Topspiele in schwatzgelb

Vor 10 Jahren - Ein Tag für die Ewigkeit

28.05.2007, 00:00 Uhr von:  BoKa

Es ist der 28. Mai 1997. Als 3. deutscher Verein nach Bayern und HSV gewinnt Borussia den Europapokal der Landesmeister. Es gab kein Halten mehr! Mit seinem exakt 100. internationalen Spiel sicherte sich der BV Borussia Dortmund seinen Platz in der Ruhmeshalle des großen Fußballs. Superlativen wurden aneinander gereiht und verkniffene Gesichter von ?Bayern-Statthaltern? auf der Haupttribüne "Ihres" Stadions kündeten eindrucksvoll vom größten Erfolg der 88- jährigen Vereinsgeschichte des zweit-beliebtesten Vereines in Deutschland. Ein Ruhrpott-Verein auf dem Weg "Geschichte" zu schreiben

Es war geschafft: Der Stadionsprecher in "Old Trafford" gratulierte uns mehrmals in bestem Deutsch zum Einzug ins Finale, daß diesmal ausgerechnet in München stattfand und schob kurzerhand nach: Das WIR doch bitte schön gewinnen mögen, wenn schon nicht Manchester! Und noch immer hatten wir nicht realisiert, was da auf dem Rasen geschehen war! In einer unglaublich packenden Begegnung hatten unsere Jungs durch Lars Ricken´s Schlenzer in der Höhle des Löwen 0:1 bei Backham, Giggs, Keane & Co. gesiegt und ein Name stand wie kein anderer im Mittelpunkt der freudigen Erregung: "Jürgen Kohler Fußballgott" schallte es immer und immer wieder aus der uns zugewiesenen Ecke der Tribünenseite hinunter auf den Ground und der "Kokser" verneigte sich artig ob der voluminösen Darbietung aus den Kehlen der fast 5000 mitgereisten Schwatzgelben.

Und dabei hätte es ein vielfaches mehr bedurft, um unserem "Stopper" dafür zu danken, daß er mehrmals als der unüberwindlichere "letzte Mann" auf der Torlinie im Kampf bei der Verhinderung eines Gegentores hervorgegangen war (Eric Cantona, dieses schon mal auf´m Platz Kung-Fu-praktizierende "Enfant Terrible" aus Frankreich, beendete gar seine Karriere nach diesem traurigen Tag für den englischen Fußball).

Doch Jürgen war mehr als ein Fußballgott, er war für uns an diesem Abend einfach "der Größte" und Borussia hatte etwas geschafft, was vorher nie ein Mensch für möglich gehalten hatte ? Wir hatten das "große Cupfinale" erreicht. Ausgerechnet gegen Juve! Jene ?alte Dame?, die offenbar gegen uns immer den Nymbus der Unschlagbarkeit besaß und uns schon am 6. und 20. Mai 1993 in zwei UEFA-CUP-Endspielen (1:3 und 0:3) vernichtend geschlagen hatte? In der damals siegreichen Formation der FIAT-Städter stand damals übrigens noch - und so schließt sich der Kreis - Jürgen Kohler selbst, ja wenn das kein gutes Omen war?

Kaum wieder zurück im good old Germany, ging sogleich der Run auf die nur etwa 25.000 offiziellen Tickets los. Ein Kampf, der uns alles abverlangte. In zähem Ringen mit Michael Meier und seinem Vergabeschlüssel hatten die "eingetragenen Fanclubs" ihre schmale Schnitte abbekommen vom durch die bevorzugte Vergabe an die Vereins-Mitglieder und Sponsoren übriggebliebenen Kuchen! Und mancherorts hat es da lange Gesichter gegeben, nach bekannt werden der "Quote", doch letztlich hatten schon "die Richtigen" ihre Busse voll! Transparente und Tafeln wurden gemacht und so hatten beispielsweise die "Treuen Dortmunder" DIN A 2 große Wendetafeln hochgehalten, auf denen auf der A-Seite: Kämpft Borussen, kämpft !!! zu lesen war und auf der B-Seite - wie sollte es anders sein - dem Helden von Manchester gehuldigt wurde. Nur, wie schwer es ist, angesichts des bevorstehenden Ereignisses 24 nicht mehr ganz nüchterne Personen gleichzeitig zum Drehen dieser Tafeln zu bewegen, steht auf einem ganz anderen Blatt, wie die Premiere dann später auf grausamste Weise zeigen sollte... Und noch ein "Problem" war zuvor unangenehm aufgetaucht: In einem wahren "Elfmeter- Besuppungskrimi" hatte der ungeliebte Gelsenkirchener Vorortverein eine Woche zuvor in Mailand völlig überraschend den UEFA-CUP errungen. Jetzt waren wir gefordert, die "RUHRPOTT-EHRE" zu retten. Wir mussten aus München also unbedingt als Sieger erster Klasse heimkehren. Etwa ab Mitternacht setzte sich dann die wohl größte Kolonne seit Berlin ´89 gen "Nordflorenz" in Bewegung: Fiiiii-naaaaa-le...ohhhhoo, Fiiiii-naaaaa-le ...ohhohohooooo !!!

Am 26. Mai startete dann für die BVB-Equipe das Abenteuer "Europapokalendspiel" um 11 Uhr auf dem Flughafen Dortmund-Wickede in Richtung "Limmerhof" in Taufkirchen, der etwa 20 Kilometer südlich von München gelegenen Unterkunft der Borussen. Im Vorfeld dieses "Gladiatorenkamps" sind alle relativ gelöst und der "Dortmunder Junge" Stefan Klos bringt es einfach auf den Punkt: "Endspiele sind nur schön, wenn man sie gewinnt!? Und Karlheinz Riedle ("Relaxed ist bei uns niemand mehr, die Spannung steigt von Minute zu Minute") hatte die passende Vision dazu: Unter gellendem Lachen erzählte er beim Frühstück im Mannschaftskreis, daß er abends gegen die "Juventinos" zwei Buden machen würde, weil er das "hellseherisch" in der Nacht im Traum schon durchgespielt habe. Doch wer glaubte das schon wirklich?

Und dabei wollte er in der Winterpause schon den BVB verlassen und einer verlockenden Offerte Inter Mailands folgen, aber Michael Meier verweigerte - zum Glück - die Freigabe und erinnerte an den laufenden Kontrakt bis 1998! Auch einer entsprechenden Anfrage von Lazio Rom, den Allgäuer zurückzuholen, erteilte der BVB-Vorstand eine schnelle Abfuhr. Wie richtig diese Entscheidungen waren, wurde wohl jedem klar, der seinen abgebrühten "Doppelpack", die Tore Nummer 17 und 18 in seinem 36. Europacupspiel für die Schwatzgelben bejubelte. Dass er dann doch in der kommenden Saison vom neuen BVB-Coach Nevio Scala aussortiert werden sollte, ahnte da noch keiner...

Hitzfeld zieht "Matthes" dem "Feier" vor

Kurz vor der Fahrt zum Olympiastadion beschwor der Präsident noch mal die Einheit: "Wir sind eine Finalmannschaft. Das zeigt schon der Blick in die Geschichtsbücher." Überhaupt hatte der "Doc" nach einer von Pech und Pleiten gezeichneten Rückrunde "Schwung und Leidenschaft" vermisst und nur schwer verknust, dass der Titelhattrick so leichtfertig von seiner Truppe verschenkt worden war. Umso mehr predigte er jetzt Selbstvertrauen für den krönenden Saisonabschluss. Ein Selbstbewußtsein, dem sich auch Coach Ottmar Hitzfeld anschloß, als er statt dem in Manchester überragenden Wolfgang Feiersinger den gerade so eben noch notdürftig genesenen Matthias Sammer nominierte und "vor" die beiden Manndecker Kohler und Kree stellte! Das entsprach nicht unbedingt Hitzfeld´s bisherigem Sicherheitsdenken. Ein genialer Libero und mitreißender Kämpfer wie er, sollte einer lange nach Orientierung suchenden BVB-Abwehr die dringend benötigte Stabilität geben. Zum 5´er Mittelfeld, mit Reuter (rechts), Heinrich (links) sowie Lambert - Möller - Sousa eigentlich vom Feinsten besetzt, gesellten sich dann die Spitzen Riedle und Chappi, der in seinen bisherigen 6 BVB-Jahren immerhin schon satte 80 Buden für Schwatzgelb erzielt hatte. Eine Mannschaft, die sich auch vor dem großen Turiner Rekordmeister nicht zu fürchten brauchte. Einzige Einschränkung: Der BVB musste Weltklasseverteidiger Julio Cesar vor´m Zug durch Martin Kree ersetzen, startete aber ansonsten mit der besten Aufstellung.

Und total konzentrierte Spieler betreten auch den Platz, der von ca. 35.000 frenetisch singenden Schwatzgelben eingesäumt wird. Man hat wohl noch niemals zuvor so viel schwarze und gelbe Farben in einem Stadion gesehen als heute. Der BVB-Ausrüster "Nike" hatte mit seinen Supporter-Teams passende Plastikfahnen, sogenannte "give aways" an die in München stadteinwärts einströmenden Busbesatzungen verteilt, die das Bild gigantisch ganzheitlich gelb einfärbten. Ein weiterer Vorteil war zweifellos, dass wir nicht in der ungeliebten "Südkurve" der Bazis stehen mussten, die schön den Norditalienern vorbehalten war! Gut so!

Anstoß BVB und sofort greifen drei Juve-Spieler den jeweils ballführenden Borussen an. Es wird sogleich deutlich: Hier wird gegen eine europäische Spitzenmannschaft gespielt, kein Bochum, Düsseldorf oder Bielefeld... In der 3. Minute schon der erste Aufreger. Nach einem Zweikampf zwischen Stefan Reuter und Mittelfeldspieler Jugovic im Strafraum schüttelt der allzeit souveräne Schiedsrichter Sandor Puhl aus Ungarn mit dem Kopf und bedeutet ?weiterspielen.? Gottlob, das hätten wir so früh auch nicht verkraftet! Nach 5 Minuten machen wir uns zum ersten mal auf, den Kreislauf in Wallung zu bringen. Unsa "Chappi" natzt auf dem linken Flügel Ciro Ferrara und bringt das Leder rein. "Kalle" is zwar da, aber sein Schuss wird zur Ecke abgeblockt. Und praktisch im Gegenzug dann fast kollektiver "Herzstillstand" im schwatzgelben Lager: Hatte doch tatsächlich Christian Vieri, diese vor Körperfülle strotzende Tormaschine der "rosso´neri" unsern Matthes überlaufen und aus vollem Lauf das Außennetz getroffen! Puh, wenn das mal gut geht mit Sammer dachten alle!

Und schon waren die ersten 20 Minuten rum, ohne Nennenswerte Erwähnungen. Ausgeglichenes Spiel, die Anspannung auf den Tribünen groß. Weltstar Zinedine Zidane kommt immer besser ins Spiel. In der 23. Minute kann er sich der Bewachung von Paul Lambert entziehen und setzt Deschamps auf dem Flügel gekonnt ein. Dessen Flanke landet bei Alan Boksic, der allerdings am aufmerksamen Stefan Klos scheitert. Nach knapp einer halben Stunde dann die unerwartete Führung für den BVB. Eine Ecke von Möller wehrt Keeper Peruzzi zu kurz ab. Der Ball landet bei Paul Lambert, der das Leder hoch auf den langen Pfosten schlägt, wo der einschussbereite "Kokser" bereits lauert. Doch der "Fußballgott" lässt Kalle Riedle den Vorzug, der den Ball mit der Brust annimmt und mit einem knallharten Flachschuß Keeper Angelo Peruzzi ohne Chance lässt! Tooooooooooooor, 1:0 für Borussia, der Laden steht Kopf! Und Borussia bleibt ihrer Linie in der Champions League treu: 10 Spiele und 10 mal 1:0 in Führung gegangen!

Kalle´s Doppelschlag beendet Turiner Träume vorzeitig

Der BVB bleibt am Drücker gegen völlig verunsicherte Turiner! Das hatte sich die erfolgsverwöhnte Diva aus Italien so nicht vorgestellt ? im Gegenteil. Noch einen Tag zuvor hatte Didier Deschamps beim Abschlusstraining spöttelnd gesagt: "Juve ist nicht besser als die anderen. Der Unterschied liegt im Kopf. Wir hatten bisher einfach die größere Siegeswut." Und jetzt? Jetzt lagen sie hinten gegen total beeindruckende und siegeswillige Dortmunder! In die eigene Defensive gedrängt hat der BVB jetzt deutlich Oberhand und setzt seinerseits nach. Nur 5 Minuten später kann Sergio Porrini in höchster Not zur Ecke klären. Diese tritt wie immer Andy Möller, diesmal scharf auf den ersten Pfosten, wo sich der zur Zeit wohl kopfballstärkste Spieler der Welt aufhält und demgemäß auch hochsteigt. Zwar wird er bedrängt, aber das hindert "Air Riedle" keineswegs daran, mit seinem zweiten Tor seinen Platz im "Olymp der Fußballhelden" einzunehmen! Wuchtig nagelt er das Leder in die Maschen und lässt Peruzzi abermals keine Abwehrchance! Jaaaaaaaaaaaa, 2:0 in der 34. Minute ? unfassbar! Ganz Fußballdeutschland steht Kopf, niemand hatte das im Vorfeld so erwartet. Stadionsprecher Norbert Dickel (ja er war tatsächlich "live" vor Ort) bestätigte über unzählige Lautsprecher, was ja eigentlich keiner glauben konnte, hätte man es nicht selber mit eigenen Augen gesehen! Auf der Treppe hinunter in den Block kommt dem Schreiber dieser Zeilen der "Präsi der Sonnenkönige" entgegen, bewaffnet mit einer BVB-Fahne in der Hand und fällt mir sogleich vor Freude schreiend um den Hals! Ausnahmezustand in München! Und wer das Glück hatte, hier dabei sein zu dürfen, wird diesen tausendfachen Torschrei wohl niemals wieder vergessen!

Aber zurück zum Spiel, denn ?Juve? ist jetzt wütend und will sich nicht so vorführen lassen. Es sind vor allem Zidane und der quirlige Di Livio, die jetzt in die trügerische Sicherheit der Borussen ein um´s andere mal einbrechen. Arbeitsbiene Deschamps sichert als eine Art "Quarterback" hinter "Sisu" ab, damit der das Turiner Spiel nach vorne antreiben kann. Sie wollen noch vor der Pause zumindest den Anschlusstreffer erzwingen, das wird deutlich. Und beinahe wäre es vor der Pause passiert. Die BVB-Abwehrformation im Tiefschlaf (Kree) kombinieren die "Franzosen im blau-gelben Trikot" wie im Training und Zidane trifft - am sich vergeblich streckenden Klos vorbei - "nur" den Pfosten. Durchatmen! Und dann fällt das Tor für Turin doch noch vor der Pause ?- meinten alle, aber der aufmerksame Schiedsrichter Puhl erkennt den Treffer von Vieri nicht an, weil dieser den Ball mit der Hand mitgenommen hat. Donnerlittchen, sowas haben aber viele seiner Zunft auch schon mal übersehen, salopp gesagt! Das war aber genau das richtige Warnsignal für unsere Jungs, um sich jetzt bloß wieder aggressiver in den Zweikämpfen zu behaupten, denn wenn man dieses "Starensemble" da munter spielen lässt, sind wir wohl ohne Chance!

Lippi will mit Weltklassemann Del Piero die Wende erzwingen

Und in der Tat kommt der Favorit eher aus dem Kabinentrakt. Grad so als ob sie signalisieren wollten, es könnte Ihnen gar nicht früh genug losgehen, die Aufholjagd zu starten! Marcello Lippi hat reagiert, die Viererkette zu Gunsten eines 3. Stürmers aufgelöst und dieser Stürmer ist kein geringerer als Alessandro Del Piero, das fleischgewordene Schreckgespenst der Dortmunder! Aber auch der BVB scheint entschlossen. Wesentlich konzentrierter stehen sie jetzt seit Wiederanpfiff bei ihren Gegenspielern und machen die Räume eng. Ottmar scheint beim Halbzeittee also doch die richtigen Worte gefunden zu haben. Immer wieder schallt´s zustimmend von den hohen Rängen dieses missratenen Stadions auf den Platz: Brussja, Brussja, Brussja! Der BVB hat auch weiterhin seine Möglichkeiten. Etwa in der 54. Minute, als Andy Möller einen Freistoß reinbringt und Kalle Riedle knapp am rechten Torpfosten vorbeiköpft. Aber alles in allem merkt man schon, dass sich der Wind spürbar dreht und die Italiener jetzt merklich stärker werden. Vor allem durch die Hereinnahme von Del Piero ist im Mittelfeld ein deutliches Übergewicht entstanden, da sich Möller wie gehabt in diesen wichtigen Phasen versteckt. Jaja, gegenhalten ist sein Ding nicht, dass wissen wir ja schon länger! Und dennoch hat die Glücksgöttin ihre Hand immer noch über unserm Team, denn wie anders soll man das werten, wenn nach einem Preßschlag zwischen Vieri und `Eisenfuß´ Kree der Ball zwar so gefährlich auf das Dortmunder Tor zutrudelt, aber ihn Stefan Kloß so gerade eben noch an das Lattenkreuz zu lenken vermag? Dusel pur!

Aber so was währt ja bekanntlich nicht ewig. Und, um eine alte Fußballweisheit zu bemühen, weiß ja jeder Freund diesen Sportes schließlich, "dass, wer seine Chancen nicht verwertet, hinten stets noch einen reinkriegen wird." Und da ist es auch schon passiert. Quasi aus dem nichts. Der Anschlusstreffer! Nach einem Querpass dringt Boksic in den Strafraum ein und Kohler kreuzt seinen Weg. Er weiß, wenn er jetzt nicht zurückweicht, wird der Stürmer fallen und sowohl Pfiff als auch Fingerzeig auf den Kreidepunkt würden sich anreihen. Bruchteile einer Sekunde überlegt er, entscheidet sich aber dann doch für´s weichen und lässt den kroatischen Nationalspieler unbedrängt Richtung Außenlinie ziehen und - was noch viel schlimmer ist - flanken! Der Adressat ist Del Piero und dieser nimmt den Ball in Weltklassemanier wie es, nur ganz wenige außer ihm können, mit der Hacke und vollendet so außergewöhnlich direkt. Der stutzende Klos und die kopfschüttelnde schwatzgelbe Menschenmasse staunen zwar nicht schlecht, aber Tatsache ist: Es steht 1:2 - der Ausgang dieses Endspiels ist wieder völlig offen!

Ein Mann Namens Ulrich Hoeness - seinerseits selber daran interessiert, dass der BVB hier keinesfalls gewinnen möge - springt auf und jubelt exstatisch. Später sollte er, darauf von der erstaunten Journaille angesprochen antworten, dass er sich ja "nur" über das schöne Tor an sich gefreut habe! Du Pharisäer!

Erstmals geht bei uns die blanke Angst um im weiten Rund. Der BVB wackelt wie ein angeschlagener Boxer im Ring und alle hoffen, dass er sich baldigst wieder fangen möge. Und sie kämpfen, unsere Jungs. Sie schmeißen sich in die Zweikämpfe und halten dagegen. Nur nicht zu weit hinten reindrängen lassen, es ist jetzt in dieser Phase ungeheuer wichtig, sich gegen die aufkommenden Turiner zu wehren. Unterdessen matert sich draußen auf der Bank der 1991 aus dem beschaulichen Schweizer Aarau in die Westfalenmetropole gekommene Ottmar Hitzfeld den Kopf, was für einen Schachzug er jetzt unternehmen soll. Auf der Bank saßen ja noch Alternativen. Sollte er etwa jetzt zur Festigung der Defensive auf der rechten Seite Zorc oder Feiersinger reinwerfen, oder doch lieber mit Herrlich oder Ricken einen weiteren Offensivspieler bringen?

Und "Stan" Libuda hat (s)einen Nachfolger...

In der 70. Minute war seine Entscheidung gefallen. Das Dortmunder Urgewächs Lars Ricken machte sich fertig, um in die Unvergänglichkeit der Geschichte einzugehen! Nur 6 Minuten nach Del Piero´s Traumtor zum zwischenzeitlichen Anschluss kam der 20-jährige Bundeswehrsoldat, sah und siegte mit "seinem" BVB. Aber der Reihe nach.
Jeder von uns hat diese Szene noch genau vor seinen Augen.Chappi verließ drei Minuten nach Kalle Riedle, der "Mann des Abends" (für ihn kam Heiko Herrlich)den Platz und Lars ging auf´s Feld. Er orientiert sich sogleich in den völlig freien Raum im rechten Mittelfeld und bietet sich an. Möller treibt den Ball durch das Mittelfeld und passt millimetergenau in den Lauf von Lars, der das Laufduell gewinnt und über den total verdutzten Angelo Peruzzi hinweg ins Netz lupft.

Tooooooooooor, was für ein Tor!!! Wie sich doch die Geschichte gleicht. 31 Jahre und 23 Tage zuvor hatte der legendäre Ernst Huberty aus dem Glasgower Hampden-Park geschildert: "Und Libuda´s Ball senkt sich...ins Tor!" Borussia Dortmund führt mit 3:1 und Torino und ganz Italia sind geschockt! Auf der Ehrentribüne schauen sich Juve- und FIAT-Präsident Gianni Agnelli und Vize Roberto Bettega (der sich anschließend böse daneben benahm und Schirri Sandor Puhl sogar der Bestechlichkeit bezichtigte!) an und ihr Blick ist nicht (mehr) von Zuversicht geprägt. Borussias Mann für die wichtigen Tore - er hatte grausam zugeschlagen! "Ich habe von dort aus beobachtet, dass Peruzzi (War am Tag zuvor Vater seines ersten Kindes geworden) oft sehr weit vor dem Tor steht und darauf spekuliert, dass ich möglichst den Ball bekomme. Dann war es für mich die sinnvollste Alternative, das Tor zu machen", erklärte er mit schelmischem Grinsen, wie er den gegnerischen Torwart ausspioniert und wieder einmal einen wichtigen Treffer erzielt hatte. Dieser "forsche Rotzlöffel", der auf dem Platz so kess aufspielt wie er auch außerhalb des Spielfeldes aufzutreten vermag, hat sich bei den Schwatzgelben endgültig unbezahlbar gemacht!

Zorci zum Cup geschubst...

Etwas anders hatte er sich den Gewinn des Landesmeister-Cups schon vorgestellt, der vom Trainer auf die Reservebank abgeschobene Kapitän Michael "Susi" Zorc. Nach dem er bereits eine Viertelstunde vor Schluss vom feiernden BVB-Anhang stürmisch gefordert wurde, ließ sich der Erfolgscoach milde stimmen, schickte Michael noch für 5 Minuten und 20 Sekunden auf´s Feld und ließ auch ihn in der fröhlichen Stimmung rund um den Platz baden. Nach dem Schlusspfiff genoss er sichtlich die Freude im Kreise seiner Mannschaftskameraden und als es galt, den Pokal von UEFA-Präsident Lennart Johansson entgegen zu nehmen, zögerte er verständlicherweise. Matthias Sammer führte das Team und war traditionell dafür auserkoren, nun vorzutreten. Aber da ereignete sich etwas, was man gemeinhin als "Geste der Größe" vernimmt, denn "Matthes" schob "Susi" um 22.31 Uhr mit den Worten "Nimm Du den Pokal, Du bist der Kapitän" nach vorn und brachte die Dinge damit auf sensible Weise so wieder ins Lot. Und als dann noch der in der Mannschaft hoch angesehene Stefan Reuter "Hand anlegte" und Zorc in Richtung Treppe schob, war alles klar. "Es war eine tolle Geste der Mannschaft", befand der überglückliche Ur-Dortmunder Junge mit kaum zu verbergender Freude. Sicher war dies auch der versöhnliche Abschluss einer außergewöhnlichen Karriere, die sich in diesen Tagen bereits merklich dem Ende zuneigte - doch ein großes Highlight sollte noch folgen!

Der Ball ist ja bekanntermaßen rund, aber eine ?Ballnacht? muss nicht zwingend eine runde Sache sein. Den Spielern stand nach all den Strapazen der zurückliegenden Tage und kräftezehrendem Endspiel überhaupt nicht der Sinn nach großen Bahnhof beim Bankett im Münchner Sheraton-Hotel im Arabella-Park. Nach einer "Ehrenrunde inside" verzogen sie sich auf ihre Zimmer und richteten sich für die 3. Halbzeit in der Nobel- Discothek "P1", zu dem der Mannschaftsbus mit Kind und Kegel exakt um 03.00 Uhr abfuhr. Den fast 1000 anwesenden Borussenfreunden war´s egal, feierten sie auch ohne Stars munter weiter den größten Erfolg der Vereinsgeschichte. Wir notieren: Im Erfolg hat der Verein immer schon viele Freunde gehabt...

Triumphaler Empfang in der Heimat

Der passende Song zum siegreichen Finale war bereits überall in die Tiefen der Fanszene gesickert: Wir ham´ den Cup, Cup, Cup haben wir, zwei Klassen besser, als der S04... Die beiden Nächte von Mittwoch bis Freitag machen die Borussen als Helden unsterblich und werden für jeden einzelnen von ihnen unvergesslich. Kaum gelandet, werden sie von einem Taumel der überbordenden Massenhysterie mitgerissen. Am Flughafen Münster/ Osnabrück warten bereits an die tausend Fans als Empfangskomitee auf die Helden der Nation, doch sie hatten Pech! Durch eine unsinnige Bombendrohung in München waren kurzerhand alle Flugpläne über den Haufen geworfen worden. Und so landeten dann still und heimlich um 15.15 Uhr auf dem heimischen Flughafen Dortmund-Wickede die siegreichen Helden ohne große Anteilnahme vor den Augen von ?nur? 500 Fans - mit allerdings ?richtigem Riecher.? An den Straßen stadteinwärts sieht das natürlich gravierend anders aus: Da säumen Hunderttausende die Straßen und auf dem siegeserprobten Friedensplatz warten ebenfalls über 50.000 in enthusiastischer Stimmung! Und so stiegen hundemüde Borussen um 16 Uhr nahe der Geburtstätte an der "Westfalenhütte" in den Autocorso, um dann etwa 5(!) Minuten später bereits am Borsigplatz ins stocken zu geraten. Über Weißenburger Straße, Geschwister-Scholl-Straße auf den Wallring, über Schwanen-, Burg-, Königs- und Hoher Wall ging es auf den Platz der Siegesfeiern zu. Allerdings erst gegen 18.30 Uhr bog der offene 40-Tonner mit der Mannschaft auf die letzten Meter in Richtung Friedensplatz ein. Und als die Mannschaft um Kapitän "Susi" Zorc es gegen 19.00 Uhr endlich geschafft hat, sich durch das jubelnde Chaos zu kämpfen, winken die funkelnden Gesichter von der Empore des Rathauses überglücklich in die riesige schwatzgelbe Borussenfamilie hinein. Endlich waren sie wieder vereint, die Fans, die hier wie dort eine rauschende Fußballnacht gefeiert hatten und die Mannschaft, die ihnen dieses so selbstlos ermöglicht hatte! Schon seit dem frühen Vormittag waren sie aus allen Landen herbeigeströmt, die Pilgerer in Schwatzgelb. Eine riesige Videowand führte noch einmal zum genussvollen Miterleben durch die sämtlichen Spiele und Erfolgserlebnisse in diesem so siegreich abgeschlossenen Wettbewerb. Es war die Zeit zum besinnen und in sich kehren - halt einsame Momente zum Genießen! "Schade Juve, alles ist vorbei" skandieren sie immer wieder und die Brauereien dürften angesichts der Leibzehrung vieler Enthusiasten mehr als zufrieden drein geschaut haben! Eins-Live-Moderator Arnd Zeigler versprach im Überschwang, im Falle eines Sieges mit dem BVB sympathisierende Stars der Sommerparty aus der Westfalenhalle hinüber auf den Friedensplatz zur Siegesfeier zu holen.

Die Nacht (ohne Polizeistunde!) in Dortmund war so kurz wie die Drangperiode von "Juve". Der Europabrunnen in der City wurde kurzerhand in Dortmunds öffentliches Badezimmer umfunktioniert. Bereits früh am morgen duschten übermütige schwatzgelbe Fans im kalten Brunnenwasser. Schon den ganzen Tag hatten die meisten Schaufenster auf der Flaniermeile BVB-Farben geschmückt und eine große Parfümerie auf dem Westenhellweg schminkte für "Kleines" die Fan-Gesichter professionell in Schwatzgelb. Während diese "Domäne der Frau" für gewöhnlich wenig von Männern frequentiert wird, sah das Ganze am Donnerstag mal grundlegend anders aus!

Die Sternstunde der Borussia tut sicherlich dem ganzen Fußball gut und das merkt man, wenn man sich einmal die Autokennzeichen derjenigen anschaut, die seit dem frühen morgen in die Stadt strömen! Aus aller Herren Länder kommen sie, aus ganz Deutschland ebenso, wie aus der Schweiz (5 Busse), Luxemburg, Holland, Österreich und Belgien! Borussia Dortmund ist wieder wer, und hat jetzt sogar die Chance am 2. Dezember in Tokio im Weltpokalfinale seinen Namen weltweit publik zu machen! Dieser Erfolg für das Ruhrgebiet ist geradezu von unschätzbarem Wert. Er krönt in einer Art wunderlicher Renaissance den Fußball genau dort in einer Region, in der er einmal groß geworden ist!

Daten zum Spiel:

Borussia Dortmund: Klos, Kohler, Sammer, Kree, Reuter, Lambert, Sousa, Heinrich, Möller (88. Zorc), Riedle (67. Herrlich), Chapuisat (70. Ricken), Riedle

Juventus Turin: Peruzzi, Juliano, Montero, Ferrara, Porrini (46. Del Piero), Jugovic, Deschamps, Di Livio, Zidane, Vieri (73. Amoruso), Boksic

Tore: 1:0 Riedle (29.), 2:0 Riedle (34.), 2:1 Del Piero (64.) 3:1 Ricken (71.)

Schiedsrichter: Sandor Puhl (Ungarn)

Zuschauer: 60.000 (ausverkauft)

Spielstatistik zum Spiel

Saisonstatistik 1996/97

Eure Erinnerungen an diesem Spiel sind gefragt. Auf www.BVB-Forum.de könnt ihr eure Erlebnisse von damals veröffentlichen.

Dieser Artikel erschien erstmals am 30.12.2002.

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