Unsa Senf

Das nicht eingelöste Versprechen

25.06.2020, 14:31 Uhr von:  Michael
Das nicht eingelöste Versprechen

Am Samstag endet zum zweiten Mal Mario Götzes Zeit in Dortmund. Im Gegensatz zu 2013 wird es ein leiser Abschied. Gedanken dazu, was hätte sein können.

Ich war nie ein großer Götze-Verehrer. Als fliegenfangender Kreisligatorwart waren mir Spieler mit technischem Talent immer suspekt. Grasfressende Kämpfer entsprachen meinem Naturell viel mehr als die Hacke-Spitze-1,2,3-Fraktion. Ich will auch gar nicht verhehlen, dass ein kleiner Teil in mir angesichts des Karriereverlaufs schadenfroh denkt: „Wärst du mal bei uns geblieben.“ Und wenn ich meine Gedanken beim Tor Götzes im WM-Finale hier aufschriebe, würde der Text umgehend im FSK18-Regal verschwinden. Doch wer in diesem Text Häme erwartet, kann sich die folgenden Zeilen sparen. Denn der Fußballfan in mir fühlt sich um großartige Momente betrogen.

Götze wird in Deutschland auf ewig mit seinem Finaltor verbunden bleiben. Ich verbinde Götze ebenfalls mit einem Tor. Mit seinem Tor gegen Hannover am 28. Spieltag der Saison 2010/11.

Der BVB lag in der 59. Minute mit 0:1 gegen die Gäste zurück. Abdellaoue hatte mit seinem Treffer in der 57. Minute das Westfalenstadion kurzzeitig zum Schweigen gebracht. Der Tabellenzweite Leverkusen spielte beim abstiegsbedrohten 1. FC Kaiserslautern und der Vorsprung hätte bei einer Niederlage der Schwarzgelben auf 4 Punkte schrumpfen können. Der notorische Pessimist in mir sah die Meisterschale Richtung Chemiewerk entschwinden.

Doch dann kam Mario Götze auf der linken Seite an den Ball. Verfolgt von Sergio Pinto lief er auf die Hannoveraner Viererkette zu, ließ in einer fließenden Bewegung gleichzeitig Schulz ins Leere grätschen und tunnelte Pogatetz, um den Ball im exakt getimten Moment vor den heranfliegenden Haggui und Fromlowitz ins Tor zu spitzeln.

Dieses Dribbling war eine Mischung aus technischer Perfektion, jugendlicher Unbekümmertheit und dem nötigen Quäntchen Glück. Es war ein Versprechen auf das, was mit diesem Spieler alles möglich schien, der mit 18 Jahren die Weichen in Richtung Meisterschaft stellte. Götzes Jubel mit Dede-Aufschrift auf dem T-Shirt war da nur noch der Punkt auf dem i.

Mario Götze war das Versprechen auf eine Mannschaft, die nicht nur sportlich erfolgreich, sondern mit jungen, hungrigen Spielern auch das verkörperte, was sich der Fußballromantiker wünscht. Geradlinige Typen wie Subotic und Kuba, Malocher wie Schmelle und Piszczek und Dortmunder Jungs. Dortmunder Jungs, wie Großkreutz, Sahin und Götze, der seit seinem 5. Lebensjahr in Dortmund lebte. Dazu kam noch Marco Reus, der „verlorene Sohn“. Abgeschoben nach Ahlen, aufgeblüht in Mönchengladbach und nun zurück, um mit Götze das kreative Herz dieser Mannschaft zu bilden. Borussia Dortmund schien endlich auf dem besten Weg, sportlichen Erfolg mit Sympathie zu verbinden.

Die Abgänge von Sahin und Kagawa konnten diese Illusion nicht zerstören, sondern nur ein wenig ankratzen. Wenn Real Madrid lockte, war ein Abgang legitim und die Premier League war immer Kagawas erklärtes Ziel. Doch die Illusion zerplatzte, als mich am 23.04.2013 eine Nachricht eines befreundeten Frankfurt-Fans erreichte, in der dieser mir sein Beileid aussprach. Auch ohne nähere Erläuterung seinerseits wusste ich, dass nun offiziell war, was seit einigen Stunden durch die Medienwelt geisterte: Götze geht nach München. Ausgerechnet München.

Das angedachte Herzstück der nächsten Jahre ging zum ärgsten sportlichen Rivalen. Und wählte den Weg in den sportlichen Niedergang. Noch ehe der Wechsel offiziell vollzogen war, demontierte Uli Hoeneß Götze, in dem er freimütig ausplauderte, dass Guardiola viel lieber Neymar haben wollte. Eine schallende Ohrfeige für Götze, der den neuen Bayerntrainer stets als Grund für seinen Wechsel nannte.

Die Zerstörung der Illusion - Götze im Bayerntrikot

Und immer wieder war da der Versuch, sich als „Marke“ zu etablieren. In einer Reihe neben Messi und Ronaldo zu stehen, die nicht nur den Auftritt auf dem Platz sondern auch neben dem Platz perfektioniert haben. Angefangen von dem provokanten Auftritt im Nike-Pullover bei der Vorstellung beim Adidas-Club Bayern über Hochglanzfotos in den sozialen Medien, bis hin zur Entwicklung eines eigenen Logos durch eine Marketingfirma. Götze, oder die entsprechenden Leute im Hintergrund, ließen keine Peinlichkeit aus.

Nur die sportlichen Leistungen hielten nicht mit der Markenentwicklung Schritt. Götze schaffte es weder in München, noch in seiner zweiten Zeit in Dortmund, sich einen Stammplatz zu erarbeiten. Das einstige Ausnahmetalent pendelte zwischen Bank und Startelf und wenn schließlich doch die Startelf überwog, bremste ihn die nächste Verletzung aus.

Dabei machte Götze öffentlich nie den Eindruck, dass er selbst eine Marke sein wollte. Verglichen mit sportlichen Egomanen wie Robert Lewandowski oder Ronaldo, wirkte Götze eher zurückhaltend. Durchgestylte Jubelposen oder gockelhaftes Auftreten auf dem Platz waren bei Götze selten zu sehen. War die „Markenentwicklung“ Götzes eigene Motivation? Oder wollten Personen im Hintergrund den steilen Aufstieg Götzes, mit der Krönung durch den WM-Siegtreffer, möglichst nachhaltig vergolden? Und wenn es doch Götzes eigene Idee war, so bleibt die Frage, warum keiner der Berater ihn daran hinderte.

Götze auf der Ersatzbank - ein Dauerzustand

Es ist müßig zu diskutieren, in welchen Anteilen die Gesundheit, die eigene Hybris und externe Einflüsterer die Karriere eines Ausnahmetalents beeinflusst haben. Dies weiß keiner auf der Welt. Von außen betrachtet bleibt der bittere Beigeschmack, dass weniger „Markenfokussierung“ und mehr „Fußballfokussierung“ Mario Götze gut getan hätten.

Im WM-Finale wurde Götze von Joachim Löw mit den Worten „Zeige der Welt, dass du besser bist als Messi.“ eingewechselt. 6 Jahre später ist dies nur noch eine ferne Erinnerung. Während Messi auch in der kommenden Saison eine unumstrittene Rolle bei einem europäischen Spitzenklub spielen wird, wird der zukünftige Arbeitgeber von Mario Götze vielleicht Hertha BSC oder TSG Hoffenheim heißen. Eine Entwicklung, die ich damals am 28. Spieltag 2010/11 nicht für möglich gehalten hätte, als uns ein 18-jähriger unbekümmert Richtung Meisterschaft dribbelte.

Mario Götzes Problem war nicht, dass er besser als Messi sein sollte. Mario Götzes Problem war, dass er nicht Mario Götze sein durfte.

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