Eua Senf

Wie kann man nur so bescheuert sein?

07.04.2015, 14:11 Uhr von:  Gastautor
Wie kann man nur so bescheuert sein?

Es gibt Meldungen, die liest man, schlägt sich dann mit der Hand vor die Stirn und denkt sich: „Wie kann man nur so bescheuert sein?“.

Dass beim elften Heinrich-Czerkus-Gedächtnislauf am Karfreitag ein Wanderer von drei Ultras niedergeschlagen wurde, weil er einen Schal trug, auf dem nicht nur „Remember History – Fight Fascism“ stand, sondern auf der Rückseite ebenfalls „Ultras St. Pauli“, gehört mit Sicherheit in diese Kategorie. Trotz der Bekundung des 40-jährigen Familienvaters, kein USP-Mitglied zu sein, wurde er später angegriffen, verletzt und der Schal geraubt.

Eine Meldung, die vermutlich weniger Aufmerksamkeit erregen wird als die effektheischende Berichterstattung über brennende Bengalos oder vermeintliche Gewaltexzesse von Ultragruppen, aber eine Meldung, die nachdenklich stimmen sollte. Welchen Stellenwert darf ein Szenekodex haben und ab wann wird es zu einem Problem? Da ist zum einen die Erklärung, dass man sich den Szeneregeln unterwirft, wenn man Szeneutensilien trägt. Eine Feststellung, die ebenso simpel gestrickt wie falsch ist. Mag eine derartige Regel unter Ultras Gang und Gäbe sein, so unterwirft sich ihr nur ein kleiner Teil der Menschen. Es gibt allerdings Regeln, die für alle gelten und die für ein vernünftiges Zusammenleben unabdingbar sind. Diese Regeln stehen im Gesetzubuch und das macht bei Raub, Diebstahl und Körperverletzung keine Ausnahme für Fußballfans. Niemand muss Attacken auf sich in Kauf nehmen und akzeptieren, nur weil er ein Kleidungsstück kauft und trägt. Es ist völlig egal, ob sich deutschlandweit alle Ultragruppen einig sind, dass dieses Verhalten dazugehört und es ist auch völlig egal, ob diese Raubzüge all zu oft als Folklore verniedlicht werden – es ist und bleibt falsch.

Aber dieser Vorfall bekommt durch den Rahmen eine besondere Komponente. Der Heinrich-Czerkus-Lauf steht unter dem Motto „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg. Kick Racism out“. Mit diesem Marsch wird des von Nazis ermordeten Platzwarts des BVB, so wie all der anderen Opfer, die im Rombergpark getötet und am Mahnmal Bittermark begraben wurden, gedacht. Es ist ein Zeichen der Toleranz und des Miteinanders. Wie ist es möglich, dass man einen Ultrakodex für wichtiger oder höherstehend als diese Werte stellen kann? Die Ultraszene ist die größte jugendliche Subkultur und das ist gut so. Sie soll laut und anstregend sein, sie soll Reibungspunkte setzen. Das ist ein Vorrecht der Jugend. Aber es ist auch ein Alter, in dem sich Meinungen festigen und Verhaltensmuster setzen. Und es ist höchst bedenklich, wenn das vorherrschende Verhaltensmuster eine Reaktion auf tatsächliche oder eingebildete Feindbilder darstellt und der Kampf gegen andere Gruppen als wichtiger angesehen wird, als die gemeinsame Arbeit für ein vernünftiges, gemeinsames Zusammenleben als Gesellschaft. Es läuft bei manchen Mitgliedern etwas grundlegend falsch, wenn das Wertesystem das Dasein als Ultra an die Spitze stellt und alles andere unterordnet. Hier sind die älteren Mitglieder gefragt, auch regulierend einzugreifen.

Dass dieser Angriff nicht per se als „ultratypisch“ aufgefasst werden darf, beweist das tadellose Verhalten Anderer nicht nur während des Czerkus-Laufes. Auch die Banner zum Nazikonzert im Stadionumfeld zu Beginn der zweiten Halbzeit gegen Bayern zeigen, dass der Großteil in der Lage ist, über den Tellerrand hinaus zu schauen. Trotzdem scheint es dort auch Leute zu geben, bei denen etwas aus dem Ruder läuft. Ultra mag der Kampf ums Ganze sein, wenn „Ultra“ aber im Leben das Ganze darstellt, dann wird es ungesund. Für die Allgemeinheit, aber auch für die Einzelperson. Man schafft sich Probleme, die einen später einholen. In diesem Fall in Form einer Anzeige. Und was passiert, wenn man im Leben in Situationen kommt, in denen einem der Kodex keine Antwort bieten kann – und andere Orientierungspunkte fehlen?

Vielleicht wird dieser Vorfall zum Anlass genommen, die eigenen Handlungsweisen häufiger zu reflektieren und auf den Prüfstand zu stellen. Die Gruppen zeigen sich oft genug kritikfreudig – dann sollte man auch nicht davor Halt machen, die eigenen Regeln kritisch zu hinterfragen. Dann kommen solche Meldungen hoffentlich nicht mehr vor.

geschrieben von Sascha

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