Eua Senf

Der Prozess am Amtsgericht Sinsheim aus Sicht eines Angeklagten

14.06.2019, 20:14 Uhr von:  Gastautor

Im Nachgang des Spiels gegen die TSG Hoffenheim am 12.05.2018 wurden mehrere BVB-Fans wegen Beleidigung angeklagt. Dario (Name geändert) schildert für uns in einem Gastbeitrag, wie der Prozess verlief und welcher Eindruck bei ihm entstand.

Viel wurde schon über die aktuellen Verfahren am Amtsgericht in Sinsheim geschrieben, dennoch ist es mir ein Anliegen, diese auch aus Sicht eines Angeklagten zu schildern. Wichtig, es handelt sich hierbei um eine Zusammenfassung , wie ich diverse Situationen empfunden und wahrgenommen habe. Ich möchte niemandem böswillig etwas unterstellen.

Ja, ich habe den Gesang „Dietmar Hopp, du Sohn einer Hure“ im Stadion mitgetragen und musste mich nun vor dem Amtsgericht dafür verantworten. Ich habe auch vor Gericht keinen Hehl aus der Sache gemacht und gestanden, dieses gerufen zu haben. Es geht im Grunde auch nicht darum, ob es gesungen wurde, sondern ob Herr Hopp vorsätzlich beleidigt wurde. Um diese Frage gerichtlich zu klären, benötigte es insgesamt 20 Stunden an drei Verhandlungstagen.

Als am 12. Mai 2018 unser BVB bei der TSG Hoffenheim gastierte, kam es seitens der Borussen-Anhänger zu Gesängen, welche die Missgunst gegen das Konstrukt TSG Hoffenheim ausdrückten. Mittelpunkt dieser Schmähgesänge war dabei, wie so oft, der Gönner der TSG, Dietmar Hopp. Man muss dazu sagen, dass die Gesänge bei weitem nicht so laut waren wie in der Vergangenheit. Aufgrund der Proteste gegen den DFB, gegen die neuen Vereinen, wie zum Beispiel RB Leipzig usw., haben die Proteste meinem Gefühl nach gegen die TSG von Jahr zu Jahr weiter abgenommen.

Verhandlungstag 1:

Mit vier weiteren Angeklagten ging es zusammen mit dem Fanprojekt gen Sinsheim. Obwohl im Vorfeld schon der nicht fristgerechte Strafantrag identifiziert werden konnte, machte ich mir keine großen Hoffnungen und rechnete fest mit einer Verurteilung. Durch die Kölner Verfahren hatte man schon eine ungefähre Vorstellung, wie es vor Gericht ablaufen würde. Eine Richterin, die relativ frisch am Gericht ist und eine Staatsanwaltschaft, die einen Auftrag zu erfüllen hatte. Als wir am Amtsgericht eintrafen, wartete auch schon der SWR, die Bild und andere Konsorten auf uns. Als ich das Gericht betrat und die Fotografen auf einen lauerten, fragte ich mich kurzzeitig, ob hier wirklich wegen einer angeblichen Beleidigung verhandelt wird oder uns doch etwas Schwerwiegendes vorgeworfen würde, was im Interesse der Öffentlichkeit sein könnte. Von hinten hörte ich noch den Spruch, „Sie müssen Ihr Gesicht nicht verdecken - haben Sie keine Sorge, wir verpixeln“. Ja, vielen Dank für diese Info! Das Medienaufkommen zeigte schon, was für ein Politikum dieser Fall ist. Traurig!

Das Medienaufkommen zeigte schon, was für ein Politikum dieser Fall ist. Traurig!

Fast pünktlich um 12 Uhr startete die Verhandlung. Mein Eindruck war, dass sowohl die Richterin als auch die Staatsanwaltschaft von einer schnellen "Massenabfertigung" ausgingen. Wo normalerweise Nachbarschaftsstreits um die Höhe von Blumen verhandelt werden, ist man anscheinend noch sehr blauäugig unterwegs. Nach Verlesung der Namen wollte die Richterin dann auch gleich den ersten Zeugen aufrufen. Immerhin war es ja schon 12:15 Uhr und spätestens um 14 Uhr ist hier Feierabend. Pustekuchen! Bevor der erste Zeuge aufgerufen werden konnte, bat unser Anwaltsteam um das Wort und stellte den ersten Antrag. Es war ein Antrag auf Einstellung des Verfahrens, da der Strafantrag nicht fristgerecht gestellt wurde. Dieser hätte innerhalb von drei Monaten gestellt werden müssen und nicht erst nach fünf Monaten. Als unsere Anwälte den Antrag vortrugen und alle Argumente für eine Einstellung lieferten, sah man der Richterin und dem Staatsanwalt an, dass beide baff waren. Beide wurden kalt erwischt und so guckten diese sich während der Verlesung verdutzt an. Nun hatte der Staatsanwalt das Wort und hätte dagegen argumentieren können, warum aus seiner Sicht der Strafantrag fristgerecht gestellt worden sei. Allerdings empfahl er der Richterin, doch erst einmal mit der Vernehmung der Zeugen zu beginnen. Bevor die Richterin antworten konnte, konterten unsere Anwälte, „wir müssen doch keine Ressourcen verschwenden und jetzt mit der Verhandlung beginnen, um dann am Ende zu urteilen, dass der Antrag nicht fristgerecht eingegangen ist“. Daraufhin stotterte der Staatsanwalt ein wenig vor sich hin, blätterte wild in seinem Gesetzbuch herum und meinte dann, „ja grundsätzlich gebe ich Ihnen ja recht und es sieht merkwürdig aus, aber wir können hier ja einen Beamten fragen, welcher als Zeuge geladen ist“.

Ein Polizeibeamter sollte uns dann also erklären, wann Herr Hopp entschieden hat den Strafantrag zu stellen. Interessanter Ansatz. Es fehlte der Staatsanwaltschaft an Argumenten, die Richterin schien auch ein wenig verloren und fragte mehrere Male den Staatsanwalt, was sie denn jetzt machen solle, worauf dann ein Anwalt meinte „Sie sind die Löwin im Ring. Sie treffen die Entscheidung“.

Die Richterin zog sich nun zurück, um über den Antrag zu entscheiden. Als diese nach gut einer Stunde den Saal betrat, lehnte Sie den Antrag ab, ohne auch nur inhaltlich auf den Antrag eingegangen zu sein. So, Versuch Nr.2, um die Zeugen zu hören. Da hatte die Richterin aber die Rechnung ohne unsere Anwälte gemacht und so kam Antrag Nummer 2 auf den Tisch. Es wurde beantragt, Herrn Hopp als Zeuge zu laden, um klären zu können, wann er in Auftrag gab, den Strafantrag zu stellen. Diese elementar wichtige Frage, die niemand außer Herr Schickardt und/oder Herr Hopp selber beantworten kann. Nach einer weiteren Unterbrechung wurde dieser Antrag ebenfalls abgelehnt. Weitere Anträge folgten, welche erstaunlicherweise auch alle abgelehnt wurden. Die Staatsanwaltschaft hat sich am Ende auch gar keine Mühe mehr gemacht, im Anschluss der vorgetragenen Anträge zu argumentieren, um die Richterin vom Gegenteil zu überzeugen. „Ich mache es kurz, Sie müssen es auch nicht zu Protokoll geben. Ich trete dem Antrag entgegen“. Schon schnell merkte ich, dass alles versucht wurde, um die Nummer zu retten und wir keine Chance auf ein faires Verfahren hatten. Bei jedem Antrag, jedem Argument der Anwälte, guckten Richterin und Staatsanwalt sich an und rollten teilweise mit den Augen.

Am Ende entschieden wir uns, den Antrag auf Befangenheit zu stellen. Grund für den Antrag der Befangenheit war u.a., dass sie in einer Ihre Ablehnungen von der Tat und dem Verletzten sprach. Normalerweise fällt so ein Fazit immer erst am Ende einer Verhandlung und nicht voreingenommen vor einer Verhandlung. In Sinsheim ticken die Uhren wohl ein wenig anders. Der Antrag wurde am Ende selbstverständlich von der Direktorin abgelehnt. Die Richterin sei in der Lage objektiv zu urteilen. Ja klar, und Schalke wird nächste Saison Deutscher Meister.

Die Richterin und der Herr Staatsanwalt waren reichlich genervt, so planten beide wohl deutlich weniger Zeit ein. Kurz vier Zeugen hören und urteilen, Feierabend! Ja, das war der Plan, anders kann ich mir die ständigen Blicke auf die Uhr sowie die ständige Simserei nicht erklären. Nachdem die Befangenheit abgelehnt wurde, es war bereits 17:00 Uhr, haben unsere Anwälte gesagt, dass wir heute nicht mehr verhandeln, da die Akte u.a. auch nicht vollständig sei. So fehlte beispielsweise eine Kommunikation zwischen dem Sachbearbeiter der Polizei Sinsheim und dem Anwaltsbüro Schickardt. Witzigerweise hatte dieses auch indirekt mit dem Strafantrag zu tun. Als dann also beantragt wurde, dass uns die komplette Akte zur Verfügung gestellt wird sowie auch das Video- und Tonmaterial, was ausnahmsweise auch mal genehmigt wurde, kam die Richterin schon sichtlich genervt in den Saal und fragte den Herrn Staatsanwalt, ob man die Sache nicht einstellen könne. Daraufhin bot der Staatsanwalt an, dass man es durchaus machen könne, allerdings nicht für alle. „Wir sitzen jetzt hier schon seit fast 7 Stunden und haben noch nicht mit der Vernehmung begonnen. Ja, wir können hier Angebote machen, aber nicht für alle Angeklagten. Nur für zwei der fünf Personen würde dieses in Frage kommen, da diese bis jetzt nichts in der Akte vermerkt haben. Es ist heute die erste Verhandlung und es hat Signalwirkung“. Dieser Satz wird zum späteren Zeitpunkt noch wichtig werden. Es ging für mich also ohne Ergebnis zurück nach Dortmund, wo wir gegen 23 Uhr ankamen.

Fazit Tag 1: Staatsanwaltschaft und Richterin versuchten die Nummer einigermaßen zu retten und bewegten sich in Ihrer Argumentation auf sehr dünnem Eis. Eine gewisse Unsicherheit war deutlich spürbar. Dennoch ein Teilerfolg für uns, da wir zwei Einstellungen erwirken konnten.

Ja klar, und Schalke wird nächste Saison Deutscher Meister.

Verhandlungstag 2:

Am frühen Morgen ging es erneut mit dem Fanprojekt gen Sinsheim. Nach Tag Nummer eins machte ich mir auch keine Hoffnung, irgendetwas anderes als eine Verurteilung aus Sinsheim mitzunehmen. Am Eingang angekommen, nahmen uns auch schon die aus Mannheim extra angeforderten Polizisten in Empfang. Sicher ist sicher, wer weiß schon, was die Horde an Fußballfans so im Schilde führt. Die Polizisten waren aber nicht unser einziges Problem, so war der Fotograf der Bildzeitung ein weitaus größeres. Dieser ließ uns keine Luft zum Atmen und so mussten wir extrem aufpassen, dass unsere Gesichter nicht in diesem Drecksblatt landeten. Als dann pünktlich um 9 Uhr die objektive Richterin aus der Region Heidelberg den Saal betrat, war die erste Ansage, „wir haben heute Freitag, wir schließen hier um 12 Uhr, aber wir haben uns dazu bereit erklärt bis 14 Uhr zu machen. Länger aber auf keinen Fall“. Ja kein Problem, dachte ich mir. Wenn wir unter Zeitdruck geraten und den Fall nicht bis 14 Uhr klären können, kommen wir auch gerne noch ein drittes Mal ins schöne Sinsheim. Kostet ja nur einen Tag Urlaub und Anwaltskosten. Aber hey, wen interessiert das schon.

Na gut, starten wir also den Fortsetzungstermin und so wurde dann auch der erste Zeuge aufgerufen. Naja, nicht ganz, schon als die Richterin den Zeugen aufrief, musste dieser den Saal auch direkt wieder verlassen. Mein Anwalt und ich hatten uns entschieden, sich zum Sachverhalt einzulassen. So las er für mich eine ausführliche Erklärung vor, in welcher ich zugab, diesen Gesang zwar mitgetragen zu haben, allerdings ohne die Absicht Herrn Hopp in seiner persönlichen Ehre verletzten zu wollen. Ich verfolge seit Jahren fantypische Publikationen sowie die Dortmunder Presselandschaft. Eine Berichterstattung darüber, dass sich Personen tatsächlich von Schmähgesängen in der Ehre verletzt sehen, habe ich in den vergangenen Jahren zu keiner Zeit wahrgenommen. Aus diesem Grund beantragten wir eine Einstellung des Verfahrens. Um dieses zu belegen, folgten weitere Anträge, wie zum Beispiel die Aufnahme weiterer Beweise, wie diverse Interviews von Herrn Hopp, welcher sich in der Vergangenheit immer dazu äußerte, dass Schmähgesänge an ihm abprallen würden. Ausgenommen davon seien natürlich Gewaltandrohungen. Weiterhin wurde die Pflichtverteidigung beantragt. Der Staatsanwalt lehnte sich cool zurück und argumentierte erneut nicht gegen einen einzigen Antrag. Es war Ihm schlichtweg egal. Machen wir es kurz, nach einer längeren Pause wurde alles abgelehnt.

Die Pflichtverteidigung wurde mit der Begründung abgelehnt, ich könnte mich auch selber verteidigen. Zusätzliche Beweise wurden ebenfalls nicht zugelassen. Es würde nicht der Wahrheitsfindung dienen, so hieß es. Dies war der absolute Höhepunkt, wo ich mir nur noch verarscht vorgekommen bin. Im Grunde waren das für das Verfahren bedeutende Dinge, welche im Gerichtsaal hätten diskutiert werden müssen, um meine Einlassung zu werten. Es interessierte aber einfach niemanden.

Gut, auf in die nächste Runde. Da wir zum zweiten Termin nun auch eine halbwegs vollständige Akte hatten, fand sich dort ein interessanter Vermerk wieder. Der Oberstaatsanwalt schaltete sich in die Verfahren ein und setzte einen Termin an. Ja richtig, ein Oberstaatsanwalt. Wir reden hier weiterhin von einer angeblichen vorsätzlichen Beleidigung. Na gut, so kümmerte sich also ein Oberstaatsanwalt persönlich um die Angelegenheit und ging den Fall einmal durch und so wurde u.a. auf den fehlenden Strafantrag aufmerksam gemacht.

Aufgrund dieser sowie noch zwei, drei anderen Seiten in der Akte, kam die Sache Strafantrag, welche am ersten Tag bereits von der Richterin abgelehnt wurde, wieder auf den Tisch und wurde dementsprechend noch einmal ausgiebig diskutiert. Es wurde seitens des Gerichts alles abgeblockt. Hilflose Blicke Richtung Staatsanwalt, doch dieser konnte der Richterin aktuell auch nicht helfen, um genügend Gründe zu finden und so sagte die Richterin am Ende, „wir haben darüber bereits an Tag 1 entschieden. Mehr gibt es hierzu auch nicht mehr zu sagen, außer, dass der Strafantrag meiner Meinung nach fristgerecht gestellt wurde.“ Fassen wir also mal zusammen, es wurde abgelehnt weitere Beweise aufzunehmen („dient nicht der Wahrheitsfindung“), eine Pflichtverteidigung wurde abgelehnt, obwohl mir als Angeklagter zum wiederholten Male weitere Rechte einer fairen Verhandlung genommen wurden („ich könnte mich auch selber verteidigen“) und aufgrund weiterer Details aus der Akte, woraus sich einige Fragen ergaben, hätten Herr Hopp sowie Herr Schickardt gehört werden müssen („dient nicht der Wahrheitsfindung, wir können hierzu die Polizeibeamten befragen“). Wir baten um eine Pause, um die Sache einmal einordnen zu können. Wir haben uns dazu entschlossen, die Richterin erneut abzulehnen. Gerade aufgrund der Tatsache, dass ich mich eingelassen hatte und das Gericht kein Interesse daran hatte, dies zu bewerten. Wichtige Sachen aus der Akte zum Thema Strafantrag wurden als nichtig bezeichnet und so ließ man uns keine andere Wahl. Mal davon ab, hatten wir auch bereits 13 Uhr und eine Beweisaufnahme würde heute eh nicht mehr stattfinden. Also haben wir diesen Antrag gestellt und uns gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft und der Richterin darauf geeinigt, die Entscheidung schriftlich in den nächsten Tagen zu erhalten und den heutigen Tag zu beenden.

Fazit Tag 2: Das Gericht ist weiterhin nicht an einer Aufklärung interessiert. Ich fühlte mich so machtlos, wollte einfach nur ein faires Verfahren. Dieses schien hier leider nicht möglich zu sein, was ein Armutszeugnis für unseren Rechtsstaat ist.

Verhandlungstag 3:

Erneut ging es um 5 Uhr mit dem Fanprojekt ins schöne Sinsheim. In der Zwischenzeit ereigneten sich einige interessante Sachen, welche für den Verhandlungstag Nummer drei nicht ganz unwichtig waren. So erhielten viele Leute ohne vorherigen Eintrag bereits im Vorfeld eine Einstellung angeboten. Eine Person bekam vor Ort von der Staatsanwaltschaft eine Einstellung angeboten, obwohl dieser einen Eintrag wegen Beleidigung im Register stehen hatte. Ich erinnerte mich zurück an den Satz der Staatsanwaltschaft, „wir können nur für die Personen einen Einstellung anbieten, welche noch keinen Eintrag haben“. Schließlich habe es ja Signalwirkung. Weitaus größer war ein Fund am Amtsgericht Dortmund. Dort wurde ebenfalls ein Fall verhandelt. Gleiches Verfahren, identische Akte. Nachdem der Anwalt die Richterin im Vorfeld auf die Strafantragsproblematik aufmerksam gemacht hatte, forderte sie diesen von Herrn Schickardt an. Was nun kommt, macht einfach nur noch fassungslos. So tauchte auf einmal ein weiterer Strafantrag auf, welcher die Frist einhalten würde. Mit Stempel des Polizeipräsidium Sinsheim, aber ohne Unterschrift. Halten wir also fest, bis zum einberufenen Termin des Oberstaatsanwaltes Heidelberg war kein einziger Strafantrag vorhanden. Dieser wurde dann von der Kanzlei Schickardt nachgereicht. Nachdem unsere Anwälte am ersten Verhandlungstag darauf aufmerksam machten und damit für Aufsehen sorgten, taucht nun aus dem Nichts ein zweiter Strafantrag auf, aber ohne Unterschrift. Ganz merkwürdig, aber hey, wir fragen einfach Herrn Schickardt und Herrn Hopp. Oh wait.... Natürlich wurde dieser Antrag abgelehnt. Wie sagte die Frau Staatsanwältin, „mich interessiert das nicht, was woanders auftaucht. Hören Sie auf mit Ihrem Strafantrag. Ja, Sie haben gut verteidigt und deswegen sitzen wir auch nun schon den dritten Tag hier, aber hören Sie endlich auf damit. Es interessiert mich nicht. Ich schlage vor, Sie stellen jetzt alle Ihre Anträge, wir beginnen mit der Beweisaufnahme und dann entscheidet die Richterin in Ruhe über die Anträge.“

Nur kurz zum Verständnis, es handelte sich um ein und das selbe Verfahren, in welchem nun der zweite Strafantrag auftauchte. Natürlich wurde unser Befangenheitsantrag vom zweiten Verhandlungstag abgelehnt, die Richterin machte sich aber nicht einmal die Mühe dies überhaupt zu verkünden und begann einfach mit der Verhandlung. Während mein Anwalt die Anträge verlas, wurde dieser mitten im Satz von der Staatsanwältin unterbrochen, mit den Worten: „Wie viele Seiten sind das noch? Ist das wirklich notwendig? Geben Sie den Antrag doch einfach der Richterin und sie wird darüber entscheiden“. Absolut respektlos. Wenn man außerdem bedenkt, dass die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit hätte dagegen zu argumentieren, um die Richterin vom Gegenteil zu überzeugen, war das schon ein ziemlich deutliches Zeichen an uns. Desinteresse pur, so glotzte man während der Verhandlung auch lieber mal auf sein Handy, anstatt der Verhandlung zu folgen. Ich merkte immer deutlicher, dass sich wirklich niemand auch nur ansatzweise die Mühe machte, hier seinen Job ordnungsgemäß zu erledigen. Es war schon sehr bezeichnend.

Zeuge Nummer eins betrat den Saal und war sichtlich erleichtert, am dritten Tag endlich aussagen zu dürfen. Die Beweisaufnahme ergab am Ende dann nur, dass die Polizei ohne Strafantrag hunderte Stunden Ermittlungen leistete, um Leute zu identifizieren. Ich lese ständig, wie überlastet die Polizei wäre und in Sinsheim fühlt man sich also dazu berufen, Überstunden zu schieben. Dabei über Wochen in mehreren hundert Stunden Videoaufnahmen zu filtern, zwei Tage nach Dortmund zu fahren, um die szenekundigen Beamten zu fragen, ob sie Personen auf den Videos erkennen würden, und um dann am Ende mit dem Ergebnis zurück nach Sinsheim zu fahren. Wenn das keine Verschwendung von Ressourcen ist, dann weiß ich auch nicht.

Natürlich wurden die Beamten auch zum Richtmikrofon befragt. Ärgerlicherweise wusste niemand, wer dieses veranlasst hatte. Teilweise wurden Fragen ungenau beantwortet oder man stellte sich ahnungslos. Dass die Staatsanwältin auch Fragen für die Zeugen beantwortete und diese in eine gewisse Richtung lenkte, ist nur eine kleine Randnotiz dieser Unterhaltungsshow. Ein Beamter, welcher eng mit dem Sachbearbeiter der Polizei Sinsheim zusammenarbeitete und auch schon die Köln-Verfahren begleitet hatte, wurde detaillierter zum neu aufgetauchten Strafantrag befragt. Ob dieser bekannt sei und ihm etwas auffallen würde, wurde er gefragt. Und ob er es nicht merkwürdig finden würde, dass keine Unterschrift vorhanden sei. Laut seiner Aussage kann es nicht sein, dass ein Strafantrag nicht unterschrieben wird. Hierzu könne er aber nichts sagen, das kann nur der Sachbearbeiter persönlich tun. Na gut, dann warten wir halt, bis dieser in den Zeugenstand berufen wird. Ach Moment, da war ja etwas. Der Sachbearbeiter ist ja leider erkrankt. Natürlich haben wir auf diesen Zeugen bestanden, was aber bedauerlicherweise abgelehnt wurde. Es würde nicht der Wahrheitsfindung dienen. Na klar, ignorieren wir einfach so einen Fund. Nach was so etwas aussieht, kann gerne jeder für sich bewerten. Ich möchte hier niemandem etwas unterstellen.

Um einmal zu beschreiben, wie viel man auf eine Zeugenaussage der Polizisten geben konnte, folgender Sachverhalt: Nach dem zweiten Tag erschien in einer Zeitung ein Artikel über das Verfahren. Ein Beamter wurde mit den Worten zitiert, dass die Anwälte nur Nebelkerzen zünden würden. Mal davon abgesehen, dass der Herr nicht wissen kann, was im Gerichtsaal für Argumente ausgetauscht wurden, ist das eine ganz klare Botschaft an unsere Anwälte. Sicherlich hat er das ein oder andere Argument von seinen Kollegen geschickt bekommen, welche natürlich fleißig als Zuschauer dem Verfahren folgten. Das bevollmächtigt ihn aber nicht dazu, eine solch freche und voreingenommene Aussage zu tätigen. Unsere Anwälte waren davon alles andere als begeistert und so wurde jeder befragt, ob er am zweiten Tag mit der Presse gesprochen hätte. Alle verneinten es. In einer Unterbrechung haben wir aber in Erfahrung bringen können, welcher Beamte es war. Die Herde hat ihn fallen lassen. Der große böse „Wolf“ ist eben nicht, was er zu sein scheint, sondern verschüchtert, zaghaft und lässt sich von den drei kleinen Schweinchen herumschubsen, die ihn für ihre Zirkusaufführung ausnutzen, so heißt es in einem Bilderbuch namens „Wolf beißt nicht“.

Alle Zeugen wurden nun gehört, unsere waren nicht erwünscht. Also guckte sich das Gericht jetzt an einem älteren Computer die Videofrequenzen an. Viel erkennen konnte man nicht, so stoppte das Video alle zwei Sekunden, um erneut laden zu können und so benötigte man für ein 1:30-minütiges Video fast 10 Minuten. Ein flüssiges Abspielen war nicht möglich. Nachdem die Beweisaufnahme beendet war, folgten die Plädoyers. Für die Staatsanwaltschaft war der Sachverhalt klar und so argumentierte diese u.a. „Man hätte es wissen müssen, dass man dadurch vorsätzlich eine Person verletzt.“ Na gut, in Zeiten, in denen Fans unsere Nationalspieler als „Neger“ und mit anderen rassistischen Ausdrücken beleidigen und die Sache eingestellt wird, da kein Vorsatz vorlag, hätten wir es wissen müssen. Alles klar! Am Ende bekamen wir alle die erwartete Verurteilung, so konnte man einwandfrei erkennen, wer was gesungen hatte. Eine Richterin hat also an den Lippen alles einwandfrei ablesen können und das, obwohl die Bildqualität hingerotzt war. Natürlich habe ich es gesungen, aber zu behaupten, man konnte es bestens auf den Videos erkennen, ist einfach nur armselig.

Fazit:

Ich fühlte mich zu keiner Sekunde ernst genommen. Laut Grundgesetz sollte jeder gleich behandelt werden, das war in Sinsheim zu keiner Sekunde der Fall. Das Recht auf ein faires Verfahren (Fair Trial) ist eine justizmäßige Ausprägung des Rechtstaatsprinzips. Der Grundsatz ist in Europa in Art. 6 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten niedergelegt. Auch das war nicht gegeben. Es waren drei intensive und kostspielige Tage. Sollte ich falsch gehandelt haben, werde ich dafür geradestehen, aber genau das ist es ja, was diskutiert werden muss. War es Vorsatz oder nicht? War der Strafantrag fristgerecht oder nicht? Warum möchte die Richterin erst den Sachbearbeiter hören, um am Ende doch auf ihn verzichten zu können? Warum wird mir das Recht genommen, den Geschädigten zu befragen? Was dort in Sinsheim abging, ist ein absolutes Armutszeugnis für unseren Rechtsstaat und ein Schlag in die Fresse für jeden Bürger. Man merkte der Richterin die Unsicherheit an, sie hat zu keinem Zeitpunkt die Verhandlung geführt und war gerade am dritten Tag sehr lenkbar. Wer weiß, vielleicht wurde sie auch genau deswegen für das Verfahren angesetzt. Mittlerweile würde ich einigen Parteien alles zutrauen. Wir alle können uns sicherlich noch an das Strache-Video erinnern. Die Geschäfte der Großen finden in Hinterzimmern statt, eine Hand wäscht die andere. Warum wurde nach dem ersten Verhandlungstag sämtlichen Leuten eine Einstellung angeboten und das obwohl der Strafantrag doch angeblich fristgerecht war? Hat die Staatsanwaltschaft vielleicht nicht mit dieser Gegenwehr gerechnet und sieht ein, dass es Verschwendung von Ressourcen ist oder steckt da vielleicht mehr dahinter? Fragen über Fragen ...

Als bekannt wurde, dass Herr Hopp Anzeige gegen Unbekannt stellte, wurde Herr Hopp seitens der Medien für seinen mutigen Schritt gelobt. Wundert mich persönlich nicht, so profitieren beide Seiten schließlich voneinander. Leider ließen sich anfangs auch andere Fans medial instrumentalisieren und begrüßten diese Maßnahme, da das Stadion kein rechtsfreier Raum sei. Dieses in die Mode gekommene „kein rechtsfreier Raum“ ist richtig. Wo bitte in Deutschland haben wir denn einen rechtsfreien Raum? Mal davon abgesehen, kein Raum ist weniger rechtsfreier als ein Fußballstadion, in dem wirklich jeder Winkel überwacht ist. „Diese sogenannten Fans nutzen den Fußball nur als Bühne...“, „lebenslang Stadionverbot“ und was nicht alles gesagt und gefordert wurde. Ich habe mich manchmal gefragt, ob die Leute, die das fordern, sich in Ihrem Verhalten auch reflektieren? Ich bezweifle es, denn jeder, der mit dem Herzen dabei ist und den Fußball liebt, der wird in der Emotion schon einmal was gerufen, bzw. gesagt haben, was eben nicht gesellschaftsfähig ist. „Schiri du Arschloch“, „Arschloch, Wichser, Hurensohn“, „jeder Schalker ist ein Hurensohn“, „du blinde Sau“, und was nicht alles beim Fußball seit Jahren gerufen wird, wodurch der Gegner sich in seiner Ehre verletzt fühlen könnte. Was über Jahre hinweg in Ordnung war, soll auf einmal ein absolutes „no go“ sein und das Stadionerlebnis stören? Sicherlich wird seit Jahren versucht, den Fußball gesellschaftsfähiger zu machen, so lässt sich damit ja jetzt deutlich mehr Geld verdienen als noch vor 10 Jahren. So sind unbequeme Spielertypen, die auch mal klar ihre Meinung äußern, nicht gern im Profigeschäft gesehen und werden teilweise medial auch diffamiert. Jugendspieler werden auf Interviews vorbereitet und ihnen werden Standardantworten in den Mund gelegt. Fans, die sich nach Erfolgen auf dem Platz vor Freude in den Armen liegen, sind auf einmal Szenen, die man im Fußball nicht mehr sehen möchte. Und ja, wird neuerdings ein Gönner wie Herr Hopp oder ein Verein wie RB Leipzig verbal kritisiert, so füllt es wochenlang die Titelseiten. Warum sollten sich Journalisten auch mit dem Hintergrund auseinandersetzen? Vielleicht sollte man sich auch einmal damit beschäftigen, warum solche Gesänge angestimmt werden. Manche Gesänge werden mit gezielten Überzeichnungen gesungen, um es darauf anzulegen, Emotionen und Reaktionen auszulösen. Man will damit auf Themen aufmerksam machen. Es geht darum, Kritik zu äußern, gehört zu werden. Fußballfans werden von den Großen klein gehalten, Meinungen werden kaum zugelassen.

Mein Gefühl sagt mir, dass diese Marschrichtung von den Großen im Sport vorgegeben wird und am Ende alle, wie Verbände und Medien (teilweise auch die Vereine), an einem Strang ziehen. Am Ende profitieren doch alle voneinander. Wie sagt man so schön: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Ich fahre seit über 25 Jahren zum Fußball und bin mit dem rauen Ton, welcher im Stadion auf und neben dem Platz herrscht, groß geworden. Im Profifußball sowie auf diversen Dorfplätzen in der Kreisliga, wo der Rentner 90 Minuten pöbelnd an der Bande steht. Und jeder, der nicht erst seit gestern zum Fußball geht, weiß, dass der Fußball schon immer ein Proletensport war und eine Ausdrucksweise dazu gehört, welche man im Büro sicherlich nicht anwenden würde. Jetzt auf einmal soll alles so dramatisch sein? Der arme Herr Hopp, welcher seit über 10 Jahren öffentlich sagt, dass es an ihm abprallt, so lange es keine Aufrufe zur Gewalt sind, kann es nun nicht mehr ertragen? In einer Zeit, wo die Kritik immer weiter abgenommen hat? Viele Fans schämen sich für diese Leute, welche solche Gesänge im Stadion anstimmten? Sind das die Leute, die sicherlich in all den Jahren schon einmal mitgesungen haben? Die Leute, welche am 18. Mai 2013, als wir es verpasst hatten die TSG in Liga 2 zu schießen und das Westfalenstadion so dermaßen mitgefiebert und gegen die TSG gepöbelt hat, als würde es, überspitzt gesagt, um Leben und Tod gehen? Wäre es so, ist diese Entwicklung sehr erschreckend. Ob nun Personen, die jedes Spiel im Stadion mit unserem BVB mitfiebern, oder Fans wie Alfred Draxler, die vor dem TV nur unterhalten werden wollen, spielt eigentlich keine Rolle. Wichtig ist nur, dass auf Dauer solche Sachen wieder normal eingeordnet werden und die Hysterie, die teilweise nach Fußballspielen herrscht, zurückgeht. Sollten Dinge im Stadion dennoch entgleisen, ist eine Vorverurteilung genauso unangebracht wie ein unfaires Verfahren. Jeder Mensch hat ein Recht auf ein faires Verfahren. In Sinsheim und im Rest der Republik.

Wir kämpfen auf jeden Fall weiter für unsere Rechte. Das Recht auf ein faires Verfahren. Ziel ist es nicht, eine Einstellung zu erhalten, sondern den Fall rechtstaatlich final zu klären. Was zukünftig im Stadion gesagt und gesungen werden darf, ist eine nicht ganz unwichtige Sache für viele Fußballfans, welche Woche für Woche Ihrem Verein hinterher reisen.

Ein großes Dankeschön geht noch an das Fanprojekt Dortmund, welches uns an allen drei Tagen vor Ort unterstützt hatte. Ebenfalls bedanken möchte ich mich bei unseren Anwälten. Was Ihr für eine Energie in dieses Verfahren steckt, mit welcher Leidenschaft Ihr für unsere Rechte kämpft, ist einfach nur Top. Für euch ist es eine Herzensangelegenheit und dieses hat man im kompletten Verfahren deutlich gemerkt. DANKE!

In der Rubrik „Eua Senf“ veröffentlichen wir in unregelmäßigen Abständen Texte, die uns von unseren Lesern zugesandt wurden. Dieser Beitrag wurde anonym veröffentlicht, der Autor ist der Redaktion bekannt.

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