Unsa Senf

Demokratische Leerstunde

16.09.2013, 20:58 Uhr von:  Redaktion

Die Meldung schlug am Samstag ein wie eine Bombe. Der FC Schalke 04 zieht seine scharfe Kritik am Polizeieinsatz in der Schalker Nordkurve zurück. Im Gegenzug verzichtet Innenminister Ralf Jäger (SPD) auf den erst zwei Tage zuvor vollmundig angekündigten Rückzug der Einsatzkräfte aus der Schalker Arena.

"Um zu einer vertrauensvollen Partnerschaft zurückzukommen, vereinbarten die Gesprächspartner, dass Kritik und unterschiedliche Bewertungen von Sicherheitsfragen bei Fußballspielen unmittelbar zwischen dem Verein und der Polizei erörtert werden.“

Die Gesprächspartner, das sind in diesem Fall Ralf Jäger und der FC Schalke, die mit ihrem synchronen Salto Rückwärts für den beschämenden Höhepunkt in der Diskussion um den Polizeieinsatz in der Schalker Arena gegen Saloniki sorgten. Und damit ist nicht einmal die fragwürdige Praxis gemeint, Sicherheitsfragen zwischen Polizei und privatem Veranstalter nur hinter verschlossenen Türen zu diskutieren, was angesichts der jüngeren Erfahrungen Nordrhein-Westfalens mit Großereignissen und deren Sicherheitskonzepten als eine bemerkenswert geschichtsvergessene Entscheidung anmutet.

Denn man muss sich noch etwas ganz anderes vor Augen halten: Noch im vergangenen Jahr wurden Fußballfans - und insbesondere jene auf den Stehplätzen - unter Federführung von unter anderem Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und eben Ralf Jäger als großes Problem und stete Gefahrenquelle dargestellt, der dringend begegnet werden musste. Bereits diese politische Diskussion um das Sicherheitskonzept der DFL wurde deutschlandweit von Fußballfans mit großer Irritation verfolgt. Viele Fans fühlten sich stigmatisiert und sahen sich ohnmächtig einer verselbstständigten Diskussion gegenüber, in der die Scharfmacher aus den Polizeigewerkschaften, Ministerien und Boulevardmedien sich ihre Argumente zurechtbogen und –logen, wie es gerade zur Interessenslage passte.

Für die – oftmals jungen – Fans und Wähler auf den Stehplätzen war dies bereits damals eine äußerst hässliche Lehrstunde in Sachen „Politisches System in der Bundesrepublik Deutschland“. Denn ganz gleich wie gut und sachlich vorgetragen die Argumente der Fußballfans auch waren: Die Lobbyisten und Innenpolitiker drückten unter dem Tarnmantel vermeintlicher Sicherheit ihre Vorhaben durch. Wer am lautesten schrie und das machtvollste Drohszenario entwarf, bekam Recht.

Wie ehrlich die Sorgen um Sicherheit und körperliche Unversehrtheit von Stadionbesuchern aber tatsächlich sind, haben mehr als 80 Schalker Fans vor ein paar Wochen am eigenen Leib spüren müssen, als die Einsatzhundertschaft der Polizei die Nordkurve stürmte und Pfefferspray und Schlagstock auch vorsätzlich gegen gänzlich Unbeteiligte einsetzte. Eine Person wurde nach diesem Einsatz gar intensivmedizinisch behandelt. Hier kamen also tatsächlich Menschen zu Schaden. Der Logik nach hätten die Scharfmacher nun rückhaltlose Aufklärung und Konsequenzen für die Täter fordern müssen.

Doch dieselben Protagonisten, die den (verletzungsfreien) Düsseldorfer Platzsturm vor gut einem Jahr zum Anlass einer gigantischen Sicherheitsdiskussion nahmen, hielten sich nun in der Folge seltsam bedeckt. Die Gelsenkirchener Polizei und das NRW-Innenministerium übertrafen sich in den vergangenen Wochen gegenseitig in Sachen Desinformation, Abwiegelung und Verbreitung von bestenfalls Halbwahrheiten. Auf klare Fragen zum Einsatz und der generellen Polizeitaktik bei Fußballspielen hin verweigerte das Innenministerium eine Beantwortung.

Allein der FC Schalke 04 schien sich bis zum Wochenende hinter seine Fans und insbesondere hinter die Verletzten zu stellen und kritisierte die Einsatzdurchführung scharf. Auf massiven Druck und eine vom Innenminister entworfene Drohkulisse hin hat der Verein nun einen Rückzieher gemacht und sich für seine "in Wortwahl und Tenor zu scharfe" Kritik entschuldigt. Im Gegenzug ließ der Innenminister seine Drohung einer polizeifreien Schalker Arena fallen. Alles bleibt dort nun beim Alten. All jenen, die grundlos Bekanntschaft mit Pfefferspray und Schlagstock gemacht haben, muss dies beinahe als der größere und schmerzvollere Schlag ins Gesicht vorkommen. Wieder geht es nicht um Recht und Argumente, sondern um Machtdemonstration und Drohkulissen. Das blauweiße Fanzine "Schalke Unser" spricht in diesem Zusammenhang von "Schutzgelderpressung" in Uniform und rekapituliert noch einmal die Ereignisse, an denen der S04 nun vermeintlich zu harsche Kritik geäußert haben will:

"Einer unserer Redakteure hat gesehen, wie ein Beamter einem achtjährigen Kind Pfefferspray ins Gesicht packte - und es hat ihn nicht angegriffen. Einem unserer Autoren wurde mit dem Schlagstock die Kamera aus dem Arm geschlagen - weil er seiner Bürgerpflicht nachkam, eine Straftat, diesmal die eines Beamten, zu filmen. Ein anderer Redakteur hat gesehen, wie Beamte Schalkern auf dem Rückzug das biologische Kampfmittel Pfefferspray hinterhersprühten, von hinten mit Schlagstöcken angriffen und wie Beamte Sanitäter außer Gefecht gesetzt haben. Und das ist nur das, was wir als Redaktion selbst bezeugen können und jederzeit werden. Und damit sind und bleiben Tenor und Wortwahl unserer Berichterstattung klar."

Aus den starken Worten des S04 allerdings ist innerhalb eines Tages ein ziemlich rückgratloses Im-Stich-Lassen der verletzten Nordkurven-Besucher geworden. In seinem Gastkommentar für schwatzgelb.de hatte Fernsehkommentator Hansi Küpper den FC Schalke 04 noch dafür gelobt, sich vorbehaltlos hinter seine Fans gestellt zu haben, und das Verhalten des Vereins anderen Klubs zur Nachahmung empfohlen. Es sollte anders kommen: Statt sich ebenfalls hinter die eigenen Fans zu stellen, die beim Heimspiel gegen Braunschweig gleichfalls bedenkliche Erfahrungen mit der Polizei-Einsatzführung gemacht hatten, spielte ausgerechnet BVB-Präsident Dr. Reinhard Rauball nun den Vermittler dieser Absprache hinter verschlossenen Türen.

Absprachen statt öffentlicher Aufklärung: Die von der Polizei verletzten Fußballfans haben damit ihre Fürsprecher verloren. Ihre Interessen wurden ganz berechnend den Spielchen einer Hinterzimmerpolitik geopfert, die Machterhalt und wirtschaftliches Kalkül über die angeblich so hoch gehaltene Sicherheit der Stadionbesucher stellt. Eine weitere bittere Lehrstunde in Sachen Demokratie für das zumeist junge Wahlvolk auf den Stehplätzen der Republik, das diese Vorgänge ganz genau registriert hat, wie zahlreiche Solidaritätsspruchbänder in den Bundesligastadien und sogar in Dortmund demonstriert haben.

Es ist ein wahrlich unwürdiges Geschachere, dem Thomas Oppermann, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, noch die Krone aufsetzte. Die offizielle SPD in Land und Bund hatte sich in der gesamten Diskussion rund um den Polizeieinsatz bemerkenswert wortkarg gezeigt und lediglich auf die Verlautbarungen des Innenministeriums verwiesen. Kein Wort des Bedauerns zu der Vielzahl verletzter Schalker Fans. Am Samstagabend aber wurde dieses Schweigen nun gebrochen: Via Twitter ließ es sich Thomas Oppermann nicht nehmen, zu verkünden, dass sich der FC Schalke für die Kritik an Parteifreund Jäger entschuldigt habe. Und das scheint dann wohl das wichtigste zu sein.

Am kommenden Sonntag ist Bundestagswahl.

Umfragen zufolge könnte es zu einer historisch niedrigen Wahlbeteiligung kommen. Sollte sich dies bewahrheiten, wird landauf, landab wahrscheinlich wieder viel über Politikverdrossenheit und ihre Gründe diskutiert und gerätselt. Zweifelsohne werden die handelnden Personen im Fall der Schalker Nordkurve nicht im Traum auf die Idee kommen, dass zumindest ein Grund für diese Verdrossenheit ziemlich offen auf der Hand liegt.

Arne, 16.09.2013

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