Unsa Senf

Wir halten fest und treu zusammen?

31.01.2017, 18:53 Uhr von:  Sascha
Wir halten fest und treu zusammen?
Wirken diese Saison nicht wie eine Einheit

So steht es zumindest in Stein, bzw. ins Vereinslied gemeißelt. Viel ist davon beim BVB im Jahr 2017 allerdings nicht zu sehen.

  • Beim BVB bilden sich Lager statt Teamgeist.
  • Der Trainer als „lame duck“. Zum Teil selbstverschuldet, zum Teil so gemacht.
  • Verweise auf andere lenken nur vom eigenen Verschulden ab.

Man muss es sich immer wieder wie ein Mantra vorbeten: Borussia Dortmund steht aktuell auf einem Tabellenplatz, der zumindest zur Qualifikationsrunde für die Champions-League berechtigt, der Rückstand auf den sicheren Platz drei beträgt nur einen Punkt, in der Champions League ist man als Gruppenerster in das Achtelfinale eingezogen und im DFB-Pokal ist man ebenfalls noch vertreten. Das sind die „hard facts“ zum aktuellen Zustand des BVB. Der gefühlte Zustand steht in einem krassen Gegensatz dazu. Nicht nur, dass die für die Winterpause erhoffte Aufbruchstimmung ausgeblieben ist, trotz vier Punkten aus zwei Auswärtsspielen scheint das Binnenverhältnis zwischen Mannschaft, Trainer und Geschäftsführung zu erodieren.

Die mediale Außendarstellung spricht Bände

Dabei ist natürlich eins festzuhalten: Vieles ist reine Spekulation, abgeleitet aus Indizien und Interpretationen der relativ spärlichen Informationen, die aus dem inneren Kreis des BVB nach außen dringen. Je nach Lesart dieser Informationen ist das Gesamtbild daraus allerdings maximal dunkelgrau statt hell und bunt. So ist zum Beispiel ein Artikel aus der Süddeutschen Zeitung vom 28.01. mit dem vielleicht etwas merkwürdigen Titel „Seltsame Rangeleien beim BVB“ sehr bemerkenswert. In diesem Text geht es um eine mutmaßlich Entfremdung zwischen Thomas Tuchel und dem BVB. Interessant ist dabei nicht nur, was gesagt wird, sondern wer es sagt. Christof Kneer ist als Münchener Sportjournalist bislang nicht besonders als intimer Kenner des BVB aufgefallen, trotzdem wartet er mit Informationen über „Vertraute“ von Thomas Tuchel und Aussagen aus „Tuchels Lager“ auf, dass der Trainer entgegen der bisherigen Darstellung schon sehr gerne in der Winterpause seinen Vertrag verlängert hätte und die Darstellung, dass man auf seinem eigenen Wunsch hin bis zur Sommerpause warten würde nicht stimme.

Ob bewusst oder unbewusst, die Formulierung „Tuchels Lager“ scheint genau die richtige zu sein. Lagerdenken, statt einer gemeinsamen Arbeit im Team. Der Text ist dann auch deutlich wohlwollender gegenüber Tuchel als es vermutlich einer vom „BVB-Stammschreiber“ Freddie Röckenhaus gewesen wäre, der seine Informationen traditionellerweise aus anderen Ecken der Borussia bezieht und der bislang nicht gerade mit besonders Nähe zu den jeweiligen Verantwortlichen auf der Trainerbank aufgefallen ist.

Vielleicht nur eine Replik auf ein Interview von Hans-Joachim Watzke, das nur wenige Tage zuvor im Stern erschien. Neben einer verständlichen, strikten Zielvorgabe mit der direkten Qualifikation für die Champions-League ließ er verlauten, dass man erst in der Sommerpause ein Gefühl dafür entwickeln müsse, ob eine Vertragsverlängerung für beide Seiten einen Sinn ergäbe. Ein Satz, der ganz starker Tobak ist. Wir erinnern uns: Thomas Tuchel hat bereits die Hälfte seines Vertrags erfüllt und nach einem Jahr, in dem man unter Jürgen Klopp noch mit Ach und Krach in die Europa-League eingezogen ist, mit einer 78-Punkte-Saison das Ruder phänomenal herum gerissen. Und auch die rein sportliche Bilanz in dieser Saison liest sich so schlecht nicht. Darüber hinaus hat Watzke selber immer wieder und wieder bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die schwierige Umbruchssituation mit den Abgängen von Hummels, Mkhitaryan und Gündogan hingewiesen und erklärt, dass sie nicht spurlos an der Mannschaft und ihrer Spielweise vorbei gehen würde.

Champions-League ist das feste Ziel für die nächste Saison

Jetzt sind diese Probleme wirklich für alle sichtbar vorhanden – und die Reaktion der Geschäftsleitung besteht in einer kühlen Zielvorgabe und der Aussage, dass man sich Stand jetzt gar nicht sicher sei, ob das mit Tuchel alles noch so funktioniert. In einer ähnlichen Situation unter Jürgen Klopp bestand die Reaktion übrigens in einer demonstrativen Vertragsverlängerung für den Trainer.

Beide Aussagen zusammengenommen wirken nicht zwingend so, als würde man gemeinsam und in eine Richtung am Karren ziehen. Sondern als würde man bereits jetzt Vorsorge treffen, sollte später mal die Frage aufkommen, warum er überhaupt feststeckt. Angesichts der Spielweise, die die Mannschaft spätestens seit dem November aufs Parkett zaubert, dürfte nämlich so langsam jedem dämmern, dass die direkte CL-Qualifikation als Mindestziel alles andere als ein Selbstläufer wird. Zur Wahrheit der Tabelle gehört nämlich auch, dass mit dem FC Köln der erste Platz, der zu rein gar nichts in der nächsten Saison qualifiziert, nur zwei Punkte entfernt ist. Stand jetzt ist nicht ausgeschlossen, dass nach dem letzten Spieltag unangenehme Fragen aufkommen. Zum Beispiel, wie man es mit Transferausgaben von über 100 Millionen und einem Gehaltsetat noch deutlich über dieser Marke nicht schaffen kann, sich für die Königsklasse zu qualifizieren?

Zwar eine menschliche Reaktion, aber im Sinne des BVB wäre es fatal, wenn sich die handelnden Personen darauf konzentrieren würden, für den Fall der Fälle ihre Stellung zu sichern und Schuld schon einmal präventiv in die andere Richtung zu schieben. Hatten wir bereits 2006 schon einmal und man kann weder behaupten, dass das besonders schön war, noch dass es unserer Borussia irgendwie geholfen hätte.

Die Schuld ist auf alle Schultern zu verteilen

Und wenn wir schon von Schuld sprechen: das ist nie eine einseitige Angelegenheit. Natürlich kann man diverse Kritikpunkte bei Thomas Tuchel anbringen, die bereits hinlänglich durchgenudelt worden sind. Es war völlig naiv und unnötig, in der Winterpause eine Diskussion um das Kapitänsamt vom Zaun zu brechen und man darf wirklich die Frage aufwerfen, ob die aktuelle spielerische Ratlosigkeit auf dem Platz nicht in den andauernden Personal- und Taktikrocharden zumindest mitbegründet ist. Und ganz bestimmt braucht der Trainer sich nicht zu wundern, wenn sich die vernachlässigt fühlenden Vertreter der Printmedien nicht gerade wohlwollend äußern, wenn die Angriffsfläche mal da ist. Das sind dann eben die zwangsläufigen Reflexe, wenn man meint, sich den „marktüblichen“ Gepflogenheiten zu widersetzen. Ganz egal, ob man Tuchel freundlich oder eher kritisch gesonnen ist, dass sein Verhalten häufig nicht gerade besonders clever ist, lässt sich schwer verneinen.

Mario Götze - dem Vernehmen nach nicht Tuchels Wunschtransfer

Trotzdem sollte das nicht den Blick von anderen Problemfeldern ablenken. Die Diskrepanz zwischen Defensive und Offensive ist nicht mehr zu übersehen. Während Spieltag für Spieltag namhafte Offensivspieler auf der Bank oder gar auf der Tribüne sitzen, bastelt man hinten immer noch an einem halbwegs stabilen Verbund und sucht nach Lösungen, die großen Probleme im Spielaufbau zu beheben. Es wäre wirklich interessant zu erfahren, wie sich die Entscheidungen in der letzten Transferperiode entwickelt haben. Was man dazu hört, klingt teilweise abenteuerlich. So wird immer wieder erzählt, und das bislang unwidersprochen, dass André Schürrle der Wunschkandidat von Thomas Tuchel gewesen sei, während man auf Vereinsseite ein Auge auf Mario Götze geworfen habe. In der Folge habe man dann einfach beide gekauft. Mit seriöser Kaderplanung hat so was aber relativ wenig zu tun. Im Kindergarten kann man auf diese Art und Weise Sandkastenspielzeug verteilen, damit alle zufrieden sind, aber es ist wohl kaum der richtige Weg, Millionenbeträge auf dem Transfermarkt unters Volk zu bringen. Zudem sei es auch dahingestellt, ob der Trainer wirklich Verständnis dafür hatte, dass für die Offensive die Spendierhosen angezogen wurden, während man den von ihm gewünschten Transfer von Ömer Toprak aus Preisgründen nicht realisieren wollte.

Nicht der einzige Punkt, in dem Borussia Dortmund in der Saison 2016/2017 sehr uneinig wirkt. Als Tuchel im Anschluss an die Auswärtsniederlage in Frankfurt mit seinen Spielern hart ins Gericht ging und in der Folge dafür im Gegenzug von Medienvertretern kritisiert wurde, sprang man dem Trainer maximal halbherzig bei. Eine Stellungnahme zwei Tage später auf der Vereinshomepage mit der Aussage, dass der Trainer das Recht zu dieser Kritik habe. Kein Wort davon, dass man sie auch in höheren Etagen teile und die Mannschaft ebenfalls in die Pflicht nehme. Natürlich wird so eine distanzierte Pflichtübung auch von den Spielern registriert und dürfte nicht gerade zu einem Autoritätsgewinn geführt haben.

Apropos Spieler: Bislang ist das kickende Personal noch erstaunlich selten das Ziel von Kritik. Ein Grund ist mit Sicherheit, dass der Mannschaft die zahlreichen Verletzungsausfälle in der Hinrunde als mildernde Umstände angerechnet werden, aber allein schon in Bremen und in Mainz waren Dinge zu sehen, die einfach gar nicht gehen. In der Hansestadt stürmten bei einer knappen Führung fünf Minuten vor Abpfiff gleich fünf Offensivkräfte in bester Schülermannschaftmanier kopflos nach vorne, um dort nach dem Ballverlust auch zu verharren und den Kollegen, die hinten das 2:1 über die Zeit bringen sollten, noch ein „Toi, toi, toi“ rüber zu rufen. Und wer sich das Spiel in Mainz in der Wiederholung anschaut, kann spaßeshalber mal stoppen, wie lange Marcel Schmelzer hinten alleine gegen zwei Leute steht, bevor Dembélé endlich angetrabt kommt und seinen Mann (leider erfolglos) übernimmt. Verletzungen hin, Rotation her, auf diesem Niveau ist es mit Sicherheit nicht mehr die Aufgabe des Trainers, seine Spieler zur engagierten Erledigung ihrer Aufgaben anzuhalten. Das sind Basics, die jeder selber einbringen muss.

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Auch hier ist großes Verbesserungspotential
Vermutlich kann und muss man sogar am Ende der Saison mal einen Strich unter die bisherige Zeit setzen und eine ehrliche Bilanz ziehen. Manchmal passt es eben einfach nicht, oder nicht mehr und es lässt sich auch nicht erzwingen. Bis dahin sollten sich aber alle zusammenreißen und daran denken, dass es ihre Aufgabe ist, für den Erfolg des BVB zu sorgen und nicht die, persönlich gut dazustehen.

Aktuell wirkt es so, als fehle nicht mehr viel, bis die Stimmung kippt, und dann steht uns allen eine echt ungemütliche Zeit bevor. Es ist nicht in Stein gemeißelt, dass Borussia nächste Saison wieder in der Champions League vertreten ist, und ein Verpassen wird vermutlich nicht ohne Konsequenzen bleiben. Der Ruf als „Talentschmiede“ in Europa ist ebenso schnell wieder dahin, wie er gekommen ist, wenn die internationale Bühne fehlt und auch finanziell dürfte es spürbare Nachwirkungen hinterlassen, wenn man zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren dieses Ziel verfehlen sollte.

Und wenn das nicht als Motivation für ein An-einem-Strang-ziehen ausreicht, sollte sich jeder überlegen, dass wohl keiner wirklich unbescholten aus der Nummer rauskommen dürfte, wenn man mit diesem Kader nicht als eine der ersten vier Mannschaften über die Ziellinie einlaufen würde. Dafür ist die Fallhöhe mittlerweile zu groß, um mit dem „Der hat aber…“-Fallschirm sanft zu landen. Wäre schön, wenn derartige Bemühungen eingestellt und wieder alle Kräfte auf das Geschehen auf dem Rasen gebündelt würden.

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