Warmlaufen

Dembowski gibt auf

02.12.2010, 09:23 Uhr von:  Redaktion

„Bin ich schon auf Sendung? Ja? Also: In Meschede hat es gerade minus sieben Grad. Da ist noch eine Menge Spielraum. Nach oben und nach unten". Dembowski nahm seinen Kopf hoch und schaute in Richtung Fernseher. Er war irgendwann hierher kommen. In seiner Wohnung spukte es schon länger. In der Kneipe war es wie immer, trüb und öde, ohne Spuk. Die Neonlichter der Automaten, der Knight-Rider-Flipper, an dem es seit dem Tod von Paul keine Freispiele mehr gab und die Jukebox, die irgendwer, es war wohl noch am Wochenende, auf Margot Hellwig programmierte hatte, saberte in Endlosschleife „Servus, Grüezi und Hallo".

Draußen war es wohl kalt geworden, wenn die Alte da oben Recht hatte. Dembowskis Geschäfte liefen wieder mal äußerst schleppend. Hinter der Stadtgrenze Richtung Westen war ihm schon vor ein paar Monaten mit den Worten „Das bekommen wir hier diesmal wirklich auch ohne Hilfe hin" die Tür gewiesen worden. Er brauchte dringend Kohle. Seit Paris schlug er sich jetzt schon mit Gelegenheitsjobs rum. Und dieser merkwürdige Auftrag konnte seine Stimmung schon damals nicht aufhellen. Schulze, sein alter Kollege, der immer noch im Revier war, hatte ihm den Hinweis gegeben. „Wenn Du dem Zauberer sein Kaninchen besorgst, hast Du die Borussia-Bande im Sack", hatte er fabuliert. Klar: Der und sein Kollege, der tumbe Koslowski, trauten sich nicht über die Landesgrenze. Und so wichtig war die Bande in Europa auch nicht. Eigentlich hatte er sie nur observieren sollen. „Die holen wir uns schon hier, aber über ein paar Hinweise wäre ich Dir dankbar", hatte Schulze gesagt.

So ging es Mitte September nach Lwiw, in die Karpaten. Nach kurzem Auftanken in Polen war er sogar einen Tag früher dort angekommen. Er hatte sich in einer Bar die Nacht um die Ohren geschlagen. Der Kühlschrank wurde vom Tresen bedient. Auf und zu. Auf und zu. Die Flasche für 4€. Irgendwann saß ein polnischer Sportreporter neben ihm deutete auf seine Begleitung. Er hatte für einen kurzen Moment damit geliebäugelt, doch nicht nur war sie bereits verbraucht, der schmierige Sack wollte mit aufs Zimmer. Am nächsten Morgen war er blutüberströmt aufgewacht.

Dembowski schüttelte sich bei der Erinnerung. „Ich nehm jetzt nochmal das gleiche", sagte er, und die Wirtin spuckte ihren Zigarettenstummel aus dem Mund, knallte ihm sein Herrengedeck vors Gesicht und legte ihm die Zeitung dazu. Er blätterte sie durch und fand unten rechts einen kleinen Bericht, der seine Aufmerksamkeit auf sich zog. „Ich bin ein Warmduscher – von Jens Reiser". Wenn jetzt schon Reiser auf die Bande angesetzt war, und das, das war ihm nach Lesen des Berichts endgültig klar, war hier der Fall, musste an der Sache was dran sein. „Ich ziehe eine lange Unterhose und Handschuhe an, sagt der Chef der Bande", schrieb Reiser in seinem Exklusivbericht. „Ach hör schon auf. Du packst das nicht mehr. Und außerdem ist Fußball, wie der sogenannte Sport überhaupt, etwas Unnützes", sagte die Wirtin. „Kann der Bauer mit Roman seinen Rasen düngen? Nein, aber mit Jauche. Jauche ist ebenso konstruktiv wie Bier", philosophierte sie da auf einmal. Er hielt es hier nicht mehr aus. Tagelang hatte er auf Veränderung gehofft, doch wieder war sie nicht in die Kneipe gekommen. Sie lag da und bis auf die paar Jugendlichen, die am späten Samstag hier den Laden aufmischten, war einfach überhaupt nichts passiert. Nur aus der Jukebox hörte man weiter „Gute Laune hamwe sowieso". Er musste raus.

„Sie sind in der Stadt, wir packen sie uns", Schulze mal wieder. Dembowski wimmelte ihn ab und machte sich den auf den Weg, am Borsigplatz leuchteten die Lichter fahl, die Rumänen drückten sich an der Ecke rum. Früher hatte er sich hier ab und an eine geholt, jetzt waren es Männer. „Warmduscher", ging es ihm durch den Kopf. Er kehrte um und traf sich mit Koslowski und Schulze im Leeds. „Endlich wech vom Weihnachtsmarkt. Da kriechste das Grauen. Die sind alle auf Glühwein und heißen Caipi", erklärte Koslowski und erzählte dann von seinem Plan: „Den Super Lucas haben wir schon einmal außer Gefecht gesetzt. Jetzt soll Robby ran. Den kleinen Japaner haben wir im Westpark erwischt. Hasenjagd! Immer einen Schritt voraus. Auch der mit der Knubbelnase zickt rum. Jetzt schauen die aus der Wäsche!" „Dumm", korrigierte Schulze ihn. „Dumm aus der Wäsche". „Egal, interessiert ohnehin niemanden. Die sind fällich". Dembowski schaute sich um, genug ist genug. Er schnappte sich den Scheck, den Schulze ihm entgegenhielt. Er hatte jetzt den Scheck, er hatte jetzt den Vodka. Der Scheck war nur mit dem Vodka zu ertragen, so viel Blut hang da dran. Der Vodka war nur mit dem Scheck zu ertragen, er war im Leeds.

Einen Teil der Kohle würde er dort lassen, den Rest richtig investieren. Eine Fahrt nach Sevilla stand noch auf seinem Plan. Sevilla, das hatte schon einmal funktioniert. Irgendwo in England rieb sich Mike die Hände. Morgen würde er sich erst mal erholen. Die Spur mit dem Karpatenhund bedeutete ihm nichts. Er wollte nach Sevilla. In die Sonne. Und im Mai nach Dublin. Er wollte noch ein wenig weitersuchen. „Ich übernehme den Fall" – die SMS hätte sich Marzahn sparen können. Dembowski ging zurück. Die Jukebox spielte immer noch „Servus, Grüezi und Hallo". Im Fernseher wurde Margot Hellwig zu Grabe getragen. „Ich nehm noch einen", sagte Dembowski und zerriss den Scheck. Hier brauchte er ihn nicht. Die Wirtin gewährte ihm auch ohne Scheck Kredit.

dembowski, 02.12.2010

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