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Eberhard Gienger (CDU): "Die Strukturen und Gesetze zum Anti-Doping Kampf in Deutschland sind für viele Länder beispielgebend"

19.09.2017, 12:14 Uhr von:  Redaktion
Eberhard Gienger (CDU): "Die Strukturen und Gesetze zum Anti-Doping Kampf in Deutschland sind für viele Länder beispielgebend"

In Vorbereitung auf die Bundestagswahl 2017 haben wir mit dem sportpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag Eberhard Gienger u.a. über den Antidopingkampf, Fußballkultur und die Vergabe von Großturnieren gesprochen.

schwatzgelb: Herr Gienger, vor der kommenden Bundestagswahl wollten wir ein wenig die Sportpolitik der vergangenen vier Jahre analysieren und uns dazu die Arbeit des Sportausschusses näher anschauen. Dann mussten wir aber schnell feststellen, dass es nur wenige öffentliche Sitzungen gibt. Woran liegt das und wie stehen Sie dazu?

Eberhard Gienger: Laut Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages tagen alle Ausschüsse grundsätzlich nicht öffentlich. Im Gegensatz zu Plenardebatten soll in Ausschusssitzungen nach Möglichkeit rein sachorientiert und - bestenfalls über Fraktionsgrenzen hinweg - offen diskutiert werden. Ausschusssitzungen sind keine „Black Box“: Die Tagesordnungen der Sitzungen werden veröffentlicht, Abgeordnete stehen für Statements und Fragen zur Verfügung. Zudem werden am Ende der Beratungen und vor allem in den abschließenden, öffentlichen Plenardebatten die Argumente der Fraktionen nochmals dargelegt. Darüber hinaus können von Ausschüssen des Bundestages zu einzelnen, besonders relevanten Themen sogenannte „öffentliche Anhörungen“ angesetzt werden, die zumeist im Parlamentsfernsehen „live“ zu verfolgen sind. Dies wurde von der Union mehrmals beantragt bzw. unterstützt, so wie z. B. im Fall des neuen „Anti-Doping-Gesetzes“, bei der „Reform der Spitzensportförderung“ oder beim „McLaren Report zum Staatsdoping in Russland“.

schwatzgelb: Was waren die großen sportpolitischen Themen der vergangenen vier Jahre? Was konnten Sie erreichen, mit welchen Entwicklungen sind Sie unzufrieden?

Eberhard Gienger: Zu den Erfolgen der Unionsfraktion im Sportausschuss zählen zentrale Gesetzes­initiativen, wie auch wichtige, förderpolitische Ent­schei­dungen: So wird mit dem neuen Anti-Doping-Gesetz und dem Gesetz zur Bekämpfung von Spiel- und Wettmanipulation die Integrität des Sports künftig besser geschützt. Für den Spitzensport stehen ca. 36 Mio. Euro mehr zur Verfügung als noch vor vier Jahren. Der Behin­der­ten­leistungssport und die neuen olympischen Sport­arten profitieren fortan von einem Aufwuchs in Höhe von 4,5 Mio. Euro. Mit der nun weiter um­zu­setzenden Reform der Spitzensportförderung werden wir die Athletinnen und Athleten stärker in den Mittelpunkt stellen. Die Förderung soll effektiver, transparenter und für jeden nachvollziehbar sein. Das neue BMI-Förderprogramm „Sprung­brett“ verbessert zudem die duale Karriere und Ver­ein­barkeit mit beruf­lichen Zielen. Nach einer aktuellen Erhebung konnten die Trainer­gehälter durchschnittlich um sieben Prozent erhöht werden. Für die Opfer des DDR-Zwangs­dopings konnten wir einen Hilfe-Fonds in Höhe von 10,5 Mio. Euro einrichten.

Aber auch im Bereich des Breitensports haben wir wegweisende Verbesserun­gen und förderpolitische Ziele erreichen können: Hier ist zum Beispiel das Präven­tions­gesetz des Bundesgesundheitsministeriums zu nennen, das ein „Rezept auf Bewegung“ ermöglicht. Die Krankenkassen wollen insgesamt ca. 500 Mio. Euro für Maßnahmen in diesem Bereich einplanen. Das BMUB-Programm zur Sanierung von Sportstätten und kommunalen Einrichtun­gen (140 Mio. Euro/100 Mio. Euro) mindert den Sanierungsstau und hilft den hier vor­ran­gig verantwortlichen Bundesländern. Zudem konnten die Lärmschutz­bestimmungen bei Sport­an­lagen gelockert werden, um auch in urbanen Räumen ein wohnortnahes Sportangebot aufrecht zu halten. Das BMI-Förderprogramm „Integration durch Sport“ haben wir - im Rahmen der Flüchtlingshilfe - auf über 10 Mio. Euro verdoppelt und 10.000 zusätzliche Bundesfreiwilligendienststellen geschaffen.

Die wenn auch knapp gescheiterte Olympiabewerbung Hamburgs ist sicherlich als ein enttäuschender Moment zu nennen, gerade weil man ein innovatives und nachhaltiges Konzept vorweisen konnte. Die Bewerbung Hamburgs war ein Gegenmodell zu Gigantismus, Verletzung von Bürgerrechten oder Umwelt­zerstörung. „Sport-Deutschland“ und die Stadt Hamburg hätten von Olym­pischen Spielen maß­geblich und langfristig profitieren können. Beim Mindestlohngesetz von Frau Nahles konnten wir Ausnahme­regelun­gen für den Sport und das Ehrenamt erwirken, aber - aufgrund von Widerständen im BMAS - noch keine vollumfängliche Rechtssicherheit für die betroffenen Personenkreise schaffen. Dies muss in der nächsten Legis­laturperiode nach­gebessert werden.

schwatzgelb: Zu den Aufgaben des Sportausschusses gehört auch das Thema der Spitzenförderung, die als ineffektiv und intransparent kritisiert wurde. Wie stehen Sie zu dem Thema und was haben Sie in dieser Hinsicht erreicht?

Eberhard Gienger: Gerade vor dem Hintergrund eines immer stärker werdenden, internationalen Wettbewerbs muss sich der Sport selbst, wie auch die Sportförderung des Bundes, weiterentwickeln und verbessern. In bisher erfolgreichen Sportarten und medaillenträchtigen Disziplinen waren in letzter Zeit vermehrt Niederlagen festzustellen. Mit der Reform der Spitzensportförderung wollen wir die Athleten noch weiter in den Mittelpunkt rücken, um ihnen optimale Trainings-/Wettkampfbedingungen zu bieten. In enger Abstimmung mit den Bundesländern, die vorrangig für die Förderung des Nachwuchsleistungssports verantwortlich sind, wollen wir die Effizienz der eingesetzten Steuermittel erhöhen. Mit der sogenannten „Potentialanalyse“ (POTAS) wird eine Vielzahl an sportfachlichen Förderkriterien künf­tig einbezogen und deren Ergebnisse im Internet veröffentlicht. Die Umsetzung der Reform - als Ganzes und mit den vielen einzelnen „Bausteinen“ - ist im vollen Gange und wird fortfolgend Schritt um Schritt vollzogen.
Die Neuausrichtung des Leistungssports bzw. der Spitzensportförderung besteht aus vielen weiteren Gesichtspunkten, auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden kann. Deshalb sei auf das gesamte Konzept wie auch auf den dazugehörigen Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion verwiesen:

https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Nachrichten/Kurzmeldungen/2016/konzept-neustrukturierung-spitzensport.pdf?__blob=publicationFile
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/126/1812683.pdf

schwatzgelb: Warum ist Spitzensport wichtig und förderungswürdig?

Eberhard Gienger: Deutsche Spitzensportler/-innen repräsentieren unser Land bei internationalen Wettbewerben in bester Weise. Sie sind zudem Vorbilder für interessierte Zuschauer und vor allem für junge Menschen. Die positiven Effekte sind vielschichtig und reichen von der Motivation zu eigenem Sporttreiben bis hin zur gelungenen Integration oder internationalen Verständigung. Deutsche Sportler/-innen stehen für ein modernes, leistungsstarkes und weltoffenes Land. Förderungsfähig sind nach den geltenden Maßstäben nur jene Sportarten oder Disziplinen, die aus eigenen Mitteln nicht heraus bestehen können bzw. keine Überschüsse oder kommerziellen Gewinne erzielen.

schwatzgelb: An der Basis beklagen viele Sportvereine seit Jahren Nachwuchsmangel. Was sind Ihrer Meinung nach die Ursachen und auf welche Weise wollen Sie den Breitensport fördern?

Eberhard Gienger: Die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung für junge Menschen haben sich in den letzten Jahrzehnten vervielfältigt. Damit konkurriert der Sport grundsätzlich mit anderen Angeboten. Zudem ist es für Vereine (gerade in ländlichen Regionen) immer schwerer geworden, ehrenamtliche Trainer zu finden, notwendige Gremien zu besetzen und entsprechende Zielgruppen zu erreichen. Viele Städte und Gemeinden haben ihre Hallen, Sportplätze oder Schwimmbäder vernachlässigt oder gar verkommen lassen. Der Ganztagsschulbetrieb nimmt vielerorts Raum und Zeit, um ein Training zu organisieren oder erst einen Kontakt zum Verein zu ermöglichen. Viele weitere Faktoren bzw. Ursachen könnten hier aufgeführt werden.

Die für die Förderung des Breitensports zuständigen Bundesländer sind zuallererst gefragt, die Sportinfrastruktur zu modernisieren, dem Schulsport ein höheres Gewicht beizumessen, mit Vereinen enger zu kooperieren oder Programme zur Gewinnung Ehrenamtlicher aufzulegen. Übergreifende, lokale Ehrenamtsinitiativen sollen zudem besser vernetzt werden, um Vereine beraten und unterstützen zu können. Der Bund wird seinerseits Anstrengungen unternehmen, um die Länder zu unterstützen - wie dies gerade aktuell bei der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen geschehen ist. Wir werden uns dahingehend für weitere Sanierungszuschüsse für Sportanlagen einsetzen, das Ehrenamt weiter entbürokratisieren, die Übungs-/Ehrenamtspauschale angleichen oder den Gesundheitssports fördern.

schwatzgelb: Ein großes Thema der vergangenen Legislaturperiode war die Verabschiedung des Antidopinggesetzes. Sie waren selbst Spitzensportler, unter anderem Welt- und Europameister am Reck. Welche Erfahrungen mit Doping haben Sie in dieser Zeit gemacht?

Eberhard Gienger: Der Vergleich zwischen der damaligen Situation und den heute geltenden Standards verdeutlicht die enorme Entwicklung im Antidopingkampf, um letztlich einen fairen und sauberen Sport bzw. Wettbewerb zu ermöglichen. Das Wissen um die Gefahren des Dopings hat glücklicherweise stark zugenommen. Als Sportler wie auch als Politiker habe ich mich stets für einen sauberen Sport eingesetzt. In diesem Kontext können die zahlreichen, vom Bund geförderten (wissenschaftlichen) Studien zur Aufklärung der Dopingvergangenheit in West-/Ostdeutschland, der Einsatz um eine stärkere Finanzierung der Nationalen Anti-Doping Agentur Deutschland (NADA), die zahlreichen Präventionsprogramme, das neue Anti-Doping-Gesetz oder der Fond für Opfer des DDR-Zwangsdopings gesehen werden.

schwatzgelb: Welche Rückschlüsse ergeben sich für Sie aus Ihren Erfahrung für den Antidopingkampf?

Eberhard Gienger: Wie bei der Bekämpfung der Kriminalität auch, müssen wir den Antidopingkampf stets weiterentwickeln, um die Integrität des Sports zu schützen bzw. einen fairen und sauberen Wettbewerb zu ermöglichen.

schwatzgelb: Warum hat der Weg bis zum Antidopinggesetz so lange gedauert?

Eberhard Gienger: Der Antidopingkampf ist hochkomplex und muss im europäischen und internationalen Bild gesehen werden. Deshalb haben wir uns schon früh für eine entsprechende Europaratsinitiative eingesetzt. Bislang stand zu befürchten, dass ein deutsches Antidopinggesetz vor dem Bundesverfassungsgericht scheitert und die danebenstehende Sportgerichtsbarkeit gleichsam ausgehebelt wird. Bezüglich Ersterem wurde zum Beispiel grundsätzlich in Frage gestellt, ob der Sport überhaupt ein (mit den Mitteln des Strafrechts) zu schützendes Rechtsgut darstellt. Bezüglich Letzterem stand zum Beispiel zu befürchten, dass schnelle Verfahren und harte Sanktionen der Sportgerichte (zum Beispiel in Form einer Sperre) nicht mehr möglich sind. In der Folge hätten positiv getestete Sportler/-innen bis auf weiteres starten dürfen, Staat und Sportorganisationen wären die Hände gebunden gewesen. Mit dem aktuellen Antidopinggesetz haben wir einen rechtssicheren und effektiven Weg gefunden, um Doping im Sport zu erfassen und zu bekämpfen. Gleichwohl wollen wir das Gesetz fortfolgend evaluieren und gegebenenfalls weiter verbessern.

schwatzgelb: Kritiker bemängeln, dass das Gesetz nur unzureichend umgesetzt werde und zu wenig Personal für die strafrechtliche Ermittlung gegen Dopingvergehen zur Verfügung stehe. Wie sehen Sie das?

Eberhard Gienger: Für die Strafverfolgung und die Bildung von entsprechenden Schwerpunktstaatsanwaltschaften sind die Bundesländer zuständig. Wir setzen uns seit langem und intensiv dafür ein, dass die Länder hier weiter aufbauen bzw. eine Professionalisierung vorantreiben.

schwatzgelb: Wie zufrieden sind Sie mit dem aktuellen Stand im Antidopingkampf und wie kann er intensiviert werden? Wie bewerten Sie die Mitwirkung der Sportverbände?

Eberhard Gienger: Die Strukturen und Gesetze zum Antidopingkampf in Deutschland sind für viele Länder beispielgebend, das zeigen die zahlreichen Anfragen aus dem Ausland - zu zum Beispiel den gesetzlichen Bestimmungen oder zur Arbeit und den Möglichkeiten der Nationalen Anti-Doping Agentur Deutschland (NADA). Gemessen an den „Aufklärungsquoten“ und anhaltenden Enthüllungen müssen die nationalen Anstrengungen weiter fortgeführt und durch z. B. mehr Schwerpunktstaatsanwaltschaften intensiviert werden. Auch das neue Anti-Doping-Gesetz gilt es - mit den nun anhängigen Fällen und Gerichtsverfahren - auf Verbesserungen hin zu beleuchten. Die Sportverbände in Deutschland haben ihre Kompetenzen und Anstrengungen im Antidopingkampf über die Jahre hinweg deutlich verbessert und müssen dies auch weiterhin tun. Um den geringsten Verdacht der Einflussnahme auszuschließen, müssen das Kontroll- und Sanktionsmanagement komplett auf die NADA übertragen werden. Sorge bereitet mir aber vor allem der internationale Kampf gegen Doping. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) muss deutlich stärker und unabhängiger aufgestellt werden. Das im McLaren-Report beschriebene Staatsdoping in Russland oder die in manchen Ländern scheinbar kaum vorhandenen Schutzmechanismen müssen langfristig und international angegangen werden.

schwatzgelb: Im Fußball heißt es immer, Doping würde nur wenig bewirken. Wie bewerten Sie den Umgang mit Doping im Fußball? Sehen Sie eher Vereine oder Verbände in der Pflicht?

Eberhard Gienger: Von Wissenschaftlern und Experten wird bestätigt, dass der Einsatz von spezifischen Dopingmethoden und verbotenen Substanzen in manchen Sportarten und Disziplinen wohl einfacher zu steuern bzw. anzuwenden ist. Grundsätzlich sind aber alle Sportarten durch Doping- oder Medikamentenmissbrauch gefährdet - unabhängig von der Frage, wie groß die Wirkung tatsächlich ist. Denn: Im Spitzensport zählt für viele Athleten der noch so kleine - hier unfair erlangte - Gewinn an Leistung. Im Fußball wird das Dopingproblem sehr ernst genommen und hohe Anstrengungen unternommen, um der Gefahr effektiv zu begegnen. Dies zeigen zum Beispiel die vielschichtigen Kooperationen zwischen dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) und der Nationalen Anti-Doping Agentur (NADA). Auch auf Landes- und Vereinsebene sind vorbildhafte Maßnahmen und Entwicklungen zu beobachten.

schwatzgelb: Vor kurzem erregte die einvernehmliche Trennung der ARD von Mehmet Scholl Aufsehen, nachdem sich Scholl zuvor geweigert hatte, über Doping im russischen Fußball zu reden. Welchen Anspruch haben Sie an die Sportberichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender und wie zufrieden sind Sie mit deren Sportberichterstattung?

Eberhard Gienger: Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nimmt die Thematisierung des Dopings in der Sportberichterstattung - entsprechend der positiven Fälle und aktuellen Enthüllungen - eine wichtige Rolle ein. Über die konkrete Ausgestaltung oder gar den Umfang einzelner Statements und Wortbeiträge von „Fußballexperten“ befindet die jeweilige, von der Politik völlig unabhängige (Sport-)Redaktion.
Ich würde mir prinzipiell eine stärkere Berichterstattung jenseits des Fußballs wünschen, gerade weil selbst die Übertragung der kommenden Olympischen Sommer-/Winterspiele durch ARD und ZDF zuletzt zur Disposition stand.

schwatzgelb: Aktuell dreht sich im Fußball viel um den Konflikt der Fans mit dem DFB. In der Kritik stehen u. a. Fragen der Sportsgerichtsbarkeit und der Kommerzialisierung. Wie bewerten Sie den Einsatz von Kollektivstrafen wie die Sperrung ganzer Tribünen für Vergehen einer weit kleineren Gruppe?

Eberhard Gienger: Losgelöst von kritischen Entwicklungen im Profifußball (wie zum Beispiel im Blick auf die ausufernde Kommerzialisierung) sind Gewalt und Vandalismus in und um Stadien durch nichts zu rechtfertigen. Kollektivstrafen sind das schlechteste Mittel, um betreffende, meist kleine Personenkreise zu treffen. Von anderen Fußballfans würde ich mir eine noch deutlichere Distanzierung zu Gewalt wünschen. Von den Polizei- und Ordnungskräften erwarte ich einen respektvollen Umgang gegenüber den friedlichen Fans und ein hartes Durchgreifen gegenüber Kriminellen und Gewalttätern.

schwatzgelb: Die Grünen haben im Bundestag eine Reform der Datei Gewalttäter Sport gefordert und kritisiert, dass Einträge in vielen Fällen nicht aufgrund nachgewiesener Vergehen erfolgen. Dies trifft sich mit den Beschwerden vieler Fußballfans. Warum hat sich die CDU einer Reform der Datei verweigert?

Eberhard Gienger: Der Deutsche Bundestag kann die Bundesländer durch einen Antrag/Initiative gar nicht rechtsbindend auffordern, hier Abhilfe zu schaffen. Insofern muss man die genannte Initiative der GRÜNEN als nicht glaubwürdige Symbolpolitik betrachten. Weder hat der Bund hier einen unmittelbaren Handlungsspielraum noch die entsprechende Zuständigkeit. Einer Weiterentwicklung der „Datei Gewalttäter Sport“ steht der Union offen gegenüber. Gerade in Abstimmung mit den CDU-geführten Bundesländern werden wir einen neuen Dialog forcieren.

schwatzgelb: Der DFB steht nicht nur bei den Fans in der Kritik, auch die Affäre rund um die Vergabe der Weltmeisterschaft 2006, die möglicherweise mit Stimmenkauf realisiert wurde, belastet das Image des DFB. Ist die WM 2006 für Sie trotz der Enthüllungen rund um die WM-Vergabe noch ein Sommermärchen?

Eberhard Gienger: Die Fußball-WM 2006 war in vielerlei Hinsicht ein Gewinn für die Menschen in Deutschland, wie auch für die Entwicklung des Sports hierzulande. Dies bleibt mit dem Begriff „Sommermärchen“ als traumhaft schöne Erinnerung und der freundlichen, offenen Gastgeberrolle der deutschen Bürger - zu Recht - verbunden. Die Enthüllungen um die WM-Vergabe 2006 haben die Glaubwürdigkeit nationaler und internationaler Akteure im Sport bzw. die dahinterstehenden Organisationen stärk beschädigt. Die Prozesse müssen weiter aufgeklärt werden, um Transparenz herzustellen und letztlich Korruption zu bekämpfen. Noch laufen staatliche Ermittlungen und Verfahren in diversen Ländern. Ein umfassendes Gesamtbild wird man wohl nur mit der Hilfe internationaler Ermittlungen und abschließender Verfahren erhalten.

schwatzgelb: Wie zufrieden sind Sie mit der Aufklärungsarbeit des DFB?

Eberhard Gienger: Der DFB hat im Laufe der Aufklärungsarbeit selbst diverse Konsequenzen gezogen und versucht, mit damalig in der Verantwortung stehenden Personen zu sprechen. Der externe Untersuchungsbericht von Freshfields war ein richtiges und wichtiges Signal. Unabhängig eigener Bestrebungen und Ermittlungsmöglichkeiten von Sportverbänden ist es Aufgabe von Polizei und Justiz, unabhängig Aufklärung zu betreiben, Verfahren einzuleiten und letztlich Urteile herbeizuführen.

schwatzgelb: Der Deutsche Fußball-Bund bewirbt sich aussichtsreich um die Europameisterschaft 2024, was vermutlich wieder mit hohen Kosten für die Steuerzahler verbunden sein wird. Wie ist dies angesichts des Millionengeschäfts Fußball noch zu rechtfertigen?

Eberhard Gienger: Gerade vor dem Hintergrund der politischen Verhältnisse in anderen, mitbewerbenden Ländern wäre es zu begrüßen, wenn das besagte Großsportereignis in einem demokratischen und weltoffenen Land stattfände. Welche finanziellen und rechtlichen Anforderungen mit der Bewerbung verbunden sind, wird von den Bundes- und Länderressorts noch konkret ermittelt. Erst dann lässt sich eine abschließende Bewertung beziehungsweise Abwägung vornehmen. Selbstverständlich müssen etwaige Zugeständnisse vertretbar sein und in Einklang zu den rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland stehen.

schwatzgelb: Schauen wir in die kommende Legislaturperiode. Was werden Ihrer Meinung nach die großen sportpolitischen Themen sein?

Eberhard Gienger: Der Sport ist im deutschen Parlament eine Querschnittsaufgabe. Insofern werden in allen Rechtbereichen und Politikfeldern Weiterentwicklungen angestrebt. Das ehrenamtliche Engagement im Sport wollen wir weiter entwickeln und fördern, indem wir die Übungsleiter- und Ehrenamtspauschale erhöhen und weiter angleichen. Engagierte Trainerinnen und Trainer, die sich für andere einsetzen und viel Freizeit opfern, müssen Unterstützung finden und dürfen durch ihren Einsatz keine Nachteile erfahren. Gerade bürokratische Hemmnisse werden wir daher gezielt im Zuwendungs- und Gemeinnützigkeitsrecht abbauen. Risiken, wie durch das Mindestlohngesetz, werden wir durch klare Aus­nahme­regelungen ausräumen. Die steuerrechtlichen Rahmenbedingungen und Spiel­räu­me für gemeinnützige Sportvereine werden wir ausdehnen.

Vor allem Kinder und Jugendliche sollen von vielfäl­ti­gen Sportangeboten und einer attraktiven Sportinfrastruktur profitieren. Viele Sportstätten wurden von den hierfür zuständigen Bundesländern zu lange nicht modernisiert. Den Sanie­rungs­stau werden wir deshalb mit einem profunden Bundesprogramm abbauen. Als Unterstützung will die CDU das Bundesprogramm zur „Sanierung kommunaler Einrichtungen in den Bereichen Sport, Jugend und Kultur“ weiter ausbauen. Wir wollen weiterhin Sport auch innerstädtisch und in urbanen Räumen ermöglichen und begrüßen daher die Verbesserungen in puncto Nutzungsdauer und Ruhezeiten. Bei der Abwägung von Anwohnerinteressen machen wir uns weiterhin dafür stark, dass ein wohnortnahes Sportangebot möglich ist und Vereine und Sportanlagenbetreiber Rechtssicherheit genießen. Auch Trendsportarten und Bewegungsangebote außerhalb der klassischen Vereinslandschaft werden wir gezielt unterstützen.

Kooperationen zwischen Schulen und Sportvereinen werden wir fördern und Leuchtturmprojekte anstoßen. Eine gesunde Ernährung und Lebensweise, ein fairer Wettbewerb und gegen­seitige Achtung kann im und durch den Sport erlernt und gelebt werden. Stundenplan­kür­zungen auf Kosten des Schulsports werden wir entschieden entgegentreten. Denn: Sport ist ein zentraler Bildungsfaktor. Zudem rächen sich früher Bewegungsmangel und Fehlernährung in der Entwicklung und im Alter. Gerade vor dem Hintergrund des demographischen Wandels kommt dem Sport, der Bewegung und einer gesunden Lebensweise ein hoher Stellenwert zu. Deshalb werden wir das Präventionsgesetz noch deutlicher auf den Gesundheitssport und auf passgenaue Angebote in Vereinen ausrichten. Die Union steht hinter dem Vorhaben, „Sport auf Rezept“ beim Arzt bekommen zu können, um frühzeitig späteren Risiken entgegen zu wirken. Wir haben mit dem Präventionsgesetz dafür gesorgt, dass die Kranken- und Pflegekassen rund 500 Mio. Euro in die Prävention investieren werden und Sportvereine bei der Umsetzung von Kursen unterstützen.

Deutsche Athletinnen und Athleten repräsentieren unser Land bei internationalen Wett­be­werben und Meisterschaften – sie sind das Aushängeschild unserer Sportnation. Sie stehen für Leistungsbereitschaft, Team­geist, Fair Play sowie Weltoffenheit und sind vielfach wichtige Vorbilder für Kinder und Jugendliche. Deshalb werden wir sie weiterhin beim Training und Wettkampf kraftvoll unterstützen. Bei der beschlossenen Reform des Leistungs­sports und der Spitzensportförderung können sie sicher sein, dass wir sie in den Mittelpunkt aller Bestrebungen stellen. Mit ihren Betreuern sollen sie von perfekten Trainingsbedingungen profitieren. Eine breite Sportkultur in Deutschland wollen wir dabei erhalten. Die Spitzen­sportförderung werden wir insgesamt effizienter und transparenter gestalten. Dabei gilt jedoch: Sportlicher Erfolg nicht um jeden Preis – Fair Play und Sauberkeit stehen an erster Stelle. Wie in den letzten Jahren werden wir den Sporthaushalt weiter erhöhen, um im internationalen Wettbewerb um Bestleistungen und Platzierungen wieder zu den absoluten Topnationen zu gehören. Dazu zählen ausdrücklich auch die Paralympics bzw. der Leitungssport von Menschen mit Behinderungen. Die Special Olympics und der Gehörlosensport beweisen ebenso deutlich, wie wir die Inklusion im und durch den Sport zukunftsweisend umsetzen können.

Die Arbeitsbedingungen von Trainern im Spitzensport werden wir deutlich verbessern und mit den Sportverbänden klar regeln. Zudem gilt es, das Berufsbild „Trainer“ zu schärfen und die Akademisierung voranzubringen. Im Rahmen der Neustrukturierung des Spitzensports muss besonders die Trainersituation weiterhin verbessert werden. Denn wer Spitzensport möchte, muss auch Spitzenbedingungen bieten. Zusammen mit den Bundesländern und den Eliteschulen des Spitzensports werden wir die Talentsuche und Nachwuchsförderung neu aufstellen. Die Sportförderstellen bei der Bundespolizei, Bundeszoll­verwal­tung und Bundes­wehr wollen wir fortführen und um Stipendienprogramme erweitern. Wir wollen die Förderung für unsere Top-Athleten verbessern und erhöhen, damit für sie eine maximale Konzentration auf den Sport möglich ist. Darüber hinaus wollen wir - im Sinne einer optimalen Flexibilität im Sportalltag - Initiativen und Angebote zur dualen Karriere ausbauen, damit Athletinnen und Athleten auch nach ihrer aktiven Zeit eine nachhaltige berufliche Perspektive haben. So soll mit der Deutschen Sporthilfe auch die „Nachaktiven-Förderung“ fortentwickelt werden.

Ohne Sportgroßveranstaltungen im eigenen Land würden Breiten-, wie Spitzensport, auf entscheidende Innovationen und Entwicklungs­schübe verzichten. Deshalb werden wir die Austragung von Sportereignissen im eigenen Land weiter anstreben. Zunächst müssen jedoch die internationalen Sportverbände verlorengegangenes Vertrauen zurückgewinnen. Bei einer transparenten und fairen Vergabe sowie bei einer sozial, ökonomisch und öko­logisch verträglichen Umsetzung wollen wir Sportereignisse in Deutschland kraftvoll unter­stützen. Besonders setzen wir uns für die Austragung der Fußball-EM 2024 in Deutschland und für eine Bewerbung um Olympische Spiele ein. Auch sollen Sportereignisse im frei empfangbaren Fernsehen weiterhin sichtbar sein und vor allem die Breite des Sports dargestellt werden, damit der Sport seine Strahlkraft nicht verliert. Die enorme mediale Fokussierung auf den Fußball hat andere Sportarten zum Teil an den Rand gedrängt. Für ein sich ergänzendes Programm von privaten und öffentlichen An­bietern setzen wir uns ein.

Die Union will dort, wo Sport missbraucht und benutzt wird, entschieden gegensteuern. Doping, Korruption, Spiel- und Wettmanipulation, Gewalt oder Extremis­mus verkehren die Werte im Sport und gefährden dessen Existenz. Hinter den Gefahren stehen meist kriminelle, international agierende Netzwerke. Wir werden daher die nationalen und internationalen Anstrengungen erhöhen, um die Integrität des Sports zu schützen. Die bereits geschaffenen gesetzlichen Grundlagen wollen wir auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen und - wenn nötig - anpassen. Gemeinsam mit den Bundesländern werden wir uns für eine konsequente Strafverfolgung und Einrichtung weiterer Schwerpunkt­staatsanwaltschaften einsetzen. International gilt es, vor allem die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) finanziell zu stärken, unabhängiger aufzustellen und ihre Kompetenzen auszuweiten.

schwatzgelb: In Nordrhein-Westfalen wird über eine Bewerbung um die Olympischen Sommerspiele diskutiert. Halten Sie eine solche Bewerbung für zeitgemäß, solange der IOC sich in Bezug auf die Transparenz von Vergabeverfahren, den Kampf gegen Korruption und einen nachhaltigen Antidopingkampf nicht reformiert?

Eberhard Gienger: Mit der anstehenden Doppelvergabe wird sich Deutschland erst zu den Olympischen Spielen 2032 bewerben können. Niemand kann jetzt sagen, mit welchen Herausforderungen Deutschland dann konfrontiert ist oder wie sich das IOC gewandelt hat. Die Bestrebungen in NRW sehe ich positiv als langfristige Perspektive und Vision, den Breiten- und Leistungssport für die Menschen im Land zu verbessern. Mit Nähe zum Bewerbungszeitpunkt muss dann - in der Region und im Bund - entschieden werden, ob eine Fortführung sinnig ist. Die IOC-Agenda 2020 und die aktuell vorgestellten Zwischenergebnisse sehe ich als einen wichtigen und richtigen Schritt, den internationalen Olympischen Sport zu reformieren.

schwatzgelb: Im kommenden Jahr findet die Fußballweltmeisterschaft in Russland statt. Die russische Regierung steht u.a. wegen Menschenrechtsverletzungen und dem Ukraine-Konflikt in der Kritik. Wie wollen Sie mit dieser Problematik umgehen?

Eberhard Gienger: Den gesellschaftspolitischen Missständen, den Menschenrechtsverletzungen und dem Völkerrechtsbruch ist entschieden entgegenzutreten. Zudem muss erst der Dopingskandal in Russland vollständig aufgeklärt und ein funktionierendes Kontrollsystem etabliert werden. Dahingehend werde ich mich weiter klar und öffentlich positionieren sowie meinen politischen Einfluss geltend machen. So muss sich aus meiner Sicht weiterhin die Weltsportministerkonferenz mit den Rahmenbedingungen von Großsportereignissen intensiv befassen. Wie bei anderen, kritisch zu sehenden Gastgebern von Großsportereignissen werden Regierungsmitglieder dem Ereignis bewusst fernbleiben, gleichwohl sich viele Spieler bzw. Sportler die Anwesenheit von Politikern wünschen.

schwatzgelb: Was raten Sie homosexuellen Fans, die zu den Fußballweltmeisterschaften in Russland oder Katar fahren möchten?

Eberhard Gienger: Die rechtlichen und gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen in Katar oder anderen Ländern sind – zum Beispiel mit Blick auf Toleranz, Vielfalt und Akzeptanz gegenüber anderen Lebensentwürfen (hier im Sinne von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften) – vielfach nicht mit unseren freiheitlich, demokratischen Grundsätzen vergleichbar. Die FIFA hat sich dennoch für einen solchen Austragungsort entschieden. Bezüglich der Reiseentscheidung kann man zum anstehenden Moment nur auf die dort geltenden Gesetze, die gängige Rechtspraxis und vor allem auf die Reisehinweise des Auswärtigen Amtes verweisen.

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Laender/Katar.html

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