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BVB trennt sich von Thomas Tuchel - ein Kommentar

30.05.2017, 15:24 Uhr von:  Seb
BVB trennt sich von Thomas Tuchel - ein Kommentar
Nun ist er weg - Thomas Tuchel

Der BVB gab heute offiziell die Trennung von Thomas Tuchel bekannt. Trotz Erfolg war Tuchel wohl nicht mehr tragbar. Von Fehlern und richtigen Entscheidungen.

„Der punktbeste Trainer der Vereinshistorie, Pokalsieger und im letzten halben Jahr auch offener, nahbarer und empathischer. Warum trennt man sich von so einem Trainer?" – So oder so ähnlich liefen viele der Gespräche in Berlin ab, die ich mit Freunden aus nah und fern geführt habe. Alle waren sich sicher: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die offizielle Verlautbarung kommt. Trotzdem immer wieder die Frage: „Warum?"

"Bösewicht" Watzke

Sportlich läuft es im Großen und Ganzen hervorragend. Bedenkt man die personellen Veränderungen, die junge Mannschaft, die eigentlich tragenden Säulen, die verletzungsbedingt weggebrochen sind, dann ist die Leistung aller Ehren wert. Thomas Tuchel hat sehr wahrscheinlich das Optimum aus der Mannschaft herausgeholt, sieht man mal von ein paar taktischen Spielchen und der ein oder anderen Minderleistung (Frankfurt, Darmstadt, Augsburg) ab. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Welt sich beim BVB seit dem 11. April gehörig anders dreht. Die Frage bleibt also: „Warum die Trennung?"

Für viele ist der Schuldige schnell gefunden. Aki Watzke musste sein Ego befriedigen und hat alle auf Spur gebracht, damit er kein zweites Alphamännchen neben sich dulden muss. Deutlich wurde das unter anderem nach dem Gewinn des DFB-Pokals: Auf der Anzeigetafel wird Tuchel eingeblendet, er strahlt und wird beklatscht. Danach der Schwenk zu Watzke, ernstere Miene und plötzlich Pfiffe.

Gut gegen Böse

Die Wandlung im allgemeinen Bild ist beträchtlich. Watzke, sonst ein gern gesehener Borusse, der viel für den Verein geleistet hat und immer noch leistet, wird innerhalb kürzester Zeit zum Sündenbock für so ziemlich alles. Seit mehr als einem Jahr ist er Projektionsfläche aller Kritik, die dem Verein von innen und von außen entgegenschlägt. Das liegt natürlich auch daran, dass Klopp nicht mehr an Bord ist, der mit seiner Art den Schutzschild spannen konnte, Pfeile abgewehrt und weggeredet hat. Der große Erfolg machte es natürlich deutlich einfacher. Watzke hatte sich ein Standing bei großen Teilen der Fans erarbeitet. Immer auch vor dem Hintergrund, dass er ein streitbarer Charakter ist und hier und da über das Ziel hinausschießt. Trotzdem war häufig der Tenor: Er macht einen sehr guten Job (in Anbetracht der Marktverhältnisse und der fortschreitenden Kommerzialisierung), ist aber immer noch Fan des eigenen Vereins genug, um uns nicht vollkommen zu verkaufen.

Sympathien erkämpft: Thomas Tuchel

Tuchel auf der anderen Seite stieß bei vielen Fans anfangs auf etwas Ablehnung. Die Vorzeichen aus Mainz mit seinem eher komischen Abgang, dieses Nerdige, die so gar nicht pöttlerische Art. Irgendwie ein komischer Genosse, der jedoch zweifelsohne mit einem enormen Fußballsachverstand ausgestattet ist. Sehr lange wurde Tuchel kritisch beäugt. Seine einzige Pressearbeit bestand in den Pressekonferenzen. Interviews oder Fankontakt (bis auf einen kurzen Auftritt bei der Fandelegiertentagung bei Amtsantritt) Fehlanzeige.

Die Rollen waren also klar verteilt und Watzke kämpfte sogar dafür Tuchel zu akzeptieren. Im Interview mit schwatzgelb.de sagte er im Großen und Ganzen: „Nehmt ihn, wie er ist. Wir dürfen nicht mit Klopp vergleichen. Sportlich ist das doch überragend."

Und plötzlich kippt das ganze Gebilde

Ab dem Wintertrainingslager ändern sich scheinbar die Vorzeichen. Man möchte sich erst im Sommer mit Tuchel zusammensetzen, vertagt die Vertragsgespräche. Im Nachhinein betrachtet, war damit wohl klar, worauf es hinausläuft. Ab diesem Zeitpunkt präsentiert sich Tuchel deutlich offener. Er gibt der Sportschau ein längeres Interview, tritt im Fußballmuseum auf, findet passende Worte für Fans nach den Leipzig-Vorkommnissen und stellt sich vor seine Mannschaft, die mit ihm im Bus saß, als die Bomben explodierten. Auch Tuchel war Betroffener, auch bei ihm saß der Schock tief und seine Art gegen die UEFA zu schießen, brachte ihm viele Sympathien bei den Fans ein. Zurecht, denn das Spiel anzusetzen, war einfach falsch.

In diesem Zusammenhang kritisierte er aber auch Watzke. Vielleicht nicht namentlich direkt, aber er stellte ihn trotzdem als kalten Technokraten dar, der über die Köpfe aller mit der UEFA abgesprochen hat, dass gespielt werden muss. Dass Watzke dabei massiv unter dem Druck der Politik und der UEFA stand, innerhalb von zwei Stunden vielleicht auch gar keinen genauen Überblick über die Situation erlangen konnte, blenden viele gerne aus. Es bestätigt schlicht das Bild, das sich seit Anfang des Jahres eingeprägt hat. Auch gegen Leipzig war die Position Watzkes schon kritikwürdig. Er hat einfach so die Strafe akzeptiert, er hat uns verraten. Dass Watzke auch hier unter massivem Druck stand, blenden viele gerne aus.

Watzke wurde somit zum Bösewicht, Tuchel im Gegenzug zum menschelnden Erfolgsgaranten.

Warum beide Darstellungen falsch sind

Ohne Finaleinsatz: Nuri Sahin

Es wäre unfair, Watzkes komplette Vita mit dem letzten halben Jahr zu verrechnen. Er sollte sich eigentlich einen so hohen Kredit erspielt haben, dass man seinen Darstellungen zumindest ein Fünkchen Glauben schenken darf. Er hat sich in allen Situationen vor den Verein und auch häufig vor die Fans gestellt. Und er hat sicherlich auch einige Fehler gemacht. Die Moderation dieser gesamten Angelegenheit um Thomas Tuchel zum Beispiel. Ihn jetzt als alleinigen Schuldigen zu betrachten, wäre völlig am Thema vorbei.

Über Tuchel im Gegenzug gab es genügend kritische Berichte, auch bis zu seiner „Charme-Offensive". Dieser plötzliche Umschwung in seinem Verhalten wurde dabei selten thematisiert. Dass er das letzte halbe Jahr extrem gut gearbeitet hat, vor allem auch öffentlich, ist unbestritten. Wie viel Sympathieträger jetzt allerdings in ihm steckt und was nur Fassade ist, bleibt fragwürdig. Dazu passt auch der kurzfristig eingerichtete Twitter-Account von Thomas Tuchel, der die Trennung verkündete, bevor es der Verein tat. Ein Indiz für den Kampf um Deutungshoheit.

Es knirscht im Verein

Tuchel ist im Verein nicht gut gelitten. Verfolgte man die Medienberichte der letzten Wochen, dann hat Tuchel mit falschen Karten gespielt und zwar schon länger. Seine Aussagen zu Kuba und Subotic, sein Zurückrudern in der Vertrauensfrage, sein Streit mit Mislintat, Aussagen zum Isak-Transfer, die Kapitänsfrage im Winter eröffnet, nur um dann zu bestätigen, dass Schmelle Kapitän bleibt. Von seiner fragwürdigen Kommunikation mit Sahin vor dem Finale mal ganz zu schweigen. Wenn man die Reaktionen/Aussagen der Mitspieler zur Nichtnominierung von Sahin betrachtet, kommt man nicht umher anzunehmen, dass nicht nur sportliche Gründe für die Ausbootung Sahins angeführt wurden. Auch Mor bekam den Tuchel zu spüren und durfte bei Schrey unwürdige Extraschichten schieben. Bei Tuchel kam er irgendwann kaum noch zum Zuge. Das alles rumorte in den Medien und wurde uns aus unterschiedlichen Quellen bestätigt. Thomas Tuchel hat sich keine Freunde im Verein gemacht, im Gegenteil. Seine umstrittene Art eckte häufig an. Das ist nicht per se schlecht, weil ein bisschen Klopp-Oase wohl raus musste, aber Tuchel scheint deutlich über das Ziel hinausgeschossen zu sein, gerade in Bezug auf Mannschaft und Vorgesetzte. Die Außendarstellung von Tuchel steht also in einem unglaublichen Gegensatz zu der Wahrnehmung seiner Person im Verein. Bei Watzke genau das Gegenteil. Er wird kritischer in der Öffentlichkeit gesehen, als es im Verein der Fall ist. Das kann man sehr gut an den Reaktionen der Spieler, von Zorc und Rauball ablesen. Hier herrscht ein breites Vertrauen.

Fehler und ein richtiges Ende

Die internen Querelen waren lange bekannt. Tuchel hat sich wohl wie die Axt im Walde verhalten, durfte aber zunächst weiterhacken, weil Watzke ihm Zeit gab und sich auch vor ihn stellte (siehe erwähntes Interview). Der Erfolg gab Tuchel Recht und Watzke sah keine Veranlassung, diesem Erfolg durch eine Entlassung Einhalt zu gebieten. Hier liegt wohl der Hund begraben: Die Trennung von Thomas Tuchel ist völlig richtig für den Verein. Watzke handelt absolut korrekt und opfert den kurzfristigen Erfolgs-Tuchel für eine langfristige Basis des Vereins. Wie sehr die Spaltung bereits vorangeschritten ist, kann man wunderbar an der Fanszene ablesen: Es gibt klare Lager für Tuchel und für Watzke. Tuchel mag ein talentierter und erfolgreicher Trainer sein. Trotzdem muss er gehen, weil er dem Verein vermutlich langfristig geschadet hätte. Das hat Watzke erkannt und entsprechend gehandelt. Was man kritisieren muss, ist allerdings der scheinbar zu späte Zeitpunkt und die unwürdige Art und Weise.

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