Eua Senf

Berlin ist eine Reise wert

08.06.2008, 00:00 Uhr von:  Gastautor
Berlin ist eine Reise wert

Wir schreiben den 19. April 2008. Ein Tag für die Geschichtsbücher. Doch der Tag fing sehr ernüchternd an, denn um kurz vor fünf klingelte morgens mein Wecker. Von Final-Feeling noch nichts zu spüren. Schnell zwei Toasts reingehauen, mich fertig gemacht, mit den Anderen getroffen. Um kurz nach sechs begann unsere große Reise in die Hauptstadt. Es wird darüber geredet, wen Doll an diesem denkwürdigen Tag spielen lassen könnte, in wieviel Stunden wir ankommen und wie viele Dortmunder wohl noch zusteigen würden. Die letzte Frage erwies sich schnell als überflüssig, da schon an den ersten Bahnhöfen klar wurde, dass Schwarzgelb in diesem Zug die Oberhand haben würde.

Nach ein paar Bierchen und viel Warterei, war es soweit. Unser Regionalexpress kam in Berlin - Zoologischer Garten an und man konnte direkt einen Blick auf die Gedächtniskirche erhaschen. Wir vier verließen den Bahnhof und machten uns um kurz vor drei gleich auf den Weg zum allseits bekannten Treffpunkt. Vor allem hinter der Kirche (vom Bahnhof aus gesehen) war einiges los. Ein Ball wurde wie wild durch die Luft geschossen, bis er einmal Richtung Straße rollte und dann wieder vom grinsenden Michael Steinbrecher in die Menge getreten wurde. So langsam merkte man, dass das Ganze heute ein ganz besonderer Tag war, mit einer völlig ungewohnten, euphorischen Atmosphäre. An der Kirche verweilten wir noch einige Minuten, bis wir uns dann aufmachten, um das Brandenburger Tor mal genauer unter die Lupe zu nehmen, wenn man schon mal da ist. Die Kontrollen für das Public Viewing taten wir uns nicht an, also rannten wir einmal um den Häuserblock. Auf dem Vorplatz war schon gut was los.

Fans an der Gedächtniskirche

Als glücklicher Ticketbesitzer kann ich bis jetzt noch nicht beurteilen, wie die Stimmung dort war, aber ich kann es mir schon ausmalen. Später ging es wieder zurück zur Gedächtniskirche, wo wir feststellten, dass wohl doch schon einige Schwarzgelbe auf dem Weg zum Stadion waren. Also nix wie hin. Wir waren schließlich nicht da, um uns gemütlich die Stadt anzugucken. Schnell in die Bahn rein und ab ging es.

Die Kontrollen am Eingang waren überraschend locker. Selbst einen Doppelhalter mit reinzunehmen, war kein Problem, obwohl vorher klar gesagt wurde, dass diese verboten seien. Nunja, umso besser. Am Blockaufgang trennten wir vier uns, da man ja keine vier Plätze nebeneinander hatte. Aber das war sowieso jedem egal. Bevor wir die Plätze einnahmen, wurden uns die gelben Fähnchen für die Choreo in die Hand gedrückt.

Die Zeit bis zum Spielbeginn verging wie im Flug. Dazu trug vor allem Nobby bei, der schon alleine für eine unglaubliche Atmosphäre sorgte. Man spürte die Aufbruchstimmung, jeder Einzelne wollte alles dafür tun, damit wir später den Pott in unseren Händen halten durften. Einfach unbeschreiblich.

Torjubel zur Münchener Führung

Das Spiel begann, die Kurve am Marathontor sang sich in den Rausch. Man sah die Mannschaft kämpfen, doch dann die Ernüchterung. Ribéry mit einem unglaublichen Antritt, Toni schiebt ein, 0:1. Zugegeben, das Dingen warf auch mich ein wenig aus der Bahn, doch schnell war einem klar: Es musste weitergehen. Die Kurve fing wieder da an, wo sie vor dem Gegentor aufgehört hatte. Man sang und sang und sang, denn gerade jetzt brauchte uns die Mannschaft. Ohne wirkliche Höhepunkte ertönte der Halbzeitpfiff. Hier war noch alles drin!

Zweite Hälfte, weiter geht´s. Langsam aber sicher entwickelte sich ein Dauergesang auf der Tribüne, der von den Vorsängern immer wieder angepeitscht wurde. Ab und zu fragte man sich, ob man hier auch noch einen Gegner im Stadion hatte. Das Ergebnis: Auf dem Platz sicherlich, auf der Tribüne wohl eher nicht. Von den Bayern nichts zu hören. Und so langsam gab die Partie auch das Bild der Tribüne wieder. Die Borussen schmissen sich in jeden Zweikampf, kassierten dafür aber auch die eine oder andere Gelbe Karte. Auch wenn ich immer noch nicht davon überzeugt bin, dass das Verhältnis von 6:2 so berechtigt war. Aber auch egal. Man merkte, dass in diesem Spiel noch alles möglich war. Und so langsam hatte man auch Torchancen...

Doch die Uhr wurde so langsam das Problem. Die Sekunden verflogen genauso schnell wie schon vor dem Spiel. Nämlich zu schnell. Trotzdem, noch war das Spiel am Laufen und noch hat der Schiedsrichter nicht abgepfiffen. Jetzt nochmal Ecke Dortmund. Ich schaute auf die Anzeigetafel. Es waren schon 91 Minuten gespielt. Vielleicht die wichtigste Ecke der Saison, die letzte Chance. Dede läuft schnellen Schrittes zur Eckfahne, ich schaue in den Himmel.

Der Ausgleich

Lieber Fußballgott im Himmel, wenn es dich gibt, haben wir es jetzt nicht verdient? Dann Verwirrung im Strafraum, ich erkenne kaum etwas von meinem Platz aus, ich sehe Tinga in das Tornetz laufen und Tor! Diese Momente danach in Worte zu fassen, ist schlichtweg nicht möglich. Was danach passierte, kann man nicht beschreiben. Der schönste schwarzgelbe Augenblick überhaupt. Sowas erlebt man sicherlich nur ganz selten. Was bedeutete dieses unglaubliche Tor? Verlängerung!

Man hatte so ein wenig das Gefühl, dass jetzt wirklich alles für uns sprechen sollte. Und den Fußballgott gibt es ja anscheinend wirklich, also was sollte jetzt noch passieren? Solche Sätze schwirrten durch meinen Kopf. Es wurde weiter gesungen, geschrien, gekämpft. Ich sehe eine Dortmunder Mannschaft, die alles für den Verein gibt. In der 100. Minute zieht Kringe aus ca. 25m ab. Super Schuss, Kahn hat ihn. Weitermachen!

Wir alle machten weiter, doch in Minute 103 rollte der rote Express auf unser Tor zu. Ribéry auf Podolski, der schießt in die Mitte, Ziegler geht mit dem Ball mit, Toni schiebt wohl unbewusst ein, 1:2. Das tat einfach weh. Sollten wir jetzt nochmal wiederkommen? Nicht nachdenken, weiter geht´s. Danach kassiert Kuba die Rote Karte und die Hoffnung schwindet.

Die Kurve tobt

Aufhören konnte in diesem Spiel nicht in Frage kommen. Das Spiel plätscherte aber leider nur noch vor sich hin, das Feuer war raus. Für die Kurve am Marathontor galt das allerdings nicht. Abpfiff.

Es war nun kaum möglich, einen klaren Gedanken zu fassen. Wie nah waren wir heute dran? Was wäre auf dieser Tribüne abgegangen, wenn wir den Pott geholt hätten? Wollte mir der Fußballgott sagen, dass es ihn doch nicht gibt? Muss Bayern halt immer gewinnen?

Die Trauer hielt sich noch in Grenzen, es war viel mehr Leere. Ich höre und lese immer wieder Sätze wie: "Wir sind heute die wahren Sieger.", "Wir haben gezeigt, was es heißt, Borusse zu sein.", "Bayern-Fans tun mir Leid.".

So ganz verneinen kann ich davon nichts. Trotzdem fühle ich mich immer noch als Verlierer. Wir Fans waren unbeschreiblich, die Mannschaft hat alles gegeben, jeder einzelne wollte den Traum wahr werden lassen. Und doch hat es nicht gereicht. Es tut nach wie vor weh, das kann und will ich einfach nicht abstreiten.

DANKE AN EUCH ALLE!

geschrieben von Sebastian

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