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Kontroverse Diskussion über Ultras im Borusseum

05.04.2011, 22:20 Uhr von:  Redaktion

Autor Jonas Gabler (rechts: Götz Vollmann)Nicht nur für viele Medienschaffende stellt die deutsche Ultrabewegung ein scheinbar schwer greifbares Mysterium dar. Im Zeitalter der schnellen Nachrichten wird oftmals ein mit Vorurteilen behaftetes Bild von Ultras - und nicht selten auch von Fußballfans allgemein - vermittelt. Umfangreiche Einblicke in das alltägliche Gemeinschaftsleben einer Ultragruppierung sind für Außenstehende aufgrund der demonstrierten Geschlossenheit zudem nur sehr schwer zu bekommen.

Das mag ein Grund gewesen sein, warum ungefähr 150 - vorwiegend jüngere - Borussen am Freitagabend ein kostenloses Angebot von "The Unity" und dem Borusseum wahrnahmen. Denen war es gelungen, Autor Jonas Gabler mit seinem Werk „Die Ultras – Fußballfans und Fußballkulturen in Deutschland" zu einer Lesung in unser schmuckes Vereinsmuseum zu holen. Wobei „Lesung" es in diesem Fall nicht wirklich trifft. Vielmehr bildeten die frei vorgetragenen Thesen und Ausarbeitungen von Gablers ursprünglicher Diplomarbeit die Grundlagen für eine rege und nicht selten kontroverse Podiums- und Publikumsdiskussion.

Das PodiumSoziale Strukturen der Ultras, Kommerzialisierung und Gewalt – das waren die drei zentralen Themen des Abends. Neben Jonas Gabler hatten Moderator Götz Vollmann (ehemaliger FA-Vorsitzender), Fanclubvertreter Dirk Thomas, Peter Schüngel (Institut für Fußball und Gesellschaft, kurz IFG) und Oliver als Vertreter von TU auf dem Podium Platz genommen.

Der Autor begann mit einem kleinen Exkurs zu den italienischen Wurzeln der Bewegung in den 60er- und 70er-Jahren, bevor er seine recht umfassende soziologische Analyse von Ultragruppierungen vortrug. Dabei erwies es sich wirklich als großer Vorteil, dass Jonas Gabler frei erzählte. Denn seine wissenschaftlichen Ausarbeitungen wären im abgelesenen Stil doch recht dröge daher gekommen.

„Der kleinste gemeinsame Nenner der Ultragruppen ist die Freiheitsliebe und das Streben nach Autonomie", war eine seiner Thesen, wobei Jonas betonte, dass die einzelnen Gruppen meist vorbildlich strukturiert und untereinander recht verschieden seien. Oft diene das Stadion dazu, sich mit anderen Ultragemeinschaften auf der Ebene von Support und Kreativität zu messen. Auch das Thema „Ultras und Politik" spielte in diesem ersten Block bereits eine Rolle. In seinen ausführlichen Recherchen, die unter anderem aus dem kollektiven Durchforsten sämtlicher „Blickfang Ultra"-Hefte bestanden, habe der bekennende Hertha-Fan ein ungewöhnlich hohes politisches Engagement der jungen Mitglieder beobachtet. „Das findet man selten und hat viel Potenzial", stellte Jonas klar. So würde die von Ultras geleistete Sozialarbeit auch den Effekt haben, Jugendliche, die der allgemeinen Meinung nach unpolitisch sind, für Politik zu sensibiliseren. Allerdings musste er sich auch dem Einwand aus dem Publikum stellen, dass seine gesellschaftlichen Ausarbeitungen die Liebe zu Verein und Sport kaum berücksichtigen würden.

Peter Schüngel (IFG) und Oliver von TUKonkreter wurde es dann nach einer kleinen Pause mit dem Thema „Ultras und Kommerzialisierung". Für Jonas Gabler persönlich habe ebendiese Kommerzialisierung begonnen, „als für ein Fußballspiel erstmals Eintritt gefordert wurde". Vorangetrieben durch die sportliche Konkurrenz sei es eine logische Konsequenz, dass Fußball immer mehr zur Ware für Wirtschaft und Fernsehen werde. Und der Fan so zum Kunden. Diesen Aussagen hatte niemand im Publikum etwas entgegen zu setzen. Doch mit seiner These, die Argumentation vieler Ultras zur Kommerzialisierung sei inkonsequent, polarisierte der Autor zunehmend. „Die Ultras müssen sich auch bewusst machen, dass sie den Kommerz durch lautstarke Stimmung im Stadion nur weiter fördern. Dazu muss man sich entsprechend positionieren", appellierte er und sagte darüber hinaus, dass ein Projekt wie das von Dietmar Hopp in Italien auf weit aus mehr Unterstützer als in Deutschland stoßen würde. Bevor das Gespräch sich etwas in einer Grundsatzdiskussion über Kommerz und Kapitalismus verlor, entgegnete Oliver von „The Unity" einsichtig, dass Ultras hier einen Spagat versuchen würden: „Aber mit uns kann man nicht alles machen. Die kritische Begleitung des Vereinsgeschehens ist unsere Aufgabe."

Götz Vollmann von der FAAuch im dritten und letzten Block, „Ultras und Gewalt", setzte sich die strittige Diskussionskultur fort. Grundlage war erneut eine These von Jonas Gabler. Der sagte, dass es rationale Gründe für Gewalt gebe, auch wenn man diese grundsätzlich ablehnen würde. „Gewalt hat beim Fußball immer existiert und darauf verzichten will kaum ein Ultra", stellte der Gast fest. Wichtig sei deshalb, dass ein Prozess der Selbstregulierung und Verregelung von Gewalt einsetze: „Der Gewalt abschwören ist unmöglich. Man muss verantwortungsvoll mit ihr umgehen und Grenzen schaffen." Diese Aussagen von Jonas stießen nicht nur im Publikum auf Gegenmeinungen, sondern wurden auch auf der Bühne lebhaft diskutiert. Götz Vollmann entgegnete, dass es längst nicht bei allen Fußballspielen Gewalt gebe und Peter Schüngel vom IFG forderte, dass Ultras sich klar gegen Gewalt positionieren müssten. Ansonsten müsse man auch Gewalt der Staatsmacht dulden.

Auch wenn die Diskussion den Bezug zum Fußball in ihren finalen Zügen erneut etwas aus den Augen verlor, war es für die Beteiligten alles in allem eine sehr aufschlussreiche, weil eben auch kontrovers geführte Podiumsdiskussion. Nicht nur dem ein oder anderen Journalisten würde Jonas Gablers Buch „Die Ultras" wohl eine klarere Sich auf die Ultrabewegung verschaffen.

Natürlich könnt ihr das Buch von Jonas Gabler auch bei uns im schwatzgelb.de-Shop bestellen.

Die Ultras: Fußballfans und Fußballkulturen in Deutschland [Broschiert]
Verlag: Papyrossa Verlagsges.; Auflage: 1., Aufl. (29. September 2010)
Deutsch
ISBN-10: 3894384468
ISBN-13: 978-3894384463
Größe und/oder Gewicht: 19,6 x 13 x 1,8 cm / 222 Seiten
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MalteS, CHS, Spekka; 05.03+1.2011


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