Spielbericht Profis

Gegen Wolfsburg im Finale stehen, mit Borussia baden gehen…

02.06.2015, 11:42 Uhr von:  Redaktion

Klopps Abgang ohne PokalSonntagnachmittag, 14:37 Uhr. Auf dem ZDF Infokanal flimmert eine RAF-Doku nach der anderen über den Äther. Das Sofa nur einmal für den kurzen Weg zum nächsten Kiosk verlassen, die weitere Kommunikation des Tages auf eine Online-Pizzabestellung beschränkt – so fühlte sich an, was am Samstag zunächst so gut begonnen hatte. Nach 1:0-Führung und dem 2:0 auf dem Schlappen, hatte Borussia wieder einmal den Blues und von allen fünf Finalspielen seit 2008 die in jeder Hinsicht schlechteste Leistung gezeigt.

Die Hauptstadt empfing uns schwarzgelb wie eh und je. An allen Ecken und Enden waren BVB-Fans zu sehen, 130.000 waren erwartet worden und hatten die örtlichen Behörden in Panik versetzt. Das alleine schien dem BVB aber noch immer nicht imposant genug – eine riesige Werbemaschinerie zermalmte alles, was zwischen Kudamm und Alexanderplatz nicht bei drei auf den Bäumen war. Gummibärchen, aufblasbare Herzchen, Wasserbälle und Pokale, Armbändchen, mobile Wurststände, Rikschas, Bus- und Bootstouren, mobile Plakatwände, Jürgen-Klopp Masken, ein DJ am Breitscheidplatz mit albernen Spielen wie „Wir rufen mal die Mannschaft auf den Platz“ – man fragte sich schon, was mit diesem massiven (Werbemittel-)einsatz zum Ausdruck gebracht werden sollte. Tatsächlich ging der Schuss auch irgendwie nach hinten los – seit 2008 waren gefühlt nie so wenige Borussen zum Treffpunkt an der Gedächtniskirche gekommen oder hatten so viele nach wenigen Minuten direkt wieder die Flucht Nicht jeder fühlte sich beim Fanfest so wohl, wie diese Schotten - es war einfach zu vielergriffen. Es war einfach zu viel, zu laut, zu aufdringlich und zu beliebig, als dass man sich in dieser Umgebung hätte wohlfühlen können. Verflogen war die planlos improvisierte Unschuld, mit der die BVB-Fans 2008 an selber Stelle Berlin in Beschlag genommen und begeistert hatten.

Auch das Stadionerlebnis, das uns der DFB in diesem Jahr beschert hatte, war nicht gerade eine Wucht. Endlose Einlasskontrollen, 45 unverschämte Euro teure Tickets und ein gerne mal drei Finger breit unter Strich eingeschenktes Bier zu fünf Euro (ohne Pfand!) ließen erkennen, dass "Fans für Fans" am Werke waren. Gottseidank gab es auch im Stadion ausreichend Werbegeschenke zu ergattern, die in einem fernen Paralleluniversum wohl tatsächlich als nützlich betrachtet werden könnten. Dass die mittlerweile obligatorische Klatschpappe nicht erhältlich war, war sicher auf einen Praktikanten zurückzuführen, der in der DFB-Zentrale gepennt hatte und nun gefeuert worden sein dürfte. Man fragte sich unentwegt, was eigentlich in den DFB gefahren war, eine so tolle Veranstaltung wie das Pokalfinale innerhalb weniger Jahre mit so vielen unnötigen Ärgernissen zu beladen. Musste insbesondere die Preisgeschaltung derart frech ausfallen?

Pyroshow zum Spielgebinn im GästeblockDoch was soll das Gemecker über andere, wenn man sich auch an die eigene Nase zu packen hätte? Die Borussen im Stadion gaben ein Bild ab, das man getrost als schwach bezeichnen durfte. Hatte man sich gegen die Bayern 2014 trotz aller Sattheit noch einmal motivieren können, weil man sich an einem echten Gegner abarbeiten konnte, fehlte in diesem Jahr beinahe jeglicher Reiz. Das gefühlte Finale hatte in München bereits stattgefunden, die Emotionen galten Sebastian Kehl und Jürgen Klopp, ansonsten blieb es über 90 Minuten weitgehend ruhig. Die einzigen Szenen, die aus dem tristen Gesamtpaket herausstachen, gehörten den Dortmunder Ultras: Nach den unschönen Erfahrungen der Vorjahre, als der DFB beinharte und irrsinnig teure Auflagen hinsichtlich der Nicht-Brennbarkeit des eingesetzten Choreo-Materials erlassen hatte, wurde in diesem Jahr auf eine aufwändige Choreografie verzichtet. Stattdessen gab es zwei große Pyroshows, die angesichts der schieren Menge an Rauch und Bengalos überraschend diszipliniert abliefen, aber leider eben doch von einigen Trotteln zum Abschuss eines Leuchtspurgeschosses sowie zum Zünden dreier Böller genutzt wurden.

Marco Reus vergab das 2-0Auch ansonsten waren die Ultras weitgehend auf Alleingänge angewiesen – denn so richtig wollte niemand in die Gesänge einsteigen. Wie bereits beim Rückspiel gegen Juventus Turin, als die Südtribüne in bedächtiger Stille auf ein Fußballwunder wartete, oder gegen Werder Bremen, als es 90 Minuten Stille zu ertragen galt, bis endlich Jürgen Klopp eine Rede halten würde, nahm man auch die Niederlage in Berlin gelassen hin. Kein Aufbäumen, kein lautstarkes Ansingen, kein Niederbrüllen der zahlenmäßig sehr deutlich unterlegenen Wolfsburger, keine Versuche des eigenen Liederanstimmens vorbei an den Ultras – es passierte einfach nicht viel. Dass es nach Spielende plötzlich wieder laut wurde, als die Mannschaft in die Kurve kam, hinterließ einen faden Beigeschmack im traurigen Gesamtbild dieser Saison. Noch im Sonderzug nach Dortmund wurde darüber diskutiert, wann wir von einer der erfolgshungrigsten Kurven des Landes zu einer Ansammlung von Leuten geworden waren, die es vorwiegend im Trost spenden und Dasein als gute Verlierer zu einer Meisterschaft bringen konnten – eine passende Antwort wusste niemand.

Deprimierend geriet auch die Leistung der Mannschaft, die zum wiederholten Mal in dieser Saison katastrophal verteidigte und sich um die Früchte der eigenen Arbeit brachte. Mitch Langerak, vor wenigen Wochen noch viel besungener Held aus München, versagten in wichtigen Situationen die Nerven – mindestens zwei Gegentreffer waren halt- oder vermeidbar. Marco Reus hätte mit dem 2:0 in der 18. Minute schon fast die Weiche zum Mats Hummels gegen Ivan PerisicSieg stellen können, vergab dort wie auch später selbst beste Chancen. Ilkay Gündogan wirkte völlig neben der Spur und verabschiedete sich mit einer katastrophalen Leistung aus Dortmund, während Ciro Immobile seinen warm gesessenen Platz auf der Bank auch diesmal 79 Minuten lang einnehmen durfte.

Der VfL Wolfsburg, formtechnisch und tabellarisch klarer Favorit, hatte sich erst nach 20 Minuten aus der engen Umklammerung des BVB lösen können – und prompt drei Tore in einer Viertelstunde geschossen. Die Wolfsburger waren hungriger, kämpften verbissener und gewannen das Spiel hoch verdient – selbst wenn man sicher einen Pfostentreffer, zwei versagte Elfmeterpfiffe und einige hochkarätige Chancen von Reus, Pierre-Emerick Aubameyang oder Henrikh Mkhitaryan auf der Habenseite verbuchen konnte.

Doch welche Schlüsse sollen wir nun daraus ziehen? Ein Beginn wäre es die Demut wiederzuentdecken, die einst Jürgen Klopp in Dortmund etabliert hatte. Einen Verein zu haben, der nicht jede einzelne Gelegenheit nutzt, um irgendwie cool oder auf der Höhe der Zeit zu wirken, sondern es von innen heraus einfach ist und sich nicht verstellen muss. Mit einer Mannschaft, die in einem Finale so auftritt, als ob sie sich für den Titel noch interessieren würde, für den sie vor drei Jahren barfuß durch die Hölle gerannt wäre. Mit Fans, die nicht auf das Wunder Am Ende jubelten die falschen Farbeneiner satten 3:0 Führung in der 25. Minute oder die Verabschiedung des Trainers warten, um den Mund aufzubekommen, sondern dafür brennen, einer Schande des deutschen Fußballs den Pokal zu entreißen und die eigenen Helden mit einem Titel samt epischer Feier zu verabschieden, statt mit zehn Minuten stehender Ovationen. Mit einem Kollektiv, das endlich wieder lernt Niederlagen zu verabscheuen statt sie als willkommenen Anlass zu begreifen, sich durch künstliche Wohlfühlatmosphäre von anderen Vereinen abzuheben.

Am Ende haben wir es einfach verbockt, alle zusammen, jeder für sich. Und so bleibt nach einer nervenaufreibenden Saison ein Gefühl haften, auf das wir alle gut hätten verzichten können – statt totaler Eskalation am Borsigplatz mussten Andreas Baader und Ulrike Meinhof schon wieder sterben. Und wieder. Und wieder. Es war zum Haare raufen.

SSC, 1.6.2015

„Aber scheiß drauf, Finale ist nur einmal im Jahr …“

Nicht nur im Olympiastadion regierte SchwarzgelbSamstag, 30.05.2015, 11:15 Uhr: Ich breche von meiner Unterkunft in Charlottenburg in Richtung Zoo auf, zunächst mit dem Bus bis Ernst-Reuter-Platz, dann mit der U-Bahn weiter. Stolz wie Oskar, zum ersten Mal ein Ticket fürs Finale bekommen! Auf dem Breitscheidplatz bin ich mit Freunden verabredet. Der Platz um die Gedächtniskirche ist heute der „Place to be“, der schwarzgelbe Fantreffpunkt schlechthin. Der BVB hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, damit das Fanfest dann auch stattfinden kann. Behörden wollten dem bunten Treiben einen Riegel vorschieben, formulierten Sicherheitsbedenken, wollten, dass Zäune aufgestellt werden. Es geisterte eine Zahl von potentiellen 130.000 Borussen durch die sozialen Medien, mit denen gerechnet werde. 130.000 (!) nach so einer Saison, nach so vielen Enttäuschungen oder gerade deshalb. Es steht ja noch das Finale an! Aber wer glaubt denn, dass der Breitscheidplatz nicht Fantreffpunkt gewesen wäre, selbst ohne offiziellen Charakter? Hätte sich denn irgendein Borusse davon aufhalten lassen? Einzig die Fanshops und der DJ hätten wohl gefehlt …

Schon in der Bahn zum Zoo treffe ich einige BVB-Fans. Schwarzgelb, wohin man blickt. Schnell kommt man ins Gespräch, „Wer spielt heute abend?“, „Haste ne Karte oder biste beim Public Viewing?“, etc. Ich lerne Leute aus Berlin, Hamburg und Dortmund kennen, die ich noch nie zuvor gesehen habe und vielleicht nie wieder sehen werde. Die gemeinsamen Farben verbinden und ich fühle mich „wie zu Hause“. Ein schönes Gefühl und ein bisschen Stolz erfüllen mich, Teil einer solch reisefreudigen Familie zu sein. „Wir sind schon ein geiler Verein“, denke ich mir und verlasse den U-Bahnschacht Bahnhof Zoo. An der Oberfläche zurück das gleiche Bild: alles schwarzgelb. Wir nehmen die Stadt ein, wir nehmen das Stadion ein und ich bin mir sicher, dass wir am Ende auch den Pokal mit nach Hause nehmen. Ich habe einfach nur Bock auf diesen Tag und das Spiel. Ich liebe es, wenn sich Fans an einem Ort treffen und das Stadtbild mit ihren Farben prägen. Was war das schön, als die Schotten letzten September zum EM-Qualifikationsspiel in Dortmund waren und den Alten Markt füllten. Alle waren in Feierlaune, jeder war willkommen und es machte einfach Spaß zusammen zu feiern, zusammen zu singen und den Tag zu genießen als Einstimmung auf ein besonderes Spiel.

Genau dieses Gefühl kommt wieder in mir auf, als ich die ersten Freunde erblicke und auf sie zulaufe. Wir kaufen noch eine Kiste Bier, Mittagessen darf natürlich auch nicht fehlen und schon stehen wir mitten auf dem Breitscheidplatz. Und dann passiert etwas, mit dem ich nie gerechnet hätte: Mir ist das alles zu viel. Der schwarzgelbe Overkill setzt ein. Ich fühle mich auf einmal nicht mehr wohl, fühle mich fremd. Zugegeben, das Gefühl kommt nicht von jetzt auf gleich. „Borussia, schenk uns die Schale“ kann ich noch verdauen. Auch „Ein Schuss, kein Tor, die Bayern“ als der Mannschaftsbus der FC Bayern Basketballmannschaft vorbeifährt, lässt mich halbwegs kalt. Grenzwertig wird es, als die ersten „Scheiße 04“-Gesänge einsetzen, befeuert vom DJ, der verkündet, dass wir gestern den Pokal gegen die Blauen gewonnen haben. Ein Umstand, der mich natürlich freut, mir allerdings im Hinblick und als Einstimmung auf das bedeutende Spiel am Abend auch keinen „Kick“ verpasst und mich nicht dazu animiert „Conny Kramer“ mitzusingen. Aber irgendwie hat es ja zumindest noch Bezug zu einem BVB-Spiel am Vortag. Ich frage mich, gegen wen wir heute wohl spielen.

Und dann kommt der Tropfen, der das Fass zum überlaufen bringt: „Wer ist deutscher Meister? BVB, Borussia“. Nach dieser Saison, nachdem wir drei Saisons deutlich von den Bayern entfernt waren, nach Abstiegskampf und Platz 7 in der Endabrechnung. „Wer IST deutscher Meister?“. Ich frage mich, was das für ein DJ ist. Mich starren gefühlt tausende Kloppo-Gesichter an und skandieren „Bambule, Randale, Dortmund hat die Schale(!)“, die Schale??? Welche Schale? „Bambule, Randale, Dortmund im Finale“ war wohl nicht naheliegend genug vor einem Pokalfinale. Nein, für den DJ zählt nur die Schale! Ich komme mir vor wie am Ballermann. Der Animateur grüßt von der Bühne, Pseudo-All-Inclusive-Bändchen gewähren Zutritt und alle gröhlen fleißig mit. Egal, wie schwachsinnig die Liedauswahl ist. Generation „Wir glühen härter vor als ihr Meisterfeiern macht!“. Wie gesagt, eigentlich hatte ich mich darauf gefreut und ja, ich habe auch ein paar Lieder mitgesungen! Aber was hier abläuft, ist einfach nur noch künstlich. „Echte Liebe“ ist das für mich nicht mehr. Liebe empfinde ich in dieser zunehmend kalten, geplanten und abgeklärten Atmosphäre nicht. Von „echt“ kann bei einer derartigen Marketingaktion auch nicht die Rede sein. Ich fühle mich als Teil eines langen Werbespots, der im Laufe des Tages auf zig TV-Kanälen laufen wird. Und wir wissen ja: In der Werbung wird gelogen und überzeichnet, um das Produkt zu verkaufen – Echte Liebe! Wir Borussen brauchen aber keinen DJ, um uns zum Singen zu animieren. Wir brauchen keine Flut an Werbegeschenken, um die Stadt schwarzgelb zu färben und wir brauchen auch kein Brimborium, um unsere Vereinsliebe auszuleben. Der Bogen wurde in den letzten Jahren sehr stark gespannt und inzwischen wahrscheinlich sogar überspannt. Es wird inzwischen erwartet, dass der Verein dick antischt und die Fankultur bei Finalspielen erinnert mehr und mehr an Cala Ratjada. Wenn der DJ „10 nackte Frisösen“ gespielt hätte, wären wahrscheinlich trotzdem alle abgegangen.

Ich bin eigentlich nur noch am Breitscheidplatz, weil ich dort Menschen treffe, die ich kenne und mit denen ich den Tag verbringen möchte. Glücklicherweise brechen wir zeitig zum Stadion auf. Und je näher wir zum Stadion kommen, desto mehr weicht dieses Malle-Gefühl. Kein DJ, trotzdem alles schwarzgelb und echte Vorfreude! Ich bin froh, als ich endlich im Stadion bin und mich mit Bier, Wurst und netten Menschen auf das Spiel einstimmen kann.

Ich habe das Gefühl, ich werde alt. Aber erschreckenderweise ist die „gute, alte Zeit“ mal gerade zwei Jahre entfernt (und das nicht nur auf sportlicher Ebene). Was in London noch gut gemacht war, schmeckt heute nur noch aufgeblasen, bitter und abgestanden. Meine Borussia ist in zwei Jahren von einem sexy Verein zu einer gelifteten, aufgedunsenen C-Prominenz verkommen. Das schmerzt genauso wie das verlorene Finale – ach nee, das war ja nicht so wichtig, das Vorglühen hat ja gepasst.

Seb, 1.6.2015

Statistik

BVB: Langerak – Durm, Subotic, Hummels, Schmelzer – Kehl, Gündogan – Mkhitaryan, Kagawa, Reus – Aubameyang
Wechsel: Piszczek für Durm (68.), Kuba für Kehl (68.), Immobile für Reus (79.)

Wolfsburg: Benaglio – Vieirinha, Naldo, Klose, Rodriguez – Arnold, Gustavo – Perisic, de Bruyne, Caligiuri – Dost
Wechsel: Guilavogui für Perisic (74.), Schürrle für Arnold (81.), Träsch für Caligiuri (85.)

Tore: 1:0 Aubameyang (5.), 1:1 Gustavo (22.), 1:2 de Bruyne (33.), 1:3 Dost (38.)
Gelbe Karten: Mkhitaryan, Schmelzer, de Bruyne, Vieirinha

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