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Reise zu den Anfängen: Ein Tag am Set des Franz-Jacobi-Films

18.11.2014, 09:46 Uhr von:  Redaktion

Fast wie 1913 - wenn die Kamera nicht wäre„Das war perfekt – und jetzt das Ganze nochmal!“ Ein paar Stunden am Set des Jacobi-Films und man weiß nicht mehr, wie oft es diese Ansage schon gab. Die „Schauspieler“, Jugendspieler aus Huckarde und Schwerte, wissen es vermutlich auch nicht mehr. Dennoch wiederholen sie die Szene wie geheißen.

Es ist der 12. Drehtag des Films "Am Borsigplatz geboren — Franz Jacobi und die Wiege des BVB". Fünf weitere werden noch folgen. Dennoch ist dieser der längste und aufwändigste auf dem Weg zum fertigen Dokumentarfilm über die Gründungsgeschichte des BVB. Und er ist zugleich einer der entscheidenden, denn: „Ein Film über Fußball ohne Fußball funktioniert nicht.“ Am Ende werden vermutlich nur ein Dutzend Minuten des heutigen Filmmaterials Einzug in den fertigen Streifen erhalten. Generische Szenen aus den Anfangsjahren unseres Vereins. Inklusive reproduzierter Trikots, Toren aus Holzlatten und einer weiten Wiese, auf der man Spielfeldränder und Eckfahnen vergeblich sucht. „Die größte Herausforderung ist, alles so aussehen zu lassen wie vor 100 Jahren“, erklärt Projektleiter Jan-Henrik Gruszecki.

Ein Spielfeld, das keines ist

Ein etwas kleinerer Schritt zurück: Ende August haben wir an dieser Stelle einen Aufruf gestartet und zwei Fußballteams gesucht, die für das Filmteam vor der Kamera kicken wollen. Aus den zahlreichen Bewerbungen wurden die B-Junioren von Westfalia Huckarde und dem FC IAOWL Schwerte ausgewählt. Für sie geht es an diesem Sonntagmorgen mit dem BVB-Mannschaftsbus los in Richtung Westen. Ziel der Reise ist der Rhein Polo Club Düsseldorf im beschaulichen Willich. Hinter der Einfahrt und einem kleinen Clubhaus verbirgt sich weites grünes Geläuf. Darauf ein weißes Zelt, das dem technischen Equipment und den Menschen Schutz vor dem nasskalten Novemberregen bietet. Marc Quambusch gibt Anweisungen: Als wir ankommen, ist das Filmteam schon bei der Arbeit.

Projektleiter Jan-Henrik Gruszecki beim DrehWas auf den ersten Blick so unscheinbar wirkt, verschleiert die Anstrengung, die dahinter steckt. „Gregor [Schnittker, Anm. d. Red] ist alles abgefahren“, beschreibt Gruszecki die Suche nach einem geeigneten Drehort. Mit alten Fotos ist der dritte Projektleiter im Bunde losgezogen, blieb am Ende aber erfolglos. Das Problem: Im Ruhrgebiet gibt es zu wenige Pappeln. Die sind aber entscheidend, um die Szenen authentisch wirken zu lassen, säumten sie doch einst die Weiße Wiese und verhalfen ihr zu ihrem Namen. Fotografien aus den Anfangsjahren zeugen davon. Gruszecki erzählt: „Es gab damals kaum Fotos. Fotografen mussten extra bestellt werden. Aber man hat es damals gemacht, um das erste Spiel zu dokumentieren. So stolz war man darauf. Das Foto hing schließlich an der Kirchentür.“

Die Suche nach dem perfekten Ort für eine Zeitreise

Letztlich musste ein Location Scout her. Nach zwei Monaten der Suche war der gewünschte Drehort gefunden. Eine Fahrt durch den 80er-Jahre-Ortskern von Willich und einen unfreiwilligen Abstecher ins Industriegebiet später, vorbei an staunenden Pferden und Anwohnern, erreichen wir den Polo Club. Der Mannschaftsbus ist ohnehin eine Attraktion. Immer wieder stehen Schaulustige auf den Wegen und beobachten die Dreharbeiten. Die Kicker aus Schwerte müssen im Anschluss an ein Mannschaftsfoto vor dem Bus gar Autogramme schreiben. Noch bevor wir die Wiese betreten, erwartet uns das Herzstück des heutigen Tages auf einem schlichten Tisch im Clubheim: 44 Trikotsätze in Handarbeit, gefertigt in der Rekordzeit von vier Tagen. Gemacht für Matsch und Schlamm. „Mir wird es schon ein bisschen wehtun, wenn sie gleich dreckig werden“, gibt Schneiderin Sonja Sbano zu. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Joachim Kuhlmann erklärt sie den Spielern die Besonderheiten der Kleidung. Mütze für den Torwart, Knöpfe geöffnet, schwarze Socken über die teils bunten Fußballschuhe, damit alle einheitlich aussehen.

Die ersten Trikots in ungewohnten Farben44 Jungs gehen nacheinander in den kleinen Raum, der als Umkleide herhalten muss – hinaus kommen 44 Kicker von einst. Einige von ihnen im gelben Trikot, auf ihrer Brust prangt ein schwarzes „B“. Einige in blau-weiß gestreiften Hemden, darüber eine rote Schärpe. Die Jahre 1906 und 1913 waren selten so greifbar wie jetzt. Um die Illusion perfekt zu machen, bedarf es aber noch einiger Hinweise: „Keine Piercings, keine Ohrringe, keine Grätschen, das gab es damals nicht.“ Kollektives Seufzen. Auch die taktischen Anweisungen sind anders, als sie die Spieler sonst gewohnt sind. Gesucht wird die Langsamkeit des Spiels, passend zur damaligen Zeit. „Wir hoffen, dass ihr nach fünf Minuten automatisch langsam sein werdet auf diesem Boden“, so Gruszecki. Er sollte Recht behalten: Nicht lange und die einst grüne Wiese verwandelt sich in einen holprigen, schlammigen Acker.

Ein Spiel (wie) aus dem Drehbuch

Mit Spielfluss hat das Treiben auf dem Rasen letztlich wenig zu tun. Das ist aber auch nicht gewollt. Stattdessen dominieren Regieanweisungen. Die Projektleiter wissen genau was sie wollen und das bekommen sie auch: Das Einlaufen der Mannschaft, Anstoß, Spielszenen, Tore, Jubel, Scheitern. „Nicht zu modern jubeln.“ – „Keine Tricks.“ – „Zentral bleiben. Zentral ist die Mitte!“ Quambusch ist in seinem Element. Dirigiert hier, korrigiert dort. Mal ist die Defensive des Gegners zu gut, dann will der Ball einfach nicht ins Tor, obwohl für den Film noch ein BVB-Treffer benötigt wird. Das Spiel ist durchchorografiert, das Drehbuch immer in der Hand. So geht es die nächsten Stunden. Zwischendurch bleiben ein paar Minuten für Interviews mit dem extra angereisten Sky-Team, fühlen sich die Jugendlichen einmal mehr als kleine Filmstars.

Marc Quambusch im Gespräch mit den SpielernAm Ende ist es wie so oft: Trotz sorgfältiger Planung rennt die Zeit schneller als man selbst. Und auch wenn nicht alles reibungslos verläuft (so dürfte der „Torfall von Willich“ wenn schon nicht auf die Leinwand, dann zumindest in die Entstehungsgeschichte des Films eingehen) hat das Filmteam an diesem Tag alle gewünschten Szenen eingefangen. Die letzten Spieler werden zum Umziehen geschickt, schnell noch ein Brötchen auf die Hand, dann die Rückfahrt nach Dortmund. Es ist dunkel geworden in Willich. Es ist auch dunkel, als man wieder am Westfalenstadion eintrifft und sich die Wege trennen. Eben noch in den Anfängen des 20. Jahrhunderts, nun unvermittelt wieder im Jetzt.

Geschichte zum Anfassen - und bald auf der Kinoleinwand

Der Tag bleibt trotzdem jedem im Gedächtnis. Und unvergessen: "Am Borsigplatz geboren — Franz Jacobi und die Wiege des BVB" befindet sich auf der Zielgeraden. Alle Interviews wurden abgedreht, auch einige Animationen vom Borsigplatzviertel, der Flurstraße und der Dreifaltigkeitskirche sind fertiggestellt. Was noch folgt sind nachgestellte Szenen der Vereinsgründung. Am 19. Dezember, genau 105 Jahre nach der Vereinsgründung, soll endlich alles fertig sein und der Film seine lang ersehnte Premiere feiern.

Ein "Fall" für die GeschichtsbücherAuch nach Monaten der Vorbereitung, Recherche und Arbeit spricht Gruszecki über den BVB und „seinen“ Film mit leuchtenden Augen: „Ich gebe zu, eigentlich mache ich den Film nur, um ihn selber zu gucken.“ Er lacht. Stolz ist er jetzt schon. „Die BVB-Geschichte existiert bisher nur in Textform. Wir liefern quasi die ersten Bilder.“ Man habe mit dem Jacobi-Projekt die Vereinshistorie bereits um einige 100 Seiten erweitern können. Die Dokumentation soll ein filmisches Denkmal werden. Doch noch bevor sie auf der Leinwand erscheint, hat sie einen Platz in der schwarzgelben Historie gefunden und selbst Geschichte geschrieben.

Danke Julia Löwe für die Fotos.

goldkind,18.11.2014

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