Unsa Senf

Wahltag in Hamburg

23.05.2014, 09:28 Uhr von:  Redaktion

Nein, zu beneiden sind sie wirklich nicht, all die Fans, die die Raute im Herzen tragen. Wer nach der vorletzten Saison dachte, er hätte schon wahrlich schlechten Fußball gesehen, musste diese Saison lernen, dass es noch jämmerlicher geht. Gerade einmal 27 Pünktchen gesammelt, in der Relegation ganz knapp am Abstieg vorbei geschrammt. Und natürlich wird jetzt nach den Ursachen geforscht. Die gängige Plattitüde dafür heißt „jeden Stein einzeln umdrehen". Nachdem man Trainer, Sportdirektoren und Spieler in der Vergangenheit bereits munter ausgetauscht hat, steht jetzt allerdings der Verein als Ganzes auf dem Prüfstand und für die Mitglieder geht es zwei Wochen nach Saisonende noch einmal zu einem richtigen Endspiel. Auf dem Programm steht die Ausgliederung der Profiabteilung, die ganz besonders vom Bündnis „HSVplus" forciert wird. Dazu später mehr.

Eins vorweg: Es gibt durchaus vernünftige und gute Gründe für beide Varianten. Bei einer reinen Organisationsform als eingetragener Verein haben die Mitglieder die direkteste und größtmögliche Mitsprachemöglichkeit. Ein Gut, das man nicht leichtfertig wegwerfen oder verkaufen sollte. Nehmen wir mal Leverkusen und Wolfsburg heraus, sind alle Proficlubs als reine Vereine gegründet und von den Mitgliedern aufgebaut worden. Wer sich anschaut, was aus der damaligen „Fußlümmelei" heute geworden ist, der sieht eindeutig was mit aktiver Mitarbeit und Gestaltung möglich ist. Die Entscheidung gegen die Organisation als reiner e.V. ist auch gleichzeitig ein Stück der Selbstentmündigung, da man die gestalterische Kraft in andere Hände gibt.

Daneben gibt es den argumentativen Ansatz, die Struktur stärker den Begebenheiten des Marktes anzupassen. Klar, das klingt scheiße und furchtbar unromantisch, ist aber angesichts einer Branche mit Umsätzen in Milliardenhöhe nicht generell falsch. Die Ausgliederung einer Fußballabteilung kann zum Beispiel den e.V. schützen, da sie das finanzielle Risiko auf den Fußballbetrieb reduziert und dem Verein ein Überleben ermöglichen kann. Angesichts des mutmaßlich stattlichen Schuldenbergs ein Punkt, den man in Hamburg nicht einfach wegwischen sollte. Ebenso ermöglicht eine geschickt gewählte Gesellschaftsform die Aufnahme von Kapitalgebern, ohne ihnen eine all zu große, formelle Macht zu geben. Wir Dortmunder können da ein Lied von singen. Was ein Herr Homm beispielsweise angestellt hätte, wenn man ihm für seine überlebenswichtigen Zahlungen einen Vorstandsposten hätte garantieren müssen, möchten wir uns besser nicht vorstellen.

Man kann also durchaus kontrovers darüber diskutieren. Alles legitim. Den Punkt der Sachlichkeit, so scheint es für jeden Außenstehenden, hat man beim HSV aber anscheinend schon lange verlassen. „Die Supporters" wollen den Verein übernehmen. Bumm! Die Welt hat Struktur, wenn das Feindbild klar und simpel definiert ist. Mögen sich bitte alle Fans, die sich diese Argumentation zu Eigen machen, einmal verdeutlichen was das heißt: nämlich, dass man zu dämlich ist, über die Geschicke seines Clubs mit zu entscheiden und es gefälligst anderen überlassen soll. Gut, wer bei dem Begriff „Supporter" das klischeemäßige Sportschaubild eines gröhlenden, besoffenen Halbidioten mit einer Burger-King-Krone auf dem Kopf vor Augen hat, der mag damit sogar Recht haben – aber damit dürften die Vertreter des Supporters Club eher nichts zu tun haben. Wieso ist dann die Vorstellung, dass Fans mitbestimmen, per se eine Horrorvorstellung? Die zukunftsfeindliche, aber teure Verpflichtung alternder Stars wie Ze Roberto oder van Nistelrooy zum Beispiel, dürfte nicht auf ihrem Mist gewachsen sein. Oder anders gefragt, warum sollten engagierte Fans, die außerhalb ihres Fußballerlebens als Kaufleute, Bankangestellte und so weiter tätig sind, zur Führung eines Vereins weniger geeignet sein als Rechtsanwälte oder Klinikärzte? Auch das gab und gibt es beim HSV. Und warum darf bei allen Fußballclubs jede so genannte „Vereinslegende", bei der man schon zur aktiven Zeit den Eindruck hatte, dass der ein oder andere Ball zu oft an den Kopf geprallt ist, seine Meinung zur Ausrichtung äußern, während Fans sich selbst zu Statisten für den samstäglichen Fußballwahnsinn degradieren sollen? Wenn man dieses „übernehmen" ganz simpel als „mitgestalten" auffasst, dann wird dieses Schwert ganz schnell stumpf.

Ein Grund für diese schwache Position der Fans ist mit Sicherheit die mangelnde Vernetzung, beziehungsweise der geringere Zugang zur Öffentlichkeit, und so ist außerhalb des HSV eigentlich auch nur der Lösungsansatz bekannt, für den am lautesten die Trommel gerührt wird. HSVplus – so lautet die irreführende Zauberformel. Irreführend, weil diese Initiative für die Vereinsmitglieder in erster Linie ein Minus ist. Ein Minus an Mitbestimmung und Mitgestaltung. Ausgliederung des Profifußballs in eine Kapitalgesellschaft und eine völlig neue Zusammensetzung des Aufsichtsrates. Unterstützt natürlich von allerhand Experten und honorigen Leuten. Na, die werden doch viel besser wissen, was man mit dem HSV anstellen muss. Schließlich handelt es sich um bekannte Gesichter. Wie zum Beispiel Dittmar Jakobs. Ein verdienter Spieler aus besseren Zeiten, ohne Frage. Was er aber nach dem tragischen Unfall mit dem Karabinerhaken im Fußballgeschäft getrieben hat, weiß außerhalb von Hamburg wohl niemand. Gleich in den Aufsichtsrat soll Thomas von Heesen mit dem Bereich „sportliche Philosophie". Eben jener von Heesen, der auch mal in Dortmund gehandelt wurde, dann aber eine beachtliche Karriere bei Apollon Limassol in Zypern und dem Kapfernberger SV in Österreich wählte. Leider nicht erspart wurde uns Thomas Doll. Wer erinnert sich nicht an die Spiele, bei denen man rätselte, ob das auf dem Platz eine taktische Formation war, oder die Mannschaft gerade blinde Kuh spielte? Das sollen die Experten sein, die den HSV in eine bessere, erfolgreiche Zukunft bringen? Nicht jeder würde viel Geld darauf wetten, dass dieser Plan funktioniert.

Anders gelagert ist allerdings der Fall des designierten Aufsichtsratschefs Karl Gernandt. Würde die DFL Verstöße gegen den „Geist von 50+1" wirklich ernsthaft verfolgen wollen, müsste sie hier laut aufschreien. Gegen diesen Geist wird nicht nur verstoßen, er wird geradezu exorziert. Gernandt ist Verwaltungsratvorsitzender bei der Speditionsgesellschaft Kühne + Nagel. Kühne? Kühne? Da war doch was. Eben jener Kühne ist Gründer der Spedition und finanziell eng mit dem HSV verwoben. Nicht zuletzt ihm hat der HSV Rafael van der Vaart zu verdanken, der sportlich zwar kilometerweit hinter den Erwartungen zurück geblieben ist, dafür aber etliche Millionen an Ablöse verschlungen hat. Plus Zinsen, die Kühne einstreicht – versteht sich. Dieser Herr Kühne stellt auch weitere Zahlungen und Bürgschaften in Aussicht, wenn die Mitglieder der Initiative „HSVplus" zustimmen. Das ist hart an der Grenze zur Erpressung und wirft ein zweifelhaftes Licht auf die „Liebe" von Kühne zum HSV, wenn Hilfe im Notfall nur bei Gewinnung von Macht und Einfluss gewährt wird. Der Verwaltungsratschef als Statthalter eines Investoren, dazu mit Dietmar Beiersdorfer ein neuer Mann, der aufgrund seiner Stationen in Salzburg und St. Petersburg so gar kein Problem damit haben dürfte, wenn die Marschrichtung von einem „Sugar Daddy" vorgegeben wird. Wenn das kein krasser Verstoß gegen den Geist von 50+1 ist, was dann?

Sonntag ist Wahl und für die Zukunft des HSV wird diese Wahl nicht weniger Bedeutung haben als das Spiel in Fürth. Wir wünschen den Mitgliedern des Hamburger SV, dass sie mit Bedacht wählen mögen. Dass sie Argumente gegeneinander abwägen und nicht einfach Namen folgen. Dass der Ruf des Geldes nicht allein den Ausschlag gibt. Viel Glück, Hamburger SV e.V.

Sascha, 22.05.2014

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