Eua Senf

Leipziger Fußball und RB

22.06.2009, 15:00 Uhr von:  Gastautor
Leipziger Fußball und RB

Als Antwort auf den Text „Rasenball stinkt" haben wir eine Antwort von einem Chemie-Fan aus Leipzig bekommen, die sich näher mit den Verhältnissen im Leipziger Fußball beschäftigt. Unserer Meinung nach sehr lesenswert und das wollen wir euch nicht vorenthalten:

"Es ist, kurz gesagt, das Allerletzte. Zwei Traditionsvereine die nichts hinbekommen, von einer Insolvenz in die nächste dümpeln und sich gegenseitig nicht einmal den Dreck unter den Nägeln gönnen. Generell eine Situation, wie man sie sich wünscht - nur könnte das Ganze ein paar Ligen höher stattfinden. Als Chemie pleite war, hat der damalige VfB unsere Spieler geholt, und altklug über den Unterschied eines funktionierenden und unserem Management geredet. Als die pleite waren, haben wir mal eben ein paar Bundesliga-Jugendmannschaften zum Nulltarif bekommen und das Zentralstadion übernommen. Lok war in der Kreisklasse, wir mit deren Mannschaft und Millionenetats mehrmals Topfavorit in der Oberliga. Herausgekommen ist - nichts. Eine Fast-Insolvenz mit Gerade-so-Aufstieg in die neue Regionalliga, die Insolvenz mit einem Jahr Verspätung und der Abstieg in die Oberliga. Lok hat mittlerweile einen Teil unseres Kaders übernommen.

Geschichte wiederholt sich, und wird nach wie vor von Gewinnern geschrieben. Es ist klar, dass der allgemeine Fußballinteressierte in Leipzig keinen Bock auf ewige Oberliga hat. Nächstes Jahr wird bei Halle, Dynamo II, Aue II, RB, Lok und Zwickau fast jedes Spiel zu einem Risikospiel. Da muss man sich nicht wundern, dass nun Red Bull Abhilfe schaffen soll, was gut zu dem passt, was nach 1990 passierte. Konsequenterweise muss der, der einst mit zwei Bundesligaplätzen abgespeist wurde und von heute auf morgen im eigenen Laden nichts mehr zu sagen hatte, durch fremde Hilfe wieder nach oben gebracht werden. Ein passendes Bild wird somit schnell gezeichnet. Fußball in den Neuen Ländern ein Trauerspiel, aber zum Glück ist ja Red Bull da, das mal ein wenig unter die Arme greift.

Einzuwenden dagegen ist nicht allzu viel. Nach wie vor ist es so, dass die Oberliga eher durch Ausschreitungen als durch sportliche Nachrichten auf sich aufmerksam macht. Nach wie vor machen wir immer wieder die gleichen Fehler. Wenn Sachsen Leipzig trotz eines Zentralstadions, massig Fans (nach wie vor), der hervorragenden Jugend und dem 3,5 Millionen- Etat in der Saison 06/07 in der Oberliga spielt, dann ist das verdient.

Wenn Lok nach wie vor seine hausgemachten Fanprobleme nicht einmal ansatzweise löst und einen Hooligan als Präsidenten hat, muss es sich nicht wundern, wenn
auswärtige Sponsoren nicht gerade Schlange stehen. Vielleicht wäre es besser gewesen, einen farbigen Spieler unter Vertrag zu nehmen als im Fanshop Pullover in altdeutscher Schrift und der Aufschrift: "Boehse Lokfanz" zu verticken. Wenn nebenbei noch die "Reichsmessestadt" offen proklamiert wird, muss man gar nichts
mehr sagen.

Wie gesagt, wenn sich zwei - überaus unfähige - streiten, freut sich der Dritte. Und alle jenen, die 87 noch in Erinnerung haben und Sport sehen wollen. Wobei mit Sport mehr in Verbindung gebracht wird, als eine Heimniederlage gegen Rostock II. So sehr ich hoffe, dass RB auf Ablehnung stoßen wird, so sehr sehe ich die Euphorie in der Stadt. Endlich die alten Zöpfe abgeschnitten, endlich etwas Neues, endlich mehr als Rechte, Oberliga und glorreiche alte Zeiten.

Dabei spielt es auch keine Rolle, dass RB keine Tradition hat. Lok, beziehungsweise jene, die den Verein 1990 übernommen haben, hatten nichts besseres zu tun, als den alten Namen VfB zu entstauben. Chemie nannte sich gleich, inspiriert aus München, in FC Sachsen Leipzig um. Passend dazu auch die Aussage von 2003, in der man sich als "Hoffnung Mitteldeutschlands" titulierte...

Es gab kaum Mannschaften, die sich nach der Wende komplett ihrer Geschichte entledigten. Bei Aue und dem BFC war es angebracht. Jena, Erfurt, Rostock, Union, Dynamo, Energie oder Halle haben dies jedoch nicht getan. Wir kramten - standesgemäß - den ersten Deutschen Meister und, zumindest dem Namen nach, den
Repräsentanten Sachsens heraus. Warum auch immer.

Das Großstadtdenken ist in Leipzig nach wie vor erhalten geblieben - aus Zeiten als man das kulturelle Zentrum Europas war. Der Flughafen - kaum größer als Lübeck - heißt Interkontinentalflughafen, das U-Bahn-Projekt ist wahrscheinlich von den gleichen Leuten abgesegnet worden, die Leipzigs Fusßall in der Champions-League sahen. Vergessen wird ab und zu, dass man nicht mehr zweitreichste Stadt und kulturelles Zentrum Deutschlands ist...

Um wenigstens sportlich dem wieder etwas näher zu kommen ist halt jedes Mittel recht. Ich gehe davon aus, dass RB seine Zuschauer haben wird. Das sind eben keine Idioten wie wir, sondern Profis. Und wenn der Erfolg da ist, dann haben auch wir eine Situation wie Düsseldorf gegen Bremen II oder Hoffenheim in der Hinrunde.

Interessant wird nur die Situation von Lok und Chemie. Bereits am Tag der Gründung von RB gab es ein neues Feindbild. Fand ich bisher den LOK zum kotzen, so gilt das nun uneingeschränkt für RB. Hat man sich bis gestern abgrundtief gehasst, sitzt man jetzt im selben Boot. Bisher wurde der Kuchen von uns geteilt - jetzt muss er gegen den Eindringling verteidigt werden. Gedanken, die eine bis Freitag für absolut unmöglich gehaltene Fusion möglich erscheinen lassen. Und wenn auf Nachwuchsebene um diese zu verteidigen... Geht es so weiter, haben wir auch in Zukunft zwei Vereine. RB als Innbild des
modernen Imperialisten, Lok und Chemie vereint als Team Leipzig. Absurd und unerklärbar, aber Realität.

Man darf gespannt sein, aber um den Fußball als solchen zu verteidigen, ist fast jedes Mittel Recht."


geschrieben von Julius

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