nicht zuletzt dadurch, dass die meisten Vereine noch ihren „Volkscharakter" behalten haben. Sie lebt von einer engen Beziehung zwischen den Vereinen und ihren Fans, die sich auf Mitgliederversammlungen aktiv am Vereinsleben beteiligen können. Vielfach vielleicht heutzutage mehr Schein als Sein, aber auch dieser Schein ist von unschätzbarem Wert. Wer das in direkten Geldzuwendungen aufwiegt und sich an fremde Unternehmen verkauft, kann damit ganz schnell Schiffbruch erleiden.

Wer wie Herr Kind denkt, dem sein folgende Zahlen ans Herz gelegt: 28.633, 28.887 und 43.903. Das ist der Zuschauerschnitt der Saison 2010/2011 von Leverkusen, Wolfsburg - und Hannover.

Nicht jeder Schritt in die Zukunft ist auch einer nach vorne.

Sascha, 30.08.2011

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