Eua Senf

Oranje lebt hoch!

09.06.2008, 12:34 Uhr von:  Gastautor

Bei jeder WM oder EM ist es immer das gleiche. Immer wenn die Leute hören, dass ich für die Holländer, also eigentlich für die Niederländer, bin, sehe ich nur Stirnrunzeln bis entsetztes Abwenden. „Wie kann man denn für die Holländer sein? Damals der Rijkaard, der hat doch „Tante Käthe" angespuckt." „Ja, stimmt, antworte ich. „Hat Alex Frei bei einem WM-Spiel gegen den Engländer Steven Gerrard auch schon gemacht. Trotzdem ist unser Alex ein geiler Stürmer." „Und der Koeman hat sich damals das deutsche Trikot mit dem Hintern abgewischt." „Ja, stimmt. Ich find den Koeman auch blöd. Ein Glück, dass der nicht beim BVB Trainer wurde, sondern Kloppo."

Man ist halt immer in der Defensive. Wenn ich mit meinem Nederland-Trikot im FC Magnet in Berlin die Spiele meiner Mannschaft schaue, bekomme ich zumeist komische, irritierte Blicke. Während der letzten Fußball-WM gehörte ich zu der kleinen Handvoll Leuten, die sich getraut haben, ihre Sympathien für die Oranjes offen zu zeigen. Gejubelt haben komischerweise immer viel mehr in dem Saal. Es ist so ein bisschen wie Dieter Bohlen gut finden, Bild lesen. Man sagt das halt nicht so laut.

Angefangen hat meine Liebe zu den Oranjes Ende der 70er Jahre. Als 10jähriger habe ich damals das WM-Endspiel 1978 der Niederlande gegen Argentinien gesehen. Mario Kempes, der argentinische Stürmer besiegelte mit 2 Toren im Papierverschneiten Buenos Aires wieder einmal eine Niederlage in einem WM-Endspiel. Genau so wie 74 gegen Deutschland. Holland war eigentlich besser, aber sie verloren. Irgendwie taten mir die Holländer leid.

Einige politisch korrekte werden jetzt natürlich sagen, dass heißt doch Niederlande, nicht Holland. Holland ist doch nur ein Bundesland. Stimmt, aber irgendwie klingt es doch netter, kleiner und nicht so förmlich. So wie ich dieses Land in meiner Kindheit kennen gelernt habe. Meine Eltern fuhren mit mir damals regelmäßig in den Sommerferien immer an die holländische Nordseeküste. Von Dortmund war das nicht weit. Auch noch heute, wenn ich dort hinfahre, verbinde ich damit eine schöne Kindheit und Jugend. Meinen ersten Kuss mit der süßen, blonden Femke aus Domburg, lange Nächte im Discopub Jojo in Zoutelande, wo die DJ´s - so wie im Radio - immer ganz schnell sprechend das nächste Lied ansagten. Sicher gab es nicht nur Positives. Einmal sah ich bei einer Radtour ein kleines Kind, das mir den Hitler-Gruß zeigte. Das gab es leider auch, war aber die einzige Ausnahme.

Die Liebe zu den Oranjes hat aber natürlich viel mit dem Fußball zu tun. Cruyffs Genialität habe ich nicht mehr mitbekommen. Dazu war ich noch zu jung. 78 gab es Arie Haan, der später auch mal Trainer in Stuttgart war oder die Brüder van de Kerkhof mit ihren lustigen Kotletten. Damit begann es. In den 80er Jahren dann Rasta-Mann Ruud Gullit, die Koeman-Brüder, Frank Rijkaard oder den Torwart van Breukelen, der Kahn in allen Bereichen, vor allem im Torwart-Wahnsinn, in Nichts nachstand. In dieser Zeit holten die Elftal, so nennt man sie auch, ihren einzigen Titel. 1988, das auch noch in Deutschland. Damals haben sie im Halbfinale die Deutschen in Hamburg 2:1 besiegt und dann im Finale hoch verdient unter Trainer „General Rinus Michels" gewonnen. Mit einem der schönsten Tore der Fußball-Finals. Der damalige Mittelstürmer Marco van Basten schießt einen Ball aus schier unglaublichen Winkel mit einem artistischen Volley unhaltbar zum 2:0 in das russische Tor. Das war dann aber auch der einzige Titel über den man sich freuen konnte.

Schöne Tore konnten Sie schon immer schießen. Der geniale Dennis Bergkamp zum Beispiel. Er erzielte im WM-Viertelfinale 1998 gegen Argentinien nach einem wundervollen 50-Meter-Pass von Frank de Boer kurz vor Schluss mit einer 1a-Ballannahme und einer geschickten Körpertäuschung das 2:1. Cruyff, Gullit, van Basten, Bergkamp, selbst Torhüter wie Edwin van der Sar oder Abwehrspieler wie Jap Stam waren/sind technisch hervorragend geschult. Alfred Nijhuis, unser ehemaliger Borusse, war vielleicht eine Ausnahme. Auch jetzt, wenn man sich den Kader für die jetzt stattfindende EM anschaut, kann man nur noch mit der Zunge schnalzen: Ruud van Nistelrooy, einer der besten Stürmer der Welt. Der Noch-Amsterdamer Klaas Jan Huntelaar, wahrscheinlich irgendwann sein Nachfolger als einer besten Stürmer der Welt. Die Dribbelmaschine Arjen Robben, Rafael van der Vaart oder der bei Real Madrid diese Saison überragend spielende Wesley Sneijder. Viele spielen in den besten Ligen der Welt. Eigentlich müsste doch dann mit diesem Kader bei dieser EM einiges zu erwarten sein.

Aber leider muss man sich wahrscheinlich als Oranje-Fan darauf einstellen, dass die Elftal wieder einmal knapp scheitern wird. So wie es 1974 und 1978 in den WM-Finals war, 1992 im EM-Halbfinale im Elfmeterschießen gegen den späteren Sieger Dänemark oder auch 1998 im Elfmeterschießen gegen die Brasilianer im WM-Halbfinale. Oranje-Fans mussten schon einiges verkraften. Sie arrangieren sich aber damit. Deshalb war die 2002 ohne die Holländer auch kein großer Beinbruch. Relativ gesehen.

Wie bei jeder EM/WM hoffe ich, dass es doch mal wieder einen Titel für die Elftal gibt. Trotz der Todesgruppe mit Weltmeister Italien, Vize-Weltmeister Frankreich und die nicht zu unterschätzenden Rumänien. Und wenn es diesmal nicht klappen wird, dann kommt nach der EM Bondscoach Bert van Marwijk, der den BVB in ganz schlimmen Zeiten in ruhige Fahrwasser gebracht hat. Und wie jedes mal wird es wieder die Frage zu meiner Fan-Identität geben: „Sag mal, wie ist das denn dann, wenn Deutschland gegen Holland spielt. Für wen bist du dann eigentlich?" „Einigen wir uns auf Unentschieden. Vielleicht."

geschrieben von Thomas Radon

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