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Die Unzufriedenheidi

30.09.2019, 11:27 Uhr von:  Sascha
Die Unzufriedenheidi

Wenn sich die Vereine oder Verbände der Öffentlichkeit präsentieren, dann machen sie das oft mit Tribünenbildern. Darauf sieht man Menschen Fahnen schwingen, ihre Schals in die Höhe recken, hüpfen, singen oder ganz einfach wild durcheinander toben. Die Message, die damit transportiert wird, ist eindeutig: bei uns herrscht das pralle Leben. Hier kannst du die emotionale Achterbahn besteigen und es geht richtig ab. Werde Teil einer großen Kurve mit vielen Menschen, die ganz genau so empfinden wie du. Das ist verständlich, allein… das ist nicht der Normalzustand.

Auch im Fußball sind die Momente der Freude und Gemeinsamkeit eher die Ausnahme denn die Regel. Man freut sich vor dem Anstoß auf das Spiel, man feiert die Tore, den Sieg. Um diesen Zustand der Zufriedenheit und Ausgelassenheit über einen längeren Zeitraum zu konservieren, braucht es schon einen überraschenden Erfolg. Für die Fans des einen Vereins bedeutet das schon der unerwartete Klassenerhalt, für die anderen sollte es schon gerne der europäische Henkelpott sein.

Zufriedenheit bedingt Überraschung

Die anderen, allerdings deutlich häufigeren Bilder werden eher selten gezeigt. Fans, die sich langweilen, weil auf dem Rasen schon seit fünfzehn Minuten irgendwie gar nichts passiert. Die lautstark kundtun, dass der Trainer doch gar keine Ahnung habe, wie man das Optimum aus der Mannschaft herausholen kann und sich darüber streiten, ob jetzt Spieler X oder Spieler Y der unfähigere Mann auf dem Platz ist. Wenn man so etwas bei einem Verein feststellen kann, ist das ein untrügliches Zeichen dafür, dass man gerade mitten in einer völlig normalen Saison steckt. Eine Saison, wie man sie schon zigfach erlebt hat und die in der Rückschau auf das bisherige Fanleben zu einem großen Knäuel völlig gleichartiger Spiele verwachsen. Nur noch identifizierbar anhand Singularitäten wie dem einen Derbysieg oder der unerwarteten, dafür aber deftigen Klatsche auf dem heimischen Platz.

Bleibt die Mannschaft gar unter den Erwartungen, werden die Ausfälle schon deftiger. Pfiffe gegen das eigene Team, dieses üble Raunen, wenn ein bestimmter Spieler an den Ball kommt und es wider Erwarten doch schafft, den langsamen Dreimeterpass unfallfrei anzustoppen und auf dem Höhepunkt die lautstarke Forderung, den aktuellen Übungsleiter doch bitte schnellstmöglich von der Trainerbank zu entfernen. Auch diese Geschichte dürfte jeder Verein über sich erzählen können, auch wenn man später gerne verschämt den Mantel des Schweigens über diese Spielzeiten legen möchte. Sie passt nicht zum Narrativ der Gemeinschaft, die mit stoischer Gelassenheit, aber auch nie erlöschender Leidenschaft zusammen durch Dick und Dünn geht.

Unser schwatzgelbes Lager bildet da keine Ausnahme. Nur zu gerne sehen wir uns als den großen, lautstarken Haufen, der in den Jahren 2010 bis 2013 auswärts teilweise ein Drittel des Stadions für sich eingenommen hat und bei dem zuhause fast das ganze Stadion aufgesprungen ist, wenn die „young guns“ in den Angriffsmodus geschaltet haben. Das ist der Maßstab, den wir einerseits an die sportlichen Vertreter auf den Rasen, aber auch an uns selbst anlegen, weil wir vergessen, was diese Zeit eigentlich war: die absolute Ausnahme. Sie war so wild und toll und geil, weil sie uns überrascht und zu Glücksmomenten geführt hat, an die wir noch kurz zuvor nicht einmal zu hoffen gewagt haben.

Allerdings ist Euphorie nicht der Normalzustand

Jetzt befinden wir uns in einer „normalen“ Saison. Schon wieder. Wir sind vom Umsatz her das zweitstärkste Team der Liga und sollten als solches permanent in der Champions-League spielen. Das tun wir auch, aber für wirkliche Begeisterung reicht das nicht aus. Wie auch? Wir wollen im Stadion überrascht und mitgerissen werden, etwas anderes erleben. Ist die Bundesligasaison nichts anderes als die Fortführung des gewohnten Lebens mit fünf Arbeitstagen Wartezeit auf Wochenende und Braten am Sonntag, dann führt das zu Unzufriedenheit. Eine Unzufriedenheit, die mittlerweile so tief wurzelt, dass selbst die Chance auf Erfolg, wie in der letzten Hinrunde, eher mit Skepsis denn mit Euphorie begleitet wird. Am Ende machen es eh wieder die Bayern. In dieser Saison strecken wir schon am sechsten Spieltag bei drei Punkten Abstand die Waffen und suchen panisch die Stellschraube, die alles zum Guten wendet. Der Trainer, der Kapitän, die Abwehr, die Mentalität – alles zweifelhaft. Wobei man natürlich nicht in Abrede stellen kann, dass die spielerische Ausrichtung deutlich eher praktisch denn umfassend mitreißend ist. Und natürlich sind neun Gegentore in gerade einmal sechs Ligaspielen zu wenig, wenn man um Titel mitspielen will.

Und trotzdem liegt es in unserer Verantwortung, eine gewisse Perspektivlosigkeit nicht in „Lust am Abriss“ ausarten zu lassen. Direkt im Anschluss an ein Spiel sind frustbeladene Äußerungen und Schuldzuweisungen verständlich, sie sollten aber nicht den Dauerzustand bis zum nächsten Spieltag darstellen. Ohne eine gewisse Grundruhe wird es kaum gelingen, aus der Normalität auszubrechen und mal wieder eine Spielzeit zu erleben, die uns alle positiv überrascht und mitreißt.

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