Unsa Senf

Warum bin ich eigentlich Borusse?

20.01.2001, 13:00 Uhr von:  Jens

Zugegeben, eine sehr ketzerische Frage. Aber ich mußte mir diese Frage in den letzten Wochen einige Mal "anhören", nachdem mein Bericht über die JHV online gegangen war. Eigentlich hatte ich ihn , zumindest meiner Meinung, nach gar nicht sonderlich kritisch geschrieben, trotzdem erhielt ich e-mails mit teilweise abstrusem Inhalt und Beleidigungen (einige sind schon älter und datieren noch von einem früheren Text): "Und Du willst Borusse sein?", "Geh doch nach Hause, Erfolgsfan!", "Ich kapiere es einfach nicht. Warum immer so negativ. ich habe wirklich den Eindruck Du willst einfach nur das Negative sehen. Warum überhaupt Borusse sein, wenn man immer wieder nur nörgelt und kritisiert?"

Also stelle ich mich dem Auftrag der Leser und frage mich: Warum bin ich Borusse? Tja, warum eigentlich? Bin ich Borusse wegen der Erfolge der 90er Jahre? Bin ich Borusse wegen des tollen Stadions? Bin ich Borusse wegen unseres eloquenten Präsidenten? Bin ich Borusse, weil ich in der direkten Nachbarschaft zu Dortmund aufgewachsen bin?

Die erste Dauerkarte von Jens

Für mich - und sicher auch für viele andere - ist Borussia mehr, als die Erfolge der 90er Jahre. Vielleicht hilft es ja, einmal Nick Hornby zu zitieren: "Ich verliebte mich in den Fußball, wie ich mich später inFrauen verlieben sollte: plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenheit zu verschwenden, diedamit verbunden sein würden . . ."

Ich denke, daß es dieser bereits tausendfach - und jedesmal zu Recht - zitierte Satz wirklich gut trifft. Mein erstes "echtes" Spiel auf der Südtribüne war - anders als bei Hornby - ein wichtiger Sieg. Es war das 2:0 gegen den VfB Stuttgart im DFB-Pokal-Halbfinale, zuvor hatte ich nie auf der Südtribüne gestanden. Als Kind war ich öfter mit meinem Vater im Stadion, dann aber immer nur auf einem Sitzplatz. Und nun kam es, daß ich an meinem 17. Geburtstag dieses Spiel erleben durfte; diese Stimmung, das hat mich fasziniert, wie viele andere vor mir und noch mehr nach mir. Bis dahin hätte ich mich nie als echten, fanatischen Fan bezeichnet, dieses Spiel änderte jedoch alles. Ich erinnere mich noch dunkel an die Relegationsspiele, die ich als damals 14jähriger jedoch nicht live miterleben durfte/konnte. Eine Sache, die mich noch heute fuchst. Ein UEFA-Cupspiel gegen Mostar auf der Tribüne, 2-3 Derbys und ein paar Spiele gegen die Seppels, das war meine Karriere als stiller Beobachter des BVB.

Eintrittskarte Champions League - Finale 1997

Doch dieses Spiel hat alles, hat mich (und das ist nicht übertrieben) verändert. Seither gibt es nicht viel für mich außerhalb des Fußballs. Manch einer mag das als krank oder übertrieben bezeichnen, für mich ist es in den vielen Jahren als BVB-Fan Normalität geworden. Neulich hat ein Anhänger des FCB in einer Newsgroup etwas bemerkenswertes geschrieben: "Du tust mir fast leid mit Deiner Aktion. Es ist wohl besser, sein Herzblut nicht in einen Fussballprofiklub zu stecken oder in irgendeinen Job, sondern sich eine Familie aufzubauen und dort seine Emotionen zu investieren." Scheinbar kommt es für manch einen, der kein Fan ist, so an, als habe man neben dem Fußball nichts anderes. Ich kann den Leser und den übereifrigen Seppel beruhigen: ich lebe seit mehr als 2,5 Jahren mit meiner Freundin unweit des Westfalenstadions zusammen. Das wir uns im Sonderzug zum Championleague-Endspiel 1997 kennen gelernt haben, ist mehr als nur eine Randnotiz.

Im übrigen bin ich wohl lange nicht so "verrückt" wie viele andere von Euch, die zu wirklich jedem Spiel fahren (die sogenannten "Immerdas"). Es ist nur immer wieder erstaunlich zu bemerken, wie man als Fußballfan auf andere Leute wirkt. Sind wir denn alle verrückt? Haben wir nichts besseres zu tun, als jedes Heimspiel zu sehen und nach Möglichkeit eine Menge Auswärtsspiele? Die Frage kann wohl nur jeder von uns für sich selbst beantworten. Für die einen ist man nicht "verrückt" genug, weil man nicht jedes Spiel mitnimmt, für die anderen ist es schlichtweg bescheuert, mal eben nach Stuttgart zu düsen, um ein Spiel zu gucken, was vielleicht verloren gehen könnte.

Fast Meister! Duisburg 1992

Womit wir auch bei der wichtigen Frage sind: ist der Sieg denn so wichtig? Ist es alles, wonach wir streben? 34 Siege? Tief im Innern sehnen wir uns nach einer Klatsche, nach dem Leid, in das wir uns dann auflösen können. Was ist es doch schön, sein Leid über eine Niederlage, einen nicht gegebenen Foulelfmeter oder eine Schwalbe mit anderen Gleichgesinnten zu teilen. Wo haben wir diese Gelegenheit sonst, als beim Fußball? Aber auch hier gilt Hornby Satz: "Das Leben schlägt den Fußball, wenn es um Trauer geht; selbst für uns ist eine Niederlage nicht so schlimm wie ein Todesfall. Aber der Fußball schlägt das Leben, wenn es um Glück geht." Womit wir doch wieder bei den Siegen angekommen sind. Sind sie am Ende nicht doch das Salz in der Suppe? Natürlich sind sie das, das wird niemals jemand ernsthaft abstreiten können. Niemand verliert gerne, aber verlieren gehört dazu. Siege bleiben aber das schönste Erlebnis.

Was habe ich geheult wie ein Schloßhund, als wir 1995 doch noch deutscher Meister wurden. Scheißegal, daß uns die Sch*lk*r und Seppels dazu verholfen hatten, kein Gedanke mehr an die entscheidende Möller-Schwalbe. Wichtig war nur noch der Sieg, der Titel. Im Jahr darauf feierten wir - ausgerechnet in München - die zweite Meisterschaft. Und dann der erste internationale Titel 1997 ebenfalls in München, was für ein Erlebnis. Die Freude über die beiden Treffer, das Zittern nach dem Anschlußtreffer, die Erleichterung nach Rickens 3:1.Jeder der live vor Ort war oder das Spiel woanders erleben mußte/durfte, wird das nie vergessen. Genausowenig, wie ich 1989 - "meinen ersten Titel" - jemals aus der Erinnerung streichen werde: Den Frust über das 1:1 durch Riedle, die unsagbare Freude über die Tore von Dickel, Mill und Lusch zum 4:1 Sieg wich. Die 40.000 Dortmunder, die Berlin schwatzgelb färbten. Aber eben auch Spiele, wie das 1:0 in Duisburg 1992, das am Ende (dank unfähiger Frankfurter und lustloser Leprakuchener - am Ende hätten sicherlich viele von uns lieber die Eintracht vorne gesehen, als den VfB) nicht zur Meisterschaft reichte.

Der BVB in Auxerre

Oder aber die UEFA-Cup-Saison 1992/93. In dieser Saison war ich bei der Bundeswehr und konnte nur wenige Europacupspiele sehen. Welch ein Frust, die Karte für die Tour nach Auxerre schon in der Tasche zu haben, um dann den Urlaub wegen einer "enorm wichtigen, kriegsentscheidenen Übung" gestrichen zu bekommen.

Doch dann in Turin war ich endlich dabei. Was für ein Gänsehauterlebnis, als 60.000 Italiener in der Halbzeit pausenlos feiernde und singende Dortmunder mit lauten "Borussia, Borussia" Sprechchören bedachten. Und das nach einer 1:3 Heimspielklatsche und chancenlosen Borussen in der ersten Hälfte des zweiten Finalspiels.

Der BVB in Turin
Der BVB in Turin
Der BVB in Kopenhagen 1993: "Ole, hier kommt der BVB"

Was waren das für Spiele, als wir noch zu Tausenden die Stadien bevölkerten, die Atmosphäre bereicherten und uns einen Namen machten, den wir heute nur noch haben, aber leider nicht mehr unter Beweis stellen können oder wollen. Dann war da noch das berühmte Spiel in Kopenhagen. In der Halbzeit eines lahmen Spiels der UEFA-Cup Saison 1993/94 begannen wir "Olé, hier kommt der BVB" zu singen (übrigens in einer Kneipe der Kopenhagener Innenstadt damals erstmals intoniert) und hörten erst mit dem Schlußpfiff wieder auf. Es war bitterkalt, das Spiel war schlecht, was sollten wir sonst machen?

BVB-Trainer der 90er Jahre: Ottmar Hitzfeld

Die erste Saison unter Ottmar Hitzfeld, die nicht wie gewünscht und erwartet verlief, ließ auch die ersten Kritiker wach werden, es gab sogar vereinzelte "Hitzfeld raus" Rufe. Doch Hitzfeld räumte im Kader auf und es reichte am Ende doch noch für einen UEFA-Cup Platz. Mir war das schon damals einerlei, ich hatte noch die tolle Vorsaison mit dem unglücklichen Abschluß am letzten Spieltag in Erinnerung und das Finale gegen Juve 1993 im Gedächtnis. Wer hatte damals denn ernsthaft an Meisterambitionen gedacht? Aber Stareinkäufe wie Riedle ließen viele Leute durchdrehen. Im übrigen lehrte die jüngere BVB-Vergangenheit, daß auf ein gutes zumeist ein schlechtes Jahr folgte. Das war auch schon in Horst Köppels letztem Jahr beim BVB so.

Kalle Riedle bei seinem wichtigsten Treffer
Dem DFB-Pokalsieg ließen er und das Team noch eine tolle UEFA-Cup-Qualifikation folgen. Ein vierter Platz und eine klasse Rückrunde ließen - trotz des Abgangs von Andreas Möller (nach seinem Meineid vor der Südtribüne) - Hoffnungen auf Höheres wachsen. Die Verpflichtungen der Talente Thomas Franck und Gerhard Poschner und vor allem der Stareinkauf des mutmaßlichen Torjägers Flemming Povlsen ließen die Herzen in Dortmund schneller schlagen. Als Flemming dann noch im Testspiel um den "Nike-Cup" im Westfalenstadion gegen Paris St.Germain zum zwischenzeitlichen Ausgleich traf, schien festzustehen, daß wir eine neue Tormaschine gekauft hatten. Im Laufe dieser Saison und noch einiger weiterer sollte sich jedoch das Gegenteil erweisen. Trotzdem wurde Flemming der beliebteste Spieler seit Susi Zorc. Er lebte vor, was in Dortmund immer gern gesehen wurde: Kampf um jeden Ball, auch wenn technisch mal was daneben geht. Nie wieder hatten wir einen solchen Kämpfer und Charakter im Team. Unvergessen ein Spiel in Bochum, als sich Flemming nach Verletzungspause am Spielfeldrand warmlief und wir schier durchdrehten, als er endlich eingewechselt wurde und der BVB das Spiel noch kippte und gewann. Es waren Typen wie er, wie Murdo MacLeod, Michael Zorc, Matthias Sammer, um nur die wichtigsten zu nennen, die noch Charakter vorlebten und die Mannschaft mitreißen konnten. Diese Kerle fehlen sicherlich nicht nur mir heute auf dem Platz.

Das waren einige Stationen in meinem Dasein als BVB-Fan. Es waren Niederlagen dabei, Siege, Sternstunden, derbe Klatschen. All das macht Borussia für mich aus. Ich wäre nicht derselbe, wenn ich das 2:5 Debakel im Gelsenkackener Erdloch nicht miterlebt hätte, all die Verhöhnungen danach, diverse peinliche Auftritte meiner Borussen in Liga und Pokal. Hier und da schlug uns purer Hass entgegen, vor allem nach den ersten Erfolgen und Millioneneinkäufen. Manche schreckten auch vor Gewaltandrohung oder Gewaltausübung nicht zurück. Wozu? Wollten sie mich bekehren? All das machte mich nicht zu einem besseren oder schlechteren Menschen, wie so gerne von vielen Seiten behauptet wird. Kein Börsengang, kein visionärer Stadionausbau, keine Massen an "Modefans" können und werden mir das je nehmen können. Borussia ist und bleibt mehr als die jetzige Mannschaft, mehr als der aktuelle Trainer, der Vorstand, der TV-Vertrag, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an ominösen Gelddruckwettbewerben der UEFA.

Vor einigen Tagen konnte ich ein äußerst lesenswertes Zitat aus Javier Marias Buch "Alle unseren früheren Schlachten" entdecken: Wenn dieses Spiel keine dramatische Qualität mehr besitzt, bleibt nichts von ihm übrig. Wenn Niederlage oder Sieg in einem Spiel nicht als entscheidende Angelegenheit erlebt werden, mit Drehbuch oder Geschichte, mit einer Auflösung oder einer abschließenden Katastrophe, die Auswirkungen auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hat, auf die Würde und die Ehrbarkeit und natürlich auf das Gesicht, mit dem man am nächsten Tag aufwacht, dann können wir ebensogut auf Distanz gehen und uns ganz behaglich und gelassen die Mannschaften der anderen im Fernsehen ansehen (sehr bald würden wir uns von einem so langweiligen Programm wieder verabschieden). Der Fußball ist der Zirkus unserer Tage, aber zugleich auch das Theater. Er muß Gefühle, Furcht, Zittern, tiefe Betrübnis oder Euphorie hervorrufen."

In Stuttgart war in der letzten Saison außerdem auf einem Transparent zu lesen:

Fußball ist das Spiel, BORUSSIA seine Seele

Mehr braucht es eigentlich nicht.

Jens, mit Leib und Seele Borusse

Fußball ist das Spiel, BORUSSIA seine Seele

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