Eua Senf

Ab auf die Couch, Borussia

22.02.2017, 12:28 Uhr von:  Gastautor
Findet die Lage "nebulös" - Thomas Tuchel

„Diffus, unklar,nebulös“ – so hatte Tuchel vor einiger Zeit die Kritik an seinem Verhalten betitelt. Im Fussball scheut man sich oft, die Dingepsychologisch zu analysieren. Es scheint vor allem den Trainern unheimlich zu sein – ein Faktor, den man vielleicht beeinflussen kann, den man aber nicht wirklich im Griff hat. Dennoch hat die psychologische Perspektive einen sehr wertvollen und in einer Liga voller hochkarätiger Spieler am Trainingslimit sogar einen entscheidenden Beitrag zu leisten. Sie wirkt nicht nur auf, sondernauch um das Feld herum, vor und nach dem Spiel.

Wie gehen wir also psychologisch an so eine Situation heran wie die, in der der BVB sich gerade befindet?

Da, wo das Leben spielt, haben wir es nur sehr selten mit klaren, linearen, abgrenzbaren Ursachen im Sinne eines eindeutigen „wenn X, dann Y“ zu tun. Und nicht selten ist das, was wir als Ursache für unser Verhalten ansehen, eigentlich eine Wirkung dessen, was wir selbst verursacht haben. Wir befinden uns in Handlungskreisläufen.

Wenden wir dieses Prinzip auf oben genannte Situation an, so stellt sich die Frage, was Tuchel und der BVB tun, um das aktuelle Presseverhalten hervorzurufen. Tuchel hat selbst etwas „Nebulöses“ in jüngster Zeit gezeigt – wahrscheinlich liegt es nicht nur an ihm, sondern er ist nur der sichtbare Teil der Mannschaft, der dieses Thema ausagiert und dann mit der eigens provozierten Situation umgehen muss.

Der BVB hat derzeit etwas Unklares, Diffuses, Nebulöses an sich und es wird versucht, das Problem zu greifen, was offenbar in und mit der Mannschaft besteht.

BVB und die Medien - diese Saison keine Liebesbeziehung

Das Muster zwischen dem BVB – meist vertreten durch den Trainer – und der Presse scheint ein ewiges Ping-Pong-Spiel zu sein: es wird ein Problem vermutet oder unterstellt, was dann dementiert wird. Da dennoch das Grundgefühl besteht, dass irgendetwas nicht stimmt, wird weiterhin im Trüben gefischt. Die Pressevertreter wissen auch nicht so genau, was das Problem ist, und übersetzen ein vages Grundgefühl in ebenso vage Diagnosen. Diese werden abgewehrt – ob zu Recht oder auch nicht – und es wird weitergefischt. Es ist, als wäre die Presse ein Wolf, der sich in seine Beute verbissen hat, und je versucht wird, sich dagegen zu wehren, desto „verbissener“ wird er. Er weiß, dass es etwas zu holen gibt und wenn er es nicht sofort zu fassen bekommt, wird erneut versucht, die Beute zu packen. Die Aufmerksamkeit wächst dadurch umso mehr. Da Tuchel sehr sensitiv ist und viele Einflüsse bemerkt, die er in einem komplexen, vielschichtigen Bild zusammenfügen kann, erklärt er die Vorgänge auch auf einer solchenEbene, was aber interessanterweise für viele Reporter mehr Fragen als Antworten zu hinterlassen scheint. Mit seinen elaborierten Erklärungen liefert er dadurch umso mehr Stoff, in den man sich „verbeißen“ kann, wodurch ein ewiger Teufelskreis entsteht. Auf einmal wird die Lösung zum Problem. Und am Ende weiß man immer noch nicht, wo eigentlich das Problem liegt.

Und genau hier liegt der Hase im Pfeffer: etwas stimmt nicht, und man weiß nicht genau, woran es liegt – auch in Dortmund nicht. Dabei hat der Trainer vor und nach dem Darmstadt-Spiel den entscheidenden Hinweis gegeben, als er sagte, es wäre vor allem ein „mentales Spiel“. Und in diesem fand ein spektakuläres Versagen statt. Mit der aktuellen Mentalität ist der BVB „durchgefallen“, wie der Trainer es über das Spiel allgemein sagte.

Borussia Dortmund ist überfordert

Und offenbar fehlt es hier an Umgangsstrategien:„Wenn wir wüssten, was hilft, würden wir das tun“, war nach dem Spiel zu vernehmen. Wir haben es also mit der psychologischen Situation der Überforderung zu tun.

Diese Überforderung ist auch insofern zu merken, als dass sich viele Erklärungen für Versagen auf äußere Faktoren beziehen, die sich schwer oder gar nicht beeinflussen lassen – z.B. die übertriebene Härte des Gegners, oder auch Verletzungen, die Umbruchsituation usw. Diese Einflussfaktoren lassen sich wohl kaum kleinreden, allerdings entscheidet auch der Umgang damit Spiele und zeigt sich auch im Vertreten der Mannschaft nach außen.

Der Subtext dieser Begründungen ist „da können wir dann auch nichts machen“. Das offenbart Gefühle der Ohnmacht. Es heißt selten: „Damit müssen wir umgehen“ oder „das ist auch eine spannende Herausforderung“. Es fehlt, die positiven Seiten vom Schlechten zu sehen – ein gewisser Zweckoptimismus.

Gleiche Probleme wie in Klopps letzter Saison

Diese Ohnmacht zeigt sich sehr deutlich im Spiel: man weiß nicht so genau, wo eigentlich das Problem liegt. In der Regel ist Tuchels Elf klar überlegen, ob Ballbesitz, torchancen, Spielerqualität – aber dennoch führt das nicht zum Sieg, und wenn, dann unter sehr viel Aufwand. Man hat das Gefühl, um das gegnerische Tor besteht eine magische Barriere, während des eigene Tor auch in wenigen Situationen mit wirklicher Gefahr den Ball wie einen Magneten anzieht.

Bereits unter Klopp waren ähnliche Verhaltensmuster erkennbar

Dieses Problem zeigt sich aber nicht zum ersten Mal: ein ähnliches Muster war schon in der letzten Klopp-Saison zu sehen und oft hatte man das Gefühl, das Drehbuch für das aktuelle Spiel schon längst zu kennen: erst geht Schwarz-Gelb in Führung, dann schießt der Gegner den Ausgleich und wahlweise noch das Sieg-Tor. Im Großen sah es genauso aus: wenn der BVB doch gewann, dann folgte darauf das Gegentor in Folge eines Punktverlustes trotz klarer Überlegenheit. Hier hieß es vom Trainer und folglich auch von der Mannschaft: „Das hat nichts mit der Psychologie zu tun. Wir müssen einfach nur unsere Chancen nutzen.“ Typisch Klopp: voll ins Gegenpressing gehen. Niemand soll auch nur an den Ball herankommen, auf dem „Psychologie“ geschrieben steht. Das Schreckgespenst, was niemand unter Kontrolle hat. Nein, damit will man nichts zu tun haben. Man muss seinen Einfluss kleinreden. Am Ende hieß es, es liegt momentan am „Glück“. Aber genau das ist es: wenn man sich damit beschäftigt, kommt man mitunter darauf, dass so manches, was wie „Glück“ oder „Pech“ aussieht, Teil eines psychologischen Spiels ist, was hinter dem eigentlichen Spiel liegt. Hier gab es keine Handlungsstrategien und so konnte man sich mehr oder minder einfach nur diesem Schicksal ergeben. Der erste Lichtblick war Reus' Verlängerung, der zweite Klopps Weggang – ab da ging's bergauf. Eher aus Hilflosigkeit, nicht aufgrund einer gezielten Strategie.

Auf einmal – zwei Jahre später – ist der BVB wieder in einem ähnlichen Muster gefangen, in dem mit viel Aufwand wenig produziert wird. Die tieferen Hintergründe dessen sind Material für einen anderen Artikel. An dieser Stelle soll vor allem die Aufmerksamkeit auf einen anderen Umstand gelenkt werden: es gab ein Jahr dazwischen, in dem es anders war. Eine Steilvorlage in jedem Coaching-Prozess: ein guter Coach (oder Therapeut) fragt bei einer Problemsituation sehr schnell, wann das Problem nicht auftrat.

Da fällt die Antwort leicht: in der Saison 15/16. Der BVB war getragen von einer regelrechten Euphorie. Wann immer der Trainer in einer PK zu sehen war, strahlte er nur so vor sich hin wie ein glücklicher Junge und schien damit auch der Liebling der Presse zu sein. Es machte einfach Spaß, sich anzusehen, wie Tuchel übers ganze Gesicht grinste, oftmals auch lachte, und sich des Lebens und vor allem an seiner Mannschaft erfreute. Kritik wurde oft einfach weggelächelt nach dem Motto: „Na gut, sowas passiert, aber nicht so schlimm.“

Borussia fehlt die grundoptimistische Stimmung der letzten Jahre

Sieht so Optimismus aus?
Jetzt ist es genau das Gegenteil: der Trainer schaut meist angestrengt, selbst nach einem Sieg, wirkt irgendwie verfahren und der Kontakt scheint zu entgleiten. Kontakt ist auch das, was weniger zwischen Tuchel, Watzke und Zorc wahrzunehmen ist. Es ist nicht so, dass sich deutlich ein Problem ausmachen lässt – etwas, was da ist, was vorher nicht da war. Es scheint viel eher etwas zu fehlen. Dass das für die Medien nicht greifbar ist, ist naheliegend. Es ist aber auch naheliegend, dass sie es – wie jeder andere auch – bemerken. Es scheint eine Freudlosigkeit um die Mannschaft um sich zu greifen, die Leichtigkeit ist verlorengegangen. Selbst der immer-strahlende „Auba“ war in Kamera-Einstellungen immer nur sichtlich angestrengt, fast erbost zu sehen. Es ist deutlich zu spüren, dass diese grundoptimistische Stimmung auf einmal fehlt, die Dortmund über die letzten Jahre – mit Unterbrechungen – ausgemacht hat.

Solange das so ist, wird die Presse weiterhin fischen, bis sie etwas hat, was sie zufriedenstellt – z.B. einen handfesten Konflikt – oder einfach müde wird nachzufischen. Und auch, wenn das, was der Trainer nach außen sagt, die Spieler nicht bewusst mitbekommen: auch das Verhältnis einer Mannschaft, eines Trainers zur Außenwelt, beeinflusst das Spiel. Der Umgang mit der Öffentlichkeit bzw. deren Umgang mit ihm, beeinflusst den Trainer und über diesen auch die Mannschaft – wie auch zu sehen, wenn Tuchel von „Erwartungshaltungen“ spricht, die gegen Darmstadt zu erfüllen waren.

Das mag „nebulös“ klingen, aber aus der psychologischen Forschung und Erfahrung weiß man, wie stark sich Informationen durch sehr unbewusste, unterschwellige Handlungen übertragen können.

Eine Möglichkeit, mit vagen Problemunterstellungen der Presse umzugehen, die sich offenbar auch sehr positiv auf die Haltung einer Mannschaft auswirken können, hat Toni Kroos bei der letzten EM vor dem Italien-Spiel gezeigt, indem er auf die Frage, ob die Nationalmannschaft ob der konsequenten Niederlagen gegen Italien ein Trauma hätte, die Gegenfrage stellte: „Warum soll ich ein Trauma haben? Wie oft war ich da dabei? Das müssen Sie mir erst einmal erklären, bevor ich das dementiere.“ Dann könnte sich der Kreis lösen, in dem auf ein nebulöses Gefühl nebulöse Unterstellungen folgen, die mit Sicherheit auch wieder für ein nebulöses Gefühl sorgen und die Mannschaft nicht zur Ruhe kommen lässt. Auf Diffusion, so hätte Sun Tzu gesagt, muss man mit Klarheit antworten, auf Unterstellungen mit Nachfragen: woran macht das Gegenüber die Unterstellungen fest? Anstatt selbst die Antwort zu geben und somit in der Ver-antwort-ung zu sein, etwas Greifbares auf eine vage Unterstellung liefern zu müssen, wäre es sinnvoll, das Gegenüber in die Verantwortung zu nehmen, eine greifbare Frage zu stellen. Fragen stellen statt lange Antworten auf Fragen geben, auf die kaum Antworten möglich sind.

Das würde dem Trainer – und somit dem Verein – erst einmal Luft zum Atmen verschaffen.

Um die tieferliegenden Themen kümmern wir uns dann an einem anderen Tag.

geschrieben von Vincent

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