Stimmungsbericht

20 Minuten Glücksseeligkeit

28.01.2007, 00:00 Uhr von:  Jens Sascha
20 Minuten Glücksseeligkeit
Das Westfalenstadion

Da war es endlich. Das erste vernünftige Heimspiel der Saison 2006/2007 und das ausgerechnet gegen den großen FC Bayern. Dass so ein Ereignis gebührend gefeiert werden muss, ist klar. Aber dennoch war das Freitag in den 15 Minuten vor und den 5 Minuten nach dem Abpfiff mehr als bloße Siegesfreude. Die Haupttribünen standen fast geschlossen, keine leeren Plätze 5 Minuten vor Abpfiff, Frei und Pienaar wurden bei ihren Auswechselungen mit standing ovations bedacht und jede Balleroberung am Ende frenetisch gefeiert.

Choreo auf dem Platz gegen Fremdenhass

Es war der Versuch eines Neuanfangs nach dem Leverkusenspiel. Man merkte gleich zu Beginn, dass die Fans der Mannschaft eine neue Chance geben wollten und so war die Stimmung beim Anpfiff zwar nicht besonders gut, aber auch nicht wirklich schlecht. Gedämpft optimistisch trifft es wohl am besten. Zuerst aber der obligatorische Bananenempfang für Oliver Kahn. Für die einen lieb gewonnene Tradition, für die anderen mittlerweile eine Peinlichkeit. Wie auch immer, auf jeden Fall verzögerte sich der Anpfiff um 7 Minuten, weil Oli erstmal die Ordner mit einem Doggy-Bag auf den Platz rief – nach dem Warmmachen hatte er einen der Ordner noch rüder zur Seite geschubst, weil ihm dieser im Weg stand. Er wollte sich die Südfrüchte für später einpacken lassen. Aber dann ging es endlich los und so manch einer rieb sich verwundert die Augen – die Mannschaft zeigte, dass sie doch noch Fußball spielen kann. Mehr noch, nach 12 Minuten fiel das verdiente und für die meisten dennoch überraschende Tor zum 1:0. Der erste kollektive Jubel brach aus. Viele hatten vor dem Spiel das Schlimmste befürchtet und so platzte die Erleichterung heraus. Vielleicht würde ja doch was gehen gegen die scheinbar übermächtigen Münchener.

Danach wurden die Bayern sicherer und im gleichen Maße stieg die Versicherung bei den Borussen, die scheinbar ein wenig Angst vor der eigenen Courage bekamen. Leider stieg auch gleichzeitig die Verunsicherung auf den Rängen und so wurde es deutlich leiser. Die Fans schienen das Gegentor gerade zu erwarten: „Na kommt, gleich fällts, ist doch immer so, nun hampelt nicht so lange rum, ihr fangt euch schon den Ausgleich…“ Es lag also in der Luft und in der 25. Minute war es dann soweit. Statt schwatzgelb jubelte jetzt rotweiß und so sollte es auch bis zur Halbzeitpause weiter gehen. Als sich eigentlich alle schon auf ein Unentschieden zur Halbzeitpause eingestellt hatten, schlugen die Bayern noch einmal zu. 1:2 und lähmendes Entsetzen auf den Tribünen. Die Angst war da, dass die befürchtete Niederlage Realität werden würde und die Stimmung sank Richtung Nullpunkt. Dennoch bleibt positiv anzumerken, dass die Mannschaft mit freundlichem Beifall in die Pause verabschiedet wurde, anstatt mit dem im Dortmund mittlerweile vertrauten Pfeiffkonzert bei Rückständen.

Man konnte deutlich sehen, dass es der Mannschaft gut tat, derart verabschiedet zu werden und so betraten sie endlich mal wieder mit breiter Brust und voller Tatendrang den Rasen zur Halbzeit 2 - und es sollte eine denkwürdige Halbzeit werden. Wo waren die hängenden Köpfe und das stumme auf den Platz laufen? Etwas war anders und die Fans schienen ebenfalls zu merken.

Erst plätscherte das Spiel dahin und die Stimmung wollte nicht merklich besser werden, bis in Minute 57 Alexander Frei zum überraschenden 2:2 einköpfte. Und da waren sie wieder, die grenzenlose Freude und der kollektive Jubel, die sich nur 100 Sekunden später noch um ein Vielfaches steigern sollten. Man hatte den Ausgleich kaum verarbeitet und schon erzielte Tinga die Führung. Was dann passierte, ist wohl nur beim Fußball möglich. Die beiden Plätze neben mir sind nicht mit Dauerkarten belegt und so habe ich da häufig recht reservierte Gelegenheitsbesucher sitzen. Diesmal ein unbekanntes Pärchen um die 30. Nie zuvor gesehen, aber in dem Moment absolut egal. Mit den Jungs eine Reihe hinter mir lag man sich zu 8 in den Armen, einer von denen aus der hinteren Reihe purzelte im Freudentaumel fast runter zu uns. Einfach nur wildes, unkontrolliertes und freudiges Ausrasten. Auf der Südtribüne kollektives durchdrehen, die Last fiel spürbar von uns allen ab.

Jubel auf allen Tribünen
Von da an wurde die Stimmung von Minute zu Minute besser. Die Leidenschaft auf dem Rasen übertrug sich komplett auf die Tribünen. Die Süd gab endlich mal als komplette Einheit den Takt an und der Rest des Stadions lies sich gerne anstecken. In den Ecken wurde mitgehüpft, Teile der West- und der Osttribüne beteiligten sich an Wechselgesängen. Als Steven Pienaar und vor allem Alexander Frei den Platz verließen wurden sie stehend mit frenetischem Beifall verabschiedet.


Die letzten 15 Minuten des Spiels waren dann verdammt schlechte Zeiten für eiserne Sitzenbleiber. Bis auf die Nordtribüne stand das Stadion fast komplett. Man merkte die Anspannung, wenn die Bayern im Ballbesitz waren und trieb die Mannschaft weiter an. Aktionen wie von Tinga, der nach endlosem Rumgestocher den Ball gegen zwei Gegner behauptete, wurden ausgiebig gefeiert. Die Anspannung stieg, zu frisch waren noch die Erinnerungen von vor zwei Jahren, als die Bayern mit ihrer fast sprichwörtlichen Kaltschnäuzigkeit in den letzten Minuten noch einen 0:2 Rückstand drehen konnten und so sehnte man den Abpfiff herbei. Der ansonsten übliche Strom zum Ausgang 5 Minuten vor Spielende blieb völlig aus und so war das Stadion fast noch komplett gefüllt, als der Schiedsrichter endlich die Partie abpfiff. Die Anspannung wich der puren Freude und so wurden die Schals in die Höhe gestreckt, lauthals das „Borussia“ mitgeschmettert und mit der Mannschaft, die sichtlich erleichtert und ausgelassen den Sieg feierte, die Welle zelebriert. Diesmal nicht nur mit der Südtribüne, auch die Westtribüne wurde von der Mannschaft eingeschlossen.

Das waren endlich mal wieder 20 Minuten, die alles das ausmachten wofür man den Fußball liebt. Wenn das Spiel intensiv ist und sich die Intensivität auf die Tribünen überträgt. Wenn das Adrenalin durch den Körper schießt, diese Wechselwirkung zwischen Fans und Mannschaft eintritt und die Tribünen die Spieler helfend weiter nach vorne treiben, obwohl sie eigentlich schon mit den Kräften am Ende sind. Dann diese gewaltige Anspannung, die mit dem Schlusspfiff von einem abfällt und purer Freude und Erleichterung Platz macht.

Zum Schluss hat man den Sieg als BVB errungen. Nicht allein die Mannschaft, nicht allein die Südtribüne, am Ende haben alle dazu beigetragen, dass der Rückrundenauftakt entgegen allen Befürchtungen doch noch positiv gelang. Immer wieder hört man, dass die Größe des Stadions zum Stimmungsabfall in den letzten Jahren beigetragen hat. Sicherlich eine Aussage, die sich nur all zu oft bewahrheitet – aber in solchen Momenten wie in den letzten Minuten gegen die Bayern wird einem fast schon schmerzlich bewusst, welches gewaltige Potential in diesem Stadion eigentlich schlummert. Wenn, so wie Freitag, 70.000 bedingungslos hinter der Mannschaft stehen, ist das fast schon wie eine Naturgewalt, die jeden Gegner einschüchtern und aus dem Stadion treiben kann.

Es wäre sicherlich unrealistisch zu hoffen, diese Stimmung jetzt bis zum Saisonende erhalten zu können, aber vielleicht sind Spieler und Fans ja am Freitag auf den Geschmack gekommen und wollen mehr davon. Es war auf jeden Fall seit langem mal wieder ein richtig geiler Abend.

Am Ende möchten wir noch über vier ärgerliche Dinge berichten:

Die Mannschaft lässt sich vor der Süd feiern
  • Die Fanabteilung und das Fanprojekt Dortmund hatten vor dem Spiel eine beachtenswerte und tolle Aktion gegen Rassismus organisiert. Im Gegensatz zu randalierenden Fans fand dies keinen Nachhall in den Medien. Wo sind all die Fingerheber der vergangenen Monate?
  • Vor dem Spiel mussten auf Geheiß der Sendeanstalten alle Fahnen auf der Westtribüne abgehangen werden. Sie würden die Fernsehzuschauer von den Werbebanden ablenken. Ohne Worte – das dachte sich auch die Fangruppe „THE UNITY“, die einen bereits vereinbarten Interviewtermin mit dem WDR wegen dieser Sache platzen ließ.
  • Vor dem Spiel traf sich eine Fangruppe an der Saarlandstraße und wollte von dort aus zum Stadion ziehen. Bei Abmarsch zündete einer aus der Gruppe übermotiviert eine Seenotfackel (Bengalfackel). Die Polizei trat auf den Plan und konnte den Fan auch sofort festsetzen. Statt all die anderen, die damit nichts zu tun haben, gehen zu lassen, wurden nun ca. 15 Fans in Gewahrsam genommen, wie es Amtsdeutsch so schön heißt. Darunter auch 15jährige, die dann im Laufe des Abends von ihren Eltern abgeholt werden mussten. Das Spiel sahen daher nur die allerwenigsten. Da stellt sich nicht nur uns die Frage, ob das nötig ist, wenn man den „Täter“ doch schon dingfest machen konnte. So hat sich die Dortmunder Polizei wieder ein paar Kerben mehr in den Colt machen können.
  • Am Nordeingang wurde wie immer kontrolliert. Rucksack auf, Kontrollblick, abtasten, alles im normalen Rahmen. Man nimmt ja aus erfahrung keine "gefährlichen Gegenstände" wie ein zweites Feuerzeug mehr mit, also gab es auch keine Probleme beim Einlaß. Dann aber die Überraschung. Keine 3 Meter nach dem man im Stadion ist verschenkt eine orangene Billigfluglinie Flaschenöffner, die man sich an einem Band um den Hals hängen kann. Dass diese Teile gefühlte 5 mal schwerer sind als 10 handelsübliche Feuerzeuge zusammen und auch noch mit enorm scharfen Kanten ausgestattet sind, verschlägt einem einfach nur die Sprache. Ich für meinen Teil war jedenfalls fassungslos. Macht man das Band ab, hat man ein wirklich gefährliches Wurfgeschoss und das brauchte man noch nicht mal ins Stadion schmuggeln, gibt es ja gratis drinnen. Wer eins dieser Geschenke in seinen Händen hat, dürfte wohl änliche Erfahrungen gemacht haben. Traurig, dass hier so dermassen mit zweierlei Maß gemessen wird.

Weitere Fotos vom Spiel gibt es in Kürze auf unserer Fotoseite foto.schwatzgelb.de.

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