Unsa Senf

Allein zuhause

20.02.2017, 13:44 Uhr von:  Nadja
Ein Anblick, der kaum zu ertragen ist

Letzten Samstagmorgen habe ich die Wäsche zusammengeräumt und mit dabei waren auch noch die BVB-Klamotten vom Wochenende davor. Das kommt bei mir öfter vor, dass ich erst am Samstag die Wäsche vom Wochenende zusammenräume, dann ziehe ich sie normalerweise gleich wieder an, kurz frühstücken und dann ab ins Stadion. Am Samstag nicht. Ich hab die Klamotten in den Schrank geräumt, mit einem komischen Gefühl im Bauch. Kurz danach hat mich wie jeden Samstag die BVB-App erinnert: „Spieltag ist Feiertag“. Nein. Heute ist kein Feiertag. Ist heute überhaupt ein richtiger Spieltag? Das komische Gefühl im Bauch wurde immer schlimmer.

Nach dem Frühstück bin ich putzen gegangen. Vier Stunden später war das ganze Haus blitzeblank sauber und aufgeräumt. Und was dann? Unter der Dusche kamen mir die ersten Tränen an diesem Tag. Vorbei die großen (und zu dem Zeitpunkt auch vollkommen ernst gemeinten) Worte der vergangenen Woche darüber, wie egal mir das Spiel ist. Dass ich froh bin, wenn durch diese Strafe endlich diese elendige Diskussion zu Ende geht. Vorbei die Gleichgültigkeit gegenüber der Südsperre, die ich bis am Samstagmorgen gefühlt habe. Natürlich hätte ich eine andere Karte bekommen können, wenn ich gewollt hätte. Die große Ironie wollte es ja, dass mit Wolfsburg einer der Plastics zum Spiel ohne Süd antritt, das auch an einem Samstagnachmittag über 300km nicht mehr als ein Kaff mit zwei Bauernhöfen an Gästefans zusammenbekommt und dadurch sehr viele Karten auf dem Markt waren. Aber ich wollte nicht ins Stadion. Ich wollte nicht 90 Minuten auf die leere Süd starren. Ich wollte nicht bei diesem DFB-RaBa-Spektakel dabei sein. Ich wollte nicht mal den Fernseher einschalten. Tatsächlich saß ich ab halb vier zuerst geschlagene 10 Minuten vor dem ausgeschalteten Fernseher, ehe ich es übers Herz brachte, dem Bild von der leeren Süd ins Auge zu sehen. Und jedes Mal, wenn sie ins Bild kam, gab es mir einen Stich ins Herz.

Der letzte Samstag hat bei mir etwas verändert. Etwas zerstört. Es mag vielleicht ein willkürlicher Moment sein, aber ich habe die Hoffnung verloren, dass es im Fußball noch so etwas wie Gerechtigkeit gibt. Dass es Gut und Böse gibt – oder zumindest dass sie richtig verteilt sind. Ich habe zu spüren bekommen, dass mein Fußball nicht der ist, den offensichtlich die Mehrzahl der restlichen Zuschauer möchte. Und vor allem, dass ich dabei alleine stehe. Alleine mit ein paar anderen, die ebenso denken, aber in der deutlichen Minderzahl. Die Mehrzahl hält die Sperre für eine richtige Sache. Sie findet, dass wir das verdient haben. Sie findet es völlig normal und hoffen, „dass die das dann vielleicht endlich lernen“. „Die“, das wäre dann auch ich. Was soll ich lernen? Ich habe doch gar nichts gemacht! Ich habe mich sogar geweigert, eines der Plakate hochzuhalten, weil mir keiner sagen konnte, was drauf steht. Drunter stand ich natürlich trotzdem. Ich konnte „ALL“ lesen aus meiner Perspektive. Es stellte sich heraus, dass „Wer den Fussball liebt - hasst RB“ drauf stand. Wohl kaum eines der schlimmen Banner an diesem Tag, aber selbst wenn, hätte ich es zu dem Zeitpunkt nicht lesen können. Dennoch war ich am Samstag also alleine zuhause, wie so viele andere auch, die nichts getan haben. Und trotzdem sollten wir etwas „daraus lernen“. Ich habe was gelernt. Ich habe gelernt, dass es keine Gerechtigkeit gibt im modernen Fußball. Zumindest keine, die ich als gerecht empfinden könnte.

Ein Verein wie RaBa, für mich die Verkörperung von allem, was im Fußball im Moment so richtig, richtig schief läuft, ist nicht nur in der Lage, sein Team an die Spitze der Bundesliga zu führen, sie sind auch in der Lage Recht und Unrecht dermaßen durcheinander zu bringen, dass ich mich auf der falschen Seite der Rechtsprechung wiederfinde. Dass mich an der Arbeit – wenn auch nicht ganz ernst gemeint – seit zwei Wochen Menschen fragen, ob ich auch mit Steinen und Flaschen werfe. Dass in Darmstadt Familienväter ihre Kinder wegziehen, wenn ich vorbei gehe. Dass ich mich frage, ob wir jemals wieder „Wir lagen träumend im Gras…“ oder „In Gelsenkirchen, da liegen Leichen…“ singen können, ohne weitere Strafen befürchten zu müssen. Wenn das aber nicht mehr geht, wenn "Schmähgesänge" aus dem Fußballstadion verschwinden müssen, dann will ich auch nicht mehr im Stadion sein.

Aus einem anderen Block - aus einem anderen Blick
Ich kann mich noch an eines der ersten Spiele im Stadion erinnern. Als mein Bruder und ich nach Hause kamen, haben wir begeistert meiner Mutter erzählt: „Der Onkel Hans hat ‚Schiri, du Arschloch!‘ gerufen!“ Meine Mutter, alles andere als begeistert, hat fragend meinen Vater angeschaut und der meinte nur schulterzuckend: „Hans hatte recht.“ Es war diese unflätige Sprache, die Schreie, die Pfiffe, die Gesänge, das metallene Klirren der Werbebanden, wenn wir mit aller Kraft dagegen getreten haben, die Möglichkeit, aus den alltäglichen Konventionen auszubrechen, Dampf abzulassen. Das war die Faszination für mich. Nicht einmal habe ich selbst gesehen, dass diese „Schmähgesänge“ in irgendeiner Weise in eigentliche Gewalt ausgeartet ist. Das ist ja der ganze Sinn dieser negativen Emotionen im Stadion, dass man sie ohne irgendwelche Konsequenzen ausleben kann, weil sie eben nur verbal sind. Dass man über die Stränge schlagen kann, ohne dabei tatsächlich jemandem zu schaden. Und vor allem habe ich in all den Jahren gesehen und erlebt, dass die positiven Emotionen immer mit den negativen verbunden waren. Je mehr man einen Gegner hasst, umso mehr freut man sich über ein Tor gegen die. Je mehr einen ein Gegner provoziert, umso schöner ist das Gefühl eines Sieges. Je weiter man zurück liegt, umso schöner sind die überraschenden Triumphe. Und die Südtribüne ist der Inbegriff dieser Leidenschaft, dieser Emotionen. Oder wie es ein Freund mal ausgedrückt hat: „Diese Tribüne liebt leidenschaftlich und sie hasst leidenschaftlich.“ Das Eine ist ohne das Andere nicht möglich. Wenn also der Hass wegfällt, dann fällt auch die Liebe weg. Ohne Hass keine Leidenschaft, ohne Leidenschaft kein Fußball. Zumindest nicht für mich.

Wenn das am Samstag das Ende von "Schmähgesängen" im Stadion war, dann war es vermutlich der Anfang vom Ende vom Fußball für mich. Und das ist eine Erkenntnis, die mir schon wieder die Tränen in die Augen treibt.

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