Warmlaufen

Orientierungslos in Brandenburg

20.02.2016, 12:37 Uhr von:  Redaktion

Der Fußball führt uns oft an fremde, neue Orte – aber manchmal tut das auch die Arbeit. So entsteht dieser Vorbericht im exotischen Brandenburg. Wer einmal hier ist, der merkt sofort, dass Rainald Grebes ironische Zeilen seiner „Ode“ an dieses Bundesland „wenn man Bisamratten im Freibad sieht, dann ist man im Naturschutzgebiet... Mark Brandenburg“ gar nicht ironisch sind, sondern ein ziemlich realistisches Bild dieser … nunja... Gegend zeichnen. Ich glaube, ich höre sogar, wie die Bisamratten gerade auf dem Parkplatz meinen Wagen annagen.

Und trotzdem habe ich mich irgendwie auf diese Fahrt gefreut. Fünf Stunden alleine auf der Autobahn. Mehr als genug Zeit, um mir ein paar Zeilen für den Vorbericht zum Spiel gegen Leverkusen auszudenken. Das ist auch bitter nötig, weil, ja, weil die Tabelle nun einmal so ist, wie sie ist. Acht Punkte auf Bayern aufzuholen, ist so wahrscheinlich wie die Entdeckung der Gravitationswellen. Und wenn wir in Leverkusen verlieren, haben wir immer noch einen zweistelligen Vorsprung auf einen Platz, der nicht mehr zur Teilnahme an der Champions-League berechtigt. Was will man da groß schreiben? Über die große Langeweile im Niemandsland? Hatten wir schon. Selbst einen Text darüber, wie schwer es ist, einen Vorbericht zu schreiben, wenn einem nichts passendes einfällt, gibt es schon in der langen Geschichte von schwatzgelb.de. Vermutlich sogar mehr als einen. Oder über Aubameyangs Verkleidung als Perlhuhn? Also bitte, da fehlen mir echt die Worte.

Die Fahrt kommt also genau richtig. Trockenes Wetter und morgens um vier Uhr ist die Autobahn auch herrlich leer. Der Platz ist in einwandfreien Zustand, wie der Fußballer so sagt, wenn er von guten Bedingungen spricht. Na gut, das Navi sucht auch nach fünf Minuten noch sein GPS-Signal, aber das ist ok. Dazu muss ich allerdings zwei Dinge erwähnen: Erstens, dass ich ein zwiespältiges Verhältnis zu diesen Teufelswerken der Technik habe und die Teile mit meinen Händen wie magisch zum Systemausfall bringen kann. Die Redaktionskollegen einer früheren Fahrt nach Stuttgart können das bezeugen. Und zweitens bin ich ohne diese Dinger völlig aufgeschmissen, wenn ich eine Strecke nicht mindestens fünf Mal gefahren bin. Ich habe so viel Orientierungssinn wie Michael Frontzeck Erfolg im Trainergeschäft. Aber alles cool.

Zehn Minuten später immer noch kein Signal. Und noch viel schlimmer, das Drücken des Feldes mit der Aufschrift „Abbrechen“ tut alles, nur nicht abbrechen. Nein, das stimmt nicht. Es tut nicht alles. Eigentlich tut es gar nichts. 10 Kilometer nach Reisebeginn wird der erste Parkplatz angesteuert. Jeder, der schon einmal im Notfall eine IT-Abteilung angerufen hat, weiß schließlich was man zuerst macht: herunterfahren. Nach dem Neustart das mittlerweile vertraute Bild. Na gut, geben wir dem GPS-Signal und meinem Navi noch etwas Zeit, zueinander zu finden. 200 Kilometer weiter fremdeln die beiden immer noch ziemlich miteinander. Nächster Rastplatz und eine Navi-App fürs Smartphone runtergeladen. Der Download schlägt genauso fehl wie ein zweiter Versuch mit einer anderen App auf einem anderen Parkplatz.

Um mich zu verhöhen, schaltet das Navi zwischenzeitlich pflichtgemäß von Nacht- in den Tagmodus und unterrichtet mich jetzt mit hellem Display darüber, dass es weitersucht und weiterhin nicht gedenkt, die Suche abzubrechen. Von wegen Systemabsturz. Das ist pure Boshaftigkeit.

Mittlerweile kein Gedanke mehr an einen Vorbericht, oder an überhaupt nur ein Fußballspiel, sondern blanke Angst vor den unentdeckten Straßenwelten rund um Oranienburg. Aber Rettung naht, das Smartphone vermeldet, dass der dritte Versuch, eine App herunterzuladen und zu installieren, tatsächlich erfolgreich war. Fick dich, Navi. Der Sieg des menschlichen Geistes über die Maschine... Ok, unter Zuhilfenahme einer anderen Maschine. Diese Maschine verkündet mir dann auf einem anderen Rastplatz zwischen ehemaligem Grenzübergang und Magdeburg, dass es zum Zielgebiet noch kein Kartenmaterial hätte. So langsam dämmert mir, dass die Bisamratten wohl schlauer sind als ich, die haben schließlich immerhin zu meinem Ziel gefunden. Darüber hinaus hat das GPS fast den letzten Saft aus dem Smartphone gezogen, den der altersschwache Akku noch auffahren konnte. Und so gönne ich mir dann das einzige bisschen Luxus, das dieses puristischste aller Basismodelle eines Firmenfahrzeuges bietet: den USB-Anschluss zum Aufladen.

Meine Frau kennt die Stimmung, mit der ich jetzt wieder auf die Autobahn fahre, sehr genau. Es ist die gleiche Stimmung, in der ich bin, wenn beim Schrankaufbauen die Schraube zum x-ten Mal verkantet und sich nicht reinschrauben lässt. Und es ist die gleiche Reaktion, wie sie vermutlich Generationen meiner männlichen Vorfahren in so einer Situation gezeigt hat. Zumindest bei meinem Papa weiß ich es bestimmt. Wir brüllen Sachen an. Wir beschimpfen Dinge oder Menschen (nur wenn sie es nicht hören können) mit den unflätigsten Wörtern, von denen man hofft, dass die eigenen Kinder sie nie lernen.

Den Wohnwagenfahrer, der mit 98 km/h auf der ganz linken Spur noch am Elefantenrennen auf den beiden anderen vorbei tuckern muss und die Bahn damit komplett blockiert. Den BMW-Fahrer, der ohne zu blinken rauszieht. Und den Fiat-Multipla-Fahrer, einfach weil er ein potthässliches Auto fährt. Sie alle bekommen ihr Fett ordentlich weg, ohne dass sie es jemals hören werden. Und dann kommt eine kleine Bodenwelle. Das Smartphone springt auf dem Beifahrersitz, dadurch muss das USB-Kabel gewackelt haben und ganz von selbst überträgt es eine Datei zum Radio. Aus den Boxen mein Klingelton. Dortmund, meine Pottperle...

Dortmund, meine Stadt, mein Leben

es kann nichts Schönres geben,

als ein Teil von dir zu sein....

Und plötzlich bin ich ruhig. Lächele. Denke an den besten Verein der Welt, in den schönsten Farben der Welt, aus der geilsten Stadt der Welt. Es ist egal, dass das Spiel am Sonntag nicht zu den spannensten Kicks der Fußballgeschichte zählen und vermutlich schon ziemlich schnell nur noch eine Fußnote in meinem Fanleben sein wird. Es ist auch egal, dass mir die Technik einen hämischen Stinkefinger zeigt und ich mir vermutlich von irgendeinem Dorfd... freundlichen Mitmenschen vom Lande den Weg zum Ziel erklären lassen muss – vorausgesetzt ich biege vorher am Kreuz in die richtige Richtung auf die A10 ab. Sonntag ist wieder Spiel, man ist wieder mit Leuten zusammen, die man mag und alles hat seine Richtigkeit.

Irgendwo im Nirgendwo zwischen Magedeburg und Berlin fahre ich an eine Tankstelle. Wie sehr nirgendwo das ist, sieht man am Preis von 1,19 Euro pro Liter. Und nein, ich habe nicht aus Versehen den Superschlauch statt den fürs Diesel erwischt. Auffüllen und ein heißer Kaffee. Während ich noch mit der freundlichen Kollegin in der Firma telefoniere, weil da gerade Dienstbeginn ist und dort vielleicht eine Bedienungsanleitung für das Navigerät from hell liegt, in dem noch vielleichter drin steht, wie man das Scheißteil in den Ursprungszustand versetzt, füllt sich der Balken mit der Routenberechnung und mein Weg liegt klar vor mir. Klar, scheiße kitschig, aber so steht es geschrieben und so ist es geschehen.

Und wenn mich das Navi morgen auch etwas mag, dann finde ich auch wieder zurück. Ansonsten nagen mich die Bisamratten an...

Wir sehen uns in Leverkusen. Hoffentlich.

Bayer Leverkusen: Leno - Jedvaj, Tah, Toprak, Wendell - Kampl, Kramer - Bellarabi, Brandt, Mehmedi - Kießling

Borussia Dortmund: Bürki - Schmelzer, Hummels, Sokratis, Piszczek - Weigl - Gündogan, Kagawa - Mhkitaryan, Reus - Aubameyang

Sascha, 20.02.2016

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