Eua Senf

Wer Fußball liebt, darf Hoffenheim nicht hinnehmen

02.09.2011, 14:51 Uhr von:  Gastautor

Im Rahmen des als "Soundgate" oder "Hoppgate" titulierten Beschallungsskandal - als die Fans des BVB mit Hochfrequenztönen beschallt wurden, wenn ein Teil von ihnen Schmähgesänge gegen Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp anstimmte - keimte natürlich auch die Debatte über das "Projekt Hoffenheim" in diversen Medien wieder auf. Dabei wurden von der Pro-Hoffenheim-Fraktion teilweise schlicht falsche Gründe angeführt, die man hinter der Ablehnung der TSG Hoffenheim vermutet. Es soll hier der Versuch erfolgen klarzustellen, warum viele dieser vermuteten Gründe falsch sind und warum man aber andererseits als Fußball-Fan "Projekte" wie die TSG Hoffenheim niemals akzeptieren darf.

Stichwort: Kommerz

Es war Dietmar Hopp selber, der in einem Interview mit der „Welt Online" vermutete: „Offensichtlich glaubt diese Minderheit der Dortmunder Fans, dass Dietmar Hopp der Erfinder des Kommerzes im Fußballgeschäft ist." Viel falscher als Hopp kann man nicht liegen, denn weder ist dies der Grund für die Ablehnung noch ist die TSG besonders kommerziell. Im Gegenteil ist die TSG Hoffenheim im klassischen Sinne deutlich unkommerzieller als andere Vereine, weil sie nämlich weniger hat, was sie vermarkten kann. Ein ehemalige Mitarbeiter eines Sportvermarkters sagte mal: „Wenn die Telekom bei Bayern den Vertrag als Sponsor kündigt, ist das einzige was Uli Hoeness machen muss sechs Telefonistinnen abzustellen, die die eingehenden Anrufe der potenziellen Nachfolger aufnehmen."

Und hier liegt der Hund begraben: Dass die Bayern ein so beliebter Werbepartner sind, hat eben damit zu tun, dass sie die meisten Fans in Deutschland haben, während sich für die TSG Hoffenheim kaum jemand interessiert. Das ist ja genau der Grund, warum der Verein von seinem Mäzen abhängig ist, weil er Lichtjahre davon entfernt ist sich selbst zu tragen. Zwar kann man sich über Kommerzialisierung im Fußball und deren Grenzen trefflich streiten, aber dieser Streit hat nichts mit der Ablehnung gegenüber dem Verein von Dietmar Hopp zu tun.

Deswegen zielt auch die Replik von Dietmar Hopp ins Leere, dass der BVB selbst Millionen verbrannt hat. Diese Feststellung ist zweifellos richtig. Allerdings wäre der BVB durch den Größenwahn seiner ehemaligen Macher fast insolvent gewesen und muss bis heute mit den Folgen dieser Fehlplanung leben, während die TSG das von Dietmar Hopp zur Verfügung gestellte Geld nicht zurückzahlen muss. Im Gegensatz zu Hoffenheim muss der BVB – wie jeder andere Teilnehmer am Wettbewerb - sein Minus also selbst tragen. Und auch, dass der BVB eine Aktiengesellschaft ist, ist als Gegenargument irrelevant, weil die Kritik an Hopp eben wie gesagt keine Kritik an der Kommerzialisierung ist. Man kann die Organisation eines Fußballvereins als KGaA kritisieren, allein das hat nichts mit Hoffenheim zu tun. Womit wir zum nächsten Punkt kommen:

Stichwort: Wettbewerbsverzerrung

Von fairem Wettbewerb profitieren alle. Sowohl in der Wirtschaft als auch im Fußball. Zwar gibt es in beiden Bereichen größere und kleinere „Player", aber durch faire Wettbewerbschancen haben auch die Kleineren eine Möglichkeit sich durchzusetzen, wenn sie besser agieren als der Rest. Auf diese Weise konnte sich der FSV Mainz 05 für die Eurolegaue qualifizieren und der BVB Meister werden, obwohl sie nicht die größten Etats hatten. Auf lange Sicht sind die großen „Player" natürlich besser aufgestellt, aber es ist wichtig ein System zu erhalten, dass den Kleinen faire Chancen bietet, auch mal erfolgreich zu sein. Dieses System wird aber außer Kraft gesetzt, wenn Wettbewerbsteilnehmer Geld investieren können, für das sie entweder keine Gegenleistung erbringen oder das sie in der Zukunft nicht zurückführen müssen.

Um das richtig zu finden muss man übrigens kein besonders großer Kommerzialisierungskritiker sein, denn auch in der freien Wirtschaft ist es Einzelhandelsketten – zum Schutz kleinerer Marktteilnehmer - z.B. verboten Waren unter Einkaufspreis abzugeben, weil ein fairer Wettbewerb zum Vorteil aller Beteiligten ist. Fairer Wettbewerb ist die Voraussetzung für den Erfolg der Gemeinschaft. Diese Argumentation trifft allerdings auf Leverkusen und Wolfsburg ebenso zu wie auf Hoffenheim.

Selbst die UEFA hat erkannt, dass im Fußball Wettbewerbsgerechtigkeit herrschen muss und das „Financial Fairplay" ins Leben gerufen. Auch wenn über dessen Wirksamkeit noch trefflich gestritten werden kann, wird aus dem Umstand, dass es überhaupt initiiert wurde, klar, für wie wichtig auch die UEFA finanzielle Fairness für die Zukunft des Fußballs hält.

Von Hoffenheim-Befürwortern wird gerne angeführt, dass viele „Traditionsvereine" oft durch öffentliche Gelder auf Umwegen subventioniert werden. Das ist zweifellos richtig und ob das so gut ist, darüber kann und muss man diskutieren. Das kann aber nicht im Umkehrschluss die Wettbewerbsverzerrung durch Dietmar Hopp rechtfertigen.

Stichwort: Fußball als Volkssport

Fußball ist die letzte gesellschaftliche Institution, die Menschen aus sehr unterschiedlichen Gesellschaftssteilen noch ein gemeinsames Erleben verschafft. Auch wenn das jetzt überaus pathetisch klingt, ist die Wichtigkeit dieser Tatsache für das Gemeinwohl nicht zu unterschätzen. Wer die identitätsstiftende Wirkung von Fußball ernsthaft bestreitet, der denke an das „Sommermärchen 2006" zurück. Genauso wie die WM die Republik verbunden hat – und zwar auch diejenigen, die das „Event" ablehnten - verbindet Vereinsfußball die Städte und Regionen. Wenn in Dortmund 400.000 Menschen zur Meisterfeier kommen, in Kaiserslautern eine ganze Region unterwegs war, um den Abstieg aus der zweiten Liga zu verhindern und in Berlin zu Zweitligazeiten die Menschen auf einmal massenhaft zur Hertha strömen, dann kann man die Bedeutung von Fußball für die Gesellschaft erkennen. Fußball ist kein Hobby, es ist gesellschaftliches Bindemittel.

Um Fußball als Volkssport zu erhalten und diese wichtige Säule der Gesellschaft nicht zu gefährden ist es aber unabdingbar, dass der Erfolg beim Fußball nicht komplett von der Verankerung innerhalb der Bevölkerung getrennt wird. Wird der Fußball nicht mehr von der breiten Masse getragen, sondern vom guten Willen eines einzelnen Geldgebers würde der Sport über kurz oder lang zwangsweise seinen Status als Volkssport verlieren. 18 Milliardäre könnten sich jeweils eine Fußballmannschaft engagieren und diese gegeneinander antreten lassen. Doch es sind die Fans die den Fußball erst zu dem machen, was er ist. Frei nach Shakespeare: Den König spielen immer die anderen.

Es ist die von breiten Teilen der Bevölkerung dem Heimatverein entgegengebrachte Sympathie, die Vereine wie Eintracht Braunschweig oder Fortuna Düsseldorf aus den Tiefen des Amateurfußballs wieder in die zweite Liga gebracht hat und die jahrelanges Missmanagement ausgleichen konnte. Diese tief in der Bevölkerung verankerte Zuneigung sorgt dafür, dass sich immer wieder Menschen finden, die Traditionsvereine am Leben halten und wie bei Union Berlin z.B. die Stadionrenovierung tragen, die auch und gerade in weniger erfolgreichen Zeiten für und mit ihrem Verein leiden. Würde Dietmar Hopp in Hoffenheim den „Stecker" ziehen, würde die TSG innerhalb kürzester Zeit für immer in den Niederungen der unteren Ligen verschwinden. Denn es würde sich kein Sponsor finden, der den Verlust des Mäzens adäquat ausgleicht, weil der Verein nur einen geringen Gegenwert für die Sponsoren liefert und es nur wenige Menschen gibt, die bereit sind diesen Verein über Wasser zu halten. Wer anderer Meinung ist, dem kann man nur zurufen: „Lass es uns ausprobieren!"

Wenn der deutsche Profifußball weiter erfolgreich sein will, dann darf sich das Verhältnis von sportlichem Erfolg zu Fanbasis nicht gänzlich entkoppeln. Hierbei sei gesagt, dass das aktuelle System natürlich durchlässig für Neulinge ist und auch sein muss. Allerdings eben unter fairen Bedingungen: Ein Verein wie der FSV Mainz hat sich durch jahrelanges erfolgreiches Wirtschaften eine Basis geschaffen. Im Gegensatz zu Hoffenheim wurde dies aber nicht durch quasi gegenwertfreie Zuwendungen eine Gönners erreicht, sondern durch gute Arbeit der Vereinsführung und ein langsames, aber stetiges Mitwachsen der Basis, die wiederum dem Management den nächsten Schritt ermöglichte. Dadurch steht der Mainzer Erfolg auf einem soliden Fundament, während der Erfolg der Hoffenheimer auf tönernen Füßen steht. Womit wir zu einem weiteren Punkt kommen:

Stichwort: Die Legende von der Jugendförderung

Eine Legende, die sich bis heute hält und von Hoffenheim-Freunden immer wieder angeführt wird, ist die angebliche Jugendförderung, die die TSG betreibt. „Mir ist es lieber, wenn da mit Talenten aus der Region was aufgebaut wird" ist ein Satz, den man so ähnlich wahrscheinlich in jeder Diskussion zu dem Thema in einem beliebigen Internetforum liest. Diese Legende hat nur einen einzigen Fehler: Sie ist falsch. Und zwar komplett. Die Anzahl der jungen Spieler aus dem Kraichgau, die im Bundesligakader der TSG Hoffenheim stehen und bei der TSG ausgebildet wurden, beläuft sich auf genau Null. Die Jugendarbeit der TSG zeichnet sich nicht durch nachhaltigen Aufbau eigener Talente aus, sondern im Gegenteil durch extrem aggressives Abwerben von Jugendspielern anderer Vereine, die den Hoffenheimern schon massiven Ärger mit den anderen Clubs eingebracht hat.

Die Aussage, dass die TSG Hoffenheim mit jungen Talenten langfristig was aufbauen will ist durch Fakten nicht zu belegen. Im Gegenteil gab der Verein bereits in der Ausstiegssaison in der zweiten Liga mehr Geld aus als alles anderen Zweitligisten zusammen. Es wäre schön, wenn man diese Legende endlich und ein für allemal ins Reich der Fabel verbannen würde.

Stichwort: 50+1

Ein schwieriges Thema ist die Umgehung der 50+1-Regel durch Dietmar Hopp, denn diese ist naturgemäß nur schwer nachweisbar und kann daher nur vermutet werden. Zunächst einmal: Natürlich hat auch ein Investor, der nur 49% der Anteile hält, Einflussmöglichkeiten auf die Vereinspolitik. Wie überall im Leben gilt: Wer Geld gibt, redet mit. Wer aber einen wichtigen Spieler hinter dem Rücken des Trainers an den FC Bayern verkauft, an den Verhandlungen persönlich beteiligt ist und daraufhin noch den Trainer entlässt, weil „das Vertrauen erschüttert ist," muss aber zumindest mit dem Verdacht leben die 50+1-Regel zu umgehen.

Vor allem, wenn man offensichtlich systematisch versucht den Verein nach Außen abzuschotten. Die wichtigsten Positionen im Verein sind mit Hopp-Vertrauten besetzt und von einem normalen Vereinsleben ist die TSG weit entfernt. Um stimmberechtigtes Mitglied zu werden muss man a) fünf Jahre förderndes Mitglied sein und b) fünf Jahre aktiver Vereinssportler. Förderndes Mitglied kann man aber nur nach Annahme durch den Vorstand werden.

Wie gesagt: Nachweisen kann man Hopp nichts, aber Zweifel seien erlaubt.

Stichwort: Hopp als Wohltäter

Ein weitere Argument, was man eigentlich in jeder Diskussion hört lautet sinngemäß: „Der Hopp tut so viel für die Region und die Menschen." Auch hier gilt: Dieses Argument ist keines für die TSG Hoffenheim. Genauso wenig wie das Argument, dass Dietmar Hopp sich bei SAP immer gegen einen Betriebsrat gewehrt hat, eines gegen sie ist. Was Dietmar Hopp neben dem Fußball macht, ist nicht Sache des Fußballs. Weder erwirkt er durch Wohltaten das Recht dem Fußball zu schaden noch verwirkt er durch Missetaten das Recht sich dort zu engagieren. Die Bewertung seines Engagements im Sport hat sich nur an den Folgen für den Fußball zu orientieren.

Stichwort: Stimmung

Waren die die bisherigen Punkte Primärargumente, ist das Thema Stimmung ein Sekundärargument und lediglich eine Folge aus den oben angeführten Punkten. Aber wer jemals in Hoffenheim beim Fußball war, der hat plastisch vor Augen was im deutschen Fußball im Allgemeinen und in Hoffenheim im Konkreten falsch läuft. Man kann sich nur mit Gruseln davon abwenden, was man in diesem Stadion sieht. Die Rhein-Neckar-Arena ist atmosphärisch das lebloseste, was sich in der Bundesliga findet. Die Liga wirbt in der Auslandsvermarktung immer wieder mit guter Stimmung, aber das Stadion in Sinsheim meinen sie damit wohl nicht. Doch wie sollen Kinder und Jugendliche von diesem Sport begeistert werden, wenn wir ihnen keine Erlebnisse schaffen, die sie nie wieder vergessen? Wer selbst nicht brennt, kann niemand anderes anzünden.

Fazit:

Der Fußball lebt vom Engagement der ehrenamtlichen Helfer, seiner Fans und dem Leuchten in den Augen seiner Anhänger. Von Geschichten, Mythen und Legenden. Von der Leidensfähigkeit seiner Anhänger und dem unbändigen Willen zusammen etwas zu erreichen. Fußball ist Teamplay. Auf und neben dem Rasen. Fußball ist auch Kommerz, aber er ist eben mehr als das. Im ersten Weltkrieg spielten verfeindete Soldaten in einer Feuerpause miteinander Fußball, nach dem zweiten Weltkrieg war Fußball etwas, was den Menschen wieder Halt gab, und 2006 war Fußball etwas, was die Sichtweise der Welt auf Deutschland veränderte. Es gibt keinen Ort auf der Welt, an dem niemand Fußball spielt. Jede Kommerzialisierung - ob man die kritisieren will oder nicht – ist überhaupt erst möglich, weil so viele Menschen diesen Sport lieben.

Von oben geplante Kunstprodukte ohne Basis wie der Verein aus dem Kraichgau – oder auch Rasenball Leipzig – greifen die Seele dieses wunderbaren Sportes an, in dem sie von ihm profitieren, wenig zurückgeben und die Basis zerstören, auf der dieser Sport seit Jahrzehnten gedeiht. Sie sind wie Monde, die nur vom Licht der Sonnen angeschienen werden, aber nicht selber leuchten. Eine Sonne kann man durch einen Mond ersetzen, aber bei 18 Monden wird es zappenduster im Fußballuniversum.
Jenseits aller Vereinsrivalitäten müssen die Fußballliebhaber in Deutschland gemeinsam dafür einstehen, dass Plastikvereine keine Zukunft haben. Auch wenn es wieder pathetisch klingt: Es geht um nichts weniger als die Zukunft des Fußballs. Wer Fußball liebt, darf Hoffenheim nicht hinnehmen!

geschrieben von Marc Quambusch

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