Spielbericht Profis

"Der erste Schritt ist gemacht: Wir werden unterschätzt."

19.09.2008, 18:00 Uhr von:  SSC
"Der erste Schritt ist gemacht: Wir werden unterschätzt."
Enttäuschter Weidenfeller

Ein kurzes Raunen fährt durch den Presseraum des Westfalenstadions, begleitet von einigem Schmunzeln und einem kurzen Lachen. Gewohnt lässig kommentiert Trainer Jürgen Klopp das Spiel seiner Mannschaft - freuen mag sich dennoch keiner.

„Wir haben Fußball gespielt, wie man einfach keinen Fußball spielen darf. Unsere Außenverteidiger und äußeren Mittelfeldspieler sind immer nach vorne gerannt, wir hatten keine Absicherung. So kann man spielen, wenn man uneinholbar zurück liegt und nichts mehr zu verlieren hat. Da war die Niederlage vorprogrammiert." Klopp zeigte die Schwächen seiner Mannschaft auf, ungeschminkt und mit einem spürbaren inneren Drang, auf Phrasendreschen der Marke „Lehrgeld zahlen" verzichten zu wollen.

Schließlich war es nicht nur die Unerfahrenheit der jungen Mannschaft im Europapokal, die Borussias großartigen Saisonstart jäh unterbrach, sondern insbesondere das Versagen der erfahrenen Spieler, die zu keiner Zeit für Stabilität in unseren Reihen sorgen konnten. „Man hatte mir gesagt, dass einige Spieler ziemlich gute Fußballer seien, also müssen sie irgendwann einmal gute Leistungen gezeigt haben. Ich hoffe, dass ich diese Leistungen dann auch mal sehen darf."

Das Duell BVB - Udinese

Was aber war passiert? Gehen wir einen Schritt zurück.

1757 Tage hatte Borussia Dortmund auf internationalen Fußball verzichten müssen - diese Leidenszeit hatte dank des unerwarteten Triumphzugs im DFB-Pokal nun ein Ende gefunden. Große Vorfreude prägte das Bild, mit Udinese Calcio einen renommierten und zumindest halbwegs attraktiven Gegner erwischt zu haben - seit Tagen dominierte die Planung der Auswärtsfahrt das Geschehen, mit Ausnahme eines legendären Derbys gab es keine anderen Themen mehr.

Leider war dieser Eindruck aber trügerisch. Das Stadion war enttäuschend leer, selbst die bestuhlte Südtribüne war bestenfalls zu 90 Prozent gefüllt. Insgesamt 52.400 Zuschauer, davon rund 300 aus Udine und 30 aus Bremen, sollen es gewesen sein - Europapokalstimmung kam (abgesehen von ekelhaft alkoholfreiem Bier) zu keinem Zeitpunkt auf. Offensichtlich hat ein UEFA-Cup-Heimspiel also nicht den Status einer Rosine inne.

Verletzter Mohamed Zidan

Das Spiel selbst begann stürmisch, als Alexis Sanchez die erste Unsicherheit der Dortmunder Abwehr zu einem sehenswerten Alleingang in Richtung Roman Weidenfellers nutzte. Statt auf seinen nachgelaufenen Sturmpartner Antonio Floro Flores abzulegen, entschied sich Sanchez für den eigenen Abschluss - und schob den Ball am Kasten vorbei. Schwein gehabt!

Bereits in der siebten Minute musste Klopp erstmals wechseln - Mohamed Zidan hatte einen heftigen Schlag auf die Hüfte bekommen, musste verletzt vom Platz getragen werden. Definitiv eine gebrauchte Woche für Zidan, dem wir an dieser Stelle eine gute Besserung wünschen möchten.

Obwohl der eingewechselte Tinga sofort unter Beweis stellte, warum er in diese Mannschaft gehörte, konnte auch er den frühen Rückstand nicht verhindern. So wiederholte sich in der achten Minute die Szene von Spielbeginn mit dem einzigen Unterschied, dass sich Floro Flores die Großchance eben nicht entgehen ließ.

Weidenfeller machtlos, die Stimmung im Stadion schwankend zwischen Hoffnung und realem Frust, die furchtbare elektronische Bandenwerbung tierisch nervend - irgendwie scheiße.

Zweikampf um den Ball

Leider war es damit nicht genug. Unkonzentriertheit im Mittelfeld sorgte immer wieder für gefährliche Konter der Italiener. Sebastian Kehl definierte im Mittelfeld den Begriff des „Alibifußballers" neu (furchtbaren Zweikämpfen und leichtfertigen Abspielfehlern folgte ein Spiel, in welchem grundsätzlich jeder Ball fünf Meter an ihm vorbei gespielt wurde), die gesamte Abwehr fand überhaupt keinen Zugang zum Spiel. Mit Pech wäre der Sack bereits nach 15 Minuten zu gewesen.

Gottseidank gab es mit Tinga und Florian Kringe aber noch zwei Antreiber in unseren Reihen, die das Spiel am Leben erhielten - gemeinsam mit Nelson Valdez und Tamas Hajnals Freistößen entstand hieraus immer wieder das Gefühl, dass man eigentlich ja doch noch mitspielen konnte. So kam es in der 22. Minute zur ersten Großchance Borussias - ein schöner Pass von Young-Pyo Lee fand seinen Weg über Valdez zu Kringe, der den Ball standhaft verteidigte und seinen Frust in einem schönen Distanzschuss entlud. Leider konnte Samir Handanovic diesen ebenso wie einen Linksschuss Hajnals wenige Augenblicke später parieren.

Nach einer guten halben Stunde hatte sich der Eindruck eingestellt, Borussia sei langsam im Spiel angekommen. In der Offensive kam es zu guten Szenen, das Mittelfeld wurde von Kringe und Tinga geordnet, Udine nahm zusehends das Tempo aus dem Spiel. Aus dem Nichts folgte dann der nächste Konter Udines: Felipe Santana, kurz zuvor für den verletzten Mats Hummels (ebenfalls gute Besserung!) ins Spiel gekommen, stand meilenweit entfernt von jedem Gegenspieler - wieder einmal bediente Floro Flores den alleine durchgelaufenen Sanchez, der diesmal in Weidenfeller seinen Meister fand. Erneut Riesenglück für Borussia!

Hajnal im Kampf um den Ball

Zwei Minuten später kam dann, was kommen musste: diesmal hatte Lee gepennt, ein Pass über das halbe Spielfeld erreichte Simone Pepe, dessen schöne Ablage von Gökhan Inler mustergültig verwandelt wurde.

Einen weiteren Aufreger hielt kurz vor der Pause dann noch einmal Santana bereit: ein viel zu weit vorgelegter Ball der Italiener kullerte in Richtung Torauslinie - Santana trabte diesem gemächlich hinterher, wohl wissend, dass hinter ihm bereits ein gegnerischer Offensivspieler heranbrauste. Es kam zum absolut unnötigen Zweikampf nicht einmal zehn Meter neben Weidenfellers Tor, welchen Santana mit einer lässigen Ablage zu gewinnen versuchte - der Gegner hatte plötzlich den Ball, stand mutterseelenalleine und hätte nur noch einschieben müssen. Weidenfeller hielt das glückliche 0:2 nach diesen unfassbaren Abwehrkapriolen fest.

Die Südtribüne hatte sich in der ersten Halbzeit ordentlich präsentiert - trotz Rückstand war die Stimmung gut, die Lautstärke konnte locker mit der eines guten Bundesligaauftritts Schritt halten. Leider war die Liedauswahl etwas einfallslos.

Die Gästefans

Der optische Eindruck des Gästeblocks war ansprechend. Einige Fahnen waren während des gesamten Spiels in Bewegung, dazu kamen zwei Schwenkfahnen und Doppelhalter. Gesanglich war die Darbietung allerdings enttäuschend. Obwohl die Italiener einige Male unter Beweis stellten, dass sie richtig laut sein konnten, waren sie nur sehr selten zu vernehmen. Der Auftritt in Dortmund schien auch hier mehr Dienst nach Vorschrift zu sein, als eine Herzensangelegenheit: zu routiniert wurde das Programm herunter gespielt. Ein Spruchband zur zweiten Halbzeit brauchte Ewigkeiten bis zu seiner Entfaltung, das Megafon schepperte über die Osttribüne, pünktlich zu Beginn der zweiten Halbzeit hatten nun auch die Fahnenschwenker T-Shirts ihre Oberkörper verhüllt - Glücksgefühle zur Führung waren ebenso wie Emotionen nicht zu erkennen. Im Verlauf der ersten Halbzeit erinnerte der Auftritt eher an Wolfsburg mit Fähnchen und einer Trommel als an die große europäische Fußballbühne.

Klopp hatte indessen die richtigen Worte gefunden, agierte Borussia zu Beginn der zweiten Halbzeit deutlich mutiger als noch zuvor. Immer wieder trieb Kringe das Spiel nach vorne und wandte sich gegen die drohende Niederlage, sorgte für eine vorher ungesehene Dominanz im Mittelfeld. 9:2 Eckbälle standen sinnbildlich für die Offensivbemühungen der Dortmunder, die jedoch in den Beinen der massiert stehenden Abwehrreihen Udines ihr Ende fanden. Während Udine mit überlegten Pässen ein ums andere Mal die Dortmunder Hintermannschaft aushebelte, betrieb der BVB ein kräfteraubendes und leider ineffizientes Spiel nach vorne.

"David gegen Goliath"

Wieder einmal war die gesamte Mannschaft nach vorne gestürmt, als ein brillant herausgespielter Konter Udines zum 0:3 hätte führen müssen. Ein weiter Pass in Sanchez Lauf rollte auf Roman Weidenfeller zu, der sich aus seinem Tor heraus bewegte und sich nun in einem Dilemma widerfand: er stand nun zehn Meter vor seinem Tor und hatte die Befürchtung, als letzter Mann nicht mehr rechtzeitig den Ball erreichen zu können. Anstatt dem Ball entgegen zu rennen und es darauf ankommen zu lassen oder in seinen Kasten zurückzukehren, wählte Weidenfeller die falscheste aller Optionen: er blieb stehen und wartete auf den Gegenspieler. Hätte Sanchez den Ball nach einem grandiosen Sturmlauf nicht so jämmerlich verstolpert, wäre dieser Fehler gnadenlos bestraft worden - stattdessen konnte Weidenfeller seinen Fauxpas ausbügeln und Sanchez Schuss mit einem ordentlichen Reflex in Richtung Spielfeldmitte klären. Dort wartete bereits der nächste einschussbereite Italiener, doch konnte diesmal Santana auf der Linie klären. Das Ding hätte selbst ein Blinder der Marke Nutella-Kevin kaum am Tor vorbeilegen können...

Das Spiel verlor nun deutlich an Spannung. Borussia litt nun unter großem Kräfteverschleiß, Udine schien zufrieden und mit dem Kopf längst im nächsten Ligaspiel zu sein. Es entwickelten sich einige kleinere Chancen auf beiden Seiten, richtig zwingend wurde es aber nicht mehr. Selbst die Einwechslungen des grippegeschwächten Starspielers Antonio Di Natale sowie des geschonten Fabio Quagliarella verkamen zu Randerscheinungen.

Enttäuschung

Dem Publikum schien das Spiel nun ohnehin egal zu sein, verließ es das Stadion nun in Strömen. In der 88. Minute war selbst die Südtribüne bestenfalls noch zur Hälfte gefüllt, die Westtribüne hatte sich ebenfalls merklich geleert. Ein weiterer Baustein des Kapitels „beschämend" am heutigen Tage.

Wenigstens auf Jürgen Klopp war am Ende des Tages noch Verlass. Angesprochen auf die Frage, ob er seine Mannschaft für das Rückspiel mit den Worten „Ein 3:1 reicht uns bereits" motivieren wolle, gab er trocken zu Protokoll: „Ihre italienischen Pressekollegen lachen, der italienische Trainer lacht. Damit ist der erste Schritt gemacht: wir werden unterschätzt."

Dann gewinnen wir das Rückspiel eben 4:2...

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