Unsa Senf

Identifikation klar. Aber womit eigentlich?

09.02.2011, 23:43 Uhr von:  Redaktion

Kevin Großkreutz steht für IdentifikationKaum ein Thema wurde in Fußballdeutschland zuletzt so heftig diskutiert wie das der Identifikation. Der Tenor blieb – abgesehen von Facetten und Schattierungen – immer der gleiche: Spieler hätten sich gefälligst mit ihren Fans zu identifizieren, Trainer sowieso, und wenn sich Fans nicht mehr mit Spielern und Trainern identifizieren könnten, sei alles verloren. Ein unemotionaler Kommentar.

Im Grunde genommen ist es ein Beruf, den jeder kleine Junge irgendwann einmal ergreifen möchte. Morgens eine Stunde laufen, anschließend ein bisschen massieren lassen, nachmittags eine Stunde locker kicken, anschließend ein bisschen massieren lassen, dann und wann ein paar Interviews geben und vor Millionen (Fernseh-)Zuschauern Fußball spielen – alles zusammen für einen Wochenlohn von 20.000 Euro aufwärts, Ruhm und Ehre inklusive. Kein Tag vergeht ohne sich in seiner jugendlichen Naivität auszumalen, was für ein Traum von einem Superstar man doch sein könnte und wie leicht es einem fiele, sich tief in die Herzen aller Fans zu spielen. Natürlich wäre man ein Musterprofi, der von der Jugend bis zur Verrentung immer nur bei seinem Lieblingsverein oder Real Madrid unter Vertrag stehen würde – skandalfrei, mehrfacher Weltmeister und Traum aller Schwiegermütter, versteht sich.

Lars Ricken spielte sein Leben lang für SchwarzgelbSehen wir uns um in Fußballeuropa, müssen wir heute lange suchen, um einen solchen Spieler zu finden. Lars Ricken und Alessandro Del Piero wären möglicherweise zwei gewesen, hätten ihre Karrieren nicht zahlreiche Tiefschläge erlebt und viele der gesetzten Ziele wieder vergessen werden müssen. Am ehesten hätte sich wohl noch Raúl zum Kreis der Glücklichen zählen dürfen, wäre er von seinem geliebten Real nicht für ein Butterbrot verschachert und wie ein Hund vom Hof gejagt worden. Irgendwann platzt leider auch die letzte Seifenblase.

Eine ganze Spieler- und auch Trainergeneration hat es sich zur Aufgabe gemacht, dieses Dilemma zu überspielen. Verkauft an einen Verein, der einem kaum egaler sein könnte als das Wetter der letzten Woche, muss bereits vom ersten Tag an symbolträchtig versichert werden, wie stolz man doch darauf sei, endlich dieses wundervolle Trikot tragen zu dürfen. Farblich toll abgestimmt, ein schickes Vereinswappen darauf, Bussi Bussi und Schmatz. Nicht vergessen werden dürfen die Fans, die man noch nicht einmal zu Gesicht bekommen hat, die aber sicherlich ganz toll und immer laut und überall dabei sind. Da steht übrigens die nächste Kamera, noch einen Gruß an deine neuen Fans?

Fans und Medien haben das Spiel längst durchschaut, zumindest manche von ihnen. Sie sehen den neuen Argentinier aus der zweiten turkmenischen Liga vor sich, der niemals woanders spielen wollte als bei Greuther Fürth (Bussi Bussi, Schmatz!). Und nehmen es einfach hin. Man lässt sich glatt ins Gesicht lügen und schämt sich nicht einmal dafür, eine Schlagzeile der Preisklasse „Das Playmobilstadion war mein Kindheitstraum“ über den Äther zu jagen. Den ersten Strich auf der Sünderliste hat man indes eingetragen: ein falscher Fuffziger ist er also, ein Schleimer und Blender. Wie aber würde man sich verhalten, wenn der Spieler gleich mit der Wahrheit ums Eck käme: „Greuther Fürth zieht mir hinten vorbei, beim ersten Angebot bin ich weg“?

Barrios küsst sein TrikotVereine, Spieler, Trainer, Fans und Medien: Wir alle haben uns mit dem Leben in einer großen Wohlfühllüge abgefunden. Echte Identifikation kann zum Karrierekiller werden und kann es im Profisport so gut wie gar nicht mehr geben, weshalb neben drei bis fünf nationalen Lieblingsvereinen (und dem eigenen, den man schon immer ganz sympathisch fand und nun richtig gerne hat) 15 bis 20 internationale Traumclubs (und der mit dem vorliegenden Angebot, das eine sportliche Weiterentwicklung verspricht und schon immer der Kindheitstraum war) längst zum Comment der Zunft gehören. Sauber überleben kann diesen Zirkus nur, wer professionell arbeitet und sich keine Blöße gibt.

Wie unterschiedlich man eben jene Professionalität auslegen kann, zeigen in diesen Tagen Jürgen Klopp und Felix Magath. In unmittelbarer Nachbarschaft wurden sie als Hoffnungsträger zu Traditionsclubs geholt, deren finanzielle Spielräume gering und deren Erwartungen traditionell hoch waren. Während Magath mittlerweile in jedem Interview betonen muss, dass er ein gefühlsneutraler Vollblutprofi sei und strikt nach Vorgaben seiner allseits bekannten Professionalität agiere, lässt Klopp Taten sprechen und dreht sich – wahlweise beschämt oder genervt – weg, wenn er auf eine Selbstverständlichkeit wie professionelles Verhalten angesprochen wird.

Immer öfter stellte sich zuletzt in diesem Kontrast die Frage nach der Identifikation des „Felix M.“ und „Übungsleiter K“: Sollten wir mit „Onkel Jürgen“ tatsächlich den Glücksgriff eines Fantrainers getan haben, der noch nie von etwas anderem träumte und für Borussia alles stehen und liegen gelassen hätte? Oder haben wir es bei Klopp mit dem Musterfall eines medienaffinen Blenders zu tun, der für Geld alles erzählen und beim ersten spanischen Angebot davon ziehen würde? Beide Fragen lassen sich wohl mit nein beantworten. Denn Klopp vollbrachte das Kunststück einer klugen Zwischenlösung, wie es in jüngster Vergangenheit nur wenige vermochten.

Jürgen Klopp spielte von Beginn an mit offenen Karten.Jürgen Klopp spielte von Beginn an mit offenen Karten. Indem er den FSV Mainz nicht auf Zuruf im Stich ließ, demonstrierte er Verantwortungsbewusstsein. Obwohl mit Borussia Dortmund und Bayern München mindestens zwei der attraktivsten Vereine der Bundesliga vor der Tür standen, gab er seinem Club die Zusage, im Fall eines Aufstiegs nicht gehen zu werden. Eine Geste der Fairness und des Pflichtgefühls, das seine Glaubwürdigkeit über die Vereinsgrenzen hinweg wachsen ließ. Niemand erwartete fortan eine innigliche Sympathiebekundung zum BVB, die nur oberflächliche Ersteinschätzung seines neuen Vereins wirkte im Zweifelsfall ehrlich.

Der vielleicht klügste Schachzug folgte nur kurze Zeit später. Weil er keine Ahnung hatte, welche Ziele er überhaupt erreichen sollte, fragte Klopp diejenigen, die es ihm am besten erklären konnten: In gemütlicher Runde stellte er sich einer bunt gewürfelten Gruppe von Fanvertretern vor, hörte sich neben Wünschen und Hoffnungen auch die großen Ängste und Sorgen an. Am Ende stand das Versprechen, dass Leidenschaft gezeigt, Derbys gewonnen und Schulterschlüsse zwischen Verein und Fans gesucht werden sollten. Statt Zuneigung vorzuspielen gab er Offenheit gegenüber Fans und die Bereitschaft zu erkennen, die Umgebung auf sich wirken zu lassen – ein guter Eindruck zum Nulltarif.

Seither entwickelte sich der BVB zu einem Arbeitgeber mit traumhafter Atmosphäre, der Klopps Arbeit wertschätzt und ihm jedes Vertrauen dieser Welt entgegenbringt. Er konnte eine Mannschaft nach seinen Vorstellungen formen, den Verein neu ausrichten und – im Gegensatz zum FC Bayern, Leverkusen, HSV oder anderen Top-Clubs – seinen Stempel aufdrücken. Alle zwei Wochen gibt es ein volles Westfalenstadion, zwischendrin wird die Mannschaft von zigtausend Fans quer durch Deutschland bis hin in den Nahen Osten begleitet. Vertrauen, das gegenseitig immer wieder aufs Neue zurückgegeben wird und sich nebenbei stabilisierend auf das Gesamtkonstrukt auswirkt.

So sind es eben nicht die zweifelsohne netten Details eines (geschenkten) Handys, einer Basecap oder eines Windbreakers mit Vereinsemblem, an deren Existenz sich Identifikation bzw. an deren Nichtexistenz sich Professionalität festmachen ließe. Es sind die Kommunikation auf Augenhöhe, das offene Ohr und die ausgestreckte Hand, die das Gefühl geben, ernst genommen zu werden. Da können andere noch zehnmal auf ihre Professionalität verweisen, Jürgen Klopp und seine Mannschaft machen sie vor.

Knüppler17, 09.02.2011

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