Im Gespräch mit...

...Reinhard Saftig über das Scoutingsystem des BVB

25.09.2001, 00:00 Uhr von:  Sebi Andy

Der "Trainer" Reinhard Saftig dürfte den meisten BVB-Fans, vor allem den älteren unter Euch, ohne Zweifel bekannt sein. Unvergessen sind ganz besonders die erfolgreich bestrittenen Relegationsspiele gegen Fortuna Köln unter seiner Leistung. Nach seiner Trainerzeit bei Bayer Leverkusen ist es um ihn ruhiger geworden. Erst durch die spektakuläre Verpflichtung von Tomas Rosicky rückte auch sein Name in Verbindung mit der Berufsbezeichnung "Chefscout" wieder in den Blickpunkt. Deshalb versucht Schwatzgelb seinen zukunftsorientierten und eher unbekannten Aufgabenbereich näher vorzustellen. Auch weil seine Tätigkeit für das Wohlbefinden von BVB-Fans mitunter entscheidend sein kann, wie Jahr für Jahr die hitzigen Diskussionen über mögliche Neuzugänge beweisen...

Reinhard Saftig als Assi von Erich Ribbeck

schwatzgelb: Freuen sie sich über die derzeit großartigen Leistungen eines Tomas Rosicky ganz besonders, Herr Saftig?

Reinhard Saftig: Ja, mit seinen hervorragenden Leistungen bin ich auch persönlich sehr zufrieden. Schließlich war der Transfer von Tomas Rosicky für mich schon immer eine Herzensangelegenheit. Und dass es mit seiner Integration so schnell geklappt hat, war sogar für uns ein wenig überraschend. Denn er hat ja immerhin vom ersten Spiel an sehr gute Leistungen gebracht und bisher kaum ein schwaches Spiel gemacht.

schwatzgelb: Warum ich zuerst diese Frage gestellt habe, können sie sich anscheinend schon denken. Denn sie sollen derjenige gewesen sein, der ihn hauptsächlich beobachtet hat. Das ist ebenfalls richtig, oder?


Saftig: Ich denke, dass man so etwas nicht immer von einzelnen Personen abhängig machen sollte. Aber dass Tomas Rosicky nach Dortmund kommt, war für mich, wie gerade gesagt, schon so etwas wie eine Herzensangelegenheit.

schwatzgelb: Es hat sich also bei den Beobachtungen schon sehr früh gezeigt, was für ein enormes Potential der Spieler besitzt?

Saftig: (schmunzelt) Für mich eindeutig ja!

schwatzgelb: Welche weiteren Spieler des aktuellen BVB-Kaders sind ebenfalls hauptsächlich von ihnen beobachtet worden?

Saftig: Die Beobachtungen eines möglichen Neuzuganges sind immer eine Gemeinschaftsarbeit. Wenn ich jetzt aber noch einen Namen nennen soll, dann vielleicht den von Ahmed Madouni.

schwatzgelb: Vielen BVB-Fans ist ihr Aufgabenbereich beim BVB natürlich nicht so bekannt, wie es zu ihrer Trainerzeit der Fall war. Wie lautet denn überhaupt ihre offizielle Amtsbezeichnung?

Saftig: (schmunzelt erneut) Ach, das ich weiß ich selber gar nicht!

schwatzgelb: Zu ihrem Tätigkeitsbereich können sie aber sicherlich Konkreteres berichten...

Saftig: In erster Linie bin ich für Spieler-Beobachtung zuständig. Ab und an fällt mir jedoch auch die Aufgabe, kommende Gegner zu beobachten, zu. So habe ich zum Beispiel Spiele von Schachtjor Donezk im Vorfeld der Qualifikationsbegegnungen zur Champions-League verfolgt, um mehr über die Spielweise dieser Mannschaft herauszufinden. Das stellt aber nicht die Regel dar, ist allenfalls eine Ausnahme.

schwatzgelb: Beobachten sie bei der Spielersichtung, ihrer Hauptaufgabe, nur Spieler einer bestimmten Altersklasse oder spielt das Alter dabei keine Rolle?

Saftig: Für die Sichtung von Jugendspielern ist eigentlich mehr die Jugendabteilung zuständig. Dort ist in diesem Jahr Eddie Boekamp wieder zum Jugendkoordinator geworden, und somit ist er dafür hauptsächlich verantwortlich.

schwatzgelb: Wenn ein Spieler von ihnen persönlich beobachtet wird, darf er sich dementsprechend schon einbilden, als ernsthafter Kandidat für die erste Mannschaft des BVB zu gelten?

Saftig: Nur weil ich einen bestimmten Spieler beobachte, ist natürlich noch nicht gesagt, dass wir ihn verpflichten. Schließlich werden letztlich wesentlich mehr Spieler beobachtet, die wir nicht verpflichten. Aber natürlich hat jede Reise schon ihren Sinn und Zweck, auch wenn der größte Teil davon als eine Art Ausschlussverfahren dient. Ein Beispiel: Wenn wir in den Niederlanden ein Spiel beobachten und 22 Spieler sichten, ist unsere Kartei um diese 22 Spieler erweitert. Wenn uns nun einer dieser Spieler angeboten wird, können wir sofort anhand unserer Aufzeichnungen über das weitere Vorgehen entscheiden.

schwatzgelb: Wie läuft die Beobachtung eines einzelnen Spielers konkret ab? Wird zu jedem Spieler nach dem Spiel eine Mappe oder ein Bewertungsbogen angefertigt und dann einer allgemeinen Datenbank zugeführt?

Saftig: Nein, wir besitzen dafür ein spezielles Computerprogramm, in das die jeweiligen Mannschaften aufgenommen werden. Falls nur bestimmte Spieler beobachtet wurden, natürlich genauso auch diese. Schwatzgelb: Und auf diese Computer-Daten kann dann gegebenenfalls auch Matthias Sammer zurückgreifen? Saftig: Natürlich. Aber nicht nur er, sondern alle Personen beim BVB, die in das Scoutingsystem in irgendeiner Weise involviert sind. Die Daten werden dabei auf einen Hauptserver geladen und sind anschließend für alle gleichermaßen zugänglich.

Saftig in Jubelpose als BVB-Trainer vergangener Jahre....

schwatzgelb: Und bei möglichen Neuverpflichtungen wird dann gemeinsam mit Michael Zorc und Matthias Sammer darüber beratschlagen?

Saftig: Richtig.

schwatzgelb: Bei wem liegt schließlich das letzte Wort? Auch bei Michael Zorc und Matthias Sammer?

Saftig: Das kann man so nicht sagen, denn bei einer möglichen Neuverpflichtung spielen ja nicht nur die sportlichen Aspekte eine Rolle, sondern vor allem auch die finanziellen. Das letzte Wort haben somit der Manager sowie der Präsident. Sportlich entscheiden das im Grunde Michael Zorc und natürlich auch Matthias Sammer, wobei er als Cheftrainer aber so viel um die Ohren hat, dass ihm nicht immer die notwendige Zeit zur Spielersichtung bleibt.

schwatzgelb: Wie viele Wochen sind sie durch ihre neue Tätigkeit bedingt unterwegs? Mehr oder weniger als im Vergleich zur Trainerzeit?

Saftig: Unterwegs bin ich eindeutig mehr. Eine konkrete Wochenzahl kann ich allerdings nicht nennen. Ich war aber beispielsweise schon drei Mal in Südamerika. Und dass sich ein zwei- oder dreitägiger Ausflug dorthin nicht rentiert, dürfte sich von selbst verstehen. Man bleibt also alleine bei so einer Reise etwa zwei Wochen dort. Man muss ja bedenken, dass bloß ein Weg etwa 20 Stunden dauert.

schwatzgelb: Füllt ihre neue Aufgabe sie denn trotzdem vollkommen aus oder streben sie doch wieder zurück zur Trainerbank?

Saftig: Ich will zwar nicht ausschließen, nochmals als Trainer aktiv zu sein, doch im Moment stellt sich die Frage sicherlich noch nicht.

schwatzgelb: Welchen Stellenwert räumen sie dem Scoutingsystem beim BVB ein? Denken sie, dass ihre Arbeit ausreichend geschätzt und gewürdigt wird? Saftig: Das hoffe ich schon! Prinzipiell ist aber das Scoutingsystem in Deutschland eindeutig noch unterentwickelt. In anderen Ländern wird diese Arbeit schon wesentlich professioneller betrieben. Schwatzgelb: Somit treffen sie bei ihren Reisen vermutlich auch immer wieder auf wenige bekannte Gesichter...

Saftig: Richtig! Speziell bei Turnieren, die außerhalb Europas stattfinden. Dort sind die Deutschen von den europäischen Ländern allerdings mit Abstand am wenigsten vertreten. Letztes Jahr war ich beispielsweise bei den Vorolympischen Ausscheidungen Südamerikas, die in Brasilien stattfanden. Dort waren, grob gesagt, 20 italienische und spanische sowie 15 französische und englische aber nur zwei deutsche Vereine. Neben dem BVB noch Bayer Leverkusen. Insgesamt wird unserer Arbeit in Deutschland also schon noch zu wenig Bedeutung zugemessen. Und gerade wenn man bedenkt, welche Summen heutzutage gezahlt werden, sollte es schon einen wesentlich höheren Stellenwert bekommen.

schwatzgelb: Wie viele Personen sind denn beim BVB in das Scoutingsystem involviert, wie groß ist der Aufwand, der von ihnen betrieben wird?

Saftig: Als volle Kräfte machen das bei uns eigentlich nur der Heinz Redepenning und ich. Horst Köppel verbringt nun wesentlich mehr Zeit bei den Amateuren. Das soll aber nicht heißen, dass nicht auch Horst Köppel, Uwe Neuhaus, Theo Schneider von der A-Jugend oder Peter Wongrowitz von der B-Jugend viel unterwegs wären. Und eben auch Eddy Boekamp für den Jugendbereich.

schwatzgelb: Rein für das "Scouten" sind aber mit ihnen und Heinz Redepenning letztlich nur zwei Kräfte abgestellt...

Saftig: Das stimmt, aber meiner Meinung nach müsste es auch reichen!

schwatzgelb: Bloß zwei Personen, die hautamtlich für die Sichtung verantwortlich sind, müssten also für einen Verein wie den BVB reichen?

Auch wenn er nicht so aussieht - er rettete den BVB 1986 vor dem Abstieg

Saftig: Es müsste reichen, denn es kommt ja schließlich auf die Qualität und nicht auf die Quantität an. Zudem nützt es uns nichts, wenn ständig fünf Personen herumreisen, aber jeder eine andere Meinung vertritt. Zu viele Personen dürfen es also auch nicht sein.

schwatzgelb: Also denken sie insgesamt mit diesem System eine optimale und ausreichende Arbeit leisten zu können?

Saftig: Optimale Arbeit zu leisten ist überhaupt schon mal fast unmöglich. Von der Quantität her dürfte aber unsere Arbeit ausreichen.

schwatzgelb: Und wie sind sie generell mit den Strukturen zufrieden? Kann man auf der jetzigen Grundlage noch langfristig weiterarbeiten oder sollen gewisse Bereiche noch weiter aufgestockt werden?

Saftig: Veränderungen, die zu Verbesserungen führen, sollten immer angestrebt werden. Unser Computerprogramm beispielsweise existiert so lange auch nicht. Vor etwa 1 ½ Jahren arbeiteten wir alles noch in Zettelwirtschaft ab. Das war natürlich im heutigen Zeitalter alles andere als zeitgemäß und insofern stellte zuletzt dieses neue Computerprogramm einen großen Fortschritt dar. Falls weitere Fortschritte dieser Art möglich sein sollten, werden sie natürlich vollziehen.

schwatzgelb: Gibt es bei der Sichtung verschieden populärer Spieler Unterschiede? Was läuft zum Beispiel bei jemandem wie Rosicky, der schon vorher einen Namen hatte, anders als bei den eher unbekannten Ahmed Madouni und Guy Demel

Saftig: Es sollten keine Unterschiede herrschen. Wobei ich natürlich erwähnen muss, dass Tomas Rosicky nicht von uns entdeckt wurde. Der war mit 19 Jahren bereits tschechischer Nationalspieler. So einen braucht man nicht mehr zu entdecken. Aber dass er optimal in die Mannschaft passt, das zeigt dann unsere Leistung. Und gerade bei solchen Ablösen ist diese Leistung von besonderer Bedeutung. Im übrigen plädiere ich hiermit gar nicht ausschließlich für teure Spielerverpflichtungen. Ein noch größerer Reiz ist es schließlich auch für mich günstige oder gar ablösefreie Spieler zu verpflichten. Wenn das gelingt, freut man sich umso mehr!

schwatzgelb: Noch mal zurück zur Frage nach den Unterschieden bei der Sichtung eines bekannteren und eines unbekannteren Profis...

Saftig: Rosicky wurde von uns eher häufiger beobachtet als beispielsweise Ahmed Madouni, weil bei Tomas aufgrund der höheren Ablöse ein größeres Risiko existierte.

schwatzgelb: Wie sieht es bei einem Spieler von der Klasse Amorosos aus: Sind da überhaupt noch Beobachtungen notwendig?

Saftig: Mit Amoroso habe ich persönlich überhaupt nichts zu tun gehabt. Er ist nämlich schon vor zwei Jahren beobachtet worden, als er noch in Udine spielte. Das Thema war schon damals aktuell, scheiterte aber an finanziellen Dingen. In dieser Hinsicht war aber in diesem Sommer die Bahn frei und so wurde er mit einem gegebenen Risiko, der Verletzungsanfälligkeit, verpflichtet. Mit den bisherigem Verlauf kann man jedoch sehr zufrieden sein...

schwatzgelb: Wie ist es generell bei Spielern von internationaler Klasse: Sollten diese auch noch ausgiebig beobachtet werden? Ein weiteres Beispiel neben Amoroso wäre Jan Koller...

Saftig: Natürlich sollte man auch diese Spieler noch beobachten. Jan Koller selbst ist relativ häufig beobachtet worden. Und somit war es uns absolut klar, dass er sehr gut ins System passen würde. Denn wenn man mit drei Stürmern spielt, sollte man vorne im Sturmzentrum schon einen Tank, wie Jan Koller einer ist, besitzen. Und er ist ja nicht nur kopfballstark, sondern kann auch hervorragend Fußball spielen. Ich behaupte sogar, dass er seine Möglichkeiten bei uns noch lange nicht ausgeschöpft hat. Er wird noch besser! Das kann ich so sagen, weil ich sowohl sehr viele gute Spiele von ihm bei Anderlecht als auch in der tschechischen Nationalmannschaft gesehen habe. Und drei Jahre in Folge über 20 Tore zu schießen, spricht auch eine deutliche Sprache. Auch wenn es "nur" in Belgien war.

schwatzgelb: Ob ein Spieler sportlich passt, wird man sicherlich recht schnell feststellen können. Haben sie denn Möglichkeiten zu erfahren, ob er auch charakterlich passt?

Saftig: Das kann und sollte man sicherlich auch machen. Das ist, soweit ich weiß, bei Leverkusen auch in sehr professioneller Art und Weise der Fall. Die haben wohl einen Bereich, der eigens dafür abgestellt ist. Bei Koller und Rosicky konnte ich zum Beispiel über das Umfeld in Prag, in dem ich ja sehr oft war, eine Menge herausfinden. Und alle bestätigten, dass beide Spieler charakterlich einwandfrei seien. Die Tschechen können sich in der Bundesliga allerdings generell sehr gut anpassen. Bei Südamerikanern muss man da aber schon einiges vorsichtiger sein!

schwatzgelb: Sie haben gerade selbst erneut das Stichwort Leverkusen genannt. Bayer 04 scheint in der Bundesliga, was das "Scouten" betrifft also schon der Branchenführer zu sein. Nicht nur was Brasilien betrifft...

Saftig: Man darf aber nicht vergessen, dass sie alleine durch ihre Firma, nicht nur in Brasilien, riesengroße Vorteile besitzen. So haben sie nämlich jederzeit jemanden direkt vor Ort! Diese Leute können dann immer schon eine gewisse Vorsichtung betreiben. Aber mal etwas zu diesem Satz, dass Leverkusen in einem anderen Brasilien als der BVB sichte... Wenn ich mir den jungen Dede anschaue oder inzwischen auch Evanilson, dann kann ich nur sagen, dass sich Borussia sicherlich nicht hinter anderen verstecken muss. Dede ist nicht nur jung und vergleichsweise günstig gewesen, sondern dürfte auch noch eine große Entwicklung vor sich haben. Zudem hatten die Leverkusener auch schon so ihre Flops. Zuletzt waren es Ponte oder Rink und derzeit spielt mit Marquinhos, ein 8-Millionen-Einkauf, nur in der Amateur-Elf. Wenn überhaupt da. Und von ihm spricht zum Beispiel keiner...

schwatzgelb: Gibt es dennoch gewisse Dinge, die man versucht bei der Konkurrenz aus Leverkusen abzuschauen?

Saftig: Nein, das eigentlich nicht. Unser Computerprogramm ist größtenteils auch selbst entwickelt worden. Und deren größter Vorteil ist es eben, dass sie ohne großen Aufwand zahlreiche Leute vor Ort haben. Andererseits muss ich sagen, dass man irgendwann auch zu viel sichten kann. Schließlich kann man nicht pausenlos Spieler verpflichten, sondern nur ein begrenztes Kontingent.

schwatzgelb: Auffällig ist, dass wir bisher nur über das Ausland und ausländische Spieler gesprochen haben. Sichten sie dementsprechend nur im Ausland oder auch in Deutschland?

Saftig: Natürlich schaue ich mir auch die zweite Bundesliga an. Dort ist aber, ehrlicht gesagt, nur sehr wenig zu sichten. Zum einen spielen dort wiederum viele ausländische Spieler oder eben auch ehemalige Bundesligaprofis, die schon aufgrund ihres Alter nicht unbedingt in Frage kommen. Letztens habe ich noch die Begegnung Waldhof Mannheim gegen Arminia Bielefeld beobachtet. Von den 22 Spielern der Startformationen gibt es aber nur einen einzigen, der auch wirklich Perspektive besitzt. Keine wirklich gute Quote.

schwatzgelb: Beim Thema Waldhof kann man vielleicht auch mal auf einen gewissen Hanno Balitsch zu sprechen kommen...

Saftig: Ja, da kann ich ganz offen sagen, dass wir den Jungen im Sommer sehr gerne verpflichtet hätten. Aber leider hatte er schon in Köln seine Zugabe gegeben, sodass es für uns keine Möglichkeit mehr gab, ihn zu verpflichten.

schwatzgelb: Bei Balitsch handelt es sich ausnahmsweise mal wieder um einen deutschen Spieler. Dieser Markt scheint aber derzeit nicht viel herzugeben...

Saftig: Viel zu holen ist in Deutschland derzeit tatsächlich nicht. Alleine in der zweiten Liga kann man 90 % der Spieler von vorneherein ausschließen. Und selbst die Nationalmannschaft beweist diesen Trend. Dort spielen mit Jacker, Metzelder oder Ziege doch gleich mehrere Spieler, die in ihrem Verein nicht zum Stamm gehören. Und solche Volltreffer wie bei Christoph Metzelder landet man auch nicht alle Tage, weil man so eine Entwicklung nur schwer absehen kann. Zudem haben es kleinere Vereine wie Freiburg oder der VFL Bochum, wenn er denn erstklassig wäre, immer leichter solche Talente zu verpflichten, weil für sie dort die Chancen zu spielen viel größer sind.

schwatzgelb: Welches sind denn für sie stattdessen die Märkte, die in Zukunft boomen werden oder könnten?

Saftig: So pauschal kann man das nicht sagen. Zuletzt war sicherlich Tschechien einer der Hauptexporteure. Ein großes Potential an guten Spielern gibt es nach wie vor in Frankreich. Dort ist es aber mehr eine Frage des Preises, denn französische Spieler sind fast immer teuer. Ansonsten würden auch argentinische Spieler von der Mentalität her gut nach Deutschland passen. Was aber vollkommen dagegen spricht, sind die horrenden Preise. So kostet ein 20-jähriger Saviola schon über 70 Mio. DM. Und an genau so einem Punkt ist dann der Vergleich zu unserem Rosicky vorhanden...

Saftig in bekannter Jubelpose
schwatzgelb: Was erwarten sie vom skandinavischen Markt? Schließlich bringt auch dieser gute Spieler wie Carew hervor, steht aber öffentlich nicht im Vordergrund.


Saftig: In Skandinavien bin ich auch häufig und kenne mich speziell in Dänemark gut aus... Schwatzgelb: Beim Thema Dänemark fällt mir der Name Christian Poulsen ein... Saftig: Das ist einer von vielen Spielern. Aber als Stammspieler beim dänischen Meister sicherlich kein uninteressanter, obwohl er erst ein knappes Jahr in der ersten Liga spielt.

schwatzgelb: Woher bekommen sie denn überhaupt Tipps um auf weniger bekannte Spieler zu stoßen?

Saftig: Teilweise läuft es natürlich über die Berater. Aber ansonsten muss man sich vor allem selber einen guten Gesamtüberblick über die einzelnen Ligen verschaffen. So sollte man sich insbesondere die Spitzenspiele der jeweiligen Ligen, Ajax gegen Feyenoord oder Sparta gegen Slavia als Beispiele, nicht entgehen lassen. Dabei achtet man erst einmal gar nicht auf konkrete Spieler.

schwatzgelb: Und wie stößt man beispielsweise auf Guy Demel, der zwar bei einem großen Verein unter Vertrag stand, aber dennoch kein großer Name ist?

Saftig: In dem Fall wird es über einen Berater gelaufen sein. Daraufhin wurde er auch nicht beobachtet, sondern zu einem Probetraining eingeladen, wo er Matthias Sammer zu überzeugen wusste. Bei einem wirklich gestandenen Spieler ist so etwas natürlich unüblich und auch nicht möglich.

schwatzgelb: Gibt es auch bestimmte Spielermärkte, denen gegenüber der BVB abgeneigter ist? Osteuropäische Spieler zum Beispiel, abgesehen von den Tschechen, wurden längere Zeit weder verpflichtet noch waren sie im Gespräch.

Saftig: Bei so etwas muss ich natürlich höllisch aufpassen, bevor meine Aussagen letztlich noch falsch ausgelegt werden. Aber inzwischen hat man mit Spielern gewisser Regionen schon weniger gute Erfahrungen gemacht, was vor allem auch die charakterliche Seite anbelangt. In anderen Spielermärkten braucht man dagegen, wie erwähnt, erst gar nicht zu sichten, weil die Spieler ohnehin nicht bezahlbar sind. So geht ein Spanier beispielsweise nicht nach Deutschland...

schwatzgelb: Wo wir gerade beim Thema Tipps sind... Wir beiden haben mit sehr viel Aufwand eine Liste talentierter Spieler, die noch nicht bei großen Vereinen spielen und somit hoffentlich noch größtenteils erschwinglich sein sollten, erstellt. Vielleicht stellt es auch eine kleine Hilfe für sie dar und unter den 172 Spielern ist der ein oder andere Tipp dabei...

Saftig: (zeigt sich über den Umfang der Arbeit überrascht und blättert die siebenseitige Mappe erst einmal komplett durch) Kompliment! Das ist ja eine unglaubliche Fleißarbeit. Ich bin wirklich begeistert, denn einige Namen sind mir gut bekannt und auch einige von den unbekannten könnten tatsächlich interessante Tipps darstellen. Danke jedenfalls für den Aufwand, den sie damit betrieben haben. Und mal schauen: Vielleicht helfen sie uns damit tatsächlich weiter...

schwatzgelb: Zum Abschluss nochmals drei Fragen: Ist es eigentlich wichtig bei Beobachtungstouren unerkannt zu bleiben, weil sonst durch das Bekannt werden des Interesses der Preis nach oben schnellen würde oder ist es gar nicht möglich anonym zu arbeiten?

Saftig: Im Ausland ist man meist ohnehin unerkannt. Aber genau so wie der BVB von Spielerbeobachtungen anderer Vereine erfährt, wissen es auch diese Vereine von uns. Die notwendigen Karten muss der BVB schließlich bei den Vereinen selbst bestellen. Aber zumindest die Journalisten kennen mich im Ausland eigentlich nicht.

schwatzgelb: Und Neuzugänge für die kommende Saison wurden, so darf ich wohl selbstverständlich annehmen, auch schon gesichtet...

Saftig: Natürlich! Es geht immer weiter; es geht immer fließend weiter und es darf auch nicht aufhören. Stattdessen muss man immer auf dem neuesten Stand sein.

schwatzgelb: Zu seiner Dortmunder Zeit tätigte Nevio Scala einmal folgenden Ausspruch: "Die Meisterschaft des nächsten Jahres wird eigentlich immer schon im Winter entschieden, wenn man sich um die Neuzugänge für die kommende Saison kümmert!" Würden sie dem zustimmen?

Saftig: Na ja; zumindest hat er insofern recht, dass man immer auf dem Laufenden bleiben muss. Deshalb erkenne ich auch ihre große Fleißarbeit an. Viele dieser Spieler habe ich nämlich selbst schon gesehen und es sind auch einige dabei, die erst in ein bis zwei Jahren eventuell ein Thema werden könnten.

schwatzgelb: Danke für ein aufschlussreiches und umfangreiches Interview, Herr Saftig!

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