Eua Senf

Ein Tag Gefängnis in Sevilla IV

26.12.2010, 08:56 Uhr von:  Gastautor

Hier ist der vierte Bericht eines der Verhafteten aus Sevilla. Wir veröffentlichen die Berichte, weil es uns am Herzen liegt, die unglaublichen Vorgänge, die mitten in der europäischen Union geschehen sind, zu dokumentieren. Wie einzelne Berichte von Fans anderer Vereine zeigen, scheinen wir Borussen kein Einzelfall gewesen zu sein. Wir bedanken uns bei allen Geschädigten, die in so kurzer Zeit es fertig brachten, von diesen Geschehnissen zu berichten.

Hallo, ich habe nun versucht, meine Erlebnisse nach dem Spiel aufzuschreiben. Was vor dem Spiel abgelaufen ist, ist - denke ich - schon oft genug geschrieben worden.

Dazu nur dies: Soweit wie ich das jetzt entziffern kann, soll ich wohl am Eingang des Stadions gegen 19 Uhr einen Polizisten attackiert haben. Ich kann dazu aber nur sagen, dass ich als einer der ersten überhaupt durch die Kontrolle gekommen bin, und das mit erhobenen Händen. Ich habe dort noch nicht einmal einen Polizisten berührt, und die haben mich auch durchgewunken. Erst als ich durch war, kam es dazu, dass Zäune umfielen und auch die Polizeipferde mitten durch die Menge ritten. Am Drehkreuz selbst gab es ebenfalls keine Probleme, ich bin danach auch direkt in den Block gegangen, wo ich die ganze Zeit unten in der ersten Reihe stehen geblieben bin. Ich bin auch nicht runtergegangen, als die Polizisten dazu aufgefordert wurden, uns auch unten in den Block zu lassen, weil das Geländer oben schon halb rausgerissen war.

Bis nach Spielende war dann soweit auch alles in Ordnung, nur beim Runtergehen auf den Ausgang zu wurde ich dann auf einmal völlig unerwartet gepackt und zur Seite gezogen. Ich war der erste, der festgenommen wurde. Bis die anderen dazu kamen, dauerte es nun ein paar Minuten, und ich hatte keine Ahnung, was los war. Von den anwesenden Polizisten sprachen alle nur spanisch. Wir standen dann dort alle an einem Bauzaun und wurden durchsucht, und sobald sich auch nur einer mit dem Kopf umdrehte, gab es einen Schlag auf den Hinterkopf. Meine Gürteltasche samt Inhalt wurde nach der Durchsuchung einfach hinter mich geschmissen, und die Sachen flogen herum.

Ich und ein weiterer waren dann auch die letzten, die zusammen noch in der Kälte standen, als die anderen schon auf dem Weg ins Revier waren. Wir standen zitternd vor Kälte in einer Ecke. Nach einer gefühlten Ewigkeit wurden wir beiden dann zusammen auf einer sehr rasanten Fahrt über rote Ampeln auf die Wache gebracht.

Auf der Wache selbst saßen die anderen dann schon zusammen in einem Raum, als wir kamen, aber mindestens doppelt so viele Polizisten standen mit dabei. Dann wurden Daten aufgenommen und Fingerabdrücke genommen, und sobald einer nicht schnell genug machte, gab es entweder wieder einen Schlag auf die gefesselten Hände oder einen Tritt von hinten in die Hacken oder Kniekehlen. Auch auf Toilette gehen durften wir nicht. Jeder, den man fragte, verstand einen entweder nicht oder sagte nur: "In ein paar Minuten," was die aber auch nach einer Stunde noch sagten.

Nach endlosem Warten kamen wir dann in unsere Zellen, die früher vermutlich auch mal für andere Dinge dienten. Ein paar von uns bekamen noch eine dünne Matte und eine dünne Wolldecke, die aber wohl schon seit Jahren nicht mehr gewaschen wurde. Die anderen bekamen gar nichts, und das, obwohl manche von uns ja noch kurze Hosen anhatten. Aber auch mit Decke war es einfach nur arschkalt, und ich habe die ganze Zeit gezittert, wobei ich noch das Glück hatte, mit einem anderen zusammen in einer relativ großen Zelle zu sein. Da wir in der hintersten Ecke des Gefängnisses gewesen sein müssen, kam auch nur ganz selten mal einer vorbei, so dass es unmöglich zu fragen war, ob man mal auf Toilette dürfe oder sonstiges. Wenigstens waren wir alle in Zellen nebeneinander untergebracht, so dass man miteinander reden und sich austauschen konnte. Allein wäre ich da vermutlich durchgedreht. Irgendwann morgens durften wir dann einmal auf Toilette gehen (wann genau, weiß ich nicht, weil es stockdunkel in der Zelle und nirgendwo eine Uhr war). Getränke gab es einfach nicht, warum auch immer.

Später wurde jedem von uns dann einmal sein Anwalt gezeigt (ich denke, wir hatten alle den gleichen Experten, der wahrscheinlich in seinem Leben noch nie einen Fall gewonnen hat) und alles erklärt, es wurden Profilbilder gemacht und noch einmal Fingerabdrücke genommen, auch digital.

Gegen 15 Uhr nachmittags (im Polizeiwagen konnte man das erste Mal wieder eine Uhr sehen) wurden wir dann mit Handschellen und Blaulicht wie Schwerverbrecher ins Gerichtsgebäude gebracht, wo wir dann zu sechst in einer relativ kleinen Zelle waren. Hier gab es dann auch einen Wassserhahn, aus dem man trinken sollte (mehr Chlor als Wasser). Was anderes gäbe es nicht, meinte ein Polizist zu uns.

Hier kam dann zum ersten Mal ein Dolmetscher, der auch wirklich deutsch konnte und uns über unsere Strafen aufklärte. Der Staatsanwalt fordere 18 Monate Haft und 180€ Geldstrafe. Wenn wir jedoch unterschreiben würden, kämen wir mit 12 Monaten und 120€ Geldstrafe davon. Jedem von uns rutschte das Herz in die Hose, bis der Dolmetscher dann nach kurzer Zeit sagte: "Auf Bewährung natürlich." Ab diesem Zeitpunkt war die Stimmung bei uns allen etwas gelöster, denn die Dolmetscherin auf der Wache hatte uns noch mit bis zu 6000€ Geldstrafe gedroht. Wer nicht unterschreiben wollte, hätte eine Verhandlung bekommen, und bis dahin hätte man dann auch noch im Gefängnis sitzen bleiben müssen. Alle stimmten sofort zu, zu unterschreiben.

Alle dachten, dass es nun nicht mehr lange dauern würde, bis wir wieder frei wären. Doch falsch gedacht: Es dauerte dann nochmal ca. vier Stunden, bis wir wirklich unterschreiben konnten, aber was ich genau unterschrieben habe, weiß ich bis heute noch nicht. Es sah aus wie eine Glückwunschkarte, wir sollten einfach alle kreuz und quer auf einem Blatt Papier unterschreiben. Unglaublich. Und das Schreiben, welches jeder von uns mit bekommen hat, hätte jeder bei Word erstellen können. Kein Stempel, keine Unterschrift, einfach nichts! Aber ich war einfach froh, nun gehen zu können, und war erleichtert, dann Jens vor der Tür zu sehen, der uns allen die Rückflüge gebucht hat, so dass wir am Freitag endlich aus Spanien abreisen konnten.

geschrieben von P. (Person der Redaktion bekannt)

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