Im Gespräch mit...

schwatzgelbes Halbzeitgespräch mit Frank Fligge

17.06.2007, 00:00 Uhr von:  Arne
schwatzgelbes Halbzeitgespräch mit Frank Fligge

Dem aufmerksamen Dortmunder Zeitungsleser ist Frank Fligge wohl schon des Öfteren in schriftlicher Form über den Weg gelaufen. Frank ist langjähriger Dortmunder Lokaljournalist und seit Anfang des Jahres stellvertretender Leiter der Dortmund-Redaktion der Westfälischen Rundschau. BVB-Fans ist er wohl am ehesten bekannt als Autor des Buches "Die Akte Schwarzgelb", das er mit seinem Bruder Sascha gemeinsam geschrieben hat. Für das Gespräch mit schwatzgelb.de hat sich Frank viel Zeit genommen und uns seine Beziehung zum BVB erklärt.

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schwatzgelb.de: Seit wann genau begleitest Du den BVB journalistisch?

Frank Fligge: Seit der Zeit, als die Haare noch nicht grau und die Schwimmringe noch Sixpacks waren. Mitte der 90er Jahre, irgendwann zwischen Meisterschaft Nr. 1 und Meisterschaft Nr. 2 der Neuzeit.

schwatzgelb.de: Bist Du auch Fan des BVB? Wenn nein, hast Du einen anderen Favoriten?

Frank Fligge: Fan würde bedeuten, dass ich jubiliere, wenn der BVB gewinnt, und mein Wochenende versaut ist, wenn er nicht gewinnt, was meistens der Fall ist, weshalb ich viele versaute Wochenenden hätte . . . – aber lassen wir das. Natürlich hege und pflege ich eine gewisse Grundsympathie für Borussia. Das geht letztlich auch gar nicht anders, wenn du in Dortmund lebst und arbeitest. Diese Sympathie bezieht sich allerdings auf den Verein an sich; auf seine Tradition; auf das, was der BVB den Menschen in dieser Stadt bedeutet; auf die Farben Schwarz-Gelb. Mit den Mannschaften, die da seit Jahren teilnahmslos über den Rasen dilettieren, kann ich relativ wenig anfangen. Die letzte Truppe, die mich richtig begeistert hat, war die, die 1992 Vizemeister wurde. Alle Erfolge danach waren gekauft. Um den Preis, dass Borussia um ein Haar pleite gegangen wäre.

schwatzgelb.de: Was war der bewegendste Moment, den Du mit dem BVB erlebt hast?

Frank Fligge: Wo soll ich anfangen?! Vielleicht 1986. Der Last-Minute-Klassenerhalt durch das späte 3:1 von Jürgen Wegmann. Die „Meisterschaft der Herzen“ 1992. Die unglaubliche Verlängerung im UEFA-Cup-Achtelfinale 1994 gegen La Coruna. Natürlich die beiden Meisterschaften in den 90ern, das Champions League-Finale 1997. Aber auch der Titelgewinn 2002. Als Ewerthon gegen Bremen zum 2:1 traf, explodierte das Westfalenstadion wie ein Kessel, der unter Überdruck steht. Irre! Ganz groß war übrigens auch das UEFA-Cup-Finale 2002 in Rotterdam. Ich hab’s mit über 30.000 BVB-Fans im Westfalenstadion gesehen. Von der Ostecke der Südtribüne, ganz oben unterm Dach, auf der Stadionleinwand in der Nordwestecke, rund 100 Meter Luftlinie entfernt. Die Sicht war sauscheiße, aber die Stimmung war saugeil. Und die Mannschaft hat nach der frühen Roten Karte gegen den „Kokser“ gekämpft, als ginge es um ihr Leben. Ich hatte an dem Abend 1000 Gänsehäute.

schwatzgelb.de: Gab es für Dich andere bewegende Fußballmomente?

Frank Fligge: Zu viele, um sie hier aufzuzählen. Eines des größten Spiele, an die ich mich erinnern kann, war das 8:7 nach Elfmeterschießen zwischen Deutschland und Frankreich bei der WM 1982. Ganz ehrlich: Ich lege noch heute manchmal die Videocassette ein. Aber auch die WM 1990 war grandios – und dann natürlich das „Sommermärchen 2006“. Die WM in meiner Stadt, ich als Journalist vier Wochen lang mittendrin, die ungezählten Begegnungen mit unzähligen Fans aus aller Herren Länder. Das bleibt für immer.

Anstoss

schwatzgelb.de: Findest Du, dass sich die Fanszene in Dortmund in den letzten Jahren verändert hat, und woran machst Du Deine Beobachtungen fest?

Frank Fligge: Die Fanszene hat sich natürlich verändert. Nach den Erfolgen der 90er Jahre ist die Gier nach Titeln verschwunden. Weil die Teams gesichts- und bisweilen charakterlos daher kamen, ist Leidenschaft manchmal in Häme umgeschlagen. Weil das einst intime Westfalenstadion zur Megaschüssel ausgebaut wurde, kamen immer mehr Trittbrettzuschauer hinzu. Wenn Ihr mich fragt: Früher war nicht alles besser, aber . . .

schwatzgelb.de: Wenn Du an die Fans von Borussia Dortmund denkst, was fällt Dir konkret ein? Was findest Du besonders positiv oder besonders negativ?

Frank Fligge: Positiv ist diese tief verwurzelte Treue zum Verein. Und die grundsätzliche Fähigkeit, sich zu begeistern. Ich habe zu vielen Profis schon gesagt: „Weißt du, hier zu spielen, ist so einfach und so dankbar. Du musst hier nicht zaubern, du musst den Leuten einfach nur vermitteln, dass du dir für Borussia den Arsch aufreißt. Dann kannst du von den Leuten hier alles haben.“ Schade, dass so wenige das verstehen. Viel Negatives fällt mir zu den Fans nicht ein. Außer dass ihre bedingungslose Liebe zum Verein im Fall von Misserfolgen und Enttäuschungen genau so bedingungslos umschlägt – und das für meinen Geschmack manchmal etwas zu schnell.

schwatzgelb.de: Was könnten Deiner Meinung nach die Spieler dafür tun, dass auch die Atmosphäre im Stadion wieder besser wird?

Frank Fligge: Ihre Körpersprache verändern. Mit breiter Brust und noch breiterem Kreuz auflaufen. Dem Gegner beim Gang auf den Rasen ins Ohr flüstern: „Hey, Weichei, da draußen warten 80.000 darauf, euch zu vernichten. In diesem Stadion schlagt ihr uns nie!“ Und dann vielleicht wirklich mal ein Heimspiel gewinnen. Klingt martialisch. Aber irgendwie gut. Übrigens könnten auch der BVB und seine Fans etwas tun, um die Stimmung zu verbessern: „Fan-Inseln“ auf der West-, Ost- und Nordtribüne installieren. Kleine Gruppen von 50 echten Fans, die dort Stimmung machen und dafür sorgen, dass die Südtribüne das Stadion nicht alleine bespaßen muss. Wann hatten wir im Westfalenstadion in den letzten Jahren die beste Stimmung? Richtig: Bei Liverpool – Alaves. Bei Deutschland – Ukraine. Bei Deutschland – Polen. Bei Deutschland – Italien. Selbst bei Togo – Schweiz war die Atmosphäre atemberaubend. Viel besser als bei jedem BVB-Spiel. Und warum: Weil bei all diesen Spielen alle vier Tribünen mitgemacht haben. Nur dann ist diese Schüssel laut. Aber dafür ist sie dann richtig laut!

Abstoß

schwatzgelb.de: Hast Du den Eindruck, dass der Verein trotz seines enormen Wachstums traditionsbewusst geblieben ist? Woran machst Du Deine Meinung fest?

Frank Fligge: Ich glaube, dass das ständige Betonen der Tradition während der Ära Niemeier aufgesetzt und gekrampft war. Eine populistische Masche. Ich glaube, dass die Tradition des BVB einem Mann wie Reinhard Rauball wirklich viel bedeutet. Auch wenn er nicht so viel Trara darum veranstaltet. Fakt ist: Der Fußball heute ist Geschäft, die Klubs sind Unternehmen – und damit sind wir schon bei Frage . . .

schwatzgelb.de: Wie glaubst Du, wirken sich die jüngsten Entwicklungen im Fußball aus? Stichwort: Kapitalgesellschaften und wachsende Kommerzialisierung.

Frank Fligge: Alles, was ich dazu zu sagen habe, könnt Ihr nachlesen in Sascha Fligge/Frank Fligge: „Die Akte Schwarzgelb“. Das sage ich nicht, weil wir gerne noch ein paar Exemplare verkaufen möchten – das Buch ist fast vergriffen -, sondern weil meine Ausführungen zu diesem Thema die Speicherkapazität Eures Servers sprengen würden.

Eckball

schwatzgelb.de: Nach der Finanzkrise – die Du mit Deinem Bruder ja in der Akte Schwarzgelb ausgiebig aufgearbeitet hast – hat der BVB einen Neustart vollzogen. Hältst Du den Weg, der seither gegangen wurde, für richtig oder würdest Du etwas anders machen?

Frank Fligge: Der Weg, den der BVB unter Reinhard Rauball, Hans-Joachim Watzke und Thomas Treß eingeschlagen hat, ist schon deshalb der richtige, weil er der einzige ist, der überhaupt passierbar war. Ohne das Sanierungskonzept; ohne die Bereitschaft vieler Gläubiger, ihre Forderungen zurückzustellen; ohne die Hilfe von vielen Seiten; ohne das Engagement von Florian Homm; ohne die Rückabwicklung des ruinösen Stadion-Deals; ohne die „Restrukturierung der Passivseite“ (zu deutsch: Umschuldung) auf einen einzigen Gläubiger (Morgan Stanley) würde der BVB heute nach einem viel umjubelten Aufstieg in der Kreisliga B spielen.

schwatzgelb.de: Was, meinst Du, sollte beim BVB unbedingt verbessert werden.?

Frank Fligge: Was ich unter Punkt 10 gelobt habe, bedeutet nicht, dass Borussia alles richtig macht. Vor allem muss der BVB die Trefferquote bei seiner Einkaufspolitik verbessern. Warum holt Bremen Micoud, den hier keiner kennt – und dann schlägt der sowas von ein. Warum holt Bremen Diego, den keiner hier kennt . . . Bremen hat vorher auch schon Pizarro geholt, Klasnic und viele andere, die keiner hier kannte. Und der BVB: Holt Sörensen, Fernandez, Bobic, Evanilson, OLISEH, IKPEBA . . . Salou, Barbarez, Pienaar . . . Was ich sagen will, ist: Warum schafft es nicht auch Borussia wenigstens hin und wieder, eine echte Perle auszugraben?

Einwurf

schwatzgelb.de: Wenn Du die Wahl hättest zwischen Deiner jetzigen Karriere und der eines Fußballprofis, welche würdest Du wählen? Und bei welchem Verein würdest Du spielen wollen?

Frank Fligge: Ich mache meinen Job sowas von gerne, aber Hand aufs Herz: Ich müsste lügen, zu behaupten, nicht gerne Fußballprofi geworden zu sein. Dieses Prickeln, wenn Du in ein voll besetztes Stadion aufläufst. Dieser Adrenalinausstoß und all die Glückshormone, wenn du gewinnst. Und diese edle Gelassenheit, wenn du auf deine Kontoauszüge schaust. Wo ich spielen würde: Dortmund, Barcelona, Liverpool, Valencia – und gegen Ende meiner Karriere bei Schalke. Im Tor. Da bin ich nämlich sauschlecht. Mit Schalke in die zweite Liga. Dann wäre die Karriere rund.

Steilpass

schwatzgelb.de: Du lernst in Deinem Job viele Spieler und Trainer kennen. Oft wird bemängelt, der Bundesliga würde es an „echten Typen“ mangeln. Merkst Du das als Journalist und erleichtert oder erschwert es Deine Arbeit eher, dass selbst die jungen Spieler im Umgang mit den Medien bereits sehr routiniert sind?

Frank Fligge: Da ich mehr über die wirtschaftlichen Zusammenhänge beim BVB berichte und über alles, was rund um den Verein geschieht, aber kaum über den Sport, habe ich mit den Spielern nicht so viel Kontakt. Ich habe aber auch schon eine ganze Reihe wirklich netter Kerle unter den Profis kennen gelernt. Heiko Herrlich ist sehr sympathisch, Otto Addo war klasse, Alfred Nijhuis: supernett! In der aktuellen Truppe sind aber auch gute Typen dabei: Weidenfeller, Metzelder, Kehl, Kringe, Brzenska, Dede. Wenn ich’s mir genau überlege, ist die Mannschaft vielleicht sogar zu nett.

Abseits

schwatzgelb.de: Was macht für Dich den Unterschied des BVB zu Vereinen wie dem FC Schalke 04 und Bayern München aus?

Frank Fligge: Auch wenn Ihr das jetzt nicht so gerne lesen werdet: Ich glaube, zwischen Schalke und dem BVB gibt es viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Geboren aus dem Arbeitermilieu, die Bodenständigkeit des Kohlenpotts. Kein anderer deutscher Verein kann auch nur annähernd solche Emotionen freisetzen wie Schalke und der BVB es können. Und ganz ehrlich: Als die Blauen 1997 UEFA-Cup-Sieger wurden, habe ich mich mit ihnen gefreut, und als sie „Vier-Minuten-Meister“ wurden, habe ich mit ihnen gelitten. In Maßen zwar, aber immerhin. Der FC Bayern funktioniert anders. Fans überall in Deutschland, aber nicht diese Emotionalität. Was die Münchener von allen anderen Klubs unterscheidet, ist die Professionalität über Jahrzehnte hinweg. Was Hoeneß & Co. da leisten, verdient Respekt. Dazu muss man sie nicht einmal mögen.

Elfmeter

schwatzgelb.de: Angenommen, der BVB gibt Dir einen Scheck über 1 Million Euro, um mit diesem Geld im Verein etwas zu ändern bzw. zu verbessern. Was machst Du damit?

Frank Fligge: Ich installiere ein professionelles Scouting-System, das Südamerika, Afrika und Skandinavien flächendeckend erfasst.

Freistoss

schwatzgelb.de: Eine Frage, drei Antworten: Was fasziniert Frank Fligge am BVB?

Frank Fligge:

1. Die Atmosphäre im Stadion, wenn sie gerade mal gut ist.

2. Die innere Kraft, Großes zu leisten.

3. Die Fähigkeit, extreme Emotionen hervorzurufen

Aufstellung

schwatzgelb.de: Wer war oder ist Dein Lieblingsspieler beim BVB und warum?

Frank Fligge: Flemming Povlsen, Hoppy Kurrat, Paul Lambert, Murdo MacLeod, Jan Koller, Nijhuis, Kutowski, Reinhardt – ich denke, Ihr merkt, in welche Richtung das geht. Ich mag die Jungs, die den Rasen umpflügen und mit blutgetränktem Turban um den Kopf auf dem Zahnfleisch vom Platz kriechen.

schwatzgelb.de: Welchen Spieler würdest Du gerne einmal im Dress des BVB spielen sehen?

Frank Fligge: Auch wenn sein Foul an Sebastian Kehl im August 2006 megamies war: Hasan Salihamidzic hätte ich immer gerne in Dortmund gesehen. Hitzfeld wollte ihn holen, weil „Brazzo“ das ist, was dem BVB damals fehlte und bis heute fehlt: eine Drecksau im positiven Sinne. Salihamidzic macht, wenn er nicht verletzt ist, auch 70 Spiele pro Saison ohne zu meckern. Der spielt sogar unter der Woche noch im Freundschaftsspiel gegen DJK Oberursel. Solche Leute brauchst du. Und sonst: Okay, Thierry Henry mal im BVB-Sturm zu sehen, wäre auch nicht schlecht. Nur, wer soll ihn bedienen . . .?

schwatzgelb.de: Dein BVB-AllStars-Team:

Frank Fligge: So eine Top 11 kann man nicht aufstellen. Wo ist der Platz für Tilkowski, Immel, Lehmann, Raducanu, Burgsmüller, Mill, Wegmann, Riedle und so weiter und so weiter?!

schwatzgelb.de: Was wünscht Du Dir für die Zukunft, bezogen auf Borussia Dortmund?

Frank Fligge: Dass es wirtschaftlich weiter bergauf geht. Dass die sportliche Leitung irgendwo auf der Welt auch mal einen Micoud oder Diego findet. Dass wir 2008 „50 Jahre Schalke keine Meisterschaft“ feiern können. Dass wir irgendwann mal wieder eine Dortmunder Meisterschaft feiern können. Bis dahin: Dass Borussia nicht absteigt und die Fans in naher Zukunft mal wieder ein Heimspiel sehen, nach dem sie sagen: Wow, wie geil war das denn!

schwatzgelb.de: Vielen Dank für das Gespräch!

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