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Die Aufregung nicht wert

13.12.2018, 12:55 Uhr von:  Michael
Die Aufregung nicht wert

Ein Plakat in der Nordkurve beim Derby sorgt im Nachhinein für einige Aufregung. Ist es das wirklich wert?

Es dauerte einige Stunden, bis nach dem Derbysieg am Samstag die ersten Fotos im Internet die Runde machten. Sie zeigten ein Plakat, dass während des Derbys in der Nordkurve hochgehalten wurde. „Tod dem BVB. Freiheit für Sergej W.“ stand darauf.

In den folgenden Tagen griffen einige Medien das Thema auf. „Abartig“, „Skandal“, „widerlich“, „Entsetzen“, die Wortwahl war wie immer drastisch. Und schlussendlich erklärte dann auch die Polizei Gelsenkirchen, dass sie prüft, ob sie rechtliche Schritte einleitet.

Der DFB äußerte sich zunächst nicht. Ein gefundenes Fressen für den einen oder anderen BVB-Fan, der sofort den Finger erhob und auf die Sanktionierungen der Anti-Hopp-Plakate im Hoppelheimer Gäste-Block verwies. Ein klarer Beweis für die Parteilichkeit des DFB. Plötzlich wurde das vielkritisierte Urteil zu einem gerne genommenen Grund, um Ermittlungen gegen Schalke zu fordern.

Aber ist das Plakat die Aufregung denn wert? Der Gegenseite offen den Tod zu wünschen, führt im normalen Leben zu Recht zu zwischenmenschlichen Differenzen, im Derby gehört es seit Jahren zum Stadionton. Ein gepfeffertes „Tod und Hass dem BVB/S04“ wird von beiden Fanlagern lautstark zum Besten gegeben und auch das Füllen des hauseigenen Swimmingpools mit dem Blut der Schalker wird von einem nicht kleinen Teil der Dortmunder Fans besungen.

Nun geht das Plakat noch einen Schritt weiter. Es verbindet die üblichen Gesänge mit dem Anschlag auf die Mannschaft des BVB im März 2017. Geschmacklos? Ohne Frage. Aber skandalös? Abartig?

In erster Linie sagt das Plakat etwas über den Ersteller aus. Als Urheber des Plakats werden übereinstimmend die „Hugos“ angegeben, was sich offenbar am Emblem des Plakats ablesen lässt. Die Hugos sind ein einschlägig bekannter Fanclub, der vor allem im Jahr 2012 Schlagzeilen schrieb, als die Mitglieder beim Umgang mit Pyrotechnik in der Turnhalle ebenso spektakulär wie dämlich ein Werbebanner in Brand setzten. Zudem wurde ein Ex-Anführer just letzten Dienstag vom LG Essen wegen Körperverletzung zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Es sind also kein unbeschriebenen Blätter und es ist davon auszugehen, dass die Plakaturheber sich derzeit eher an der erzeugten Aufregung erfreuen, als sich fingernagelknabbernd zu fragen, was sie da auf ihr Bettlaken pinselten.

Worüber also sich aufregen? Ernsthaft darüber, dass der DFB noch nicht offiziell Ermittlungen eingeleitet hatte (was mittlerweile geschehen ist)? Na gut. Dann aber bitte nie mehr über die Empörung aus Hoffenheim schimpfen. Denn mal ehrlich: Hopps Kopf im Fadenkreuz ist jetzt auch keine ganz subtile Anspielung. Und auch nicht aufregen, wenn die Südtribüne wegen Plakaten gegen Rinderwahnsinn gesperrt wird. Und sind wir dann nicht auch nah dran, dass auch Gesänge mal unter die Lupe genommen werden müssen?

Ich will das nicht. Ich will im Stadion auch weiterhin „Stuttgarter Arschlöcher“ und „Ostwestfalen Idioten“ beleidigen. Ich will ein einfallsloses „BVB Hurensöhne“ mit einem „Und wir schmeißen Stein um Stein, auf die 11 vom Niederrhein“ kontern. Wohlwissend, dass ich (und mit mir auch 99,9% der Stadionzuschauer) sehr gut zwischen Liedern und Taten unterscheiden können und nicht direkt anfangen Ponys zu steinigen.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es gibt Plakate und Gesänge, die haben nichts im Stadion zu suchen. Rassistische, sexistische oder diskriminierende Inhalte (die übrigens auch im Gästeblock beim Derby leider wieder von Einzelnen zu hören waren) haben unseren ganzen Widerstand verdient. Aber wenn nur die Grenzen des guten Geschmacks verlassen werden, darf die Empörungswelle auch durchaus mal etwas kleiner ausfallen.

Jeder darf über das Plakat denken was er will. Er darf den Kopf schütteln, die Ersteller für dämlich erachten oder vielleicht auch insgeheim tiefschwarzhumorig darüber schmunzeln. Aber für einen Skandal taugt es nicht. Da gibt es in unseren Stadien, genauso wie in unserer Gesellschaft, weitaus dringlichere Themen, die diese Empörung verdienen.

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