Im Gespräch mit...

...Prof. Dr. Volker Höltke: Schwitzen für den Erfolg

07.07.2019, 18:28 Uhr von:  DocKay
...Prof. Dr. Volker Höltke: Schwitzen für den Erfolg
Volker Höltke

Am 3. Juli haben für unseren BVB die Vorbereitungen auf die neue Saison 2019/2020 begonnen. Damit sind einige Fragen verbunden, die wir versuchen im Gespräch mit dem Trainingswissenschaftler Prof. Dr. Volker Höltke zu beantworten.

Herr Prof. Höltke hat eine Professur für Trainings-und Bewegungswissenschaft an der Deutschen Hochschule für Gesundheit & Sport. Viele Jahre hat er als Cheftrainer am Olympia- Bundesstützpunkt Schwimmen in Dortmund gearbeitet und war gleichzeitig Honorar Bundestrainer im Deutschen Schwimmverband. Als Orthopäde und Sportmediziner kenne ich Volker aus unserer gemeinsamen Tätigkeit an der Sportklinik Hellersen und natürlich ist Volker glühender BVB Fan, allein schon deswegen, da er in Dortmund zu Hause ist.

schwatzgelb.de: Volker, wir haben in der kommenden Saison das bescheidene Ziel, uns einen Platz in der Tabelle zu verbessern. Welche Rolle spielt hierbei die Vorbereitung?

Volker: Die Vorbereitung ist genau der Punkt. Es darf natürlich nicht passieren, dass uns wie in der letzten Saison nach hinten so ein bisschen die Luft ausgeht. Wenn ich mir die aktuelle Vorbereitung anschaue befürchte ich allerdings, dass hierzu die Zeit etwas fehlt.

schwatzgelb.de: Das letzte Pflichtspiel in der Liga fand am 18.05. gegen Borussia Mönchengladbach statt. Viele BVB-Spieler waren dann noch in der EM-Qualifikation bis 11.6. und in anderen Wettbewerben für ihre Nationalteams auf dem Rasen. Reicht da die Zeit zur Erholung bis zum Saisonstart am 3.8. aus?

Volker: Diese Frage schließt sich natürlich an die Vorfrage an. Im Fußball ist dies sicher ein generelles Problem. Dadurch dass die internationalen Wettbewerbe bis quasi vor kurzem noch stattfanden, werden einige erst zu spät einsteigen können und als Folge nicht an der kompletten Vorbereitung teilnehmen und dies birgt ein gewisses Risiko. Allerdings ist bei der Qualität der Mannschaft und der Größe des Kaders damit zu rechnen, dass ein gutes Team an den Start gehen wird.

Pause für Witsel und Wolf

schwatzgelb.de: Wo liegen die Schwerpunkte einer optimalen Saisonvorbereitung?

Volker: Schwerpunkt einer optimalen Saisonvorbereitung ist das Legen einer Grundlage zumindest für eine Halbsaison. Ich muss vorrangig ein Grundlagenausdauertraining machen, darf dabei aber nicht die Spritzigkeit verlieren. Dabei reden wir noch nicht über teamtaktische Dinge. Es geht hier im Wesentlichen um die körperliche Vorbereitung. Fazit ist, es gilt einen Kompromiss zu finden zwischen Grundlagenausdauertraining und Schnelligkeit. Wir dürfen nicht vergessen, dass die ersten 0,2 Sekunden darüber entscheiden ob man einen Ball gewinnt. Dies bedeutet, auch Explosivität ist im modernen Fußball gefragt.

schwatzgelb.de: Vom 15.7.-21.7 begibt sich der BVB auf seine USA Reise. Wie bewertest du solche Auftritte im Rahmen eines doch sehr eingeschränkten Zeitfensters?

Volker: Aus kommerziellen Gründen mag das sicher notwendig sein, dass man sich in den Vereinigten Staaten ein Klientel an Anhängern schafft und den Verein bekannt macht, aber alle die sich bisher mit dieser Thematik beschäftigen wissen, dass dies für die Saisonvorbereitung kontraproduktiv ist. Zweimal Zeitzonenwechsel, zweimal Klimawechsel belastet den Körper zusätzlich und die fehlenden Trainingstage holt man auch nicht wieder raus.

Testspiel in Essen: unproblematisch. USA-Reise: schwierig

schwatzgelb.de: Normalerweise heißt es ja immer, was man sich an Kondition in der Vorbereitung nicht holt, holt man sich auch nicht mehr in der Saison. Stimmt das?

Volker: Im Grunde genommen ist dies irgendwo richtig. Allerdings muss man sagen die Sportler, die dieses Niveau erreicht haben, besitzen so ein großes Potential an Grundkondition, dass ihnen dieses im Verlauf der Saison erhalten bleibt. Tatsächlich ist aber die Realität so, dass durch Verletzungen, Kartensperren und Nichtberücksichtigung im Kader immer noch die Chance besteht, zwischenzeitlich im konditionellen Bereich zu arbeiten. Meines Wissens wird dies auch genutzt, insbesondere von den Spielern, die nicht auf dem Platz stehen.

schwatzgelb.de: In der vergangenen Saison haben die letzten 15 Spielminuten oft das Herzinfarktrisiko gesteigert und man hatte das Gefühl, es bestünden Defizite im konditionellen Bereich. Wie siehst du das und kann man im Saisonverlauf gar nicht mehr im konditionellen Bereich arbeiten?

Volker: Tatsächlich würde ich das bestätigen. Auch nach meiner Einschätzung und der Einschätzung meiner Teamkollegen auf der Südtribüne war es so, dass wir den Eindruck hatten, dass zum Ende der Saison bei einigen Spielern tatsächlich die konditionellen Fähigkeiten am Ende waren bzw. ausgereizt waren und diese dann in den letzten 15-20 Minuten eingebrochen sind. Dies ist genau die Problematik, die wir heute haben, wenn viel international gespielt wird. Wir können dies gerne einmal etwas spezifizieren. Wann kann denn in der Saison noch trainiert werden? Es wird samstags oder sonntags gespielt. Bei einem Spieltag am Samstag muss dann am folgenden Sonntag ein Auslauftag sein. Dann ist Montag ein Trainingstag. Am Dienstag beginnt bereits wieder die Vorbereitung für das internationale Spiel. Das Arbeiten im konditionellen Bereich ist dann nicht möglich. Dann ist zum Beispiel Mittwoch oder Donnerstag das Spiel. Am nächsten Tag ist wieder Regeneration angesagt. Bis zum nächsten Spiel ist dann wieder maximal ein Trainingstag und das ist heute auch die große Schwierigkeit. Wir sehen dies auch bei anderen Mannschaften. Wer international spielt, hat nur noch 2 Tage in der Woche, die für Konditionsarbeit geeignet sind und somit keinen negativen Einfluss auf das Spiel am Folgetag haben.

schwatzgelb.de: Wo würdest du neben dem konditionellen Bereich den Hauptschwerpunkt setzen?

Volker: Bei diesen Dingen möchte ich mich gar nicht einmischen, denn das ist sicher Sache des Trainers und seiner Spielidee. Eine große Rolle spielen natürlich spieltaktische Elemente und Systemwechsel. Das individuelle Techniktraining finde ich ebenfalls eine gute Geschichte. Das ist allerdings auch beim BVB sehr gut geklärt, mit dem Footbonauten und diesen Geschichten, die hier eine Rolle spielen. Dies ist genau die Schwierigkeit heute. Hinsichtlich Kondition sind wir nicht mehr bei Felix Magath, im Sinne von Kondition schlägt alles. Tatsächlich hat sich das Training in weiten Bereichen deutlich verändert.

schwatzgelb.de: Wie kann man die körperliche Fitness messen und welche Rolle spielt für dich die Lactatmessung bei der Trainingssteuerung?

Volker: Die körperliche Fitness im Profibereich des Spitzenfußballs kann man natürlich auf verschiedene Art und Weise messen. Das hängt ein wenig auch vom Personal ab, das einem zur Verfügung steht und welche Aussagen man haben möchte. Alle kennen den Lactattest zu Saisonbeginn, der angeblich darüber Aufschluss geben soll ob die Spieler auch in der Trainingspause etwas gemacht haben.

Natürlich ist es so dass die Spieler, die in der Trainingspause ein bisschen an der Grundlagenausdauer gearbeitet haben oder diese erhalten haben, bei einem Lactattest besser abschneiden. Für meine Begriffe wird diese Lactatmessung jedoch deutlich überschätzt. Ich kann diese manipulieren durch Vortraining, wenn ich zum Beispiel mich am Vortag völlig verausgabe, wird mein Lactattest relativ gut abschneiden, weil ich ausgepowert bin und sehr spät und sehr wenig Lactat produziere. Wenn ich 3 Tage Pause gemacht habe sind meine Glykogenspeicher gefüllt. Dann werde ich sehr früh Lactat produzieren und schlechte Testwerte haben. Deswegen hat in anderen Spitzensportarten diese Lactatmessung in den letzten Jahren einen Rückgang erfahren. Dies ist kein astreiner Parameter der Erkenntnisse zulässt.

schwatzgelb.de: Was würdest du als Alternativen vorschlagen?

Volker: Als Alternative gibt es natürlich diese sportmotorischen Tests. Auch Konditionstests können eine Rolle spielen. Ich verweise auch an den bekannten DFB-Pool mit Leistungstests, der nach wie vor möglich ist. An physiologischen Parametern gibt es relativ wenig. Natürlich macht es aus meiner Sicht Sinn, die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max) zu bestimmen. Dieser Parameter ist nicht beeinflusst von Ernährung und Vortraining und gibt Auskunft über die PS-Leistung der einzelnen Spieler. Ich persönlich würde dies etwas mehr in den Vordergrund stellen.

Angeregte Diskussionen in der Saisonvorbereitung - nicht nur bei Favre und Kehl

schwatzgelb.de: Es gibt sicher verschiedene Spielertypen mit unterschiedlichen Voraussetzungen. Wie erkenne ich, wie bei einem Spieler die Belastung gesteuert werden muss?

Volker: Die Belastungssteuerung ist ein großes Problem überhaupt. Immer an der Kante trainieren kann zu Übertraining führen. Auf der anderen Seite kann es vielleicht zu wenig Training sein. Ich glaube man muss da individuell arbeiten. Man kann einige Blutparameter bestimmen, man kann am Morgen den Ruhepuls erheben und auch körperliche Tests machen. Hier gibt es heute eine Reihe von Parametern, die man untersuchen kann. Aber keiner ist so, dass man hier einen physiologischen Wert festmachen kann und sagen kann, derjenige Spieler ist ermüdet und der andere nicht. Das geht bis hin zu psychologischen Fragebögen, wo man Leistungsbereitschaft und Leistungswillen abfragt. Diese Bögen haben sich häufig als gut erwiesen.

schwatzgelb.de: Stimmst du mit der Aussage überein „weniger Laufen mehr, mit dem Ball“?

Volker: Diese Aussage würde ich uneingeschränkt unterschreiben. Das moderne Fußballtraining ist aber auch so. Wir haben nicht mehr Methode Magath und laufen 15 Mal den Mount Magath hoch oder 20 Runden Einlaufen wie ich das noch bei Profimannschaften vor 10 Jahren erlebt habe. Heute ist mehr HIT-Training (High Intensity Intervall Training) en vogue, also kurze intensive Spieleinheiten, so wie sie im Spiel vorkommen. Viermal 30 Sekunden Belastung oder viermal 4 Minuten. 5 gegen 3 oder 4 gegen 2, das sind Dinge die heute sportartspezifischer trainiert werden. Nur laufen ist „out“, allerdings muss man sagen, ein durchschnittlicher Spieler läuft in der Bundesliga zwischen 8 und 12 Kilometer und davon sind über 20% im Spurttempo zu absolvieren, also ohne eine gewisse Grundlagenausdauer wird es nicht gehen. Wer allerdings auf diesem Level schon angekommen ist, der hat diese Grundlagenausdauer.

schwatzgelb.de: Wie beurteilst du hier die allgemeine Qualität der sportmedizinischen und mentalen Betreuung bei einem immer mehr größer werdenden Trainerstab?

Volker: Ich beurteile diese eigentlich ganz positiv. Wir haben gelernt, dass es keinen Trainer mehr gibt, der alles kann. Dieser wäre auch völlig überfordert. Ich glaube Spezialisten sind immer mehr gefragt. Konditionstrainer, Mentaltrainer auch Leute, die die Spielbeobachtung machen. Viele Analysen werden heute ja auch schon im Training gemacht. Nicht zuletzt durch die akribische Spielerbeobachtung gibt es heute schon den gläsernen Spieler und tatsächlich müssen alle Daten zusammengeführt werden. Das geht hin bis zur Ernährung. Wir wissen zum Beispiel von Jürgen Klopp, dass er eigens eine Ernährungsberaterin in Liverpool eingestellt hat, die für die Spieler kocht und zwar so kocht, wie es die Spieler brauchen, nämlich mit einem erhöhten Anteil an Kohlenhydraten usw. Alles das spielt eine Rolle und nur so ist es zu erklären, dass heute eigentlich nicht mehr trainiert wird wie vor 10 Jahren, die Leistung aber deutlich besser ist und das Spiel vor allen Dingen schneller geworden ist.

schwatzgelb.de: Ich komme immer ins Grübeln, wenn ich höre, dass die Belastung eines Fußballers durch englische Wochen und die Komprimierung des Spielplanes zu hoch ist. Dabei denke ich an meine persönlichen Erfahrungen im Handball und Eishockey. Warum strengt es gerade Fußballer so an alle paar Tage ein Spiel zu haben?

Volker: Auch hierzu habe ich eigentlich eine deutliche Meinung. Tatsächlich dürfen wir nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Es ist richtig, dass Handball und Eishockey viel mehr Spiele haben, teilweise bis zu drei in der Woche, aber auch die Belastungszeiten sind ganz anders. Ein durchschnittlicher Eishockeyspieler hat 45 Sekunden Eiszeit dann geht er schon wieder in seine Pause. Ein Fußballspieler geht nach 45 Minuten in die Pause. Beim Handball werden zwischenzeitlich ganze Sturm und- Abwehrreihen ausgewechselt. Das ist schon einmal eine andere Nummer.

Jetzt sind wir beim englischen Fußball. Erstaunlicherweise geht es hier mit einer dichteren Spielfolge. Ich hätte deswegen nicht gedacht, dass ein Mchitarjan oder Aubameyang dort zurechtkommen würde. Vielleicht müssen wir manchmal doch über den Kanal blicken. Stichwort Regeneration, Ernährung, Schlafverordnung, teilweise Leben im Clubheim. Dies ist in England noch eine andere Nummer als bei uns. Regeneration wird noch wissenschaftlicher und spezifischer betrieben. Hier könnte ich mir noch Leistungsreserven vorstellen. Aber man muss auch umgekehrt sagen wir sehen in England immer nur die Spitzenspieler. Wieviel Spieler gehen denn da über die Kante? Wie häufig und wie lange verletzen sich Spieler? Darüber bekommen wir relativ wenige Meldungen. Wir sehen nur die Spiele im Fernsehen. Ich könnte mir vorstellen, dass die Verletzungsrate dort deutlich höher ist als bei uns. Also dieses System birgt auch gewisse Gefahren.

schwatzgelb.de: Das soll für den Moment genug sein. Recht herzlichen Dank Volker, dass du dich für dieses Interview zur Verfügung gestellt hast. Sicher gibt es noch viele interessante Aspekte, die wir vielleicht auch unter Einbeziehung unserer Leser zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal ansprechen und diskutieren können. Ich freue mich jetzt schon auf die nächsten Flurgespräche in der Klinik wenn wir uns wieder den aktuellen Themen des Spielbetriebes widmen. Es hat Spaß gemacht mit dir zu fachsimpeln. Bis demnächst auf der Südtribüne im Westfalenstadion.

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