Unsa Senf

Zukunftsvision BVB: Tiefpunkt

05.04.2018, 00:00 Uhr von:  Sascha
Die Köpfe unten

Borussia Dortmund hat den Blues. Nicht erst seit der in dieser Höhe auch völlig verdienten 0:6-Packung in München. Und nicht nur auf dem Platz während der 90, oft nur bedingt anschaubaren, Minuten Spielzeit. Von einer kleinen Hochphase direkt zu Beginn der Saison, als sich kurzzeitig Euphorie rund um den BVB verbreitete, einmal abgesehen, sind wir schon länger in vielen Bereichen von einer großen Lethargie befallen.

Auch auf der Tribüne verpufft bei Heimspielen der Elan nach einem lauten „Heja, heja BVB“ zum Anstoß häufig schon nach wenigen Minuten und verkümmert zu seinem lauen, pflichtbewussten Singsang. Am deutlichsten wurde das wohl beim Pokalfinale, bei dem Spieler zum Ende hin die Kurve zur Unterstützung Richtung Pokalsieg animieren mussten. Schwatzgelbe Leidenschaft köchelt momentan häufig genug nur auf Sparflamme, statt zu einem echten Flächenbrand zu werden. Dabei kann man jetzt eine vortreffliche Henne-Ei-Diskussion über die Wechselwirkung zwischen der schwachen Unterstützung von den Rängen und dem recht saftlosen Rumgekicke auf dem Feld führen. Ein Problem, das uns nicht erst seit Spieltag Nummer sieben begleitet. Die Wahrheit ist wohl eher, dass beide Seiten gleich viel dazu beitragen und auf ihre Art große Probleme haben, sich aufzuraffen und diese Lethargie aus den Beinen und den Stimmbändern zu schütteln.

Aber woher kommt sie? Es ist nicht einfach nur der übliche Kater nach durchzechten Nächten in den Jahren von 2010 bis 2013, nach denen man mit dröhnendem Schädel auf dem Sofa liegt und hofft, dass dieser Tag einfach nur schnell vorbei gehen möge, weil am nächsten Morgen alles besser wird. Die Party war bereits spätestens in der Saison 2014/2015, die mit Platz sieben und dem Abschied von Jürgen Klopp endete, endgültig vorbei. Schon da waren wir nicht mehr der junge, aufregende „heiße Scheiß“ des europäischen Fußballs, sondern „nur noch“ ein ganz normaler Verein mit branchenüblichen Ambitionen und Ansprüchen. Aber obwohl es damals sogar runter bis auf den letzten Tabellenplatz ging, war die Grundstimmung bei Borussia Dortmund besser. Bis auf ganz wenige Ausnahmen wurde der Mannschaft nach Spielende ein „Kopf hoch, wir schaffen das“ bedeutet, während jetzt auf Platz 3 der Tabelle nahezu alles und jeder in Frage gestellt wird.

wie 2014. Aber die Stimmung war anders

Irgendetwas muss also, unabhängig von der Platzierung in der Tabelle, anders sein als vor drei Jahren. Vielleicht der Umstand, dass man die damalige Saison nur als Delle in einer kontinuierlichen Entwicklung verstanden konnte, während man mittlerweile registriert hat, dass wir uns wirklich auf einem Abwärtstrend befinden. Die spielerische Qualität der Mannschaft hat nach Abgängen des 2013er-Götzes, denen von Lewandowski, Gündogan, Hummels, Mkhitaryan, Dembélé und zuletzt Aubameyang kontinuierlich abgenommen. Durch eine andere taktische Ausrichtung hat sie zudem die Wucht verloren, die in den Jahren zuvor so begeistert hat. Aus dem „zweiten Leuchtturm“ wurde erst ein Verein, der da sein wollte, wenn die Bayern mal schwächeln und ist jetzt, spätestens mit dem letzten Spiel für alle offensichtlich, in einer Position angekommen, aus der man die Tabellenspitze nur noch mit dem Fernglas beobachten kann. Nicht als Momentaufnahme, wie man sich vielleicht einreden konnte, sondern dauerhaft. Ein Effekt, der mit Sicherheit auch nicht zu unterschätzende Auswirkungen auf die Mannschaft hat. Auch die Spieler merken, dass die Ziele, Vorstellungen und Hoffnungen, mit denen sie beim BVB angetreten sind, immer weiter aus dem Blickfeld geraten. Was dann vielleicht auch unterbewusst dazu führt, dass man sich auch zum Erreichen kleinerer Wegmarken nur schwer motivieren kann. Eine sich selbst verstärkende Entwicklung.

Das alleine würde aber als Erklärung zu kurz greifen. Wer BVB-Fan ist, der ist eine gewisse Wellenbewegung gewohnt. Die Geschichte unseres Vereins ist die eines steten Auf und Ab. Von höchsten europäischen Weihen bis hin zur Beinahe-Insolvenz oder den Gang in die zweite Liga. Was wir jetzt erleben, ist an und für sich nichts Neues. Neu ist nur eine diffuse Antriebslosigkeit, die man in vielen Gesprächen mit Fans heraus hört, und wie wenig Emotionalität und Leidenschaft noch im Spiel sind. Das lässt sich durch ein frühes Aus in der CL und 21 Punkten Rückstand auf die Bayern allein nicht erklären. Borussia Dortmund hat in den letzten Jahren auf dramatische Weise an innerem Zusammenhalt verloren. Auf dem wohl emotionalen Höhepunkt der vergangenen Jahre war das von Klopp geäußerte „Wir sind alle ein bisschen verliebt in diesen Verein“ nicht einfach nur eine Floskel, die die Fans gerne hören wollten, sondern schwatzgelbes (Fußball-) Lebensgefühl. Dieses Gefühl bekam erste Risse durch die Wechsel von Nuri Sahin und Shinji Kagawa, wurde dann durch absolute Normalität ersetzt, in der Spieler zum nationalen Konkurrenten wechseln und Trainer wegen Erfolgslosigkeit gehen und man scheint jetzt in einem Zustand angekommen zu sein, in dem man den alles zusammenhaltenden Kitt fast völlig verloren hat. Spieler streikten sich weg, Führungskräfte lagen in unüberwindbarem Zwist miteinander quer, Identifikationsfiguren gingen und ganz aktuell gibt Trainer Stöger mehr oder weniger offen zu, dass er bei einer der Hauptaufgaben bei Amtsübernahme gescheitert ist. Nämlich daran, aus der Ansammlung von Spielern wieder eine halbwegs funktionierende Mannschaft zu formen. Dass vorher schon die „Mentalität“ der Spieler öffentlich von der sportlichen Leitung in Frage gestellt wurde, rundet das Bild ab.

Schlechte Stimmung wohin man sieht

Längere Zeit konnte sportlicher Erfolg alles wenigstens zu einer Zweckgemeinschaft einen und das Fehlen verbindender Elemente und echter Gemeinschaft übertünchen. Bleibt dieser Erfolg aus, dann landet man genau da, wo Borussia Dortmund jetzt steht. An einem Tiefpunkt. Auch wenn sich das auf Platz 3 und mit der Qualifikation zur Champions League in Reichweite komisch anhört. Fußballerisch ist man mittlerweile da angekommen, wo man angesichts individueller Qualität hin abrutschen kann und nur der kollektiven Schwäche der Bundesliga ist es zu verdanken, dass man nicht auch deutlich tiefer in der Tabelle platziert ist. Damit einhergehend befindet sich auch die Grundstimmung im Kellergewölbe.

Wir können uns jetzt in Selbstmitleid ergehen und Jammern, wie furchtbar doch alles ist, was allerdings ziemlich benagelt wäre, wie ein einfacher Blick in die Vereinsgeschichte bestätigt. Selbst die Jüngeren unter uns haben schon Meisterschaften und Pokalsiege gefeiert – was Fans vieler anderer Vereine für immer verwehrt bleibt. Unterm Strich hat uns Borussia Dortmund viel Freude bereitet und Dinge erleben lassen, von denen andere nur träumen können. Sinnvoller wäre es, diese Situation, genau diesen Moment, zu nutzen, um wieder etwas Neues zu starten. Das erfordert natürlich auch größere personelle Änderungen, die frühestens zur neuen Saison Wirkung zeigen und selbst bis dahin nicht im erforderlichen Umfang abgeschlossen sein können.

Aber auch Chance, sich neu zu finden

Aber vor allem auch eine Änderung in der Art, wie wir den BVB sehen, ihn erleben. Muss bei uns alles zwanghaft echter und leidenschaftlicher sein als bei anderen Vereinen? Nein, muss es nicht. Borussia Dortmund wird genau so leidenschaftlich gelebt und geliebt wie der 1. FC Köln, oder Borussia Mönchengladbach – oder eben auch unsere blauen Nachbarn. Besinnen wir uns auf uns und das, was wir sind, statt uns zwanghaft über alle anderen erheben zu wollen. Schmeißen wir den ganzen „Echte Liebe“- und „Adrenalin“-Plunder auf den Sperrmüll. Jürgen Klopp hat bei seiner Antrittsrede in Liverpool so schön „I am the normal one“ gesagt – und das wäre ein Geist, der auch dem BVB wieder gut zu Gesicht stehen würde. Mehr Normalität, mehr Zufriedenheit mit dem, was man hat, statt dem großen „Mehr und Besser“ hinterher zu hetzen und auf dem Weg dorthin vieles von dem zu verlieren, was uns kostbar ist.

Sich einmal in Ruhe hinsetzen und überlegen, was man realistisch erreichen kann und wie man auf dem Wege dahin wieder möglichst alle mitnimmt. Eine Geschichte, an der alle mitwirken können, aber auch mit den Personen, die daran mitwirken wollen. Das hat uns immer stark gemacht. Die Probleme kamen stets genau dann, wenn wir mehr sein wollten als nur Borussia Dortmund. Wir sind kein zweiter Leuchtturm. Kein FC Bayern München in gut. Kein Verein, der sich zu Real Madrid und Manchester United ins gleiche Regal einsortieren darf.

Natürlich kann auch das in die Hose gehen. Etwas wieder neu anzufangen beinhaltet nicht automatisch die Garantie, dass man dabei nicht scheitert. Aber wenn, dann tun wir es wenigstens als Borussia Dortmund, statt weiterhin jeder für sich lethargisch dahin zu dümpeln.

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